Aus der Wörtersammlung: frau

///

psyop

in louisiana

kili­man­dscha­ro : 22.52 UTC – Ich habe heu­te ein beson­de­res Wort ent­deckt. Das Wort lau­tet Psyop. Ich dach­te, als ich das Wort las, das ist unheim­lich, ein unheim­li­ches Wort. Ich habe, um Bekannt­schaft zu schlie­ßen, das Wort zunächst laut aus­ge­spro­chen, dann notiert: Das Wort Psyop wur­de von einer X‑Person buch­sta­biert, die die Ent­hül­lung eines Deep Sta­te in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten von Ame­ri­ka for­dert. Man for­der­te gleich­wohl, kei­ne drei Minu­ten waren an Ort und Stel­le ver­gan­gen, ame­ri­ka­ni­sche Staatsbürger/innen soma­li­schen Ursprungs, des Lan­des zu ver­wei­sen, das heißt zu depor­tie­ren. Eine Foto­gra­fie wur­de zur Unter­stüt­zung gesen­det, die Foto­gra­fie einer jun­gen Frau, einer Frau von schwar­zer Haut­far­be, das ist wich­tig, sie per­sön­lich also soll inhaf­tiert und depor­tiert wer­den. Die Frau, die die Foto­gra­fie zeigt, lacht. Sie wuss­te zum Zeit­punkt der Auf­nah­me nicht, was auf ihre Foto­gra­fie und sie selbst zukom­men wird. Ich stel­le fest: 45000 Augen­paa­re haben zum Zeit­punkt mei­ner Beob­ach­tung die­sen Text mit Bild wahr­ge­nom­men, 2270 mensch­li­che Wesen haben Zustim­mung durch Herz­stem­pel erteilt. Ich frag­te ChatGPT nach einer Umschrei­bung des Wor­tes Psyop. Bot ant­wor­tet Fol­gen­des: Psyop ist eine Abkür­zung für „psy­cho­lo­gi­sche Ope­ra­ti­on“ (auf Eng­lisch: psy­cho­lo­gi­cal ope­ra­ti­on). Der Begriff stammt aus dem mili­tä­ri­schen und geheim­dienst­li­chen Bereich und bezieht sich auf Maß­nah­men, die dar­auf abzie­len, die Wahr­neh­mun­gen, Ein­stel­lun­gen und das Ver­hal­ten von Men­schen oder Grup­pen zu beein­flus­sen. Ziel ist es, psy­cho­lo­gi­schen Ein­fluss aus­zu­üben, der oft poli­ti­scher, mili­tä­ri­scher oder sozia­ler Natur ist, um bestimm­te Reak­tio­nen oder Hand­lun­gen zu för­dern. — stop

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Vater foto­gra­fier­te
1971 die
Stadt
New York.
Es war kalt.
Ein Jahr vor
Watergate.

 

///

in louisiana

in louisiana

ulys­ses : 22.22 UTC — In Loui­sia­na, dort, wo Moo­se, wie Bär­te grü­nen Was­sers, von den Ästen der Bäu­me hän­gen, sit­zen elf älte­re Frau­en um einen Tisch her­um. Sie lachen, sie schrei­ben, sie trin­ken Sekt und ande­re Din­ge.  Von die­sen fröh­li­chen Frau­en, die ich ger­ne dank­bar umar­men wür­de, erzähl­te das Radio am gest­ri­gen Abend, wie sie fröh­lich Post­kar­ten von Hand beschrif­ten. Eini­ge Hun­der­te Schrift­stü­cke gemein­sam. Eine Ver­schwö­rung. Der inne­re Feind („The ene­my from within“. Donald J. T.) in Loui­sia­na am hell­lich­ten Tag. Schrift­zei­chen, mit Füll­fe­der­hal­tern aufs Papier gesetzt, Tin­te, nicht Dru­cker­far­be, jede Post­kar­te ein Doku­ment von Mensch zu Mensch: »Vote!“. Die­se wun­der­ba­ren Bot­schaf­ten wer­den nun also bald nach Nor­den, nach Michi­gan, rei­sen. Davon erzähl­te das Radio ges­tern am Abend, es war noch frü­her Nach­mit­tag in Loui­sia­na, dort, wo Moo­se, wie Bär­te grü­nen Was­sers, von den Ästen der Bäu­me hän­gen. — stop

