ginkgo : 0.02 UTC — An einem Abend im Warenhaus vor langer Zeit beobachtete ich einen kleinen Jungen. Er sprang in einer Warteschlange vor einer Kasse herum und lachte und verdrehte die Augen. Weil sich auf dem Förderband vor der Kasse Milchflaschen, Cornflakes, Reistüten sowie zwei Honigmelonen befanden, konnte der Junge den Mann, der an der Kasse seine Arbeit verrichtete, zunächst nicht sehen. Bei dem Mann handelte es sich um Javuz Aylin, er war mittels eines Namensschildchens, das in der Nähe seines Herzens angebracht worden war, zu identifizieren. In diesem Moment der Geschichte erhob sich Herr Aylin ein wenig von seinem Stuhl, um neugierig über die Waren hinweg zu spähen, vermutlich deshalb, weil der Haarschopf des Jungen mehrfach in sein Blickfeld hüpfte. Da war noch ein zweiter Haarschopf an diesem Abend im Warenhaus in nächster Nähe, schwarzes, lockiges Haar, der jüngere Bruder des Jungen, der in wenigen Sekunden zu dem Kassierer sprechen würde, beide Kinder sind sich so ähnlich, als seien sie Zwillinge, ein großer und ein kleiner Zwilling. Gleich hinter den Buben wartete die Mutter, sie lächelte, wie sie ihre Kinder so fröhlich herumtollen sah. Die junge Frau trug ein buntes Kopftuch, ich stellte mir vor, sie könnte in Marokko geboren worden sein, kräftig geschminkter Mund, herrliche Augen. Plötzlich waren die Waren auf dem Förderband verschwunden, der ältere der beiden Jungs betrachtete aufmerksam das Gesicht des Kassierers Aylin, der müde zu sein schien. Er hielt dem Jungen ein Päckchen mit Sammelbildern zur Europameisterschaft entgegen, außerdem ein zweites Päckchen für den kleineren Bruder, der immer noch hüpfte, weil er gerade eben doch noch zu klein war, um über das Band selbst hinweg spähen zu können. Oh, danke, sagte der Junge zu Herrn Aylin. Er schaute kurz zur Mutter hinauf, die nickte. Ich habe schon fast alle Karten, fuhr er fort, die deutsche Mannschaft ist komplett. Er machte eine kurze Pause. Ich bin nämlich Deutscher, sagte der Junge mit kräftiger Stimme, auch mein Bruder ist Deutscher. Wieder schaute er zu Mutter hin, und wieder nickte die junge Frau und lachte. Bist Du auch Deutscher, fragt der Junge Herrn Aylin. Der schüttelte den Kopf und schnitt eine freundliche Grimasse. Der Junge setzte nach: Ach so! Warum nicht? Aber das war gewesen, ehe Herr Aylin antworten konnte, er war mit seinem kleinen Bruder und seinen Sammelbildern bereits hinter der Kasse verschwunden, sodass sich ihre Mutter beeilen musste, um sie nicht aus den Augen zu verlieren. — Das Radio erzählt, man habe, indem man Menschen neben Straßen der Stadt Mariupol beerdigte, zur gleichen Zeit ein Fläschchen zu den Toten gelegt. Dort, im Fläschchen, wurden auf einem Zettel verzeichnet der Name des verstorbenen Menschen und der Tag seiner Geburt und der Tag seines gewaltsamen Todes. — stop