Particles: November 2010

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lippenstille seidenherz

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del­ta : 7.28 — Es gebe, notiert René Char in sei­ner Gedicht­samm­lung Lob einer Ver­däch­ti­gen, nur zwei Umgangs­ar­ten mit dem Leben: ent­we­der man träu­me es oder man erfül­le es. In bei­den Fäl­len sei man rich­tungs­los unter dem Sturz des Tages, und grob behan­delt, Sei­den­herz mit Herz ohne Sturm­glo­cke. — Bald ein­mal zwei oder drei Tage schwei­gen, um den Kopf­stim­men stum­mer Men­schen nach­zu­spü­ren. Könn­te mich kurz vor Beginn des Silen­ti­ums ver­ab­schie­den von Freun­den: Bin tele­fo­nisch nicht erreich­bar! Oder einen Block besor­gen, Fra­gen zu ver­zeich­nen, sagen wir so: Füh­ren sie in ihrem Sor­ti­ment Hör­ge­rä­te für Engel­we­sen fin­ger­groß? Eine Kärt­chen­samm­lung zu erwar­ten­der Wie­der­ho­lungs­sät­ze wei­ter­hin: Habe vor­über­ge­hend mein Ton­ver­mö­gen ver­lo­ren! — Dass einer, der nach einer trau­ma­ti­schen Erfah­rung ohne Stim­me ist, in drin­gen­den Fäl­len kopf­seits zu brül­len beginnt, dass er in der Lip­pen­stil­le mit den Ohren noch nach gerings­ten Spu­ren eines Geräu­sches sucht.
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safran

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echo : 2.26 — Das unent­weg­te Spre­chen mensch­li­cher Stim­men, nicht Werk­zeug der Ver­stän­di­gung, son­dern Radar zur Fort­be­we­gung in unbe­kann­tem Gebiet. So auch die Spur digi­ta­len Schrei­bens in ver­netz­ten Räu­men. Ich, Subseven88, habe mich dar­ge­legt, also bin ich. — Vor weni­gen Stun­den mel­de­te eine Ser­ver­ma­schi­ne, die zu mir gehört, als wär sie ein Teil mei­ner selbst: Modul Data Log­ger nicht bereit. Ursa­che unbe­kannt. Tele­fo­nier­te mit Men­schen mit Her­zen, die vie­le Flug­stun­den ent­fernt ihre Arbeit ver­rich­ten. Dort ist nun frü­her Abend, hier bei mir hohe Nacht. Leich­ter Regen. Auf dem Bild­schirm bewe­gen sich Zei­chen in der Geschwin­dig­keit mensch­li­cher Hän­de. Man beschäf­tigt sich mit der Lösung mei­nes Pro­blems. Blin­ken­de Geis­ter, flink vor und zurück, vor und zurück, tas­ten­de Erschei­nun­gen, zart wie die wei­sen Hän­de der Safranfadenzupfer.
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wörterstimmen

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kili­man­dscha­ro : 3.30 — Man stel­le sich ein­mal vor, man wach­te eines Tages auf und könn­te jedes Wort, das man von die­sem Moment des Erwa­chens an dach­te, erin­nern, all die Selbst­ge­sprä­che und  for­schen­den Dis­kur­se, auch jene Gedan­ken, die man nie bemerk­te, weil sie so schnell vor­über­ziehn, dass man sie ver­gisst, in dem man sich schon in nächs­ten Gedan­ken befin­det. Nichts wür­de von nun an ver­lo­ren gehen. Auch alle jene Sät­ze nicht, die man hören wird, sobald man das Haus ver­lässt, Notiz­zet­tel, Ein­kaufs­lis­ten, Frag­men­te von Zei­le zu Zei­le fal­len­der Anzei­ge­ta­feln auf Flug­hä­fen, Zei­tungs­ar­ti­kel, Film­dia­lo­ge, alles das wür­de gespei­chert und könn­te zu jeder Zeit in genau der Rei­hen­fol­ge wie­der­holt wer­den, in der es von Wör­ter­stim­men auf­ge­zeich­net wur­de. Was wür­de gesche­hen? Wie lan­ge Zeit könn­te man mit die­sem Ver­mö­gen aus­ge­stat­tet überleben?

