nordpol : 22.01 — Farben antarktischen Eises auf einem Gesicht, noch Kreidefarben, noch Pigmente ohne Öle, Wangen, Nase, Lippen, Stirn, von flinken, träumenden Fingern im Prozess der Arbeit scheinbar ohne Bewusstsein im Versehen auf die eigene Haut gezeichnet, Anmutungen von Blau, von Grau, von Weiß, von Schwarz. Es scheint bedeutend, wenn nicht unverzichtbar zu sein, Farben von Schwarz, von Umbra, Kernschattenfarben, in die Hand zu nehmen, die Farben der Wüstengesteine, um das Eis der Antarktis, das Eis eines grönländischen Gletschers vorauszeichnen zu können. Ein leises Gespräch, wispernd, in dem Sandgesteine sich auf die Leinwand legen, zärtlich fauchend, das Licht in den meerwärts fließenden Schatten, in den Winkeln eines Mundes. Wie Melly Cusaro, die an einem winterlichen Tag beschloss, den Mars zu bereisen, fortan das Wesen des Eises und des Schnees zu begreifen sucht. Wer nach Wasser forschen wird in der Weltraumferne, sagt sie, muss sich von der Wüste und vom Schnee eine präzise Vorstellung gezeichnet haben. Es schneite in Brooklyn, Schnee lehnte an Wänden alter Häuser, türmte sich auf Balkonen, rieselte im zarten Atem eines fast windstillen Tages von den Ulmen. Wer mochte, konnte mit Schlittschuhen über die Promenade auf den Höhen fahren. Welches Geräusch würde in der Stille ein Kontrabass von Eis erzeugen? — stop
Particles: Februar 2016
nachtmann
victory : 0.55 — Es ist 1 Uhr mitten in der Nacht und es regnet. Ein Mann kommt auf seinem Fahrrad weit unten pfeifend die Straße entlang. Irgendetwas ist seltsam, er kommt sonst zu anderer Zeit, er kommt sonst immer um 3 Uhr, niemals früher, und niemals, wenn es nach halb 4 Uhr geworden ist. Ich habe vor einiger Zeit von diesem Mann bereits berichtet, dass ich ihn einmal von oben her beobachtet habe, dass er sich in einer Weise verhält, als würde er selbst eine abgeschlossene Geschichte sein, zu der sich nichts wirklich Neues hinzufügen lässt. Heute Nacht stellte ich mir vor, seine Erscheinung könnte vielleicht glänzen, weil er nass ist, seine Haube, sein Mantel, sein Fahrrad. Vielleicht wird er hoch schauen zum Dach, wird das Licht sehen hinter meinen Fenstern, wird sagen: Der Nachtmensch ist wieder da! — Ich muss mich geirrt haben, es ist tatsächlich so, dass sich dieser Mann irgendwie zu verändern scheint, seine Geschichte, nicht nur die Geschichten in den Zeitungen, die er zu schlafenden Menschen bringt, mindestens wird der Mann immer älter, wie ich immer älter werde, und sein Fahrrad, als ich vor drei Wochen verreiste noch ohne, verfügt plötzlich über einen Motor, der knattert. — stop
2 Uhr 12
echo : 2.12 — Ich entdeckte das Wort Wirbelzeitkörper. Warum?
