Schlagwort: beobachtung

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odessa

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kili­man­dscha­ro : 22.52 UTC — Vor weni­gen Tagen habe ich eine klei­ne digi­ta­le Maschi­ne gekauft. Die­se Maschi­ne ver­mag die Zeit zu mes­sen, wel­che ich in der einen oder ande­ren Auf­ga­be befind­lich ver­brin­ge. Sie sum­miert sozu­sa­gen Sekun­den, Minu­ten, Stun­den heim­lich für mich, damit ich, sobald Abend gewor­den ist, nach­se­hen kann, wo ich mich über­all wäh­rend des Tages arbei­tend auf­ge­hal­ten habe. Nun ist etwas Selt­sa­mes zu bemer­ken, dass ich näm­lich Auf­ga­ben erfin­de, indem ich ver­trau­te Auf­ga­ben in klei­ne­re Auf­ga­ben­seg­men­te zer­le­ge, sodass sie wie neue Auf­ga­ben vor mei­nen Augen oder den Augen der Maschi­ne erschei­nen. Die Auf­ga­be der Kor­re­spon­denz bei­spiels­wei­se, lässt sich in E‑Mail‑, Papier­brief- und tele­fo­ni­sche Kor­re­spon­denz zer­glie­dern. Ganz neu ist außer­dem, dass ich der Maschi­ne Anwei­sung erteil­te, Lese­zei­ten zu notie­ren, wie lan­ge Zeit ich in den Erzäh­lun­gen John Updi­kes ver­brach­te. Oder der Vor­gang nächt­li­cher Fle­der­maus­be­ob­ach­tung. Auch die Betrach­tung der Maschi­ne selbst wird von der Maschi­ne wahr­ge­nom­men und auf­ge­zeich­net. — Das Radio erzählt von einer jun­gen Frau, die seit heu­te in der früh in der Stadt Odes­sa ohne Arme leben muss, obwohl sie ges­tern noch über zwei Arme ver­füg­te.  — stop

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das bein

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bamako : 6.32 UTC — Ein­mal, das war vor zehn Jah­ren gewe­sen, stürz­te eine Flie­ge aus gro­ßer Höhe vor mir auf den Tisch. Die Vor­stel­lung zunächst, das Tier könn­te, noch im Flug befind­lich, aus dem Leben geschie­den sein, dann aber war Bewe­gung im lie­gen­den Kör­per zu erken­nen, zwei der vor­de­ren Flie­gen­bein­chen beweg­ten sich bebend, bald zuck­ten zwei Flü­gel. Die Flie­ge schien benom­men, jedoch nicht tot gewe­sen zu sein, wes­we­gen sie bald dar­auf erwach­te, eine äußerst schnel­le Bewe­gung und schon hat­te die Flie­ge auf ihren Bei­nen Platz genom­men, das heißt genau­er, auf fünf ihrer sechs Bei­ne Platz genom­men, das lin­ke hin­te­re Bein streck­te die Flie­ge steif von sich. Kei­ne Bewe­gung der Flucht in die­sem Zeit­raum mei­ner Beob­ach­tung. Auch dann, als ich mich mit dem Kopf näher­te, kei­ne Anzei­chen von Beun­ru­hi­gung. Die Flie­ge schien mit sich selbst beschäf­tigt zu sein, tas­te­te mit einem ihrer Hin­ter­bein­chen nach der gestreck­ten Extre­mi­tät, die ver­letzt zu sein schien, gebro­chen viel­leicht oder gestaucht. Natür­lich stell­te sich sofort die Fra­ge, ob es mög­lich ist, das Bein einer Flie­ge medi­zi­nisch erfolg­reich zu ver­sor­gen, Bewe­gungs­still­stand zu errei­chen, sagen wir, um eine Ope­ra­ti­on zum Bei­spiel, die drin­gend gebo­ten sein könn­te, vor­zu­be­rei­ten. Ich mach­te ein paar Noti­zen von eige­ner Hand, ich notier­te in etwa so: For­schen nach Mikro­skop, Pin­zet­ten, Skal­pel­len, ana­to­mi­schen Auf­zeich­nun­gen, Schrau­ben, Nar­ko­ti­ka und Ver­bands­ma­te­ria­li­en für Ope­ra­ti­on an geöff­ne­ter Cal­li­pho­ra vici­na. — stop
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geburtstage

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marim­ba : 0.18 UTC — Vaters und Mut­ters Geburts­ta­ge set­zen sich fort. Todes­ta­ge sind hin­zu­ge­kom­men. Manch­mal fällt Schnee, wenn Geburts­ta­ge wie­der­keh­ren, manch­mal scheint sehr warm die Son­ne, wenn wir Todes­ta­ge erin­nern. Ich tas­te mit klei­nen inne­ren Hän­den nach Gefüh­len zu die­ser Beob­ach­tung. — stop
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von fäden