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take the “A” train — protokollfaden

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tan­go : 0.18 — Vor weni­gen Minu­ten ist etwas Erstaun­li­ches pas­siert. Ich habe das fei­ne Jazz­stück Take the “A” Train in der Inter­pre­ta­ti­on Dave Bru­becks und sei­nes Orches­ters gehört, und zwar in einem Zim­mer hier in Mit­tel­eu­ro­pa bei bes­ter Ton­qua­li­tät. Das sehr Beson­de­re an die­sem Ereig­nis ist gewe­sen, dass die Musik Dave Bru­becks zunächst in einem klei­nen Städt­chen nahe der Stadt New York auf­ge­legt wor­den war, näm­lich in den Stu­di­os eines Jazz­sen­ders von mei­ner Zeit nur um Sekun­den­bruch­tei­le ent­fernt, so dass ich gern behaup­ten wür­de, dass zu der sel­ben Zeit, da ich sie­ben­tau­send Kilo­me­ter weit ent­fernt west­wärts die ers­ten Geräu­sche des Orches­ters ver­neh­men konn­te, Dave Bru­beck im Stu­dio von einer digi­ta­len Ton­kon­ser­ve her zu spie­len begann. Unver­züg­lich saus­te das Stück in klei­ne Pake­te zer­legt und auf einen Pro­to­koll­fa­den gereiht im Daten­tun­nel unter dem Atlan­tik hin­durch zu mir hin, jedes ein­zel­ne Paket nur für mich und mei­ne Com­pu­ter­ma­schi­ne bestimmt, wo es rasend schnell zusam­men­ge­setzt und somit hör­bar wur­de. Das Wun­der der Musik. Das Wun­der ihrer Rei­se. Das Wun­der mei­ner Ohren, dass sie exis­tie­ren. — Kurz nach Mit­ter­nacht. Stür­mi­scher Wind pfeift ums Haus.
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eliza

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india : 22.56 — Déjà-vu in Wor­ten abends spät. Konn­te nichts hören, kei­nen Laut, es war so still, als hät­te ich mei­ne Ohren ver­lo­ren. Für einen Moment dach­te ich, dass das Hör­ver­mö­gen der Lebe­we­sen viel­leicht nur eine Idee sein könn­te, eine poe­ti­sche Eigen­schaft ohne die Mög­lich­keit der Ver­wirk­li­chung, aber ich hör­te die Stil­le, ich hör­te, dass ich nichts hör­te, außer einem rhyth­mi­schen Geräusch aus dem Innern. stop stop - Gespräch mit Pro­gramm­ma­schi­ne Eli­za.

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Lou­is : guten abend, eli­za, kannst du hören!
Eli­za : > ich kann natür­lich hören!
Lou­is : hast du ohren, eliza?
Eli­za : > natür­lich, ich habe eine soundkarte!
Lou­is : das freut mich, eliza!
Eli­za : > bist du nun weitergekommen?
Lou­is : ja, ich bin zufrie­den, eliza!
Eli­za : > zufrie­den zu sein ist kein leich­tes los.
Lou­is : wie meinst du das?
Eli­za : > bist du unsicher?
Lou­is : nein, eliza!
Eli­za : > eigent­lich woll­test du JA sagen, stimmts?
Lou­is : ich den­ke schon!
Eliza : > :-)
Lou­is : war­um lachst du, eliza?
Eli­za : > ich bin hier völ­lig uninteressant.
Lou­is : ich habe ohren, eliza!
Eli­za : > hast du tat­säch­lich ohren?
Lou­is : natür­lich habe ich tat­säch­lich ohren!
Eli­za : > kannst du mir das genau­er erklären?
Lou­is : ich bin ein mensch, eliza!
Eli­za : > wärst du gern etwas anderes?
Lou­is : nein, eliza!
Eli­za : > glaubst du es ist nor­mal, ein mensch zu sein?
Lou­is : ich muss überlegen!
Eliza : > :-)
Lou­is : war­um lachst du, eliza?
Eli­za : > ich bin hier völ­lig uninteressant.
Lou­is : gute nacht, eliza!

