echo : 15.08 UTC — Nach Alkohol bitter duftende Wolke, Erinnerung einer Turnhalle mit hölzernem Boden, vor Kletterseilen Tische, hinter welchen Lehrer hockten. Sie führten Namenslisten, und jene weiteren Personen in weißen Kitteln, die nicht bekannt gewesen waren, bereiteten den Impfstoff vor, der uns, wir waren Kinder, vor Polio schützen sollte, vor der Lähmung unserer Beine, unserer Arme, vor eisernen Lungen und vor den schrecklichen Krücken aus Metall oder Holz. Ich erinnere mich an einen dunkelbraun gefärbten Tropfen, der auf einen Zuckerwürfel fällt. Wir albern herum, eine wogende, kichernde Schlange von Kindern in Sommerkleidchen und Sommerhosen. Sehr ernst der Moment, da sich der Löffel nähert. Zucker. Bitter. Süß. Das Schlucken. Es war kurz vor der Zeit der Kartoffelfeuer. Gestorben ist damals niemand, nicht an Polio. Heut, da ich beginne Phillip Roth Roman Nemesis zu lesen, war dieses seltsames Wort meiner Kindheit wieder gegenwärtig geworden. — stop
Schlagwort: liste
ai : MOSAMBIQUE
MENSCH IN GEFAHR : “Amade Abubacar arbeitet als Journalist beim kommunalen Radiosender Nacedje im Bezirk Macomia in der Provinz Cabo Delgado im Norden von Mosambik. Am 18. Januar ordnete das Bezirksgericht von Macomia eine Verlängerung seiner Untersuchungshaft in der Polizeizentrale von Macomia an. Der zuständige Richter erklärte seine Inhaftierung für rechtmäßig mit der Begründung, Amade Abubacar sei am Tag nach seiner Verbringung in den Polizeigewahrsam dem Gericht vorgeführt worden. Gemäß Paragraf 311 des Strafgesetzbuchs von Mosambik muss jede Person innerhalb von 48 Stunden nach der Inhaftierung vor Gericht erscheinen. Der Richter ließ im Fall von Amade Abubacar unbeachtet, dass dieser bereits am 5. Januar von der Polizei festgenommen worden war. Anschließend hielt das Militär ihn dann zwölf Tage lang ohne Kontakt zur Außenwelt fest, bevor er am 17. Januar wieder an die Polizei übergeben wurde. Mit der anhaltenden Inhaftierung von Amade Abubacar wird gegen sein Recht auf ein faires und ordnungsgemäßes Verfahren verstoßen. / Ein von dem Journalisten eingereichter Antrag auf eine Freilassung unter Auflagen wies der Richter ab. Er begründete dies damit, dass Beweise, die in der polizeilichen Ermittlungsakte enthalten sind, keinerlei Zweifel an seiner Schuld ließen. Der Richter gab weiterhin an, dass Amade Abubacar im Falle einer Freilassung weitere Straftaten begehen könne und somit eine Gefahr für den sozialen Frieden darstellen würde. Die Polizei legte dem Gericht als Beweis gegen Amade Abubacar eine Liste von mutmaßlichen Mitgliedern der islamistischen Terrororganisation Al-Shabaab vor, die der Journalist bei seiner Festnahme bei sich trug. Zudem wies die Polizei darauf hin, dass der Vorgesetzte von Amade Abubacar nichts von den Interviews gewusst habe, die er durchgeführt hatte. / Amade Abubacar drohen konstruierte Anklagen wegen „öffentlicher Aufwiegelung mithilfe von elektronischen Medien“ (Paragraf 322 des Strafgesetzbuchs) und „Verletzung von Staatsgeheimnissen über soziale Medien“ (Paragraf 323 des Strafgesetzbuchs). Amnesty International befürchtet, dass er nur aufgrund seiner Arbeit als Journalist und wegen der Wahrnehmung seines Rechts auf freie Meinungsäußerung unter Anklage steht.” - Hintergrundinformationen sowie empfohlene schriftliche Aktionen bis spätestens zum 7.3.2019 unter > ai : urgent action
academia
