MENSCH IN GEFAHR : “Ein Anwalt befindet sich im sudanesischen Bundesstaat Süd-Darfur ohne Anklage in Haft. Er könnte gefoltert und anderweitig misshandelt werden. / Adam Sharief arbeitet als Anwalt und ist Koordinator der Anwaltsvereinigung Darfur Bar Association im sudanesischen Bundesstaat Süd-Darfur. Er wurde am 26. September festgenommen und wird ohne Anklage und Zugang zu einem Rechtsbeistand vom sudanesischen Geheimdienst in Nyala festgehalten. / Sechs Tage vor seiner Festnahme gab Adam Sharief dem unabhängigen Radiosender Radio Dabanga ein Interview. Darin kritisierte er den Gouverneur von Süd-Darfur wegen der schlechten Sicherheitslage in Nyala, der Hauptstadt des Bundesstaates. Er erhob den Vorwurf, die örtlichen Behörden würden Milizen für sich arbeiten lassen, welche die Verantwortung für eine Reihe von Tötungen tragen, die in jüngster Zeit in Nyala begangen wurden. Unter anderem töteten sie Ismail Ibrahim Wadi, einen bekannten Geschäftsmann der Region, sowie dessen Sohn und Neffen. Adam Sharief übte zudem Kritik daran, dass die Sicherheitskräfte am 19. September scharfe Munition gegen Demonstrierende einsetzten, die sich am Tag der Beisetzung von Ismail Ibrahim Wadi versammelt hatten. Berichten zufolge wurden dabei mindestens fünf Menschen getötet und 48 so schwer verletzt, dass sie im Krankenhaus behandelt werden mussten. / Amnesty International befürchtet, dass Adam Sharief allein wegen der friedlichen Wahrnehmung seines Rechts auf freie Meinungsäußerung inhaftiert wurde. Die Organisation fordert daher seine sofortige Freilassung, sofern er keiner als Straftat anerkannten Handlung angeklagt wird.” — Hintergrundinformationen sowie empfohlene schriftliche Aktionen, möglichst unverzüglich und nicht über den 13. November 2013 hinaus, unter »> ai : urgent action
Particles: Oktober 2013
turku
im gebirge
echo : 22.02 — Vor längerer Zeit begegnete mir ein alter Mann im Gebirge. Ich erinnere mich deshalb gut an ihn, weil er sehr schnell aufwärts gestiegen war. Er musste über achtzig Jahre alt gewesen sein, ich war damals Mitte dreißig, konnte ihm aber nicht folgen. Er trug ein kariertes Hemd, dessen Muster durch dichten Nebel leuchtete, der sich langsam über den Rücken des Berges bewegte. Ameisen überquerten die steinigen, sehr steilen Pfade. Sie waren so leise wie die Wolken um uns her. Auch der alte Mann bewegte sich fast geräuschlos. Manchmal hörte ich einen Stein, der abwärts rollte und das Pfeifen der Dohlen von weit oben. Nach einer Weile war der alte Mann verschwunden, zwei oder drei Stunden später tauchte er in der Nähe des Gipfels wieder auf. Er saß auf einem Stein unweit des Weges. In seiner Nähe, in Sichtweite, war an einem Felsen ein Bildstock befestigt. Das Marterl beherbergte die Schwarzweissfotografie eines jungen Mannes. Ich grüsste den alten Mann und stieg weiter zum Gipfel auf. Nach einer halben Stunde machte ich mich auf den Rückweg. An der Stelle, an welcher der alte Mann gerastet hatte, rauften sich ein paar Dohlen um etwas Brot. Noch heute meine ich ihre schrillen Rufe hören zu können. — stop
=
india : 22.17 — g a u m e n b e i n
hirnhummeltee
~ : malcolm
to : louis
subject : HIRNHUMMELTEE
date : oct 8 13 6.11 p.m.