///

murmansk

9

del­ta : 0.28 UTC — Regen fällt. Nach Mit­ter­nacht sind Sire­nen zu hören im Zim­mer 305 eines Hotels an der Rue de Javel im 15. Arron­dis­se­ment der Stadt Paris. Eine Frau, sie viel­leicht 60 Jah­re alt, sitzt auf dem Sofa, Blick zum Fens­ter. Sie hört die­sem gnä­di­gen Regen zu und jenem Sire­nen­ton, den ihr Tele­fon spielt, ein Ton, den sie so gut kennt. Sie schließt das Fens­ter, geht ein oder zwei Schrit­te vor dem Bett auf und ab. Der höl­zer­ne Boden knarzt. Sie nimmt ihr Hand­te­le­fon vom Tisch, wählt und spricht sofort los: Hier ist Mama! Seid ihr schon im Flur? Sind alle da, habt ihr Strom? Was­ser? Und die Kat­zen? — Die Frau spricht mit ruhi­ger, fes­ter Stim­me, als wür­de sie eine Lis­te ver­le­sen. Auf jede der Fra­gen ant­wor­tet ihre Toch­ter mit eben­so ruhi­ger Stim­me: Ja, alle sind da. Anna ist da. Artem ist da. Vik­to­ri­ja ist da. Alle sind im Flur, ja, die Türen sind geschlos­sen, ja, wir haben zwei Power­banks, Was­ser, Licht. Lie­be Mut­ter, sagt die Toch­ter, wenn das Tele­fon aus­fällt, reg Dich nicht auf, ich ruf Dich wie­der an. — Am Nach­mit­tag bereits waren stra­te­gi­sche Bom­ber in der Fer­ne gestar­tet, tief im rus­si­schen Hin­ter­land, von Mur­mansk aus, um die Men­schen der Stadt Kyjiw zu bom­bar­die­ren. In die­ser Stun­de, es reg­net in Paris, sind ihre Geschos­se ange­kom­men, schritt­wei­se in Wel­len. Eine lan­ge, sor­gen­vol­le Nacht. Die Mut­ter, die in Paris auf ihrem Bett sitzt, wird ihr Tele­fon nicht aus der Hand legen. Viel­leicht wird sie gegen den Mor­gen zu ein­ge­schla­fen sein von der Müdig­keit der Jah­re. Es reg­net, die Vögel wer­den nass. Noch immer ist kurz nach Mit­ter­nacht. — stop

///

von der vernunft : eine bestandsaufnahme

9

lima : 16.28 UTC — viel­leicht ist er im Wald spa­zie­rend gestol­pert. Eine Wur­zel, sagen wir, sei­ne eige­nen Füße, eine Libel­le? In die­sem Augen­blick leich­ten Schre­ckens hat­te er sich viel­leicht an mich erin­nert, jener gemüt­li­che Herr, mit dem ich vor der Zeit der Pan­de­mie bekannt gewe­sen war. Er wünscht jetzt wie­der, oder wei­ter­hin, mit mir in der digi­ta­len Sphä­re befreun­det zu sein, sen­det eine Anfra­ge, die mich zur per­sön­li­chen Time­line führt. Selt­sa­me Bot­schaf­ten dort wie fol­gen­de in Form gepresst: Ein Tag im August des Jah­res 1975 soll bereits so heiß gewe­sen sein wie der August in die­sem gegen­wär­ti­gen Som­mer. Die Löschung von Bei­trä­gen im Inter­net sei die moder­ne Metho­de der Bücher­ver­bren­nung. Bür­ger­geld für geflüch­te­te Men­schen über­tref­fe um ein Viel­fa­ches das Ein­kom­men arbei­ten­der nicht geflüch­te­ter Men­schen. Er notiert wei­ter­hin, dass er sein Land zurück­ha­ben wol­le. Er sei gegen jede Art des Krie­ges, er sei wirk­li­cher Frie­dens­stif­ter, einer, der sich Erich Maria Remar­ques Merk­satz „Ich dach­te immer, jeder Mensch sei gegen den Krieg, bis ich her­aus­fand, dass es wel­che gibt, die dafür sind, beson­ders die, die nicht hin­ge­hen müs­sen“ zu eigen mach­te. Er wünscht die Zeit­um­stel­lung abzu­schaf­fen und ist der fes­ten Über­zeu­gung, dass Alex Sor­os Kama­la Har­ris unter­stüt­ze, wes­we­gen Kama­la Har­ris 25 Mil­li­ar­den Dol­lar besit­zen wür­de. Er liebt Bur­gen und Schlös­ser sowie nicht ver­hüll­te Frau­en. 92000 Ara­ber leb­ten in Dort­mund, er hat sie gezählt. Er ist bei guter Gesund­heit, mein Freund, der selt­sam gewor­de­ne Mann zitiert Scho­pen­hau­er: Natür­li­cher Ver­stand kön­ne fast jeden Grad von Bil­dung erset­zen, aber kei­ne Bil­dung den natür­li­chen Ver­stand. stop – Die Beob­ach­tung eines Gewe­bes, eines Tep­pichs, eines Man­tels. Oder eines Unter­hol­zes, eines Dickichts. — stop