barrel bomb
romeo : 0.14 — Habe gelernt, was eine Fassbombe ist, weil ich das Wort Fassbombe mehrfach hörte, darum habe ich nach Fassbomben in der digitalen Sphäre gesucht, nach Erläuterungen, was eine Fassbombe sein könnte und was sie bedeutet, wenn sie als Fassbombe tatsächlich vom Himmel fällt. Weitere sehr interessante Wörter und ihre Bedeutung sind in der Umgebung der Fassbombenberichte möglich geworden: Leitflügel . Aufschlagzünder . Schrapnell . Weiches Ziel. Es ist sehr wahrscheinlich, dass ich mich selbst als ein weiches Ziel zu betrachten habe, weil ich ein Mensch bin. Ich dachte, nehmen wir einmal an, eine Fassbombe nähere sich, und ich dachte plötzlich, dass in meiner Nähe, in meiner Umgebung, also in der Stadt in der ich mich befinde, Menschen angekommen sind, die wissen, wie sich eine Fassbombe anhört, wenn sie explodiert. Ich könnte einige Städte weiterfahren mit dem Zug, und auch dort werden Menschen angekommen sein, die wissen wie sich eine Fassbombe anhört oder anfühlt, wenn sie vom Himmel fällt, wenn sie in die Luft geht, wenn sie den Menschen um die Ohren fliegt, weiche Menschen, ja, weiche Menschen, wie weich wir Menschen sind. Ich bin jetzt froh, dass ich weiss, dass ich weiche Person weiche Menschen fragen könnte, was eine Fassbombe ist, gleich hier in meiner Stadt könnt ich sie fragen. — stop
homs
delta : 0.25 — Noch nicht lang her, da entdeckte ich einen Film, der seltsamerweise einige Tage später auf der Position, da ich ihn ihm Internet bemerkt hatte, nicht mehr anzutreffen war. Der Film, so wird erzählt, war von einer Drohne aus aufgenommen worden, einem künstlichen Vogel, der über und durch die Straßen der Stadt Homs gesteuert worden war. Beinahe hätte ich notiert, die Drohne, sie muss ein recht großes Gerät gewesen sein, sei durch die Straßen der Stadt geirrt, aber für dieses Wort irren flog die Drohne viel zu souverän herum und über Häuser hinweg, sie bewegte sich wie eine professionelle Filmdrohne einer Hollywoodproduktion, oder aber so, als wäre sie an einem luftgefederten Schwenkkran befestigt, sie bewegte sich erschütterungsfrei durch die Luft, keinerlei Druckwelle, kein Wind weit und breit. Was wir sehen, wenn wir diesen Film betrachten, ist eine fürchterlich zerstörte Stadt. Ich habe diese Art Verwüstung auf Fotografien gesehen der Stadt München oder Berlins oder Frankfurts, die im Jahr 1945 aufgenommen worden waren. Ich erinnere mich, man sah dort Menschen, die mit Eimern in langen Reihen hintereinander standen, um Steine in einer Kette zu transportieren, oder Menschen mit Kinderwagen, in welchen Kartoffelsäcke lagen, Menschen mit Rucksäcken und Menschen mit Koffern, die sie über Schuttberge wuchteten. Im mehrere Minuten andauernden Flug über und durch die Stadt Homs war jedoch kein Mensch zu erkennen. Mehrfach habe ich den Film vor und zurückgespielt, nein, kein Mensch war zu sehen, nicht ein einziger Mensch, so sehr ich meine Augen bemühte, nicht einmal Geister. — stop
ai : IRAN
MENSCH IN GEFAHR : “Der Oberste Gerichtshof des Irans hat das Todesurteil von Mohammad Ali Taheri im Dezember 2015 aufgehoben und seinen Fall zur weiteren Untersuchung zurück an das Revolutionsgericht verwiesen. Er befindet sich nun seit mehr als vier Jahren in Einzelhaft und ist in den Hungerstreik getreten. / Mohammad Ali Taheri ist am 30. Januar in den Hungerstreik getreten, nachdem ihm Angehörige des Gefängnispersonals in dem den Revolutionsgarden unterstellten Trakt 2A des Evin-Gefängnisses in Teheran gesagt hatten, dass “er sich den Gedanken, er würde freigelassen, aus dem Kopf schlagen soll”. Nach sieben Tagen Hungerstreik verlor er das Bewusstsein und wurde in ein Krankenhaus verlegt. Am 10. Februar brachte man ihn zurück in das Gefängnis. Trotz seines schlechten gesundheitlichen Zustands setzte er seinen Hungerstreik fort. / Mohammad Ali Taheri befindet sich seit Mai 2011 in Einzelhaft. Ihm wird unter anderem die “Förderung von Verdorbenheit auf Erden” sowie die “Beleidigung islamischer Heiligkeiten” vorgeworfen. Für Letzteres verurteilte ihn ein Revolutionsgericht im Oktober 2011 zu fünf Jahren Gefängnis, während das Gericht im Fall der ersten Anklage