Aus der Wörtersammlung: abend

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von schildkröten : sars cov 2

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gink­go : 15.08 UTC — Das gedan­ken­lo­se Spa­zie­ren in der Stadt scheint unmög­lich gewor­den. Es ist März oder April. Das Jahr 2020. Ner­vö­se Bli­cke eilen weit vor­aus. Ist die Stra­ße frei, ist Platz, kann ich pas­sie­ren, ohne einer Per­son zu nahe­zu­kom­men? Das Distan­zie­ren brennt sich in den Kopf. In den ers­ten Tagen der Ver­ord­nung zu Abstand waren alle noch ernst gewe­sen, jetzt da und dort immer wie­der ein Lächeln, ein lei­ses Dan­ke­schön, wenn man war­tet, um Raum zu spen­den. In einer zwei­fach um Ecken gefal­te­ten Schlan­ge ste­hen Men­schen, sie war­ten in ein Post­amt ein­tre­ten zu kön­nen. Wann habe ich in mei­nem Leben je so ver­harrt, gedul­dig, demü­tig, ent­spannt? Rotkopf­schildd­krö­ten hocken an Strän­den der ver­bo­te­nen Park­se­en, ihre ver­wit­ter­ten Kör­per sind voll­stän­dig aus dem Was­ser gekom­men, als wür­den sie nach Men­schen jen­seits der Zäu­ne luren. Ein wun­der­ba­rer Früh­ling. Gold­far­be­ne Stäu­be schwe­ben durch die Luft, die so klar ist wie noch nie seit ich den­ken kann, auch Spin­nen an ihrer Sei­de, und all das Unsicht­ba­re, das ich ein und wie­der aus­at­me. An das Unsicht­ba­re den­ken, das ist neu, dass das Nicht­sicht­ba­re Gedan­ken beherrscht, auch die Träu­me. Die Lit­faß­säu­len mei­ner Stra­ße sind weiß wie leer. Eine Foto­gra­fie auf einer Zei­tung vor dem Kiosk zeigt Men­schen, die von Appa­ra­tu­ren umge­ben unbe­klei­det auf dem Bauch lie­gen. Im Spiel­film abends hocken Men­schen im Kaf­fee­haus Sei­te und Sei­te und gegen­über, ste­cken ihre Köp­fe zusam­men und debat­tie­ren, sehr selt­sam, sehr gefähr­lich, ich woll­te etwas sagen. — stop
ping