///

lockerbie

9

echo : 22.57 UTC — Eine Frau erzähl­te auf dem Bild­schirm mei­nes Fern­seh­ge­rä­tes, ihr Mann sei über Schott­land in gro­ßer Höhe von einer Bom­be getö­tet wor­den. Sie habe den Kof­fer ihres Man­nes erhal­ten, in dem sich sei­ne sau­be­re Klei­dung befand. Er sei nie mit sau­be­rer Klei­dung von einer Geschäfts­rei­se zurück­ge­kehrt. Sei­ne Klei­dung, erfuhr sie, wur­de von Frau­en der klei­nen Städt­chen nahe Locker­bie gewa­schen und gefal­tet und gebü­gelt. Eine die­ser fal­ten­den Frau­en erzähl­te wie­der­um, ihre Arbeit sei bis­wei­len merk­wür­dig gewe­sen. Sie sei­en 20 bis 30 Leu­te gewe­sen. Das rühr­te ans Herz. Vie­le in die Tie­fe gestürz­te Ted­dy­bä­ren. Da war das rote Kleid eines 2‑dreijährigen Kin­des. Manch­mal sei sie nach Hau­se gekom­men und habe geweint. — stop

///

von feuervögeln

9

hima­la­ya : 20.18 UTC — Und wenn doch Mobil­te­le­fo­ne mit­tels Nach­rich­ten von fern her ent­zün­det wer­den könn­ten? — Ich sit­ze neben einem Mann in irgend­ei­nem Zug. Es ist Abend. Der Mann blickt auf den Bild­schirm sei­nes Mobil­te­le­fons. Sein Dau­men för­dert Bil­der von unten nach oben hin in rasen­der Geschwin­dig­keit. Ich betrach­te sei­nen Kopf. Und plötz­lich den­ke ich: Was denkt die­ser Kopf? Kann die­ser Kopf so schnell den­ken, wie sich die Bil­der unter der Bewe­gung sei­nes Dau­mens bewe­gen? Viel­leicht kennt die­ser Mann all jene Bil­der, die­ser för­dert bereits. Viel­leicht will er ver­tie­fen, was er denkt. Immer wie­der der Ein­druck, ein klei­ner Vogel, der pfeift von Zeit zu Zeit, lie­ge rück­lings in sei­ner Hand. Sofort wird aus der Bewe­gung eines Dau­mens, zärt­li­che Bewe­gung. — stop

///

vom schneetelefon

9

bamako : 20.12 UTC — Schnee­blind gewor­den. Schnee­blin­de 24 Jah­re alte Oksa­na, uralt und blind von Eis, vom Licht der Son­ne, vom Sehen selbst bewirkt. Ein Mobil­te­le­fon, Сніговий телефон, das die jun­ge Frau in Hän­den hält. Dort Schnee­flim­mer­licht. Sie fuhr eine hal­be Stun­den­zeit mit ihrem Tele­fon in der Stra­ßen­bahn, eine hal­be Stun­de lang ist sie halb träu­mend unter­wegs gewe­sen, irgend­wo­hin, starr­te auf den Bild­schirm in ihrer Hand, such­te Fil­me, die von Toten im Osten erzäh­len, erschos­sen, von Split­tern getrof­fen, Erfro­re­ne. Jetzt sitzt sie auf der Bank einer Hal­te­stel­le, es geht nicht wei­ter, es ist Janu­ar, Schnee fällt lei­se auf und abwärts. Die jun­ge Frau lächelt, wärmt Hän­de und Augen an der Stil­le. — stop

///

von handvögeln

2

romeo : 14.25 UTC — Die New York Times berich­te­te nach mona­te­lan­gen Recher­chen über Ver­bre­chen rus­si­scher Streit­kräf­te in der Stadt Bucha. Über­all dort in den Stra­ßen, so wur­de bald sicht­bar, waren Vögel unter­wegs gewe­sen. Sie flo­gen in Schwär­men über die Stadt, sie hock­ten hin­ter Vor­hän­gen und in den Man­tel­ta­schen der Spa­zier­gän­ger, auch in den Hän­den der Getö­te­ten. Sie sam­mel­ten das Licht, das durch ihre Augen fiel, auf Spei­cher­kar­ten. Sie ver­zeich­ne­ten, was die Mör­der ihren Frau­en erzähl­ten. — stop