Am achten September, es war ein Sonntag gewesen, ein warmer, freundlicher Tag, erreichte Frankie Battery Park. Er hielt sich nicht lange auf unter den Bäumen, die sich bereits herbstlich färbten, folgte der Küstenlinie, um zwei Stunden später das Schiffsterminal South Ferry zu erreichen. Bis dahin hatten wir vermutet, Frankie sei ein scheues, ein menschenscheues Tier, doch gegen den Abend zu in der Dämmerung, wagte sich das Eichhörnchen in den zentralen Saal des Gebäudes, in welchem hunderte Passagiere auf das nächste Schiff nach Staten Island warteten. Allison warnte als Erste mittels eines Funkspruches, Frankie könnte vielleicht eines der Fährschiffe entern. Und genauso war es gekommen, das kleine, muskulöse Tier hastete lautlos über den blitzblanken Boden des Terminals, duckte sich unter Sitzbänken, verbarg sich in den Schatten des Abends, um von den Hunden der Küstenwache unbemerkt, nur von einigen Kindern staunend betrachtet, über den Steg an Bord der John F. Kennedy zu huschen. Hier befinden wir uns zu diesem Zeitpunkt. Es ist wieder einmal Abend geworden, der dreißigste Tag, an dem Frankie auf dem Fährschiff über die Upperbay pendelte, neigt sich dem Ende zu. Am Horizont, im Westen, leuchten die Hafenkräne New Jerseys, sie blinken, mächtige Eisenvögel. Auf der Promenade spazieren Menschen mit Fotoapparaten. Es ist ein schöner Spätsommerabend. Seit vielen Stunden rollt ein Ball von einer Seite des Schiffes zur anderen. Ich werde müde, indem ich ihm mit den Augen folge. Niemand scheint sich an seiner Bewegung zu stören, es ist so, als würde der Ball zum Schiff gehören, als würde er schon seit vielen Jahren über das Hurrikanedeck rollen. Frankie schläft. Er ruht in einer Rettungsweste, die unter einer Sitzbank baumelt. Die Weste schaukelt im leichten Seegang hin und her. — Ihr Malcolm / codewort : hirnhummeltee
empfangen am
8.10.2013
1871 zeichen
mohn
delta : 6.38 — Gestern erreichte mich eine Postkarte aus Finnland, die in einem Briefumschlag steckte. Ein Freund hatte sie vor fünf Tagen abgeschickt. Er notierte folgendes: Mein lieber Louis, heute, mit dieser Postkarte, wird eine neue Zeit angebrochen sein. Ich habe gerade eben meine E‑Mails gelöscht und meine Computerschreibmaschine auf den Dachboden gestellt, weil ich in Zukunft nur noch Briefe oder Postkarten per Hand schreiben werde. Was ist das doch eine angenehme Vorstellung, dass ich mich fortan in einer ruhigen, geduldigen Art mit Dir unterhalten könnte. Morgens der Spaziergang vors Haus, um nachzusehen, ob vielleicht eine Antwort eingetroffen ist. Ich sollte damit beginnen, Postwertzeichen zu sammeln. Erinnerst Du Dich an den Duft der Papiere, die rau sind, sobald sie aus Indien zu uns kommen, weich, sandig, grau. Ja, ganz sicher wirst Du Dich erinnern. Und Du wirst Dich fragen, warum ich in dieser Weise handele. Davon einmal später. Habe ich schon berichtet, dass uns endlich gelungen ist, einen blauen Pantherfalter mittels einer Funksteuerung einmal durch den Garten unter Birkenbäumen herum zu dirigieren? — Dein Timminen, hochachtungsvoll. ps. Umseitige Fotografie zeigt Emil Noldes Mohn aus dem Jahr 1950. — stop
Samia Yusuf Omar