die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen sah. Die Revolutionsgarden nahmen daraufhin ihre Ermittlungen wieder auf. In dieser Zeit wurde seine Untersuchungshaft, die er in Einzelhaft verbringt, mehrfach verlängert. Im Juli 2015 wurde Mohammad Ali Taheri schließlich wegen “Förderung von Verdorbenheit auf Erden” zum Tode verurteilt. Grund dafür war die Gründung der spirituellen Gruppe Erfan-e-Halgheh und seine spirituellen Lehren und Praktiken, die von den Behörden als “pervers” bezeichneten wurden und ihnen zufolge dazu dienten, einen “langsamen Umsturz” der Regierung durch die Schwächung der religiösen Überzeugungen der Menschen herbeizuführen. Im Dezember 2015 hob der Oberste Gerichtshof das Todesurteil auf und führte an, dass der Tatbestand der “Förderung von Verdorbenheit auf Erden” nach dem zum Zeitpunkt seiner Aktivitäten geltenden Recht nicht erfüllt worden sei. Der Fall wurde kürzlich zur Durchführung weiterer Ermittlungen, die zur Erhärtung des Vorwurfs führten könnten, wieder an die zuständigen Ermittlungsbehörden übergeben. Am 7. Februar 2016 wurde die fünfjährige Haftstrafe unter Berücksichtigung der noch immer andauernden Untersuchungshaft als verbüßt angesehen.” — Hintergrundinformationen sowie empfohlene schriftliche Aktionen, möglichst unverzüglich und nicht über den 30. März 2016 hinaus, unter > ai : urgent action
=
marimba : 0.14 — z u n g e n b ä n d c h e n
vom gecko
marimba : 0.55 — Gestern, während ich noch schlief, hörte ich ein Geräusch, welches die Ankunft einer E‑Mail meldete, die gerade in diesem Augenblick, da ich noch nicht wach geworden war, an meine Schreibmaschine ausgeliefert wurde. Ich hatte vielleicht vergessen, sie auszuschalten, oder aber es existieren E‑Mailvarianten, die in der Lage sind, schlafende Computer zu wecken, sowie Menschen, die in ihrer Nähe schlummern. Javier hatte wichtige Nachrichten für mich. Ich antwortete ihm rasch: Lieber Javier, ich freu mich sehr, dass Sie sich die Mühe machten, mir zu schreiben. Obwohl wir uns nicht persönlich kennen, wollen Sie mich großzügig auf einen Fehler aufmerksam machen, der mir vor wenigen Tagen unterlaufen ist. Ich danke Ihnen herzlich. Sie haben in dem Film eines russischen Kamerateams, von dem ich erzählte, entgegen meiner eigenen Beobachtung doch einige offensichtlich lebende Menschen entdeckt, fürwahr, ich habe sie nun gleichfalls wahrgenommen, fünf Personen, vermutlich Männer, die in der oberen Hälfte des Bildausschnitts von der 18. bis zur 24. Filmsekunde zu erkennen sind. Ich frage mich, wie konnte ich sie übersehen? Und ich frage mich weiterhin, ob jene Männer in dem Moment, da der Drohnenvogel über ihnen flog, zum Himmel schauten, ob sie die fliegende Bildmaschine wahrnehmen konnten, und wenn ja, weshalb sie nicht flüchteten. Mit jedem Tag entstehen weitere Fragen, die ich vielleicht niemals beantworten kann. Gestern hörte ich, dass die Ohren der Gekos mittels eines Tunnels miteinander verbunden sein sollen. Wenn man nun einem Gecko mittels einer Taschenlampe in sein linkes Ohr leuchtete, würde das Taschenlampenlicht aus seinem rechten Ohr wieder herauskommen. Wie ich mich über diese Nachricht freute. Herzliche Grüße sendet Ihnen Ihr Louis — stop
von muffins
tango : 1.10 — In der vergangenen Nacht hatte ich einen lustigen Traum. Ich beobachtete, wie ich mit einem gespitzten Stück blauer Kreide in mein Papiernotizbuch notierte. Ich schrieb ungefähr ein Wort auf eine Seite. Sobald das Wort, das ich schreiben wollte, über zu viele Zeichen für den Umfang einer Seite meines Notizbuches verfügte, überlegte ich, ob vielleicht ein kürzeres Wort existieren könnte, um das längere Wort zu ersetzen. Plötzlich näherte sich eine Hand von der Seite her, nahm mir das Stück Kreide behutsam aus den Fingern, reichte mir stattdessen einen Bleistift, und ich schrieb in sehr großen Buchstaben weiter, die von Seite zu Seite immer kleiner wurden, kleiner und kleiner, bis ich meine Schrift nicht mehr lesen konnte. Immer noch Traum. Ich gehe spazieren. Frischer Nachtschnee knistert unter meinen Füßen. Es ist ein sonniger Tag in Brooklyn, am Ende einer Straße schimmert das Meer. Ein paar glänzende