MENSCH IN GEFAHR : ““Am 11. April durchsuchte die Polizei die Wohnung von Aleksandra Skochilenko, nahm sie fest und verhörte sie bis 3 Uhr des 12. April. Am 13. April verhängte das Bezirksgericht Vasileostrovsky in Sankt Petersburg Untersuchungshaft bis zum 1. Juni 2022 gegen sie. Es ist wahrscheinlich, dass die Untersuchungshaft verlängert wird. / Aleksandra Skochilenko leidet an Zöliakie, einer genetischen Glutenintoleranz. Wenn sie glutenhaltige Nahrung zu sich nimmt, kann das den Beginn eines Organversagens, Krebs oder Autoimmunerkrankungen verursachen. Amnesty International hat erfahren, dass Aleksandra Skochilenko in der Untersuchungshafteinrichtung keine glutenfreien Nahrungsmittel erhält und ihrer Familie nicht gestattet wird, ihr diese zu schicken. / Aleksandra Skochilenko ist eine Songwriterin und Künstlerin aus Sankt Petersburg. Ihr wird vorgeworfen, Preisschilder in örtlichen Supermärkten durch Antikriegsinformationen ersetzt zu haben, darunter Informationen über die Toten durch die Bombardierung des Theaters von Mariupol. / Der Sankt Petersburgerin wird die “öffentliche Verbreitung wissentlich falscher Informationen über den Einsatz der Streitkräfte der Russischen Föderation und die Ausübung der Befugnisse der staatlichen Organe der Russischen Föderation” gemäß dem kürzlich hinzugefügten Paragrafen 207.3 Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorgeworfen. / Aleksandra Skochilenko ist in der Kunstszene bekannt: Sie schreibt Lieder, verfasst Comic-Bücher und Cartoons, organisiert Konzerte und Jamsessions. Außerdem hat sie das bekannte “Buch über Depressionen” geschrieben, das dazu beiträgt, das Stigma psychischer Erkrankungen zu verringern. Das Buch ist äußerst beliebt. Es wurde mehrfach neu aufgelegt und in mehrere Sprachen übersetzt und hat vielen Menschen innerhalb und außerhalb Russlands geholfen. Viele Videos und Ausstellungen wurden durch das Buch inspiriert. / Am 20. April hieß es, dass sich Aleksandra Skochilenkos Gesundheitszustand durch das Fehlen glutenfreier Nahrungsmittel verschlechtert habe. Am 21. April teilte ihr Rechtsbeistand Amnesty International mit, dass die Haftanstalt ihr schließlich erlaubt habe, ein Lebensmittelpaket ihrer Familie zu erhalten, das ihrer glutenfreien Ernährung entsprach./ Am 23. April wurde sie von einer provisorischen Haftanstalt in ein Untersuchungsgefängnis gebracht./ Nach einem Besuch bei Aleksandra Skochilenko in der Untersuchungshaftanstalt am 25. April berichtete einer der Rechtsbeistände, dass sich ihr Gesundheitszustand verschlechtert habe. Sie kann nichts essen, da sie nicht das für sie erforderliche glutenfreie Essen erhält und ihre Familie ihr auch kein Essen schicken darf. Sie fühlt sich die meiste Zeit über schwach. Sie erzählte auch, dass sie von den Wärter_innen der Haftanstalt und ihren Zellengenoss_innen unter Druck gesetzt wurde. — Hintergrundinformationen sowie empfohlene schriftliche Aktionen unter »> ai : urgent action
Schlagwort: nichts
radiotauben