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lima : 15.05 UTC — Die Welt zer­fällt in Tat­sa­chen, notiert Lud­wig Witt­gen­stein. Eines kann der Fall sein oder nicht der Fall sein und alles übri­ge gleich blei­ben. Eine fei­ne Beob­ach­tung. Ich selbst ent­neh­me der Welt in erzäh­len­der Wei­se Fäden, die ich von allen Sei­ten her betrach­te und prü­fe. Dann webe ich etwas neue Welt, der ich wie­der­um Fäden ent­neh­me, die ich von allen Sei­ten her betrach­te und prü­fe. — stop
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beobachtung

pic

sier­ra : 16.25 UTC — Sams­tag. Leich­ter Regen. Es ist kalt gewor­den. Noch immer, nach jah­re­lan­ger Beob­ach­tung, habe ich kei­ne Ant­wort auf die Fra­ge, wes­halb Kie­men­men­schen, sobald sie schla­fen oder sich küs­sen, Kopf nach unten in ihren Wasser­woh­nungen schwe­ben. – stop
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ai : KASACHSTAN

aihead2

MENSCH IN GEFAHR : “Aigul Ute­po­va ist eine bekann­te Blog­ge­rin und Akti­vis­tin. Sie hat 8.000 Fol­lower auf Face­book und eine gro­ße Fan­ge­mein­de sieht die Bei­trä­ge auf ihrem You­Tube-Kanal. 2015 kan­di­dier­te sie bei den Prä­si­dent­schafts­wah­len, doch zog sie ihre Kan­di­da­tur spä­ter wie­der zurück. Sie wird beschul­digt, eine Anhän­ge­rin der Oppo­si­ti­ons­par­tei Demo­kra­ti­schen Wahl Kasach­stans zu sein. Am 13. März 2018 wur­de die Par­tei will­kür­lich zu einer “extre­mis­ti­schen” Orga­ni­sa­ti­on erklärt, weil sie “zur natio­na­len Zwie­tracht auf­sta­chel­te”. Grund­la­ge für die­se Ein­ord­nung sind die vage for­mu­lier­ten Anti-Extre­mis­mus-Geset­ze in Kasach­stan. / Nach der Zwangs­ein­wei­sung von Aigul Ute­po­va in die Psych­ia­trie fürch­tet ihr Rechts­bei­stand, dass eine will­kür­li­che psych­ia­tri­sche Dia­gno­se zum Vor­wand genom­men wird, um sie zwangs­wei­se “behan­deln” und lan­ge in der Anstalt fest­hal­ten zu kön­nen. Bei einem Ver­such, Aigul Ute­po­va am 23. Novem­ber zu besu­chen, wur­de dem Rechts­bei­stand und einer Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen mit­ge­teilt, dass die Jor­u­na­lis­tin kei­nen Kon­takt zur Außen­welt haben dür­fe. / Dass Per­so­nen, die die Regie­rung kri­ti­sie­ren oder sich gegen bestimm­te Inter­es­sen­grup­pen stel­len, zwangs­wei­se unter psych­ia­tri­sche Beob­ach­tung gestellt wer­den, ist in Kasach­stan nicht unge­wöhn­lich. 2019 ent­schied der UN-Men­schen­rechts­aus­schuss, dass Zina­idi Muk­hor­to­va will­kür­li­cher Inhaf­tie­rung, Fol­ter und ande­rer Miss­hand­lung aus­ge­setzt war. Die Anwäl­tin war fünf Mal gegen ihren Wil­len in eine psych­ia­tri­sche Ein­rich­tung ein­ge­wie­sen und dort “behan­delt” wor­den. / Aigul Ute­po­va hät­te nie­mals straf­recht­lich ver­folgt und unter Haus­ar­rest gestellt wer­den dür­fen. Die­se Maß­nah­me ver­stößt gegen kasa­chi­sches Recht, das Haus­ar­rest nur in Fäl­len vor­sieht, bei denen die Höchst­stra­fe fünf Jah­re oder mehr beträgt. Außer­dem muss sach­lich begrün­det wer­den, wes­halb weni­ger restrik­ti­ve Maß­nah­men nicht ange­wen­det wer­den kön­nen. Die Ver­fol­gung und der Haus­ar­rest von Aigul Ute­po­va sind als Ver­gel­tungs­maß­nah­men für ihre unver­blüm­te Kri­tik an der Regie­rung ein­zu­ord­nen.”- Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen sowie emp­foh­le­ne schrift­li­che Aktio­nen bis spä­tes­tens zum 18.1.2021 unter > ai : urgent action