Flugzeuge schweben dort über den Himmel, sie fliegen auf dem Kopf. Kurz darauf betrete ich ein Café, es ist, glaube ich, das Buon Gusto in der Montague Street. Vor einer Vitrine in der Tiefe des schmalen Raumes wartet ein Polizist, er ist sehr groß und von kräftiger Statur und seine Haut sehr schwarz, und ich denke, er weiß, dass ich denke, dass er sehr schwarz ist, und er lacht und deutet ins Innere der Vitrine, wo ein gutes Dutzend Muffins auf aprikosenfarbenen Deckchen ruhen. Einer der kleinen Kuchen bewegt sich, ein Blaubeermuffin, seitwärts ragt ein gefiedertes Flügelchen heraus, das wild um sich schlägt, weshalb der kleine Kuchen sich immer schneller auf der Stelle dreht. Seite an Seite stehen der riesige Mann und ich, ein kleiner Mann, leicht vorgebeugt und staunen über das Geschehen in der Vitrine. Plötzlich wird es still, der Flügel ist im Muffin verschwunden, und der Polizist flüstert mir zu: Er gehört zu Ihnen, nicht wahr! Ich antworte: Ich glaube, er ist eingeschlafen. — stop
manhattan
nahe montauk
charlie : 3.28 — Z. erzählte vor wenigen Tagen, sie habe einen Freund besucht, der in einem Strandhaus nahe Montauk auf Long Island lebe. Er habe ihr im wortwörtlichen Sinne sein Herz geschenkt. Dieses geschenkte Herz soll sich seit zwei Jahren freischwebend in Konservierungsflüssigkeit befinden, indessen das neue Herz ihres Freundes, ein tatsächlich sehr junges Herz, sich inzwischen mit einem sehr viel älteren Körper gut angefreundet habe. Z. sagte, sie habe das Herz, welches von Glas ummantelt sei, sorgfältig in ihrem Rucksack verstaut und sei damit in den Zug gestiegen. Im Zug habe sie das Herz hervorgeholt und vor sich auf den Tisch des Abteils gestellt. Sie habe während der langen Fahrt nach New York zurück das alte Herz ihres Freundes eingehend studiert, vor allem wie sich im Meereslicht, das durch das Zugfenster einströmte, die Konturen des Herzens und seine Farben lebhaft veränderten. — stop
=
himalaya : 0.18 — w a n g e n g r ü b c h e n
herzhaut
victory : 0.55 — Ein griechischer Minister soll geäußert haben, sein Land sei doch kein Lagerort menschlicher Seelen. In der Zeitung, die von diesem Ereignis berichtete, waren auf einer Fotografie Fernsehkameras und eben ein kleiner, runder Herr zu sehen, der im Moment der Aufnahme zu sprechen schien. Tatsächlich würde der Ausdruck seines Gesichtes sich gut seinem dokumentierten Gedanken fügen, der in der Bildunterschrift verzeichnet ist, ein wenig Wut dort, Empörung, gleichwohl eine Traurigkeit, die nahe der Wahrnehmung tausender Rettungswesten, die an griechischen Stränden liegen, wohltuend authentisch wirkt. Erinnerte mich an einen Satz, den Thomas Bernhard einer Kamera erzählte: Das was niemand sieht, das hat einen Sinn aufzuschreiben. Aber zunächst ist alles noch gut sichtbar. Menschen sitzen in einem Bus, vor dem Bus tobt eine dunkle Menschenkopfwolke, die giftige Wörter spukt. Reisegenuss in gelber Leuchtschrift, wie eine Verhöhnung, ist an der Kopfseite des Busses anstatt einer Zielangabe zu lesen, wo Clausnitz stehen könnte. Einen Tag später wird der Versuch unternommen, Schuldlast in den Bus zu verschieben, es werde, sagt ein Polizeioffizier, auch gegen Flüchtlinge ermittelt. Wenn man nun lange genug sprechen und schreiben wird in den Räumen der Bewegung, wird das Gewünschte zur wirklichen Wirklichkeit werden. Es ist zum Fürchten, wie früher, alles noch da, der harte Blick auf Menschen in Not, auf Menschen mit Koffern in der Hand. — stop
same beat
echo : 6.22 – In der vergangenen Nacht habe ich wieder einmal das Käferwerfen geübt. Fred Wesley & The JB’s Same Beat bei klirrender Kälte. Folgende Käfer habe ich aus dem Fenster geworfen: 2 bunte Klopfkäfer gegen Mitternacht, 5 Marienkäfer von 1 Uhr bis 1 Uhr 30, 1 belgischen Taumelkäfer um kurz nach 2, gegen 3 Uhr 1 schneeweißen Rosenkäfer, um vier Uhr 15 2 gepanzerte Johanniswürmchen. Jedwedes aus dem Fenster geworfene Käferwesen war sofort wieder zu mir zurückgekehrt, entweder weil es ein weiteres Mal in die Luft geworfen werden wollte oder weil das Licht von meinen Zimmern her so schön warm in der Dunkelheit leuchtete. – stop
=
sierra : 0.01 — n a s e n b a l l