ulysses : 0.03 — Exakt 418 Tage zurück, am Montag, dem 20. August 2012, meldeten Nachrichtenagenturen, die somalische Sprinterin Samia Yusuf Omar sei auf dem Weg nach London zu den olympischen Spielen ertrunken. Sie reiste auf einem Flüchtlingsschiff von Libyen aus nordwärts. Die Havarie des Bootes soll sich im Kanal von Sizilien nahe der Insel Malta bereits Anfang April ereignet haben. Einzige Vertreterin ihres Heimatlandes während der olympischen Spiele 2008 in Peking, hatte sich Samia Yusuf Omar allein auf den gefährlichen Weg nach Europa begeben. Sie lebte 22 Jahre. — stop / koffertext
teilchen
alpha : 2.15 — Bei uns ist es eigentlich so: Nur wer nicht arbeitet, macht keine Fehler. Und wichtig ist A, dass man nicht denselben Fehler zweimal macht. Und, dass wenn man etwas macht, sich das überlegt hat. Es kann trotzdem falsch sein. Es kommt vor, dass wir Entscheidungen treffen, die falsch sind, aber wenn man dann überlegt, das war der Input, den ich hatte, und daraus musste ich mir etwas überlegen, und ich habe die oder die Alternative gehabt und ich hab sie so gewählt, dann ist das in Ordnung. Und das sage ich auch immer unseren Leuten, gerade dann, wenn sie sich irgendwie nicht trauen. Du kannst Dich trauen. Du musst Dir nur überlegt haben, was Du getan hast und Du musst diese Überlegung verteidigen können. Und dann ist gut. — Wolfram Zeuner / Stellvertretender Koordinator des Detektors Compact Muon Solenoid / CERN im Gespräch mit Ranga Yogeshwar. — stop
*
sierra : 0.03 — Dschibon?
prada
tango : 5.16 — Die Handtasche, der ich mich in der vergangenen Nacht eingehend widmete, ist rot und weiß und von feinstem Leder. Zwei Fächer sind in ihrem schmalen Bauch zu finden, die man mit Druckknöpfen verschließen kann. In diesem Moment steht die Tasche auf vier metallenen Füßchen vor mir auf dem Schreibtisch, Schulterriemen, Tragehenkel, Außenfächer, ein wirklich ansehnliches Exemplar, das glänzt und leicht ist. Die Tasche wiegt in nicht befülltem Zustand gerade einmal 400 Gramm, so leicht ist diese Tasche, ganz erstaunlich. Nun habe ich Folgendes unternommen, ich habe zunächst in sorgfältigster Weise einen prächtigen Hautballon gefaltet und in das linke Seitenfach der Leichthandtasche abgelegt. Es handelt sich um ein filigranes, flugfähiges Naturprodukt, welches aus der Schwimmblase eines Mondfisches gefertigt wurde. Ein feiner Schlauch, nicht sichtbar auf den ersten Blick, führt vom Hals des Ballons wiederum zu einem Siphon, in dem sich Helium befindet. Ich habe ihn, nach längerer Überlegung, auf der gegenüberliegenden Seite, im zweiten Außenfach der Tasche untergebracht. Er verfügt über ein Ventil, welches unkontrolliertes Ausströmen des Gases verhindert, über einen Verschluss also, der mit einer sanften Fingerbewegung jederzeit geöffnet werden könnte, so dass das Gas im Bruchteil einer Sekunde in den Ballon schießen, das Futteral des Ballons öffnen und die Handtasche mit Auftrieb ergreifen würde. Sollte ich zu diesem Zeitpunkt das Ventil der Tasche öffnen, endete ihr Flug an der Decke meines Zimmers. — Kurz vor fünf Uhr am Morgen. Schon zu spät, um inmitten der Stadt heimlich einen Freiluftversuch unternehmen zu können. Noch etwas schlafen darum, dann eine Spindel mit äußerst feinem, aber zugfestem Faden in der Länge von 100 Metern an der Tasche befestigen, dann wieder Nacht. — stop
moskau
MELDUNG. Zu Moskau im Lenkom Theatre, ул. Малая Дмитровка, 6, werden am kommenden Montag, 21. Oktober 2013, zwei junge Lisztäffchen, Balduin ( 260 Gramm ) sowie Helene (188 Gramm ), öffentlich zur Sprengung gebracht. Zündung des männlichen Tieres um 22 Uhr, Zündung des weiblichen Tieres um 22 Uhr 30. Eintritt frei. – stop