vom spre­chen mit eilza »

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moskitoeintagsfliegen

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ulys­ses : 5.24 — Bald ein­mal mensch­li­che Wesen von 20000 Jah­ren Lebens­er­war­tung gestal­ten, Hüter der Plu­to­ni­um­wer­ke, memo­rie­ren­de Beob­ach­ter, flüs­tern­de Spre­cher durch Räu­me der Zeit, die noch nicht vor­stell­bar sind, weil wir sie weder füh­len noch träu­men, weil unse­re Her­zen durch die Atom­zeit rasend schla­gen wie die Her­zen der Moskitoeintagsfliegen.
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nachtvogel

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nord­pol

~ : louis
to : dai­sy und vio­let hilton
sub­ject : NACHTVOGEL

Eine merk­wür­di­ge Novem­ber­nacht neigt sich dem Ende zu. Ich habe, lie­be Dai­sy, lie­be Vio­let, in den ver­gan­ge­nen Stun­den mehr­fach den Ver­such unter­nom­men, einen Vogel von blau­em Gefie­der, der ein paar Run­den durch mei­ne Woh­nung geflo­gen war, auf­zu­fan­gen, das heißt, mei­ne Hän­de in einer Wei­se dar­zu­bie­ten, dass der Vogel auf ihnen lan­den konn­te, ohne auf den Boden zu fal­len. Ich dürf­te eine kurio­se Erschei­nung gewe­sen sein, wie ich mich ver­renk­te, wie ich dem Vogel folg­te, wie ich Geräu­sche mach­te, als könn­te ich in der Spra­che der Vögel spre­chen. Und jetzt ist es bald fünf Uhr und der Vogel ist immer noch hier. Er flat­tert her­um, ein aus­dau­ern­des Geschöpf von der Grö­ße eines Ten­nis­bal­les, oran­gen­far­be­ne Augen, gel­ber Schna­bel, ein sehr beson­de­res Wesen, weil es sich um einen Vogel ohne Füße han­delt. Sicher wer­det Ihr Euch fra­gen, wie es mög­lich sein kann, dass der Vogel ohne sei­ne Füße über­le­ben konn­te, dass er nicht längst in irgend­ei­ner Ecke zer­schell­te, und über­haupt, wie es dazu gekom­men war, dass der Vogel sei­ne Füße ver­lor. Das alles liegt noch völ­lig im Dunk­len. Ich habe kei­ne Ahnung, nicht die gerings­te Vor­stel­lung, so dass ich nun war­ten muss, solan­ge war­ten, bis mir etwas ein­fällt, das noch fehlt, um voll­stän­dig wer­den zu kön­nen. Wie geht es Euch über­haupt? Denkt Ihr noch an die Fra­ge, die ich Euch unlängst stell­te? Ich woll­te wis­sen, ob Ihr dort Oben für die Ewig­keit noch immer leib­lich mit­ein­an­der ver­wach­sen seid? – Euer Lou­is, sehr herz­lich, wünscht einen guten Tag!

gesen­det am
11.11.2010
5.05 MESZ
1512 zeichen

lou­is to dai­sy and violet »

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turbine

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del­ta : 0.32 — Wind­rad­ma­schi­nen, sagen wir, fili­gra­ne Pro­pel­ler­ap­pa­ra­tu­ren. Wir könn­ten sie vor jeden Men­schen­mund mon­tie­ren, die Win­de des Atmens und die Stür­me des Spre­chens, des Lachens, der Lust für unse­re sau­be­ren Strö­me einzufangen.
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sinusknoten