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maschinengespräch

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india : 9.56 UTC — Mel­dung mei­ner Appli­ka­ti­on plötz­lich, ich sei 5 Male mit gerin­gem Risi­ko einem oder meh­re­ren Men­schen begeg­net, der oder die posi­tiv auf den Sars-CoV‑2 Erre­ger hin getes­tet wor­den sind. Ein Reflex sofort, der Blick zurück, Ver­su­che zu iden­ti­fi­zie­ren, wer mein Kon­takt gewe­sen sein könn­te. Ein Radar, das wie von selbst immer wie­der ein­setzt, auch die Unter­su­chung der Zei­chen­ket­te: Gerin­ges Risi­ko. Über die­se Beob­ach­tung ein Gespräch mit M., der sich über­haupt wei­gert die Exis­tenz der Sars-CoV-2-Viren anzu­er­ken­nen. Hast Du schon eines die­ser Viren gese­hen?, fragt er, wel­che Far­be haben sie denn? Selt­sa­me Geschich­te. Ges­tern habe ich dar­über nach­ge­dacht, ob es viel­leicht mög­lich sein wird, einen Algo­rith­mus zu notie­ren, der argu­men­tie­rend in der Lage wäre, Per­so­nen wie M. zu über­zeu­gen, eine jah­re­lang gedul­dig zuhö­ren­de und eben­so gedul­dig spre­chen­de Maschi­ne. — stop
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hinter glas

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tan­go : 17.38 UTC — Wäh­rend eines Besu­ches in einem Aqua­ri­um begeg­ne­te ich vor Jah­ren ein­mal einem Fet­zen­fisch. Die­se Begeg­nung war viel­leicht der ers­ten Begeg­nung eines Kin­des mit einer Weih­nachts­ku­gel ver­gleich­bar. Ich konn­te mei­nen Blick nicht von dem fili­gra­nen Wesen wen­den, das hin­ter etwas Glas vor mir laut­los im Was­ser schweb­te. Ich war ganz sicher nicht der ers­te Mensch gewe­sen, den die­ses fei­ne Wesen im Aqua­ri­um wahr­ge­nom­men haben könn­te, hun­dert­tau­sen­de Augen­paa­re, Nasen, Fin­ger, Men­schen eben da draus­sen hin­ter den Schei­ben, unge­fähr­lich, manch­mal klei­ne Men­schen, die auf den Armen oder Schul­tern der gro­ßen Men­schen hock­ten. Vor eini­gen Mona­ten nun bemerk­te ich in einem Film­do­ku­ment eine Meer­wal­nuss, wun­der­ba­re Bezeich­nung, ihr Leuch­ten, und wie­der konn­te ich mich nicht abwen­den, habe meh­re­re Stun­den über Meer­wal­nüs­se geforscht in der digi­ta­len Sphä­re. Die Schei­be des Aqua­ri­ums war nun ein Bild­schirm, Blick nur in eine Rich­tung, kei­ne Begeg­nung, viel­mehr eine Beob­ach­tung. Ich wer­de bald ein­mal den Ver­such unter­neh­men, Meer­wal­nüs­se tat­säch­lich leib­haf­tig zu besu­chen wo sie leben. — stop
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vom radieren

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romeo : 22.41 UTC — Zur Gat­tung der Radier­kä­fer ist Fol­gen­des zu sagen: Sie wur­de unlängst an einem Sonn­tag auf Posi­ti­on 50°06’54.7“N 8°38’47.5“E in 160 Meter Höhe gegen 20 Uhr und 12 Minu­ten ent­deckt. Es han­delt sich um Lebe­we­sen, die ihrer Erschei­nung nach Klopf- oder Nage­kä­fern ( Ptin­i­dae) ähn­lich sind, von dun­kel­ro­ter Kör­per­far­be und blau­em Augen­licht. Radier­kä­fer tra­gen ihre Namen des­halb, weil sie sehr ger­ne radie­ren. Sobald man näm­lich ein Blatt Papier vor einen Radier­kä­fer hin oder in sei­ner Nähe ablegt, wird sich der Käfer dar­auf zube­we­gen, um sofort damit zu begin­nen, Schrift oder ande­re Zei­chen, gleich ob sie nun mit Blei­stift oder Tin­te auf­ge­tra­gen wur­den, zu ver­til­gen, indem das Mate­ri­al ras­pelnd von der Ober­flä­che der Papie­re abge­tra­gen wird. Indes­sen schei­nen sich Käfer­we­sen jener Gat­tung tat­säch­lich aus­schliess­lich an Zei­chen­ma­te­ria­li­en zu ori­en­tie­ren, an Auf­trag oder Ein­trag, unbe­schrif­te­te Papie­re wer­den zwar unter­sucht, aber nicht wei­ter in die Tie­fe gehend behan­delt. Ein oder zwei­mal täg­lich hin­ter­lässt der Käfer sehr klei­ne, zylin­der­för­mi­ge Kör­per, die sehr dicht zu sein schei­nen. Wei­te­re Beob­ach­tungs­zeit wur­de avi­siert. — stop

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