echo
echo : 2.32 — Hörte meine denkende Stimme, sie flüsterte, als ich erwachte. Hatte den Eindruck, an einem Gedanken bereits gearbeitet zu haben, während ich noch schlief. Das war ein seltsamer Moment gewesen, weil ich immer wieder einmal beobachtete, dass meine denkende Stimme weder leiser noch lauter werden kann, dass ich, zum Beispiel, im Kopf nicht zu brüllen vermag, auch wenn ichs ernsthaft versuche, es ist stets nur eine Gedankenstimme, die vorgibt zu brüllen. Und doch flüsterte es in der ersten Minute des gestrigen Tages. Jetzt ist Freitag geworden, und ich wundere mich noch immer. — stop
esmeralda
tango : 22.08 — Vor zwei Tagen, später Nachmittag, überreichte mir ein schwer atmender Bote ein Päckchen, auf dessen Anschriftenseite mit wuchtigen Druckbuchstaben eine Anweisung notiert worden war: Do not shake! Der junge Mann, vielleicht um mich zu warnen, deutete auf die Schachtel in seiner Hand und sagte: Ich rieche, dass in diesem Päckchen etwas lebt! Und schon war er wieder auf der Treppe verschwunden. Tatsächlich handelte es sich bei dem Päckchen um einen Lebendtransport, der in der italienischen Hafenstadt Talamone aufgegeben worden war. Eine Schnecke hockte in einer perforierten Schachtel geduckt unter welken Blättern. Als ich das kleine Tier vorsichtig auf einen Teller setzte, machte es zunächst einen sehr müden, erschöpften Eindruck. Sein Haus schien bald vom Körper zu rutschen, auch wurde keinerlei Fluchtversuch unternommen, stattdessen saß die Schnecke nahezu ohne Bewegung und schaute mich an. Selbst, als ich mich mit einem Finger näherte, zog sie sich nicht in ihr Kalkgewinde zurück. Eine halbe Stunde lang betrachteten wir uns geduldig. Dann war später Abend geworden, ich hatte mehrfach telefoniert, der Schnecke ein Apfelstückchen angeboten, das Packpapier, in welches die Sendung eingeschlagen gewesen war, auf der Suche nach einer Botschaft oder einem Absender, eingehend untersucht, und war dann kurz spazieren gegangen. Indessen hatte sich die Schnecke in Richtung der Südwand meiner Küche in Bewegung gesetzt, war von dort aus, eine schimmernde Spur hinterlassend, weiter zur Diele hin gewandert, erreichte dort den Boden, um eine halbe Stunde später mein Arbeitszimmer zu betreten. Derart leise war die Schnecke weitergezogen, dass ich sie beinahe vergessen hätte. Dann war Samstag, der Samstag verging, zwei weitere Stückchen Apfel, und es wurde Sonntag und wieder Abend und es begann zu regnen. In diesem Moment sitzt die Schnecke einen halben Meter hoch über dem Fußboden an der Wand meines Wohnzimmers. Sie scheint zu schlafen. Wiederum ist sie nicht in ihrem Häuschen verschwunden, was höchst merkwürdig ist. — stop
lumen
echo : 2.15 — Von sehr kleinen Lampen wird berichtet, die entwickelt worden sein sollen, um in lebende Körper eingesetzt zu werden, von Lichtstäbchen präzise, deren Batterien aus der Ferne geladen werden. Sie verfügen über Schalter, die mit bloßem Auge nicht zu erkennen sind. Diese Schalter nun werden magnetisch bewirkt. Ich stellte mir vor, ich würde 500 dieser kleinen Lampen unter der Haut meiner Hände tragen, wundervoll könnt ich leuchten, wann immer ich wollte. Ja, ich sollte bald mit meinen Händen beginnen, zunächst einen einzelnen Lichtfinger versuchen, probieren, ob es schmerzt, dann weitere Beleuchtung, Finger um Finger, die Rücken meiner Hände mit Licht besetzen, Arme, Schultern, Hals. — stop