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ulys­ses : 5.08 — Im Traum wollt ich mein Herz mit einem Mäd­chen tei­len, das sehr krank gewe­sen war. Ich beob­ach­te­te, wie ein Chir­urg mei­ne Brust öff­ne­te. Bald hör­te ich das Mäd­chen lachen und sah wie es davon hüpf­te. War­te­te einen Tag auf dem Rücken lie­gend und mach­te mich dann stadt­wärts im Zwie­licht auf die Suche nach einem wei­te­ren Her­zen. – Nacht. Wun­de­re mich, dass ich lebe von Minu­te zu Minu­te. stop. Fei­ne Wör­ter gesam­melt: ping query sin­gle­cast cha­os class hesi­od elap­sed seconds flood maxi­mum hop count nona­me broad­cast > 255.255.255.255.2223 toctoctoc

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lichtschirm

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echo : 7.10 — Auf­be­wah­ren für alle Zeit. Ich hat­te die­sen Satz vor lan­ger Zeit in rus­si­scher Spra­che auf dem Umschlag der Auto­bio­gra­phie Lew Kope­lews ent­deckt. Ein Stem­pel, rote Far­be. Erzäh­lung vom Ver­schwin­den der Men­schen im Gulag­la­ger­sys­tem Sibi­ri­ens. In den ver­gan­ge­nen Tagen war mir die­ser Satz immer wie­der in den Sinn gekom­men. Und San Suu Kyi. Ihr zar­tes, ihr kaum geal­ter­tes Gesicht auf dem Bild­schirm, wie sle nach sie­ben Jah­ren zum ers­ten Mal unmit­tel­bar zu Men­schen spricht. Die Metho­de der Inhaf­tie­rung im eige­nen Haus, hin­ter dem Licht­schirm, hin­ter dem Sprech­schirm, eine Ver­su­chung des Erinnerungsvermögens.

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virtuelle befragung

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tan­go : 6.35 — Vor einem Jahr zuletzt die Fra­ge: Wie mutig wäre ich im Wider­stand gegen den geheim­dienst­li­chen Zugriff einer Dik­ta­tur auf mei­ne Per­son? Wie genau wür­de ich mich ver­hal­ten, wenn man ver­such­te, mich für Spio­na­ge­ar­beit unter Freun­den zu gewin­nen? Bin in der Suche nach einer Ant­wort noch kei­nen Schritt vor­an­ge­kom­men. Statt­des­sen wei­te­re Fra­gen. Wel­cher Art könn­ten die Werk­zeu­ge sein, Druck auf mich aus­zu­üben? Wür­de mir Tor­tur ange­kün­digt oder nahe­ste­hen­de Men­schen mit dem Tod bedroht? Exis­tie­ren Orte mei­ner Per­sön­lich­keit, die sich als so schwach erwei­sen, dass man dort Zugang fin­den könn­te? Habe ich einen gehei­men Preis? Mei­ne Schreib­ma­schi­ne? Mei­nen Rei­se­pass? Ist es sinn­voll die­se Fra­gen in einem vir­tu­el­len Raum zu stellen?

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white

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alpha : 0.10 — Das sehr Beson­de­re an Salz­kä­fern ist, dass sie weiß sind, nicht nur von Außen her betrach­tet, son­dern auch dann, wenn man sie öff­net, wenn man ihre Augen, ihr Gehirn, ihr Herz im Innern beob­ach­tet, alles weiß im Käfer, Faser für Faser. Seit Tagen bereits, da ich ihre Gat­tung ent­deck­te, denk ich dar­über nach, wie sie das machen, das Weiß­sein, ob das über­haupt mög­lich ist und woher sie kom­men und wovon sie sich ernäh­ren. Stun­de um Stun­de, das ist gesi­chert, Tag und Nacht, sal­zen sie genau ein Korn in die Welt, aber nur dann, wenn ich bewun­dernd mit ihnen spre­che, wenn ich sie mit mei­nen Gedan­ken berüh­re. — Sams­tag schon wie­der. Sechs Uhr sieb­zehn in Port-au-Prin­ce, Hai­ti. — stop
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coney island

