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geraldine : limonade

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~ : geraldine
to : louis
sub­ject : LIMONADE

Lie­ber Mr. Lou­is, stel­len Sie sich vor, heu­te habe ich einen Vogel gefüt­tert. Ich lag, wie jeden Tag seit wir New York ver­las­sen haben, auf einer Lie­ge an Deck und habe geschla­fen. Als ich mei­ne Augen öff­ne­te, saß eine Möwe vor mir auf der Reling. Ich habe mich vor­sich­tig auf­ge­setzt und etwas Brot in die Luft gewor­fen und die Möwe hat das Brot gefan­gen und ist sofort wei­ter­ge­flo­gen. Seit ges­tern haben wir viel Wind. Papa kommt immer wie­der vor­bei und schaut nach mir, aber es geht ihm nicht gut, ihm ist übel und auch Mama liegt im Bett, weil sie bei­de see­krank sind. Ich glau­be, sie wis­sen jetzt wie ich mich füh­le, immer­zu füh­le. Sie sehen bei­de gar nicht gut aus. Mir aber schei­nen die hohen Wel­len nichts aus­zu­ma­chen, ich sit­ze oder lie­ge und schaue auf das Meer und hof­fe, dass die Son­ne nicht unter­ge­hen wird, bis wir in Euro­pa sein wer­den. Die Möwen sind still hier drau­ßen. Viel­leicht wird ihr Schrei­en vom Wind fort getra­gen. Ein wirk­lich kräf­ti­ger und küh­ler Wind, und der jun­ge Kell­ner, der Ste­wart, wie man hier sagt, muss sich gegen ihn stem­men, wenn er über das Deck zu mir kommt. Er kennt mei­nen Namen. Er sagt, Mrs. Geral­di­ne, ich soll mich um Sie küm­mern, wol­len Sie eine Limo­na­de. Ja, und immer will ich sofort eine Limo­na­de. Sie ist blau, Mr. Lou­is, noch nie zuvor habe ich blaue Limo­na­de getrun­ken, sehr süße blaue Limo­na­de, die nach Lakrit­ze schmeckt. Ich sehe ger­ne sei­nen Hän­den zu, wie er die Fla­sche für mich öff­net, weil ich doch kaum Kraft habe die Fla­sche selbst zu öff­nen. Er hat mir ges­tern gesagt, Mr. Lou­is, dass ich sehr schön sei, fast durch­sich­tig, und dass er sich sehr ger­ne mit mir unter­hal­ten wür­de. Sein Blick ist trau­rig, ich kann nicht sagen, war­um er so trau­rig ist, wenn er mich anschaut. Manch­mal schlägt er die Augen nie­der, wenn ich ihn anse­he. Ich habe mir gedacht, dass er viel­leicht sei­ne Gedan­ken vor mir ver­ber­gen möch­te. Ich weiß jetzt, dass ich nicht schrei­en wer­de, wenn er mich bald ein­mal küs­sen wird. Ich bin so müde, Mr. Lou­is, ich bin 20 Jah­re alt, aber ich bin unend­lich müde. Höre auf zu schrei­ben für heu­te: Ich grü­ße Sie herz­lich. Ihre Geral­di­ne auf hoher See.

notiert im Jah­re 1962
an Bord der Queen Mary
auf­ge­fan­gen am 24.6.2008
22.15 MESZ

geral­di­ne to louis »

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