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ginkgo : 22.17 — k n o c h e n b l ä t t c h e n
wesen
echo : 5.11 — In einem Protokoll der Googlesuchmaschine wurde der Hinweis entdeckt, dass ich am 22. Oktober 2013 nach einem Eichhörnchen namens Frankie gesucht haben soll. Kann mich an diesen Suchvorgang erinnern. Auch mein Interesse für Ingeborg Bachmann war notiert, meine Fahndung nach Bildern, die historische Luftpostschachkarten zeigen, Seeanemonenbäume, wie schnell sie wandern, was sie fressen, wo sie leben. Bemerkenswert scheint mir zu sein, dass ich überzeugt gewesen war, den Protokolldienst der Suchmaschine vor längerer Zeit bereits ausgeschaltet zu haben. — stop
ballon
sierra : 0.58 — Heute ist es mir gelungen, von einem Fenster aus, den ersten Flugkörper meines erwachsenen Lebens aufsteigen zu lassen. Ich hatte eine Flasche Helium bestellt, eine Sammlung roter, kugelförmiger Folienballone, sowie festen Zwirn. Alle diese Dinge wurden an dem selben Tag per Post geliefert, ein erstaunlicher Vorgang für sich. Ich notierte also meine Adresse handschriftlich auf eine Karte, die ich etwas später in einen transparenten, wasserfesten Umschlag steckte, sowie eine kleine Botschaft, die davon erzählte, dass vorgefundene Karte, die erste Luftpostkarte gewesen sei, die ich überhaupt jemals abgeschickt haben würde. Es war Nachmittag und es war noch hell. Der Ballon, den ich versuchsweise mit Gas befütterte, stieg an die Decke meiner Küche, um von dort aus langsam in Richtung meines Wohnzimmers zu wandern. Am späten Abend dann, vor kurzem, es war natürlich dunkel geworden, meinte ich, von der Dichte des Ballons überzeugt zu sein, befestigte meine Karte, öffnete das Fenster, und der Ballon stieg langsam auf. Er ist jetzt seit drei Stunden unterwegs, und selbstverständlich längst unsichtbar geworden. — stop
ai : TSCHECHISCHE REPUBLIK
MENSCH IN GEFAHR : “Tatiana Paraskevich, eine Asylbewerberin aus Kasachstan, befindet sich seit mehr als 18 Monaten in der Tschechischen Republik in Haft. Ihr droht nun die unmittelbare Auslieferung in die Ukraine oder die Russische Föderation. In beiden Fällen wird sie anschließend vermutlich nach Kasachstan zurückgeführt, wo ihr aufgrund ihrer Verbindungen zu dem kasachischen Oppositionellen Mukhtar Ablyazov Folter und andere Misshandlungen sowie ein unfaires Gerichtsverfahren drohen. / Die 49-jährige Tatiana Paraskevich besitzt die russische und die kasachische Staatsbürgerschaft und befindet sich derzeit als Asylbewerberin in der Tschechischen Republik. Sie wurde im Mai 2012 mit einem Haftbefehl von Interpol verhaftet, als sie sich in Karlovy Vary (Karlsbad) im Nordwesten Tschechiens wegen eines Herzleidens medizinisch behandeln ließ. Im Juni 2012 beantragten die ukrainischen Behörden wegen vermeintlicher Finanzdelikte die Auslieferung von Tatiana Paraskevich. Zudem haben die russischen Behörden ein Auslieferungsersuchen eingereicht. Der Gerichtshof in Pilsen hat zweimal gegen die Auslieferung von Tatiana Paraskevich in die Ukraine geurteilt: im Oktober 2012 und im Januar 2013. Im Februar 2013 entschied der Oberste Gerichtshof in Prag jedoch, dem Auslieferungsersuchen stattzugeben. Ein anschließendes Rechtsmittel vor dem Verfassungsgericht wurde im Mai 2013 zurückgewiesen. Einen Monat zuvor, im April 2013, hatte Tatiana Paraskevich Asyl beantragt, die Entscheidung über die Asylgewährung steht jedoch aus. Nach