ulysses : 2.18 — Vor genau 1162 Tage folgende Beobachtung: Das bewusste Denken scheint ohne Ausnahme ein Denken mit Stimme zu sein. Ich höre meine ureigene Gedankenstimme, als würde ich über Ohren gebieten, die nach innen gerichtet sind. Sobald ich einen Gedanken mittels der Stimme Paul Newmans oder Jeanne Moreaus in meinem Kopf zur Sprache bringe, habe ich einen bereits vorliegenden Gedanken erinnert, übersetzt, erzählt. Erstaunlich der Eindruck, dass sich mein Mund öffnet, sobald sich meine Hände einer Tastatur nähern. — Weiterhin vertraut. — stop
Particles: Februar 2014
montevideo
MELDUNG. Seltsame Dinge geschehen in dem zentralen Parque Prado zu Montevideo. Segelfalter der Gattung Iphiclides antarctica 8bX haben sich zu Gruppen versammelt, fliegen Formationen, bilden Kugeln, Quader und weitere geometrische Körper. Bei Regen, so heute Morgen geschehen, stellt man exakt gezirkelte Türme in die Luft. Die Stadt wird unter Quarantäne gestellt. — stop
luftposttiere
romeo : 3.22 — Die Vorstellung der Luftposttiere in dieser Nacht, wie sie einem Briefumschlag entkommen. Noch ruhen sie flach auf dem Tisch, helle Erscheinungen, biegsam wie die Blätter der Buchen. An einer ihrer Kanten ist ein rötlicher Punkt zu erkennen, ein Auge eventuell, dort auch ein sehr kleiner Mund, der atmet. Man vermag diesen Mund nur dann zu entdecken, wenn man über ausgezeichnete Augen verfügt, oder über eine Brille. Es lohnt sich genau hinzusehen. Sandfarbene Lippen und eine rosafarbene Zunge, nicht größer als ein gepresstes Reiskorn. Sobald man ein Luftpostfalttier aus seinem Umschlag holt, wacht es auf, weil es im Umschlag noch zwingend schlafen musste, Schlaf und Umschlag sind Geschwister. Aber dann beginnt das Tier in den Raum zu atmen. Indem es atmet, entfaltet sich sein Körper. Es ist immer wieder bemerkenswert, welch faszinierende Gestalten erscheinen, afrikanische Luftpostfalttiere sind europäischen Luftpostfalttieren durchaus nicht ähnlich. So oder so wird man staunen und erzählen. — 3 Uhr und etwas später. Leichter Regen. — stop
ai : RUSSISCHE FÖDERATION
MENSCH IN GEFAHR : “Jewgeni Witischko muss eine dreijährige Haftstrafe in einer Strafkolonie antreten. So hat es das Regionalgericht von Krasnodar in einem Rechtsmittelsverfahren am 12. Februar entschieden. Amnesty International betrachtet den inhaftierten Umweltschützer als gewaltlosen politischen Gefangenen, der strafrechtlich verfolgt wird, weil er Umweltschäden in der Region Krasnodar aufgedeckt hat. / Am 12. Februar hat das Regionalgericht von Krasnodar ein von Jewgeni Witischko eingelegtes Rechtsmittel gegen die gegen ihn verhängte Haftstrafe zurückgewiesen und damit die Entscheidung eines Gerichts unterer Instanz bestätigt. In dem Urteil des Regionalgerichts heißt es, der Umweltschützer habe gegen eine Auflage (Reisebeschränkung) verstoßen, die ihm im Zusammenhang mit einer zur Bewährung ausgesetzten dreijährigen Freiheitsstrafe auferlegt worden war. Er müsse deshalb die drei Jahre Haft in einer Strafkolonie verbüßen. Das ursprüngliche Urteil war nach Auffassung von Amnesty International in einem politisch motivierten und unfairen Gerichtsverfahren gegen ihn ergangen. Der Termin für die Verhandlung über das Rechtsmittel war zunächst auf den 22. Februar festgesetzt worden, wurde dann aber auf den 12. Februar vorverlegt, so dass es in den Zeitraum der 15-tägigen Haft von Jewgeni Witischko fiel, die er wegen konstruierter Vorwürfe im Zusammenhang mit “geringfügigem Rowdytum” in der Stadt Tuapse verbüßen musste. Der Umweltschützer konnte deshalb an der Verhandlung nur per Videoschaltung teilnehmen. Als Reaktion auf das Urteil kündigte Jewgeni Witischko einen Hungerstreik an. / Nachdem er seine 15-tägige Haftstrafe verbüßt hatte, sollte Jewgeni Witischko am 18. Februar freigelassen werden und sich dann privat auf den Weg zu der Strafkolonie machen, um dort seine dreijährige Freiheitsstrafe anzutreten. Die Behörden erklärten dann jedoch, er werde nicht aus der Haft entlassen, sondern begleitet von Gefängnispersonal direkt in die Strafkolonie gebracht. Amnesty International vorliegenden Informationen zufolge befindet er sich derzeit auf dem Weg dorthin, das genaue Ziel ist aber nicht bekannt.” — Hintergrundinformationen sowie empfohlene schriftliche Aktionen, möglichst unverzüglich und nicht über den 1. April 2014 hinaus, unter »> ai : urgent action
