echo : 15.15 UTC — Ich hörte, drei Jahre sind vergangen, von der Existenz einer mechanischen Schreibmaschine, die nicht größer sein soll als ein Stück Würfelzucker. Würde man diese sehr kleine Schreibmaschine mit bloßem Auge betrachten, würde man vermutlich sagen, das könnte der Form nach eine Schreibmaschine sein. Sie verfügt über Tasten, wie bei einer gewöhnlichen Schreibmaschine, sowie eine Walze, die Papiere zu transportieren vermag, auch über ein Farbband von Haaresbreite, und über Hämmerchen, an deren Enden Plättchen befestigt sind, auf welchen sich Zeichen befinden, die wir kennen. Wie, fragte ich mich, soll diese Schreibmaschine nur zu bedienen sein, wenn sie doch so klein ist, dass sie von einem menschlichen Finger ganz und gar zerdrückt werden könnte, oder verbogen, so dass sie nie wieder schreiben würde. Und überhaupt, wer hat diese Apparatur aus welchem Grunde in jener seltsamen Größe montiert? Man könnte mit ihrer Hilfe vielleicht in der Art und Weise Jack Kerouacs einen Text verfassen, könnte demzufolge einen sehr langen Text auf eine Luftschlange notieren, wenn man nur in der Lage wäre, die Tasten der Schreibmaschine in äußerst zärtlicher Art und Weise anzuschlagen. Eine Lupe scheint unverzichtbar. Auch dass die Schreibmaschine sicher sein muss, als wäre sie in härtester Nuss geborgen. — stop
Schlagwort: notieren
moskau
echo : 20.08 UTC — Wenn es sich sperrt im Kopf, da muss man gerade erst recht darauf los schreiben. Und wenn da nichts ist im Kopf, das man schreiben könnte. Oder immer dasselbe, was man notieren könnte, dann ist es gut eine Ameise sich auszudenken, einfach notieren, was sie tut, wohin sie läuft, und schon kommt Licht in den Kopf, wie sie über den hölzernen Boden spaziert über ein Blatt Papier auf welchem sich bald Wörter befinden werden, die zum Beispiel von Grönland erzählen oder von Moskau, wie es Vater erlebte. — stop
kolibri m5
india : 0.14 UTC — Es ist tatsächlich 0 Uhr und 14 Minuten, kurz nach Mitternacht. Ich habe lange Zeit gewartet, nämlich von 22 Uhr des vergangenen Tages an bis zu dieser Minute, um folgenden Text zu wiederholen, das heisst, ich werde Zeichen für Zeichen notieren, was ich vor Jahren bereits zur selben Stunde aufgeschrieben habe. Hört Ihr das Geräusch der Tastatur? Es ist kurz nach Mitternacht. Eine Drohne in der Gestalt eines Kolibris stationiert seit wenigen Minuten in einem Abstand von 1.5 Metern vor mir in der Luft. Sie scheint zu beobachten, wie ich gerade über sie notiere. Kurz zuvor war das kleine Wesen in meinem Zimmer herumgeflogen, hatte meinen Kakteentisch untersucht, meine Bücher, das Laternensignallicht, welches ich vom Großvater erbte, auch meine Papiere, Fotografien, Schreibwerkzeuge. Ruckartig verlagerte das Lufttier seine Position von Gegenstand zu Gegenstand. Ich glaube, in den Momenten des Stillstandes wurden Aufnahmen gefertigt, genau in der Art und Weise wie in diesem Moment eine Aufnahme von mir selbst, indem ich auf dem Arbeitssofa sitze und so tue als ginge mich das alles gar nichts an. Von der Drohne, die ich versucht bin, tatsächlich für einen Kolibrivogel zu halten, war zunächst nichts zu hören gewesen, keinerlei Geräusch, aber nun, seit ein oder zwei Minuten, meine ich einen leise pfeifenden Luftzug zu vernehmen, der von den nicht sichtbaren Flügeln des Luftwesens auszugehen scheint. Diese Flügel bewegen sich so schnell, dass sie nur als eine Unschärfe der Luft wahrzunehmen sind. Ein weiteres, ein helles feines Geräusch ist zu hören, ein Wispern. Dieses Wispern scheint von dem Schnabel des Kolibris her zu kommen. Ich habe diesen Schnabel zunächst für eine Attrappe gehalten, jetzt aber halte ich für möglich, dass der Drohnenvogel doch mit diesem Schnabel spricht, also vielleicht mit mir, der ich auf dem Sofa sitze und so tue, als ginge mich das alles gar nichts an. Ich kann natürlich nicht sagen, was er mitteilen möchte. Es ist denkbar, dass vielleicht eine entfernte Stimme aus dem Schnabel zu mir spricht, ja, das ist denkbar. Nun warten wir einmal ab, ob der kleine sprechende Vogel sich mir nähern und vielleicht in eines meiner Ohren sprechen wird. — stop
maschinengespräch