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im warenhaus

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gink­go : 0.02 UTC — An einem Abend im Waren­haus vor lan­ger Zeit beob­ach­te­te ich einen klei­nen Jun­gen. Er sprang in einer War­te­schlan­ge vor einer Kas­se her­um und lach­te und ver­dreh­te die Augen. Weil sich auf dem För­der­band vor der Kas­se Milch­fla­schen, Corn­flakes­schach­teln, Reistü­ten sowie zwei Honig­me­lo­nen befan­den, konn­te der Jun­ge den Mann, der an der Kas­se sei­ne Arbeit ver­rich­te­te, zunächst nicht sehen. Bei dem Mann han­del­te es sich um Javuz Aylin, er war mit­tels eines Namens­schild­chens, das in der Nähe sei­nes Her­zens ange­bracht wor­den war, zu iden­ti­fi­zie­ren. In die­sem Moment der Geschich­te erhob sich Herr Aylin ein wenig von sei­nem Stuhl, um neu­gie­rig über die Waren hin­weg zu spä­hen, ver­mut­lich des­halb, weil der Haar­schopf des Jun­gen mehr­fach in sein Blick­feld hüpf­te. Da war noch ein zwei­ter Haar­schopf an die­sem Abend im Waren­haus in nächs­ter Nähe, schwar­zes, locki­ges Haar, der jün­ge­re Bru­der des Jun­gen, der in weni­gen Sekun­den zu dem Kas­sie­rer spre­chen wür­de, bei­de Kin­der sind sich so ähn­lich als sei­en sie Zwil­lin­ge, ein gro­ßer und ein klei­ner Zwil­ling. Gleich hin­ter den Buben war­te­te die Mut­ter, sie lächel­te wie sie ihre Kin­der so fröh­lich her­um­tol­len sah. Die jun­ge Frau trug ein sehr schön bun­tes Kopf­tuch, ich stell­te mir vor, sie könn­te in Marok­ko gebo­ren wor­den sein, kräf­tig geschmink­ter Mund, herr­li­che Augen. Plötz­lich waren die Waren auf dem För­der­band ver­schwun­den, der älte­re der bei­den Jungs betrach­te­te auf­merk­sam das Gesicht des Kas­sie­rers Aylin, der müde zu sein schien. Er hielt dem Jun­gen ein Päck­chen mit Sam­mel­bil­dern zur Euro­pa­meis­ter­schaft ent­ge­gen, außer­dem ein zwei­tes Päck­chen für den klei­ne­ren Bru­der, der immer noch hüpf­te, weil er gera­de eben doch noch zu klein war, um über das Band selbst hin­weg spä­hen zu kön­nen. Oh, dan­ke, sag­te der Jun­ge zu Herrn Aylin. Er schau­te kurz zur Mut­ter hin­auf, die nick­te. Ich habe schon fast alle Kar­ten, fuhr er fort, die deut­sche Mann­schaft ist kom­plett. Er mach­te eine kur­ze Pau­se. Ich bin näm­lich Deut­scher, sag­te der Jun­ge mit kräf­ti­ger Stim­me, auch mein Bru­der ist Deut­scher. Wie­der schau­te er zu Mut­ter hin, und wie­der nick­te die jun­ge Frau und lach­te. Bist Du auch Deut­scher, fragt der Jun­ge Herrn Aylin. Der schüt­tel­te den Kopf und schnitt eine freund­li­che Gri­mas­se. Der Jun­ge setz­te nach: Ach so! War­um nicht? Aber das war gewe­sen, ehe Herr Aylin ant­wor­ten konn­te, er war mit sei­nem klei­nen Bru­der und sei­nen Sam­mel­bil­dern bereits irgend­wo hin­ter der Kas­se ver­schwun­den, so dass sich ihre Mut­ter beei­len muss­te, um sie nicht aus den Augen zu ver­lie­ren. — Das Radio erzählt, man habe, in dem man Men­schen neben Stras­sen der Stadt Mariu­pol beer­dig­te, zur glei­chen Zeit ein Fläsch­chen zu den Toten gelegt. Dort, im Fläsch­chen, wur­den auf einem Zet­tel ver­zeich­net der Name des ver­stor­be­nen Men­schen und der Tag sein Geburt und der Tag sei­nes gewalt­sa­men Todes. — stop

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ein bein

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hima­la­ya : 10.52 UTC — Ges­tern Abend notier­te ich auf einen Notiz­zet­tel: Das Bein einer Frau ruh­te auf einem Dach. Heu­te Mor­gen fand ich die­sen Zet­tel vor. Ich erin­ner­te mich, eine Foto­gra­fie wahr­ge­nom­men zu haben, die das Bein einer Frau auf dem Dach eines Hau­ses der Stadt Mariu­pol zeig­te. Ich bemerk­te, dass ich mich nicht gewun­dert hat­te, das abtrenn­te Bein einer Frau auf einem Dach bemerkt zu haben. Das Bein trug noch einen Schuh am Fuss, einen Stie­fel. Auch war ich mir nicht sicher gewe­sen, die Exis­tenz die­ser Foto­gra­fie über Nacht in mei­nem Gedächt­nis zu behal­ten. Ich notier­te auf dem Zet­tel eine Anwei­sung: Foto­gra­fie sichern! Selt­sa­me Sache. — stop