india : 5.16 UTC — Wasserbus. Dampfschiffchen. Botello. Vaporetto. Erstaunliche Wörter. — Einmal notierte Roland Barthes: Sprache existiert. Und damit beschäftigen wir Strukturalisten uns, wir denken darüber nach. Die meiste Zeit reden die Menschen, ohne zu wissen, dass die Sprache existiert, wir reden ohne zu wissen, dass wir reden. Wir wissen nur, dass wir Gedanken und Gefühle übermitteln. Aber wir reden, ohne das Geringste über unsere eigenen Worte zu wissen. — Ich höre sehr gerne menschliche Stimmen, deren Sprache ich nicht verstehe, wie Musik. Heute beobachtete ich Zahlzeichen, die Vaporettos stolz an ihrem Bug seitwärts tragen. 264 oder 58 oder 182. — stop
ewig
sierra : 22.12 — Im Haus der alten Menschen beobachtete ich eine 94 jährige Frau, die an einem Tisch saß und notierte. Ich hörte, sie schreibe seit Jahren Tag für Tag, Stunde um Stunde lange Listen in Notizhefte. In diesen Listen, erzählte sie einmal, würde sie vermerken, was noch zu tun sei im Leben. Als ich mich leise näherte, bemerkte ich tiefe Furchen in den Seiten des Heftes, keine Schriftzeichen jedoch, weil sich in der schreibenden Hand der Notierenden, ein Kugelstift befand, der längst leer geschrieben war. — stop
jui patel
echo : 10.12 — Einmal erlebte ich einen älteren Herrn, den ich immer wieder erinnere, beinahe jedes mal, sagen wir, wenn ich bewusst Fliegen beobachte. Dieser Herr nämlich nannte jede der zahlreichen Fliegen, die auf ihm selbst oder in seiner Nähe durch die Luft turnten, beim Namen. Ich hörte eine Weile zu, dann holte ich meinen Schreibblock aus der Tasche und begann die Namen der Fliegen zu notieren. Das waren wunderbare Namen, eine sehr lange Liste, Namen vermutlich, die in genau dem Moment, da sie an eine Fliege gerichtet würden, erfunden worden waren. Ich zitiere: Line Jacobsen . Nameer Burini . Jui Patel . Zollai Janos . Isabell Weber . Yvetta Cemohorsta . Alois Szeg . Bent Lauritzen . Katja Sally Innes . Vili Luksha . Abraham Vele . Magla Sellal . Sabiba Lu. — stop. Nichts weiter. — stop
laufen
delta : 15.12 UTC — Ich mag Menschen, die Verzeichnisse anlegen, die Verzeichnisse beschriften nach geheimen oder nach Regeln, die sofort erkennbar sind. Mein Vater führte Verzeichnisse seiner Wetterbeobachtungen, auch welche Vögel er im Garten beobachtet hatte, wurde akkurat mit Bleistift in Listen eingetragen, Amseln, Meisen, Sperlinge, Zaunkönige und Dompfaffen und Rotkehlchen. Daran erinnerte ich mich gestern als ich einen Film beobachtete, der von den Vogelbeobachterinnen und Vogelbeobachtern des Central Parks erzählt. Eine alte Dame legt dort ähnliche Verzeichnisse an wie mein Vater als er noch lebte. Ich selbst notiere nicht selten, welche Filme ich betrachte während ich auf einer Laufmaschine laufe wenn es regnet oder nicht. Unlängst lief ich mit Kopfhörern, folgte Gene Hackman in den Film French Connection. Zuletzt wurde ich immer schneller in meinen Bewegungen. Anstatt 10 Kilometern, die ich bereits notiert hatte, lief ich 14 Kilometer. Ich radierte im Notizbuch. Es war an einem Samstag gewesen. — stop
ai : GAZA
MENSCHEN IN GEFAHR : “Die israelischen Zivilisten Avera Mangistu und Hisham al-Sayed werden seit zwei Jahren vermisst, nachdem sie – jeweils einzeln – die Grenze zum Gaza-Streifen überquert hatten. Am 7. September 2014 brach der äthiopisch‑stämmige Avera Mangistu von seinem Wohnort Ashkelon im Süden Israels zum Gaza-Streifen auf. Dort überquerte er unbefugt die Grenze, indem er über einen Stacheldrahtzaun in der Nähe der Küste kletterte. Hisham al‑Sayed soll zu Fuß am 20. April in den Gaza-Streifen gelangt sein, nachdem er die Wohnstätte seiner Familie im Beduinendorf al-Sayed in der Negev-Wüste im südlichen Israel verlassen hatte. / Beide Männer leiden unter psychischen Gesundheitsproblemen. Die Familie von Avera Mangistu erzählte Amnesty International, dass er seit dem Tod seines