Aus der Wörtersammlung: hotel

///

von hinten oder von der Seite her

9

echo : 8.12 UTC- Ich dach­te wie­der ein­mal dar­an, dass ich den Faden einer Geschich­te mit Möwe, die mich auf einem Fähr­schiff besuch­te, ver­mut­lich so nie wie­der erle­ben wer­de. Trotz­dem beach­te­te ich in den dar­auf fol­gen­den Tagen die Erschei­nun­gen der Möwen, wel­che auf dem Dach des alten Hau­ses saßen. Etwas war anders gewor­den. Ich hat­te bemerkt, dass es sich bei dem alten Haus um ein Hotel han­del­te. Ich kann­te nun den Namen des Hotels, obwohl ich nie dort gewe­sen war, ich hat­te das Gebäu­de in der digi­ta­len Sphä­re iden­ti­fi­ziert. Tage ver­ge­hen. Plötz­lich sit­ze ich in einem Zug. Es ist spät, dun­kel drau­ßen, Men­schen in mei­ner Nähe schla­fen, von Zeit zu Zeit tau­chen Lich­ter einer Stadt oder eines Dor­fes aus der Licht­lo­sig­keit. Ich beob­ach­te einen Film auf dem Bild­schirm mei­ner Schreib­ma­schi­ne. Es geht schön laut zu in dem Film, ich tra­ge Kopf­hö­rer, und ich den­ke, wenn ich nun in ein Atten­tat gera­ten wür­de, ich wür­de mög­li­cher­wei­se das Atten­tat nicht bemer­ken, solan­ge nicht bemer­ken, bis mir jemand von hin­ten oder von der Sei­te her in den Kopf schießt, auch das wür­de ich even­tu­ell nicht bemer­ken. — Das Radio erzählt, in der Stadt Mariu­pol wür­de man im März des Jah­res 2022 Scharf­schüt­zen ent­deckt haben, die auf Haus­dä­chern lagen und auf Möwen und Men­schen schos­sen. — stop

///

kapriole

9

tan­go : 6.15 UTC — Ein­mal erwach­te ich, weil ich Schrit­te hör­te, tan­zen­de Füße in Tanz­schu­hen auf Par­kett. Unmög­lich, dach­te ich, so etwas geht doch nicht. Ich mach­te Licht und hüpf­te aus dem Bett. Wie ich so im geräu­mi­gen Hotel­zim­mer stand, bemerk­te ich, die Geräu­sche der Schu­he kamen nicht von oben, son­dern von unten her, wes­halb ich eine Trep­pe abwärts vor ver­däch­ti­ger Türe ener­gisch klopf­te, wes­halb mir geöff­net wur­de, wes­halb ich unver­züg­lich in ein höchst selt­sa­mes Zim­mer trat. Tisch und Stüh­le und Bett und wei­te­re kom­mo­de Din­ge befan­den sich dort an der Decke. Ein Mann, sehr fein geklei­det, ein Tän­zer im dunk­len Anzug grüss­te kopf­über zu mir her­un­ter. Er sag­te, ange­neh­me Stim­me: “Guten Mor­gen, mein Herr! Sie sind wohl Einer, der an der Decke zu gehen ver­mag.” — Das Radio erzählt, ein klei­ner Jun­ge in der Stadt Mariu­pol habe mit eige­nen Augen gese­hen wie eine ihm bekann­te alte Dame in einem Hin­ter­hof von einem Schrapnell in den Bauch getrof­fen wur­de. Er habe, erzählt der klei­ne Jun­ge, sei­ne Hän­de vor sei­ne Augen gehal­ten, es war aber zu spät gewe­sen. — stop