india : 9.56 UTC — Meldung meiner Applikation plötzlich, ich sei 5 Male mit geringem Risiko einem oder mehreren Menschen begegnet, der oder die positiv auf den Sars-CoV‑2 Erreger hin getestet worden sind. Ein Reflex sofort, der Blick zurück, Versuche zu identifizieren, wer mein Kontakt gewesen sein könnte. Ein Radar, das wie von selbst immer wieder einsetzt, auch die Untersuchung der Zeichenkette: Geringes Risiko. Über diese Beobachtung ein Gespräch mit M., der sich überhaupt weigert die Existenz der Sars-CoV-2-Viren anzuerkennen. Hast Du schon eines dieser Viren gesehen?, fragt er, welche Farbe haben sie denn? Seltsame Geschichte. Gestern habe ich darüber nachgedacht, ob es vielleicht möglich sein wird, einen Algorithmus zu notieren, der argumentierend in der Lage wäre, Personen wie M. zu überzeugen, eine jahrelang geduldig zuhörende und ebenso geduldig sprechende Maschine. — stop
chicago
echo : 15.12 UTC — Am Ende jeden Tages eine Aufgabe notieren, die sofort nach Schlafzeit zu tun ist, zum Beispiel: Nathalie Sarrautes Kindheit lesen. Oder: 1 Particles schreiben, welches? Oder eine Romansequenz studieren: Dave Eggers Zeitoun — Ein brütend heißer Tag. Ludwig rief an, ja, der Ludwig, dieser nervöse, freundliche Mann, der seit Jahren von einer kleinen Erbschaft lebt, die ihm seine Mutter hinterließ, etwas Geld also für bescheidenes Leben, sowie ein Kabinett voll grausamer Erinnerungen. Ludwig berichtet, er habe nun 580 Masken der Schutzklasse FFP2 zur Verfügung, ein Vorrat, geliefert von der Post nach und nach, der für viele Jahre ausreichend sein könnte, wenn man bedenkt, dass Ludwig nur ein oder zwei Male in der Woche für kurze Zeit seine Wohnung verlässt. Er trägt sehr schöne Schuhe, ich würde Ludwig sofort anhand seiner Schuhe erkennen. Auch seine Schuhe liefert die Post. Im Grunde, das ist denkbar, wurde Ludwigs Leben durch die Pandemie nur unwesentlich verändert. Das Leben draußen war bereits sehr gefährlich, als das Virus noch nicht existierte, als das Virus nur eine Idee gewesen war. Ludwigs Geld könnte an Wert verlieren, darüber haben wir nicht gesprochen, aber über den Klang der Wassersprachen. — stop
missing flamingos
sierra : 22.58 — Sanfte Frauenstimme spricht: Achtung! Halten Sie 1 Meter 50 Abstand. Meiden Sie Menschenansammlungen! In der Halle indessen kein Mensch zu sehen, kein Koffer, kein Hund, keine Katze, aber Mäuse, ein gutes Dutzend Mäuse, die über den spiegelnden Marmorboden flitzten, als hätten sie Schlittschuhe an ihren Füßen. Ich war die einzige menschliche Person an einem Ort, der vermutlich nie ohne Menschen gewesen ist. Ich erinnere mich, selbst inmitten der Nacht habe ich im Terminal immerzu flüsternde Menschen wahrgenommen, auch Schlafende auf Sitzbänken oder Stühlen der Cafés. Nun war Stille, kein Traum wurde erzählt. Selten einmal das Geräusch sich bewegender Zeichen auf einer Anzeigetafel. Aus Neuseeland kommend sollte Minuten später ein Flugzeug landen, ein Hinweis wie ein letzter Reflex. Jene über den spiegelnden Boden dahin gleitenden Mäuse jedoch, unbeirrt, ob sie sich wunderten über diese eine wartende Person im Saal, die ich selbst gewesen war in einem Moment des Notierens auf meiner flachen Schreibmaschine? Wie ich sie vermisste, Stehschläfer, meine Stehschläfer, welche nicht Vögel sind, Flamingos, sagen wir, nein, Stehschläfer, die Menschen sind, gegenwärtige Personen, die sich, sollten sie einmal zurückkehren, genau so verhalten werden, wie das Wort, das sie bezeichnet: Sie schlafen im Stehen. — stop
abend
ginkgo : 20.18 UTC — Man könnte sich vor eine Schreibmaschine setzen mit etwas Schokolade zur Seite und Wasser und Kaffee für ein oder zwei Tage Zeit, auch eine Ente könnte gegenwärtig sein, die bereits gebraten ist, und Brot und Reis. Weil die ausgedachte Schreibmaschine ohne jedes Papier notieren kann, muss man sich über Papiere keine Gedanken machen. Man beginnt zu schreiben. Man schreibt vielleicht zunächst nur ein Wort: Regen. Man schreibt das Wort Regen, weil in diesem Augenblick, da man zu schreiben beginnt, Regen vor den Fenstern vom Himmel fällt. Mit Regen könnte man beginnen, mit dem Wort Regen. Man schreibt also das Wort Regen, das unverzüglich auf dem Bildschirm erscheint. Es regnet. Ich höre, dass es regnet, das Geräusch des Regens, das mir vertraut ist, ein Geräusch, das ich als Kind bereits hörte, wie in diesem Augenblick. Kann mich nicht erinnern, wann es anfing zu regnen, vielleicht während ich noch überlegte, was ich notieren sollte, ein gütiger Regen, ein Regen, mit dem ich beginnen konnte. Wann lernte ich, was Regen ist? Wann hörte ich zum ersten Mal von dem Wort, das Regen bezeichnet? Was kann ich sagen über das Wort Regen. Wie lange Zeit müsste ich notieren in diesem meinem fortgeschrittenen Alter, um all das aufschreiben zu können, was ich weiß vom Regen? Wie viel Gramm? — Was weiss ich noch? — stop