Bruders am 11. November 2012 psychische Probleme habe. Amnesty International hat Dokumente des israelischen Gesundheitsministeriums eingesehen, aus denen hervorgeht, dass Avera Mangistu im Januar 2013 zwei Mal in psychiatrische Kliniken eingeliefert wurde. Dem Arztbericht von Hisham al‑Sayed zufolge wurden bei ihm eine Schizophrenie und eine Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Er ist deswegen in stationärer Behandlung gewesen und benötigt regelmäßig Medikamente. / Amnesty International befürchtet, dass die beiden Männer von den Essedin-el-Kassam-Brigaden, dem militärischen Flügel der Hamas, als Geiseln für einen möglichen Gefangenenaustausch gefangen gehalten werden. Im April 2016 hatte die bewaffnete Gruppierung im Internet ein Video veröffentlicht, das Bilder der beiden Männer in israelischen Militäruniformen zeigte. Der Sprecher der Essedin-el-Kassam-Brigaden teilte mit, dass jegliche Informationen über die Männer ihren Preis hätten. Man werde „ohne Zahlungen und Anspruchszusicherungen vor und nach den Verhandlungen“ keine Informationen preisgeben. Er deutete damit an, dass sie als Geiseln für einen potenziellen Gefangenenaustausch von der Hamas gefangen gehalten werden. Amnesty International hat Dokumente einsehen können, die eine Nichteignung von Avera Mangistu für den Militärdienst feststellen. Wie Human Rights Watch bestätigt hat, wurde auch Hisham al-Sayed für den Militärdienst für untauglich befunden und im November 2008 von der Wehrpflicht befreit. / Die De-facto-Verwaltung der Hamas im Gaza-Streifen hat sich bisher geweigert, Informationen über die beiden Männer bekanntzugeben.” — Hintergrundinformationen sowie empfohlene schriftliche Aktionen, möglichst bis zum 11.9.2017, unter > ai : urgent action
chicago
india : 16.28 UTC — Einmal, ich habe vor zwei Jahren bereits davon erzählt, arbeitete ich im Palmengarten abends bei leichtem Regen auf einer Bank. Neben mir saß ein Mann, der mich nicht sehen, aber hören konnte. Ich bemerkte nicht sofort, dass er blind war, weil ich unter einem Regenschirm saß, auch der Mann hatte einen Regenschirm über sich aufgespannt. Kaum hatte ich Platz genommen, notierte ich zunächst eine Liste von Büchern in mein Notebook, die sich mit der Arbeitswelt der Menschen beschäftigen. Sie schreiben schnell, sagte der Mann plötzlich, sie sind wohl geübt. Sie haben vielleicht etwas im Kopf, das sie los werden wollen. Als ich mich dem Mann zuwendete, bemerkte ich, dass er den Regenschirm in eine langsame Drehung versetzt hatte, sein Gesicht konnte ich nicht erkennen. Wenn das meine Schreibmaschine wäre, könnte ich Ihnen genau sagen, was sie gerade geschrieben haben. Ich kann hören, was meine Schreibmaschine schreibt. Der Mann machte eine kurze Pause. Was haben sie denn aufgeschrieben, wollte er dann wissen. Ich antworte: Einige Namen, Namen, die sie vielleicht schon einmal gelesen haben. Melville. Bukowski. Upton Sinclair. Max von der Grün. – Gelesen nicht, antwortete der Mann, aber gehört habe ich zwei der Namen. Upton Sinclairs Dschungelbuch existiert in englischer Sprache als Hörbuch für Blinde oder für Menschen, die nicht lesen wollen. Ich würde gerne lesen, aber das geht ja nicht so leicht, wenn man nichts sieht. Der Mann lachte. Ich höre dem Regen gern zu, aus meiner Sicht der Dinge ist das so, als würde der Regen schreiben, hören Sie, wie es regnet, wie es schreibt. Ist das nicht wunderbar! – Ich fragte den Mann, ob er denn lesen oder hören könne, was der Regen genau notiere in diesem Augenblick. – Aber natürlich, antwortete der Mann, es ist mit jedem Regen etwas anderes, nicht wahr, der Regen, der auf das Meer fällt, erzählt etwas anderes, als dieser Regen hier, der über einem kleinen See niedergeht. Für einen Moment stand der Regenschirm neben mir ganz still. Ich hörte ein Flüstern: Dieser Regen hier erzählt von Chicago. — stop