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am tiber

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nord­pol : 10.15 UTC — An einem spä­ten Abend beob­ach­te­te ich von einer Brü­cke aus einen Mann, der am Ufer des Tiber­flus­ses kau­er­te. Der Mann füt­ter­te grö­ße­re und klei­ne­re Tie­re mit sei­ner lin­ken Hand, in der rech­ten Hand hielt er eine Angel fest. Das war nicht sofort zu erken­nen gewe­sen, weil sich im Fluss und auch in der Luft über dem Fluss nichts beweg­te, nicht ein­mal das Was­ser zeig­te Strö­mung. Die Fluss­ober­flä­che schim­mer­te im Mond­licht wie ein See, und das Schilf des Ufers schien von Win­den, nicht von wil­dem Was­ser gebeugt. Da waren Schat­ten im Gras der klei­nen Insel, hun­der­te vor­wärts oder rück­wärts sprin­gen­de Sche­men. Noch nie zuvor habe ich so vie­le Rat­ten auf einen Blick gese­hen. Wie Eisen­spä­ne einer phy­si­ka­li­schen Anord­nung zur Unter­su­chung magne­ti­scher Fel­der waren sie zu dem Mann hin aus­ge­rich­tet, wir­bel­ten durch­ein­an­der, sobald der Mann Fut­ter­wa­re unter die Tie­re schleu­der­te. Dann wie­der stil­les War­ten. Eine Bisam­rat­te, scheu­er Herr­scher, enter­te das Land. — Am fol­gen­den Tag kehr­te ich mor­gens zur Nacht­brü­cke zurück. Der Mann kau­er­te noch immer nah der klei­nen Insel und angel­te im Fluss. Möwen hat­ten sich genä­hert. Rat­ten waren nur weni­ge zu sehen, aber Tau­ben. Wenn der Mann einen Fisch erbeu­te­te, warf er ihn sei­nen Freun­den vor die Füße. An den stei­len Wän­den der künst­li­chen Tiber­fas­sung da und dort blü­hen­de Büsche. Eidech­sen zün­gel­ten gegen die Son­ne. — Das Radio erzähl­te von einer Frau, die nachts um 3 Uhr im 5. Stock eines Hau­ses der Stadt Mariu­pol in ihrer Küche stand und koch­te, als die Stadt vom Krieg über­fal­len wur­de. — stop

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einmal an einem mittwoch

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india : 22.58 UTC — Es war Mitt­woch geweesen. Abend. Es reg­ne­te, Regen auch wäh­rend ich schlief. Ich konnt ihn hören von zu Zeit zu Zeit, wenn ich auf­tauch­te, ohne ganz wach zu wer­den. Von irgend­wo­her ein Geräusch, pling, pling, und Isaac B. Sin­gers hel­le und zugleich raue Stim­me, indem sie eine Geschich­te erzählt, die ich in den ver­gan­ge­nen Tagen wie­der und wie­der hör­te. Die Geschich­te geht so: “Kurz nach mei­ner Ankunft ( in Ame­ri­ka ) betrat ich zum ers­ten mal eine Cafe­te­ria, ohne zu wis­sen was das ist. Ich hielt es für ein Restau­rant. Ich sah lau­ter Leu­te mit Tabletts und frag­te mich, war­um man in so einem klei­nen Restau­rant so vie­le Kell­ner brauch­te. Ich gab jedem, der mit einem Tablett vor­bei­kam, ein Zei­chen. Ich hielt sie alle für Kell­ner und woll­te etwas bestel­len. Aber sie igno­rier­ten mich, man­che lächel­ten auch. Und ich dach­te, was für ein unwirk­li­cher Ort! Es war wie in einem Traum. Ein klei­nes Café mit so vie­len Kell­nern, und nie­mand beach­tet mich! Irgend­wann begriff ich dann, was eine Cafe­te­ria ist. Sie wur­de mein zwei­tes Zuhau­se. Die Cafe­te­ri­en wur­den eine Art Zuhau­se für Flücht­lin­ge aus Polen, Russ­land und ande­ren Län­dern. Vie­le mei­ner Geschich­ten spie­len in Cafe­te­ri­en, wo all die­se Men­schen auf­ein­an­der­tra­fen: die Nor­ma­len, die weni­ger Nor­ma­len und die Ver­rück­ten. Das ist also der Hin­ter­grund mei­ner Geschich­ten, die in Cafe­te­ri­en spie­len.” — Das Radio erzählt, Män­ner, die stun­den­lang mit­tels zwei­er Pan­zer­ma­schi­nen sowie fünf schul­ter­ge­stütz­ter  Fern­waf­fen ein acht­stö­cki­ges Wohn­haus der Stadt Mariu­pol beschos­sen haben sol­len, wür­den in der Stil­le nach dem mör­de­ri­schen Angriff geru­fen haben: Allah ‘akbar. Und noch ein­mal: Allah ‘akbar. Gott ist groß. — stop

