~ : yanuk le
to : louis
subject : ZEITHERZ
date : nov 24 08 6.32 p.m.
Höhe 310. Beobachte Pflanzen seit drei Tagen. Auch in den Nächten, wenn ich unterm Pfeifen der Moskitos nicht einschlafen kann, warte ich am Rande der Plattform, lasse die Beine baumeln, hoffe, dass der Schwarm schwebender Zwergseerosen sich wieder in Bewegung setzten wird. Lange Stunden der Ruhe, des Stillstandes, stolz zeigen sie ihre weißen, ihre blauen Blüten, schwimmen oder schweben fast reglos auf dem Nebel. Ist dieser Nebel vielleicht schon eine Wolke, bin ich so weit gekommen, dass ich die Wolkendecke durchstoßen habe? Ja, Stunden der Bewegungslosigkeit, nur von einem leichten Windzug gestreichelt, aber dann, sehr plötzlich, schließen sie zur selben Sekunde ihre lockenden Kelche, eine Welle süßen Duftes wandert gegen den Himmel, und es wird so still, als wären all die pfeifenden, singenden, kreischenden Geschöpfe des Waldes betäubt von der schweren Substanz der Pflanzenluft. Habe die Zeit gemessen, habe versucht, einen Rhythmus des Schließens und Öffnens zu finden, vergeblich, vielleicht, weil ich sie Jahre beobachten müsste, um ihre Frequenz zu verstehen. Einmal bin ich zurück in den Nebel getaucht, habe das Wurzelhaar untersucht, filigrane Gefäße, rosafarben, aber keine Verbindung von Pflanze zu Pflanze. Ein Wunder, wie sie das machen, synchron, simultan, als verfügten sie über ein gemeinsames, ein geheimes Herz, das die Zeit zählen kann. – Wieder letzte Minuten vor Dämmerung. Das Rudel der Affen liegt um meine Schreibmaschine herum. Du kannst Dir nicht vorstellen, Mr. Louis, von welch weicher, geschmeidiger Gestalt glückliche Affen sind. Selbst die Knochen ihrer kleinen Köpfe scheinen der Schwerkraft nachzugeben. — Cucurrucu! Yanuk
eingefangen
22.18 UTC
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