sierra : 22.08 UTC — Einmal, am späten Abend, folgte ich einem Hyperlink, der von meiner Particlesmaschine automatisch erzeugt worden war nach Regeln, die ich nicht präzise beschreiben könnte. In dieser Weise arbeitend begegnete ich einem Text, der von einem Radio erzählte. Es ist seltsam, ich konnte mich zunächst nicht erinnern, diesen Text selbst geschrieben zu haben. Ich las ihn und dachte: Diesen Text musst Du erfunden haben, rein erfundene Texte lassen sich nicht so leicht erinnern, wie Texte, die von einer erlebten Geschichte berichten. Nun also, in dem ich meinen Text, den ich im April des vergangenen Jahres notierte, lese, schreibe ich ihn zum zweiten Male, er wird mir vermutlich ein weiteres Jahr später, noch in Erinnerung sein, wie der Abend, an dem ich ihn wiederholte, also erlebte, weil ich ihn in mein Leben versetzte: Ich stellte mir vor, wie ich in der Küche vor einem Tisch sitze. Auf dem Tisch steht ein Radio. Das Radio ist 10 cm lang und ebenso breit und ebenso hoch, ein Würfel demzufolge. Der Würfel verfügt über zwei Knöpfe, die ich vertiefen einerseits und an welchen ich drehen kann andererseits. Dort, wo ich Schrauben erkenne, die in das hölzerne Gehäuse eingelassen sind, scheint sich die hintere Seite des kleinen Radios zu befinden. Ich kann das Radio öffnen. Als ich es öffne, entdecke ich weitere sehr kleine Schrauben, eine Platine, Dioden, Widerstände, Beschriftungen in einer Sprache, die ich nicht zu lesen vermag, außerdem einen Zylinder. Ich entdecke also viele Dinge, aber nichts, was mir behilflich sein konnte, das Radio zum Schweigen zu bringen, das Radio spielt nämlich in einem Abstand von einer Stunde eine Passage aus der 2. Symphonie Rachmaninows, die weder leiser noch lauter einzustellen ist, sie ist eben wie sie ist, laut genug, um das Radio vor das Fenster stellen zu müssen. Einmal sitzen zwei Tauben links und rechts des Radios. Als das Radio seine Musik spielt, erschrecken sie und fliegen davon. Ein anderes Mal kommen sie wieder und bauen auf dem Radio ein Nest. — Heute Abend erzählt das Radio, ukrainische Kinder seien von russischen Behörden aus der Stadt Mariupol entführt worden. Man, ich meine, eine Sprecherin der russischen Behörde, sagte im Radio, die Kinder, die freiwillig in Busse eingestiegen seien, sollten sich nur erholen. Die junge Frau sagte, die Kinder würden sehr schreckliche Dinge erlebt haben, weil ukrainische Truppen ihre Heimatstadt verwüsteten. Das sagte die Frau. — stop
vom sprechen
tango : 16.55 UTC — Ich spreche zu schnell, dachte August, ich spreche zu schnell, zu häufig und zu lang. Ich werde von nun an langsamer sprechen und seltener und leise. Er hatte sich, noch ein Kind, vorgenommen langsamer und deutlicher zu sprechen, weil seine Freunde und seine Eltern und seine Lehrer immer wieder einmal bemerkt hatten, dass er viel zu viel sprechen würde. Du sprichst, lieber August, zu lang und zu schnell. Wenn er sich erinnerte, entdeckte er zahlreiche Wochen, Monate, Tage seines kurzen Lebens, da er versuchte, stiller zu werden. Er war durchaus erfolgreich gewesen, aber immer nur so lange er sich selbst zuhörte und sich in Gedanken sagte, langsam sprechen, August, langsam sprechen, jetzt hörst du auf zu sprechen. Du sagst einmal zehn Minuten lang nichts. August sah auf seine Uhr. Mutter fragte ihn, wie es in der Schule gewesen war, aber August sagte nichts, sah auf die Uhr und wartete. Warst du denn in der Schule, fragte Mutter. Natürlich, war ich in der Schule gewesen, dachte August, ich erinnere mich, gerade eben bin ich zurückgekehrt. Er sah auf die Uhr und war ganz still und er fühlte sich wohl und dann waren zehn Minuten Zeit der Stille des kleinen August vergangen. Kaum waren zehn Minuten Zeit vergangen, war August schon in den Garten gerannt. Mutter saß im Gras in der Sonne und schälte Kartoffeln. Heute