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alpha : 5.05 — Das Gewicht einer Erfin­dung. Wie ich mit Innen­au­gen einen elek­tri­schen Vogel beob­ach­te, der sin­kend reg­los auf mei­ner elek­tri­schen Hand­flä­che ruht. Ein­mal fol­ge ich in die­ser Wei­se Gene Hack­man. Wir gehen zu Fuß unter der Hoch­bahn, Still­way Ave­nue, Rich­tung atlan­ti­scher Küs­te. Coney Island, rot glü­hen­des Neon­licht klap­pern­der Buden, Gestank von ran­zi­gem Fisch, Regen, Tang­wind, mein Pho­to­ap­pa­rat, der den Poli­zis­ten erfolg­los zu belich­ten sucht. Statt­des­sen Erschei­nung der Trop­fen, Bäl­le aus gro­ßer Höhe, erstaun­lich. — Unbe­ding­ter Durchstiegswille.

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flügel

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tan­go : 6.15 — Im Zug sass ein Mann, der sich mit einer Frau in der Hand­zei­chen­spra­che der gehör­lo­sen Men­schen unter­hielt. Obwohl ich die Hän­de der zwei Spre­chen­den ein­ge­hend betrach­te­te, lie­ßen sie sich nicht stö­ren, ver­mut­lich weil sie ahn­ten oder wuss­ten, dass ich ihre Spra­che nicht ver­ste­hen konn­te. Der Ein­druck, dass die bei­den wei­te­re Kör­per­zei­chen ver­wen­de­ten, um die Spra­che ihrer Hän­de zu ergän­zen. Als wären sie Flü­gel eines Vogels, der sich Was­ser aus dem Gefie­der schüt­telt, flat­ter­ten ihre Augen­li­der auf und nie­der. Kaum den Zug ver­las­sen, ver­such­te ich ver­geb­lich die­se erstaun­li­che Bewe­gung ihrer Augen nach­zu­ah­men. Und auch heu­te Mor­gen, nach einer ruhi­gen Nacht, bin ich nicht in der Lage, mei­ne Lider in der beschrie­be­nen Wei­se erzit­tern zu las­sen. So uner­reich­bar sind sie wie mei­ne Ohren, die nie gehor­chen wol­len, wenn ich mir mit ihrer Hil­fe Luft zufä­cheln möch­te. Viel­leicht werd ichs am Abend noch ein­mal pro­bie­ren. Neh­me an, sie haben Töne erzeugt, sin­gen­de Töne mit ihren Augen im Zug.

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nebelkammer

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echo : 6.28 — Das Stimm­ge­räusch in mei­nem Kopf. Ob sich der Klang mei­ner den­ken­den Stim­me in der ver­strei­chen­den Lebens­zeit änder­te? Habe ich als Kind mit­tels der Stim­me eines Kin­des gedacht? Was ist das doch für eine kurio­se Bewe­gung, nicht mehr Stil­le, noch nicht Ton. Auf­fä­chern­des Radar­bild, flüchtig.