regen
bamako : 18.55 UTC Morgen oder übermorgen werde ich eine Geschichte erzählen, die mit Jack Kerouac in einer gewissen losen Verbindung stehen wird. Als ich die Geschichte zu notieren begann, erinnerte ich mich an einen Text, den ich vor 11 Jahren an dieser Stelle bereits gesendet hatte. Es war gleichwohl im September gewesen, es regnete damals und ich spazierte unter einem Regenschirm. Zunächst regnete es Regensand, dann Regenreis, dann regnete es kleine Frösche. Für einen kurzen Moment dachte ich, in einem Film angekommen zu sein, der von Louisiana handelte. Das war ein feines Gefühl gewesen unterm klingenden Schirm am Ufer des Mississippi zu stehn und den Fröschen zu lauschen, die auf ihrer letzten Reise vom Himmel erstaunliche, pfeifende Geräusche von sich gaben. Als ich so im Froschregen am großen Fluss stand, erinnerte ich mich wiederum an einen kleinen Text, den ich ein Jahr zuvor bereits geschrieben hatte. Und sofort wusste ich, dass ich diesen Text, sobald ich wieder zu Hause angekommen sein würde, noch einmal lesen sollte. Es ist noch immer, auch heute, 12 Jahre später, ein beruhigender Text, ein Text, der mich berührt. Deshalb will ich diesen kleinen Text, eine Anleitung zum Glücklichsein, noch einmal, zum dritten Mal, für Sie wiederholen: Man verlasse das Haus. Sorgfältig alle Bewegungen des Verkehrs beachtend, gehe man solange durch die Stadt bis man auf eine Buchhandlung trifft. Dort kaufe man Cortazar, Julio – Geschichten der Cronopien und Famen. Dann gehe man spazieren, trage den schmalen Band durch die Straßen, bis man einen Park erreicht, wenn Sommer, oder ein Cafe, wenn Winter ist. Man nehme Platz und lese. Über den Umgang mit Ameisen beispielsweise oder wie wunderbar angenehm es ist, ein Spinnenbein postalisch an einen Außenminister aufzugeben. Oder man lasse sich im Uhrenaufziehen oder im Treppensteigen unterweisen. Jetzt bereits wird man eine leichte Wärme spüren, die aus der Gegend des Bauches nach oben und unten in Arme und Beine auswandert. Also lese man weiter, lausche jenen angenehmen Geräuschen im Kopf, diesem sagen wir: Jedermann wird schon einmal beobachtet haben, dass sich der Boden häufig faltet, dergestalt, dass ein Teil im rechten Winkel zur Bodenebene ansteigt und der darauf folgende Teil sich parallel zu dieser Ebene befindet, um einer neuen Senkrechte Platz zu machen. Oder jenem: Treppen steigt man von vorn, da sie sich von hinten oder von der Seite her als außerordentlich unbequem erweisen. It works. — stop
abend mit fliege no 2
bamako : 22.58 UTC — Denkbar ist, dass ich mir in wenigen Minuten die Gegenwart einer Fliege so sehr wünschen werde, dass mich kurz darauf tatsächlich eine Fliege in der Vorstellung begleiten wird, als wäre sie eine Freundin der Luft, die mir nicht von der Seite weichen möchte. Für Sekunden wird sie wirklich geworden sein. Ich höre sie bereits jetzt, vielleicht weil ich mich, während ich über meinen Fliegenwunsch nachdenke, an Fliegen erinnere, wie sie mir um den Kopf herum brummen oder pfeifen. Kurz darauf, werde ich mich, wie gestern Abend noch geschehen, vor meine Schreibmaschine setzen und eine Geschichte von einer brummenden Fliege schreiben, wie sie mich von einem Zimmer in das Zimmer gehend in Kopfes Höhe fliegend begleitet. In dieser Sekunde, da ich von ihr erzähle mit den Tasten, wird deutlich, dass sie nicht existiert, und doch kann ich sie hören mit dem Kopf, ein Oszillieren zwischen Vorstellung und Wirklichkeit. Jetzt hab ich einen Knoten im Kopf, den 14. Buchstabenknoten seit ich an dieser Stelle notiere. — stop
spur
echo : 0.12 UTC — Plötzlich dachte ich: Von mir sollte etwas Handschriftliches existieren. Ich sollte also mit der Hand schreiben, irgendeine Spur von Hand notieren. Wo fange ich an? — stop