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kabinenlicht

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romeo : 5.32 UTC — Wenn ich schla­fe, wache ich immer wie­der ein­mal auf, wäh­rend mei­ne Hän­de wei­ter­schla­fen. Das ist selt­sam, mei­ne Hän­de wachen zur Zeit ein wenig spä­ter auf als ich selbst. Ich tre­te ans Fens­ter. Manch­mal ist frü­her Mor­gen. Es ist noch dun­kel. Stra­ßen­bah­nen que­ren den Platz weit da unten. In ihrem Kabi­nen­licht sit­zen Men­schen, nun wie­der ohne Mas­ken vor Mund und Nase. Es sind die­sel­ben Per­so­nen, wie mir scheint, die ich ges­tern am Abend bereits durch mein Opern­glas beob­ach­tet habe. Sie wer­den ver­mut­lich für das Umher­fah­ren bezahlt. Zwei Tau­ben sit­zen tief unter mir auf einer Stra­ßen­la­ter­ne, sie schla­fen wie mei­ne Hän­de, die nun lang­sam wach wer­den, weil ich mit ihnen schrei­be. — Das Radio erzählt, in Mariu­pol wür­den Men­schen Schlüs­sel ihrer Woh­nun­gen wei­ter­rei­chen, ver­trau­te Schlüs­sel jener Woh­nun­gen, die nicht län­ger exis­tie­ren. — Guten Mor­gen! — stop

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von den vasentieren

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india : 3.15 UTC — Tage­lang hat­te ich über­legt, ob es sinn­voll wäre, über die Exis­tenz der Vasen­tie­re wei­ter nach­zu­den­ken. In die­sem Dis­kurs mit mir selbst, hat­ten mei­ne Vor­stel­lun­gen über das Wesen und die Gestalt der Vasen­tie­re, indes­sen wei­ter an Prä­zi­si­on zuge­nom­men, ohne dass ich das zunächst bemerk­te. Ein­mal war­te­te ich an einer Ampel unter einer Kas­ta­nie. Es war frü­her Abend gewe­sen und ich nutz­te die­se Situa­ti­on des Inne­hal­tens, um mir vor­zu­stel­len wie es sein könn­te, wenn ich eine Vase wäre. Ich hielt zunächst den Atem an, was eigent­lich nicht not­wen­dig gewe­sen war, Vasen­tie­re dür­fen atmen, Vasen­tie­re müs­sen atmen, und ver­such­te mich so wenig wie mög­lich zu bewe­gen, eine inne­re fes­te Struk­tur aus­zu­bil­den, sagen wir, eben eine Art Behäl­ter zu sein. Das ist gut gelun­gen, auch nach­dem ich von einer Kas­ta­nie auf den Kopf getrof­fen wor­den war, beweg­te ich mich nicht. In die­sem Moment wur­de statt­des­sen deut­lich, dass Vasen­tie­re nie­mals flüch­ten, weil sie nicht flüch­ten wol­len und weil sie nicht flüch­ten kön­nen, ihnen feh­len Füße und Bei­ne. Aber sie haben Augen und Ohren, und sind von ihrer orga­ni­schen Kon­struk­ti­on her begabt, For­men nach­zu­ah­men, die geeig­net sind, tie­fe­re Gewäs­ser in sich aus­zu­bil­den, das ist nicht ver­han­del­bar. Auch nicht, dass sie das Was­ser zur Ver­sor­gung der Pflan­zen, wel­chen sie Her­ber­ge bie­ten, aus der Luft ent­neh­men, sei sie noch so tro­cken. Mög­lich ist, dass Vasen­tie­re, die in der Lage sind, mit­tels ihrer Gedan­ken Bewe­gung zu for­mu­lie­ren, eher unglück­li­che Wesen sein wer­den, dar­an soll­te man unbe­dingt den­ken, ehe man sich an die Ver­wirk­li­chung der Vasen­tie­re machen wird. — Das Radio erzählt, hung­ri­ge Men­schen hät­ten im März wil­den Tau­ben nach­ge­stellt, und auch im April noch sei man unter Lebens­ge­fahr auf Tau­ben­jagd gegan­gen. — stop