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Schreib­zim­mer
Mittags
15 Uhr

 

 

///

stehschläfer : sars cov 2

2

ulys­ses : 12.58 UTC ‑Sanf­te Frau­en­stim­me spricht: Ach­tung! Hal­ten Sie 1 Meter 50 Abstand. Mei­den Sie Men­schen­an­samm­lun­gen! In der Hal­le, indes­sen kein Mensch zu sehen, kein Kof­fer, kein Hund, kei­ne Kat­ze, aber Mäu­se, ein gutes Dut­zend Mäu­se, die über den spie­geln­den Mar­mor­bo­den flitz­ten, als wären da Schlitt­schu­he an ihren Füßen. Ich war die ein­zi­ge mensch­li­che Per­son an einem Ort, der ver­mut­lich nie ohne Men­schen gewe­sen ist. Ich erin­ne­re mich, selbst inmit­ten der Nacht habe ich im Ter­mi­nal des Flug­ha­fens immer­zu flüs­tern­de Men­schen wahr­ge­nom­men, auch Schla­fen­de auf Sitz­bän­ken oder Stüh­len der Cafés. Nun Stil­le, kein Traum erzählt. Sel­ten ein­mal das Geräusch sich bewe­gen­der Zei­chen auf einer Anzei­ge­ta­fel. Aus Neu­see­land kom­mend soll­te Minu­ten spä­ter ein Flug­zeug lan­den, ein Hin­weis wie ein letz­ter Reflex. Jene über den spie­geln­den Boden dahin­glei­ten­den Mäu­se jedoch, unbe­irrt, ob sie sich wun­der­ten über die­se eine war­ten­de Per­son im Saal, die ich selbst gewe­sen war in einem Moment des Notie­rens auf mei­ner fla­chen Schreib­ma­schi­ne? Wie ich sie ver­miss­te, Steh­schlä­fer, mei­ne Steh­schlä­fer, wel­che nicht Vögel sind, Fla­min­gos, sagen wir, nein, Steh­schlä­fer, die Men­schen sind, gegen­wär­ti­ge Per­so­nen, die sich, soll­ten sie ein­mal zurück­keh­ren, genau so ver­hal­ten wer­den, wie das Wort, das sie bezeich­net: Sie schla­fen im Ste­hen. — stop

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Paris
im Sommer
kurz nach
Sars-Cov‑2

///

geräusche des krieges

9

sier­ra : 2.38 UTC — Immer wie­der ein­mal begeg­ne ich im Nacht­zug einem Mann, der singt. Der Mann singt sehr lei­se, kaum jemand scheint sich von sei­nem Sin­gen gestört zu füh­len. Wäh­rend er singt, sind sei­ne Augen weit geöff­net, er blickt ins Lee­re, sein Mund ist geschlos­sen, Töne, die wir ver­neh­men, kom­men aus sei­nem Hals her­aus, der bebt, wenn er singt. Nur sel­ten habe ich mit dem Mann gespro­chen, man kennt sich, man fährt in der Nacht im sel­ben Zug in der­sel­ben Rich­tung, es ist müh­sam, mit ihm zu spre­chen, weil er stot­tert. Ich darf ihn nicht anse­hen, wenn ich ihn nicht anse­he, kom­men manch­mal gan­ze Sät­ze aus sei­nem Mund. Ich weiß jetzt, dass der Mann in der per­si­schen Stadt Isfa­han gebo­ren wur­de, Archi­tek­tur stu­dier­te, gegen ira­ki­sche Män­ner kämpf­te, die jung waren wie er selbst, und dass er nur durch einen Zufall über­leb­te. Er konn­te flie­hen. Er floh zu Fuß in die Tür­kei, eine lebens­ge­fähr­li­che Rei­se, Sahin, sei­ne Frau, wur­de von irgend­je­man­dem ange­schos­sen, er trug sie kilo­me­ter­weit durchs Gebir­ge, nahe der Gren­ze begeg­ne­ten sie einem Esel, dem ein Bein fehl­te. Sie schlie­fen unter einem Baum ohne Blät­ter, in der Nacht schlepp­ten sie sich wei­ter, der Mond war heiß wie die Son­ne und auf den Wegen hock­ten Schild­krö­ten mit blau schim­mern­den Augen. Manch­mal kom­men die Geräu­sche vom Krieg, sie kom­men, wann sie wol­len, dann singt der Mann. – stop



ping

ping