habe ich kaum etwas gesagt in der Schule, erzählte August. Er sprach sehr langsam. Ich war ganz still, sagte August, fast bin ich eingeschlafen. Dann habe ich etwas gesagt, aber ich war wieder viel zu schnell. Da hab ich dann geschwiegen, habe nur die Hälfte erzählt von dem, was ich erzählen wollte. Da bin ich dann eingenickt. Und als ich wach wurde, habe ich diese furchtbare Stimme gehört. — Das Radio erzählt heute von einem jungen Mann, der eine Nachricht aus Mariupol an seine Geliebte sendete. Er schrieb: Ich habe Deine Mutter in der Nähe des Kindergartens begraben. — stop
vom warten
lima : 22.07 UTC — Über eine Million Augenpaare werden in der digitalen Sphäre verzeichnet, die in den vergangenen 24 Stunden das Livebíld des Maidanplatzes beobachtet haben sollen. Einmal frage ich in englischer Sprache im begleitenden Chat, was präzise man erwartet zu sehen, weshalb diese Aufmerksamkeit. Es geschieht ja nichts. Nur der Platz ist zu sehen, kaum ein Mensch, aber ein paar Tauben, die über die Straßen tucken. Ein Antwort etwas später gleichwohl in englischer, dann von demselben Avatar in russischer Sprache: Alle hier warten auf Panzer! — stop
von fallschirmen
echo : 20.28 UTC — Hört zu! Folgendes: Fliegende oder Sommerfäden werden von jungen und alten Spinnen gesponnen und zwar vornehmlich von Individuen der Gattungen Luchsspinne (Lycosa), Kreuzspinne (Epeira), Krabbenspinne (Thomisus) und Weberspinne (Theridium). Diese Spinnen sind zum Herbst herangewachsen, und ihre Fäden bezeichnen die Wege, welche sie zogen. Da sie aber nur bei gutem Wetter spinnen, so steht die Erscheinung in der That im Zusammenhang mit schönen Herbsttagen. Die Fäden werden zum Teil vom Wind losgerissen und fortgeführt, aber auch von den Spinnen direkt für eine Fahrt durch die Luft erzeugt. Das Tierchen kriecht auf einen erhöhten Punkt, reckt den Hinterleib in die Höhe, schießt einen oder mehrere Fäden aus seinen Spinnwarzen empor und überläßt sich, von diesen getragen, der Luftströmung. Will die Spinne auf den Boden zurückkehren, so klettert sie an dem Faden hinauf und wickelt ihn dabei mit den Füßen zu einem Flöckchen zusammen, welches sich langsam zu Boden senkt.* — Nichts denken zur Beruhigung als das Wort l u m u m b a . — stop / gefunden bei *Peter Hug
moskau
echo : 20.08 UTC — Wenn es sich sperrt im Kopf, da muss man gerade erst recht darauf los schreiben. Und wenn da nichts ist im Kopf, das man schreiben könnte. Oder immer dasselbe, was man notieren könnte, dann ist es gut eine Ameise sich auszudenken, einfach notieren, was sie tut, wohin sie läuft, und schon kommt Licht in den Kopf, wie sie über den hölzernen Boden spaziert über ein Blatt Papier auf welchem sich bald Wörter befinden werden, die zum Beispiel von Grönland erzählen oder von Moskau, wie es Vater erlebte. — stop
geräusche
ginkgo : 17.15 UTC — Es ist Nachmittag. Ich sitze vor dem Fenster nach Süden, ich sitze derart vor dem Fenster auf dem warmen Boden, dass ich den Himmel sehe, Wolken, nichts weiter, nicht was darunter sich versammelt, Häuser, Türme, Kronen zahlreicher Bäume, Eichhörnchen, Automobile, Menschen. Ich höre eine Straßenbahn kommen, ich höre wie sie anhält, ich höre Stimmen, ich höre wie sich die Straßenbahn langsam in Bewegung setzt, wie sie beschleunigt, wie sie eine Weiche nimmt. Die Straßenbahn scheppert und ächzt. Ungezählte Male schepperte und und ächzte eine Straßenbahn an diesem Ort. Kinderrufen. Eine Hupe, ein Martinshorn. Ich höre nicht sichtbaren Ereignissen zu. Vögel singen in diesem Augenblick, singen in meiner Vorstellung, das ist denkbar. Ich hatte vor, spazieren zu gehen. Es ist Nachmittag. Ein Telefon klingelt. — stop