///

bristolhotel

9

alpha : 2.26 UTC — Fol­gen­de Per­son, ein Mann, könn­te rei­ne Erfin­dung sein. Der Mann war mir wäh­rend eines Spa­zier­gan­ges auf­ge­fal­len, dass heißt, ich hat­te einen Ein­fall oder eine Idee, oder ich mach­te viel­leicht eine Ent­de­ckung. Ich könn­te von die­ser Per­son, die sich nicht weh­ren kann, behaup­ten, dass sie nicht ganz bei Ver­stand sein wird, weil sie seit lan­ger Zeit in einem Hotel­zim­mer lebt, wel­ches sie nie­mals ver­lässt. Das Hotel, in dem sich die­ses Zim­mer befin­det, erreicht man vom Flug­ha­fen der nor­we­gi­schen Stadt Ber­gen aus in 25 Minu­ten, sofern man sich ein Taxi leis­ten kann. Es ist das Bris­tol, unweit des Natio­nal­thea­ters gele­gen, dort, im drit­ten Stock, ein klei­nes Zim­mer, der Boden hell, sodass man mei­nen möch­te, man spa­zier­te auf Wal­kno­chen her­um. Nun aber zu dem Mann, von dem ich eigent­lich erzäh­len will. Es han­delt sich um einen wohl­ha­ben­den Mann im Alter von fünf­zig Jah­ren. Er ist 176 cm groß, gepflegt, kaum Haa­re auf dem Kopf, wiegt 73 Kilo­gramm, und trägt eine Bril­le. Sie­ben wei­ße Hem­den gehö­ren zu ihm, Strümp­fe, Unter­wä­sche, dun­kel­brau­ne Schu­he mit wei­chen Soh­len, ein hell­grau­er Anzug und ein Kof­fer, der unter dem Bett ver­wahrt wird. Auf einem Tisch nahe eines Fens­ters, zwei Hand­com­pu­ter. In den Anschluss des einen Com­pu­ters wur­de ein USB-Spei­cher­me­di­um ein­ge­führt. Auf dem Bild­schirm sind Ver­zeich­nis­se und Datei­na­men zu erken­nen, die sich auf jenem Spei­cher­me­di­um befin­den. Auf dem Bild­schirm des zwei­ten Com­pu­ters ein ähn­li­ches Bild, Ver­zeich­nis­se, Datei­na­men, Zeit­an­ga­ben, Grö­ßen­ord­nun­gen. Was wir sehen, sind Com­pu­ter des Man­nes, der Mann arbei­tet in Ber­gen im Bris­tol im Zim­mer auf dem Kno­chen­bo­den. Er sitzt vor den Bild­schir­men und öff­net Datei­en, um sie zu ver­glei­chen, Tex­te im Block­satz. Zei­le um Zei­le wan­dert der Mann mit Hil­fe einer Blei­stift­spit­ze durch das Gebiet der Wor­te, die ich nicht lesen kann, weil sie in einer Spra­che notiert wur­den, die mir unbe­kannt. Es scheint eine ver­schlüs­sel­te Spra­che zu sein, wes­halb der Mann dazu gezwun­gen ist, jedes Zei­chen für sich zu über­prü­fen. Fünf Stun­den Arbeit am Vor­mit­tag, fünf Stun­den Arbeit am Nach­mit­tag, und wei­te­re fünf Stun­den am Abend bis in die Nacht. Der Mann trinkt Tafel­was­ser, raucht nicht, und isst gern Fisch, Dorsch, See­teu­fel, Stein­butt. 277275 Datei­en sind zu über­prü­fen, 12.532.365 Sei­ten. Er scheint noch nicht sehr weit gekom­men zu sein. Die Vor­hän­ge der Fens­ter sind zuge­zo­gen, es ist ohne­hin gera­de eine Zeit ohne Licht. Ein Mäd­chen, das ihm manch­mal sei­nen Fisch ser­viert, macht ihm schö­ne Augen. Mor­gens sind die Hör­ner der Schif­fe zu ver­neh­men, die den Hafen der Stadt ver­las­sen. Das war am 1. Dezem­ber 2013 gewe­sen. — Im Radio wird von einer Frau erzählt, die seit dem 28. Febru­ar die­sen Jah­res täg­lich von Lis­sa­bon aus mehr­fach ver­geb­lich ver­sucht ihre Eltern in Mariu­pol zu errei­chen. Kein Laut. Kein Zei­chen. Aber Stil­le Tag für Tag. Stun­de um Stun­de. Minu­te für Minu­te. — stop

ping

///

kalkutta

2

echo : 0.25 UTC — Ein­mal woll­te ich nach Kal­kut­ta rei­sen. Ich dach­te, das ist jetzt eine beschlos­se­ne Sache. Ich mach­te mich unver­züg­lich an die Vor­be­rei­tung mei­ner Rei­se: Kof­fer, Regen­schirm, Aus­weis, Apo­the­ke, Imp­fun­gen, Notiz­bü­cher, Schreib­ma­schi­ne, Foto­ap­pa­ra­te, Flug hin und zurück, Hotel­zim­mer, Stadt­plan, Lite­ra­tur, Son­nen­hut. Weni­ge Tage spä­ter erreich­te mich ein ers­tes Paket des Doku­men­tar­films Phan­tom Indi­en von Lou­is Mal­le. Ich las, der Film habe ins­ge­samt eine Spiel­zeit von 6 Stun­den und 3 Minu­ten. Solan­ge Zeit, stell­te ich mir vor, könn­te eine Fahrt quer durch Kal­kut­ta mit dem Taxi dau­ern. Es ist nun über­haupt die Fra­ge, wie lan­ge Zeit soll­te ich mich mit der Vor­be­rei­tung mei­ner Rei­se nach Kal­kut­ta beschäf­ti­gen? — Lan­ge Zeit in der ver­gan­ge­nen Nacht das nord­ame­ri­ka­ni­sche Fern­se­hen beob­ach­tet. Wie man sich in den Wor­ten, wenn man sie spürt, fin­den kann, kann man sich im Rau­schen rasen­der Wor­te ver­lie­ren. — stop
ping