gegenwärtigem tschechischen Recht kann die Auslieferung eineR AsylbewerberIn nicht erfolgen, solange das Asylverfahren noch läuft. Tatiana Paraskevich befindet sich seit über 18 Monaten in Pilsen in Haft. /Die Auslieferungsersuchen der ukrainischen und russischen Behörden sind allem Anschein nach auf die Verbindungen von Tatiana Paraskevich zu dem kasachischen Oppositionellen Mukhtar Ablyazov zurückzuführen. Dieser war 2009 aus Kasachstan geflohen und wurde 2011 in Großbritannien als Flüchtling anerkannt. Mukhtar Ablyazov befindet sich derzeit in Frankreich in Auslieferungshaft. Auch er soll in die Ukraine oder die Russische Föderation ausgeliefert werden. Tatiana Paraskevich ist die ehemalige Geschäftsführerin einer Investmentgruppe. Ihr wird von der ukrainischen sowie der russischen Staatsanwaltschaft vorgeworfen, zusammen mit Mukhtar Ablyazov Finanzdelikte begangen zu haben. Mukhtar Ablyazov ist der ehemalige Vorstandsvorsitzende der kasachischen BTA Bank. / Auf der Grundlage des Völkerrechts hat die Tschechische Republik die uneingeschränkte Verpflichtung, niemanden in ein Land auszuliefern, in dem ihm oder ihr Verfolgung oder andere schwere Menschenrechtsverbrechen drohen. Dies bezieht sich auch auf die Abschiebung in Länder, in denen einer Person die Rückführung in ein anderes Land droht, in dem sie wiederrum solchen Verstößen ausgesetzt wäre. Die tschechischen Behörden müssen also die Auslieferung von Tatiana Paraskevich in die Ukraine oder die Russische Föderation verhindern, denn dies würde einen Verstoß gegen die internationalen Menschenrechtsverpflichtungen Tschechiens darstellen.” — Hintergrundinformationen sowie empfohlene schriftliche Aktionen, möglichst unverzüglich und nicht über den 2. Dezember 2013 hinaus, unter »> ai : urgent action
unter salzbäumen
tango : 2.02 — Im Traum sitze ich mit einem alten Mann an einem Tisch. Große Hitze auch im Schatten, den Salzbäume spenden. Wir trinken Kaffee und Wasser, das süß ist wie Honig. Der alte Mann trägt kakifarbene Shorts, seine Haut ist dunkel, gebrannt wie Kaffee, helle, grüne Augen. Eine Erscheinung, zahnlos, die nicht spricht, Haut und Knochen, aber ein Wesen von enormer Ausdauer. Ich höre, der alte Mann soll seit Jahren bereits vor diesem Tisch sitzen, ohne je aufgestanden zu sein. Papiere liegen auf dem Tisch und auf dem Boden. Sie sind beschriftet, kaum leserliche Zeichen. Vor dem Mann ruht ein kleines, schwer atmendes Notebook. Einmal blickt er auf den Bildschirm seiner Maschine, dann wieder auf ein Blatt Papier, das vor ihm liegt, und schreibt. Ameisen von Metall irren im Sand herum. Es gibt keinen Ton im Traum, wenn ich spreche, vernehme ich weder Gedanken noch Stimme. – stop
cloud
ulysses : 2.05 — Nehmen wir einmal an, es wäre tatsächlich Montag. Ein stürmischer Tag. Es regnet. Der Wind kommt von Westen her. Ich gehe nach links, ich gehe mit dem Regen mit dem Wind im Rücken. Vielleicht habe ich die Maschine, die mich in meiner Abwesenheit besuchte, deshalb nicht gesehen. Sie muss über einen Schlüssel verfügen oder über besonderes Geschick. Sie arbeitete schnell, ich war kaum drei Stunden unterwegs. Ich war am Bahnhof, habe etwas Reis mit Huhn gegessen, spazierte am Fluss, viel buntes Laub, traf eine Freundin, die von einer Reise nach Darjeling erzählte, von den hölzernen Zügen und vom Schnee, der so überraschend gefallen war, dass sie nach einer Nacht im Schlaf, vor einem Fenster