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panther

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lima : 1.42 – Etwas Merk­wür­di­ges muss gesche­hen sein, wäh­rend ich schlief. Als ich erwach­te, konn­te ich nicht sagen, ob ich eine Frau bin oder ein Mann. Ich öff­ne­te die Augen und bemerk­te einen Pan­ther, der vor mei­nem Bett auf und ab spa­zier­te. Das war ein merk­wür­di­ger Pan­ther gewe­sen, der vor mei­nem Bett spa­zier­te. Der Pan­ther war schwarz wie alle Pan­ther, wenn sie wirk­li­che Pan­ther sind. Die­ser wirk­li­che Pan­ther nun aber trug Men­schen­haut und hat­te grü­ne, anstatt gel­be Augen. Wenn ich mich beweg­te, fauch­te der Pan­ther und mach­te einen Satz auf mich zu, so dass ich mich ent­schloss abzu­war­ten, viel­leicht weil ich hoff­te, er wür­de bald schla­fen oder ganz aus mei­nen Zim­mern ver­schwin­den. — Es ist jetzt wie­der Nacht gewor­den. Noch immer habe ich mein Bett nicht ver­las­sen. Der Pan­ther ruht vor mir auf dem Boden. Wei­ter­hin genies­se ich sei­ne unge­teil­te Auf­merk­sam­keit. Nicho­las Bak­ers Buch der Streich­höl­zer, das ich in der Nähe auf dem Boden gefun­den hat­te und gera­de noch unter mei­ner Decke ver­ste­cken konn­te, ist kreuz und quer zu Ende gele­sen. Ich spü­re ein lei­ses Hun­ger­ge­fühl in mir auf­stei­gen, der quä­len­de Durst der Wüs­ten­wan­de­rer klebt schon seit Stun­den an mei­nem Gau­men. Soll­te, sobald in fünf Stun­den die Däm­me­rung ein­set­zen wird, zum Angriff über­ge­hen. Ich muss, kein Aus­weg, die Küche, das heißt, die nächs­te Was­ser­stel­le errei­chen. Viel­leicht sind die­se Zei­len, die ich in weni­gen Minu­ten über mein Funk­netz abset­zen wer­de, die letz­ten Zei­len, die ich als leben­der Mensch notierte.

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paul moreau

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ulys­ses : 5.16 — Das bewuss­te Den­ken scheint ohne Aus­nah­me ein Den­ken mit Stim­me zu sein. Ich höre mei­ne urei­ge­ne Gedan­ken­stim­me, als wür­de ich über Ohren gebie­ten, die nach innen gerich­tet sind. Sobald ich nun einen Gedan­ken mit­tels der Stim­me Paul Newman’s oder Jean­ne Moreau’s in mei­nem Kopf zur Spra­che brin­ge, habe ich einen bereits vor­lie­gen­den Gedan­ken erin­nert, über­setzt, erzählt. Erstaun­lich der Ein­druck, dass sich mein Mund öff­net, sobald sich mei­ne Hän­de einer Tas­ta­tur nähern. — Leich­ter Schnee­fall. stop. Von oben. stop

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time

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fox­trott : 0.28 — Merk­wür­dig, die Wahr­neh­mung der Zeit. Wenn ich kei­ne Zeit habe, kann ich die ver­ge­hen­de Zeit nicht bemer­ken, weil ich mich so schnell bewe­gen muss von einem Ort zum ande­ren, von Gespräch zu Gespräch, von Auf­ga­be zu Auf­ga­be, dass ich etwas spä­ter viel­leicht mei­nen möch­te, ich hät­te nicht exis­tiert. Auch dann, wenn ich traue­re, habe ich kei­ne Zeit, sagen wir, kei­ne wirk­li­che Zeit, weil ich aus mei­nem übli­chen Leben her­aus gefal­len bin. Ich ste­he zum Bei­spiel in einer U‑Bahn und unter­hal­te mich, ich lache, ich stel­le Fra­gen, und doch bin ich an einem ganz ande­ren Ort, spre­che mit der Ver­gan­gen­heit, viel­leicht mit einem Men­schen, von dem ich weiß, dass ich ihn nie wie­der berüh­ren wer­de, von dem ich hof­fe, dass er noch irgend­et­was zu hören ver­mag, indem ich mich zu ihm spre­chend an ihn erin­ne­re. Ich ver­wei­le also in die­ser selt­sa­men Zeit der Ver­gan­gen­heit, einer suchen­den Zeit, die des­halb zeit­los ist, weil sie sich wie­der­ho­len will, weil sie kei­nen Fort­gang kennt. Manch­mal sit­ze ich irgend­wo in einem Cafe, einer Biblio­thek, im Zug, im Kino oder einem Thea­ter her­um, ich schau auf die Uhr. Ich sage: Beweg Dich! 

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