eine raupe im mai
romeo : 10.28 UTC — Es war Mai, ich ging, Blick auf den Boden gerichtet, spazieren. Man möchte vielleicht meinen, dass ich nur den Boden, nichts anderes sehen wollte in Gedanken versunken in Kreisen. So geh ich eine halbe Stunde dahin. Bald begegnete ich einer Raupe, die den Weg, auf dem ich ging, überquerte. Es war eine sandige Stelle. Ich blieb stehen, ging in die Knie, beobachtete, wie sich die Raupe bemühte, sandige Körner von ihren Beinen zu schütteln. Einmal rollt sie sich seitwärts ab, eine Idee, die dazu führte, dass auch das kräftige Haar ihres Rückens von Sand bedeckt worden war. Diese erste Raupe, der ich an diesem Tag begegnete, war von einem leuchtenden Gelb. Seitlich, ihren Körper entlang, waren hellrote Punkte zu erkennen. Ihr Kopf war von einem leuchtenden Blau. — stop
loop
romeo : 0.58 UTC — Noch eh ich das Fernsehgerät in Gang setze, weiss ich was gespielt wird. Vielleicht wird’s mich im Herbst wieder fröhlicher stimmen? Seit heute verfüge ich über einen feinen Pinsel, mit dem ich Kaffeepuder aus den Magazinen meiner Kaffeemühle fächern werde. Als ich Kind war, lernte ich, dass ich mit einem Pinsel dieser Art nicht in Farbtöpfe fahren darf. Wie es wohl kommt, dass Geschichten plötzlich wie aus dem Nichts entstehen? Die Geschichte von den Apfelbäumen zum Beispiel. Im Radio morgens noch war von Haarpinseln und Bienen die Rede gewesen. — stop
der kleine august
ulysses : 16.55 UTC — Ich spreche zu schnell, dachte August, ich spreche zu schnell, zu häufig und zu lang. Ich werde von nun an langsamer sprechen und seltener und leise. Er hatte sich, noch ein Kind, vorgenommen langsamer und deutlicher zu sprechen, weil seine Freunde und seine Eltern und seine Lehrer immer wieder einmal bemerkt hatten, dass er viel zu viel sprechen würde. Du sprichst, lieber August, zu lang und zu schnell. Wenn er sich erinnerte, entdeckte er zahlreiche Wochen, Monate, Tage seines kurzen Lebens, da er versuchte, stiller zu werden. Er war durchaus erfolgreich gewesen, aber immer nur so lange er sich selbst zuhörte und sich in Gedanken sagte, langsam sprechen, August, langsam sprechen, jetzt hörst du auf zu sprechen. Du sagst einmal zehn Minuten lang nichts. August sah auf seine Uhr. Mutter fragte ihn, wie es in der Schule gewesen war, aber August sagte nichts, sah auf die Uhr und wartete. Warst du denn in der Schule, fragte Mutter. Natürlich, war ich in der Schule gewesen, dachte August, ich erinnere mich, gerade eben bin ich zurückgekehrt. Er sah auf die Uhr und war ganz still und er fühlte sich wohl und dann waren zehn Minuten Zeit der Stille des kleinen August vergangen. Kaum waren zehn Minuten Zeit vergangen, war August schon in den Garten gerannt. Mutter saß im Gras in der Sonne und schälte Kartoffeln. Heute habe ich kaum etwas gesagt in der Schule, erzählte August. Er sprach sehr langsam. Ich war ganz still, sagte August, fast bin ich eingeschlafen. Dann habe ich etwas gesagt, aber ich war wieder viel zu schnell. Da hab ich dann geschwiegen, habe nur die Hälfte erzählt von dem, was ich erzählen wollte. Da bin ich dann eingenickt. Und als ich wach wurde, habe ich diese furchtbare Stimme gehört. — stop