stehend, ihren Augen nicht traute. Wie ich also nach Hause komme, seh ich auf der Straße Bücher liegen, es waren hunderte Bücher, ein kleiner Berg im Vorgarten, auch in den Kronen der Bäume waren Bücher hängengeblieben. Die Wohnungstür war angelehnt, die Fenster im Arbeitszimmer geöffnet. Inmitten dieses Zimmers stand nun jene Maschine, deren Kommen ich nicht wahrgenommen hatte. Ein letztes Buch war in ihren Griff genommen, rasend schnell blätterte sie von einer Seite zur anderen, fotografierte jede der Seiten, und schleuderte das Buch schließlich mit einer geschmeidigen Bewegung aus dem Fenster. Die Maschine summte leise. Sie verfügte über einen aufrechten Gang wie ein Mensch. Ich hörte ihre Schritte auf der Treppe. Ich schloss die Tür, auch meine wasserfesten Bücher im Bad waren verschwunden, Notizhefte, Zettelsammlung, alles verschwunden an diesem stürmischen Tag, der ein Montag ist. Es regnet. Und der Wind kommt von Westen her. Noch ist es dunkel, noch drei oder vier Stunden wird es dunkel sein. Gegen fünf Uhr werde ich die erste Straßenbahn hören, wie sie sich nähert, wie sie in eine Kurve fährt, ihr Pfeifen, und die Stimmen schläfriger Menschen. — stop
floreana
ohrmuschel
delta : 6.08 — Wieder Franz Kafka lesen. Das Schloss. Der Prozess. Menschen vor und in den Machtmaschinen. Im Jahr 1910 notiert Kafka in sein Tagebuch: Meine Ohrmuschel fühlte sich frisch, rauh, kühl, saftig an wie ein Blatt. — stop
ferdinands letztes ende
sierra : 5.52 — Vom Ferdinand habe ich lange Zeit nichts gehört. Als ich das letzte Mal mit ihm gesprochen hatte, war ich überzeugt gewesen, dass er gefährlich geworden war, verrückt, er brüllte herum, sobald er bemerkte, dass man ihm nicht länger zuhören wollte. Kurz darauf plötzlich Stille. Kein Anruf, niemand hatte ihn gesehen, niemand erwähnte seinen Namen, ich traf ihn niemals auf der Straße, nicht im Kino, nicht in den Cafes, nicht im Theater, als wär er eine Erfindung gewesen. Wenn ich an ihn dachte, sagte ich leise, gut so, vielleicht bist du tatsächlich nicht länger hier. Bei dem Gedanken aber, dass er überhaupt aufgehört haben könnte zu existieren, hatte ich ein eigenartiges Gefühl, als ob ich etwas versäumte, noch einmal ein Gespräch, ein oder zwei Fragen, ein Spaziergang ohne zu sprechen, eine Korrektur. Deshalb doch leise Freude, als er anrief, fragte, ob er mich treffen könne. Fünf Jahre, wie die Zeit vergeht, wie siehst Du denn aus, kennen wir uns noch? Ich sagte, dass ich mich vermutlich kaum verändert haben würde, und sofort erwiderte er, dass auch er sich auch kaum verändert habe, dass er noch immer derselbe sei, ein paar neue Zellen, sonst aber derselbe. Also habe ich mich gefreut, dass Ferdinand noch lebte, obwohl wir uns nicht wiedersehen werden, weil er immer noch derselbe ist, weil er unverzüglich losbrüllte am Telefon, als ich von ihm wissen wollte, ob er noch immer gern betrunken sei. Er brüllte also, dann legte er auf. Das war so, als ob er in diesem Moment aufhörte zu atmen, Ruhe, Frieden, ein stillstehendes Herz. — Späte Nacht. Sitze auf einem Stuhl am Fenster und lese im neuen Salterroman. Habe das Buch in zweifacher Ausgabe, einerseits einen schweren Körper, in dem ich blättern kann, anderseits einen derart leichten elektrischen Körper, dass mein Notebook kein Gramm schwerer wurde, als der Roman durch die Leitung zu mir gesendet wurde. All night in darkness the water sped past. — stop