westbengalen luftpostbrief
nordpol : 0.55 — Vor über einem Jahr im Sommer habe ich von einem Freund einen Brief erhalten, der per Luftpost zu mir gekommen war. Dieser Brief wurde an dieser Stelle bereits gesendet. Leider konnte ich meinem Freund damals nicht antworten, weil er keine postalische Adresse hinterlassen hatte. Nun glücklicherweise ein Lebenszeichen aus Tibet. Er schreibt, er habe seinen Brief unter meinen particles entdeckt, er freue sich. Diese Nachricht nun erreichte mich per E‑Mail. Ich dachte, sie könnte natürlich von überall her gekommen sein. Eigentümlich ist, dass mein Freund, wenn er an diesem Abend über einen Anschluss an das Internet verfügen sollte, meine Antwort, die ich in der kommenden Stunde notieren werde, unverzüglich erhalten wird, während sein Brief aus Darjeeling damals zwei Wochen unterwegs gewesen war. Der Brief war von seiner äußeren Gestalt her ein Standardluftpostbrief, fühlte sich allerdings weich an, als würde ein dünnes Tuch in ihm enthalten sein. Er war zudem etwas schwerer als üblich. Als ich ihn öffnete fand ich ein handschriftliches Schreiben vor, eine Fotografie und einen weiteren Brief von kleinerem Format, mit einer Art Ventil in seiner Mitte. Mein Freund notierte am 25. Juni 2012 mit einem Bleistift: Lieber Louis, seit zwei Wochen befinde ich mich in Westbengalen nahe Sonada in einem kleinen Haus, das vollständig von Holz gemacht ist. Ich gehe hauptsächlich spazieren und wenn ich einmal nicht spazieren gehe, fahre ich mit dem Zug zwischen Jalpaiguri und Darjeeling hin und her. Eine wunderbare Zeit. Ich kenne inzwischen alle Zugführer persönlich und so darf ich bei Dampfbespannung vorne auf der Lokomotive reisen. Du siehst mich anbei auf der Fotografie vor dem Kessel stehen, ja, ich bin unter den drei kleinen Männern mit den Rußgesichtern der in der Mitte. Ich habe Dir, lieber Louis, etwas indische Eisenbahnluft eingefangen. Sie ruht in den Umschlag gefüllt, der vermutlich vor Dir auf dem Tisch liegt. Es wäre vielleicht am besten, wenn Du einen Strohhalm verwenden würdest, den Du mit dem Ventil verbindest, um dann einen tiefen Atemzug durch ein Nasenloch zu nehmen. Allerbeste Grüße Dein L. — stop
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nordpol : 0.02 — s y n a p s e n e n d k n ö p f c h e n
gedankengang
echo : 3.18 — Ich gehe ein paar Schritte nach links, dann gehe ich ein paar Schritte nach rechts. Sobald ich gehe, denke ich in einer anderen Art und Weise, als würde ich noch sitzen. Ich habe schon viel nachgedacht während ich ging. Und ich habe schon viel vergessen während ich ging. Wenn ich gehe, kommen die Gedanken aus der Luft und verschwinden wieder in die Luft. Wenn ich sitze, kommen die Gedanken aus meinen Händen. Sobald ich einmal nicht schreibe, ruhen meine Hände auf den Tasten der Schreibmaschine und warten. Sie warten darauf, dass eine Stimme in meinem Kopf diktiert, was zu schreiben ist. Ich könnte vielleicht sagen, dass meine Hände darauf warten, mein Gedächtnis zu entlasten. Was ich mit meinen Händen in die Tastatur der Maschine schreibe, habe ich gedacht, aber ich habe, was ich schrieb nicht gelernt, nicht gespeichert, weil ich weiß, dass ich wiederkommen und lesen könnte, was ich notierte. Seltsame Dinge. Ich denke manchmal seltsame Dinge zum zweiten oder dritten Mal. Gerade eben habe ich wahrgenommen, dass es nicht möglich ist, zwei Zeichen zur selben Zeit auf meiner Schreibmaschine zu schreiben, immer ist ein Zeichen um Bruchteile von Sekunden schneller als das andere Zeichen. Wenn ich seltsame Dinge gedacht habe, freue ich mich. Wenn ich mich freue, kann ich nicht bleiben, wo ich bin. Die Freude ist ein Gefühl, das mich in Bewegung versetzt. Ich springe auf, wenn ich saß, oder ich springe in die Luft, wenn ich bereits auf meinen Beinen stand. Dann gehe ich ein paar Schritte nach links, dann gehe ich ein paar Schritte nach rechts. Sobald ich gehe, denke ich in einer anderen Art und Weise, als würde ich noch sitzen. — Kurz nach vier Uhr auf dem Maidan-Platz, Kyjiw. — stop