von makis
echo : 3.08 UTC — Gestern Abend habe ich versucht, meine Gedanken zu beobachten. Eigentlich wollte ich eine Liste meiner abendlichen Gedanken verfertigen, Gedanken in der Straßenbahn, Gedanken vor einer Supermarktkasse wartend, Gedanken in der Beobachtung eines Fernsehbildschirmes. Ich war sehr müde gewesen, hatte lang gearbeitet, war, sagen wir, langsam mit dem Kopf, deshalb nicht ausreichend schnell, um sagen zu können, das war nun ein Gedanke, der gerade eben abgeschlossen wurde, nun beginnt gerade eine weiterer Gedanke, dieser Gedanke No 18 ( Herzlich Willkommen! ) beschäftigt sich mit der zentralen Frage wovon Koboldmakis sich eigentlich ernähren? Ich habe bemerkt, dass es möglich zu sein scheint, einen Gedanken festzuhalten, um den Gedanken zu vergrößern, ihn also schwerer ( Gravitation ) zu machen, sagen wir, den Gedanken mit Zeiträumen rückwärts ( erinnernd ) oder vorwärts ( spekulierend ) zu versehen. Je länger ich an einem Gedankenknoten festhalte, desto schläfriger werde ich. Ein Gedanke kann sich in ein Bild verwandeln. Wenn ich in Gedanken die Augen eines Koboldmakis zur Aufführung bringe, schlafe ich ein. — stop
ai : RUSSISCHE FÖDERATION
MENSCH IN GEFAHR : “Der Sprecher des tschetschenischen Parlaments hat am 6. Januar seinen Instagram-Account benutzt, um den bekannten Journalisten Grigory Shvedov zu bedrohen. Grigory Shvedov ist der Chefredakteur des Kaukasischen Knotens, einer unabhängigen Website, die über die Lage im Kaukasus berichtet. / Grigory Shvedov ist der Mitbegründer und Chefredakteur der Webseite Kaukasischer Knoten, einer der seriösesten Nachrichtenquellen zur kaukasischen Region. Das Medienunternehmen und dessen Angestellte erhalten regelmäßig Drohungen und werden im Zusammenhang mit ihrer Arbeit schikaniert und tätlich angegriffen, insbesondere weil sie über die Menschenrechtssituation im Nordkaukasus und über Tschetschenien berichten. / Am 6. Januar richtete Magomed Daudov, der Sprecher des tschetschenischen Parlaments und einer der mächtigsten tschetschenischen Beamten, eine kaum kaschierte Drohung gegen Grigory Shvedov. Magomed Daudov veröffentlichte auf seinem Instagram-Konto das Bild eines Hundes mit einem Knoten in der Zunge, das den Untertitel trug: “Kaukasischer Knoten?” In der Bildunterschrift bezeichnete er den Hund als “Shved” und sagt, dass er “statt nützliche Arbeit zu tun, an Kämpfen zwischen Hunden anderer Rassen teilnehme”, und eine “besondere Schwäche für den kaukasischen Schäferhund hat”. Er schlug vor, dass “Shveds” Zunge auf eine normale Größe zurückgeschnitten und seine Zähne gezogen werden sollen. Magomed Daudov ist ein enger Mitarbeiter des Präsidenten von Tschetschenien Ramzan Kadyrov. Der Pressesprecher der tschetschenischen Verwaltung hat abgestritten, dass der Post Drohungen beinhalte. / Journalist_innen, die über die Situation in Tschetschenien berichten, werden häufig bedroht und einige wurden bereits getötet. So wurde Natalya Estemirova, die häufig Beiträge auf der Webseite Kaukasischer Knoten veröffentlichte, im Juli 2009 in Tschetschenien entführt und ermordet. Anna Politkovskaya, die ebenfalls über Tschetschenien berichtete, wurde im Oktober 2006 vor ihrer Moskauer Wohnung erschossen.” — Hintergrundinformationen sowie empfohlene schriftliche Aktionen, möglichst unverzüglich und nicht über den 20. Februar 2017 hinaus, unter > ai : urgent action