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kobane calling

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nord­pol : 20.58 — Vor Jah­ren, am 14. Okto­ber 2014, es war spä­ter Abend, über­leg­te ich, ob ich nicht nach einem Tele­fon­buch der Stadt Koba­ne suchen soll­te, irgend­ei­ne Num­mer notie­ren, sie anzu­wäh­len. Um die Stadt wur­de damals erbit­tert gekämpft, Kur­din­nen und Kur­den ver­tei­dig­ten Koba­ne gegen Kämp­fer des Isla­mi­schen Staa­tes. Ich bemerk­te bald, dass im Inter­net kei­ne Tele­fon­bü­cher der Stadt Koba­ne zu fin­den sind, die ich ent­zif­fern könn­te. Neh­men wir ein­mal an, ich wür­de nun heu­te an die­sem Abend, es reg­net, No 45 ist noch immer im Amt, zufäl­lig ein Tele­fon­buch der Stadt Koba­ne ent­de­cken, und ich wür­de nun eine Num­mer wäh­len, wer wür­de sich mel­den? — Das Radio erzählt, die Stadt Mariu­pol sei von Wes­ten her mit dem Tele­fon noch immer nur sehr schwer zu errei­chen. — stop

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flugstunde

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romeo : 2.03 UTC — Fol­gen­des habe ich mir vor­ge­stellt in einem Abend­zug sit­zend von einer Minu­te zur ande­ren, Vögel näm­lich, die über einen som­mer­li­chen Him­mel ras­ten, ein­an­der locken­de, Haken schla­gen­de Künst­ler, man­che flo­gen wei­te Stre­cken auf dem Rücken dicht über den Boden hin. Das war ein Vogel­him­mel wild blü­hen­der Wie­sen, Bie­nen­ge­schos­se, schwe­ben­de Brumm­krei­sel­pil­ze. Unter einem Baum kau­er­ten ein paar Kin­der, die schraub­ten an fau­chen­den Tau­ben­köp­fen her­um, eine Geschich­te feins­ter Werk­zeu­ge, jawohl, eine Geschich­te auch elek­trisch knis­tern­der Pla­ti­nen, die unter jener vor­ge­stell­ten Wie­se ver­bor­gen lagen. Ich ruh­te dann bald selbst auf dem fun­ken­den Boden und mein­te noch das Sin­gen der Kno­chen­sä­gen hin­ter mei­nen Ohren zu hören. Dann auf und davon, senk­recht in Spi­ra­len eines Unge­üb­ten gegen die Wol­ken. — Heu­te, so sehr ich auch mei­ne Ohren bemü­he, ist aus dem Radio nichts zu ver­neh­men. — stop

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linie 16

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india : 4.32 UTC —  Mit der ers­ten Fahrt der Stra­ßen­bahn mor­gens kommt der Tag in die Nacht, Vögel stei­gen aus, hocken sich in Bäu­me und sin­gen, wäh­rend Flie­gen und Fal­ter aus mei­ner Woh­nung flüch­ten, um ein­zu­stei­gen und schnell auf und davon zu fah­ren. Ich soll­te ein­mal mor­gens auf die Stra­ße tre­ten und zur Hal­te­stel­le gehen. Wenn nun die ers­te Fahrt der Linie 16 ein­tref­fen wird, der Fah­rer von Nacht­fal­tern bedeckt, Sit­ze und Lam­pen und auch die Arbei­ter und Arbei­te­rin­nen der Früh­schicht. Dich­te, bit­te­re, stau­bi­ge Luft, ein sono­res Sum­men tau­sen­der Flü­gel. Klei­ne, har­te Käfer­kör­per, Ver­irr­te, stür­men durch den wei­chen, flie­gen­den Fal­ter­wald. Abends kommt man dann wie­der zurück, steigt aus mit der letz­ter Fahrt, hell­graue Geis­ter. Bald Herbst. Das Radio erzählt von Lud­mil­la N., die am 12. März in Mariu­pol vor ihrem Haus am Mee­res­bou­le­vard durch ein Schrapnell getö­tet wor­den sein. Ihr Herz wur­de unmit­tel­bar getrof­fen. — stop