///

ein eichhörnchen

2

hima­la­ya : 16.02 UTC — Vom Fens­ter mei­nes Hau­ses aus ist das selt­sa­me Hotel, von dem ich kurz erzäh­len möch­te, nicht zu sehen. Ich muss schon mei­ne Schu­he anzie­hen, Schuh­bän­der ver­kno­ten, Türe schlies­sen und die Trep­pe abwärts stei­gen, um das Hotel in mei­nen Kas­ten zu bekom­men zur Beschrei­bung. Auf der Stra­ße bie­ge ich ab nach links. Kurz hal­te ich an, weil ich unter einem par­ken­den Auto­mo­bil ein Eich­hörn­chen ent­de­cke. Es sitzt ganz still, ich gehe in die Knie, und auch das Eich­hör­chen scheint sich jetzt auf sei­ne Hin­ter­bei­ne voll­stän­dig nie­der­zu­las­sen. Eine Nuss hält es in sei­nen vor­der­nen Pfo­ten, ver­mut­lich eine Eichel, die nass gewor­den sein muss. Plötz­lich springt das Eich­hörn­chen auf und davon, und sitzt bald an einem Stamm mit weit gespreiz­ten Armen und Bei­nen. Das Tier schaut mich an, als wür­de es mich ken­nen. Und wei­ter gehts von Baum zu Baum rechts um das Schul­ge­bäu­de her­um, dann wie­der zurück und links um das Gebäu­de her­um in den Hin­ter­hof. Immer wie­der hält das Eich­hörn­chen inne, als wür­de es sich sor­gen, ob ich ihm tat­säch­lich fol­ge. Dann sind wir also im Hin­ter­hof, wo ein ein paar jun­ge Män­ner sit­zen und rau­chen. Sie küm­mern sich nicht wei­ter um mich, ich schei­ne doch viel zu alt zu sein, als dass ich noch ihre moder­ne Spra­che ver­ste­hen wür­de. Plötz­lich ist das Eich­hörn­chen ver­schwun­den in der Kro­ne einer Pla­ta­ne, deren Blät­ter im Win­ter nicht von den Ästen gefal­len sind. Wie ich so ste­he und in den Him­mel schaue, fällt mir ein, dass ich nach dem selt­sa­men Hotel sehen woll­te, ob es noch da ist. Nun ist es aber doch sehr spät gewor­den, Däm­me­rung, so ein Licht. Ich wer­de das selt­sa­me Hotel mor­gen besu­chen, nur soviel sei ver­ra­ten. Es han­delt sich um ein Hotel, das des­halb selt­sam zu sein scheint, weil in sei­nem Restau­rant von feins­ter Küche, — Tau­ben­brüs­te und See­teu­fel in Scheiben‑, nie je ein Gast zu sehen gewe­sen ist, obwohl doch zahl­rei­che Kell­ner Tische und Stüh­le pfle­gen. Sie tra­gen dunk­le Anzü­ge und Flie­gen­kra­wat­ten. Wie die unsicht­ba­ren Gäs­te des Hotels geklei­det sind, kann ich lei­der zu die­sem Zeit­punkt nicht beschrei­ben. — stop

ping

///

von herzohren

pic

oli­mam­bo : 2.22 UTC — Ein­mal stu­dier­te ich das Wesen der Schmeck­knospen, außer­dem eine anato­mi­sche Geschich­te, die sich mit dem Wort Schmeck­knospen ver­bin­det. Der Him­mel blitz­te ohne Don­ner, kaum Regen. Ich atme­te mit Vor­sicht, die Luft duf­te­te nach Schwe­fel. Wäh­rend ich las, bemerk­te ich, dass ich auch im Lesen sehr lang­sam gewor­den bin. Manch­mal lese ich so lang­sam, dass ich nicht Satz für Satz, son­dern Wort für Wort vor­wärts lese, jedes Wort, sagen wir, wahr­nehme wie es ist. Wäh­rend ich insge­samt lang­samer wer­de, schei­nen vie­le Men­schen um mich her schnel­ler zu wer­den, sie lesen immer schnel­ler, und sie lie­ben immer schnel­ler, und sie schrei­ben immer schnel­ler, und ihre Schu­he fal­len ihnen vom rasen­den Gehen immer schnel­ler von den Füßen. Und Ihre Woh­nun­gen wech­seln Stadt­men­schen so rasant wie frü­her ande­re Per­so­nen ihre Zim­mer in Hotels. Ich kann nicht sagen, ob ich nicht viel­leicht schon viel zu lang­sam gewor­den bin für das moder­ne Leben. Sicher ist, ich spre­che noch immer viel zu schnell, auch für sehr schnel­le Men­schen spre­che ich viel zu schnell. Wenn ich Herz­ohren sehr schnell erzäh­le, fällt nie­man­dem auf, dass ich von Herz­ohren erzähl­te, man glaubt, ich erzähl­te von Her­zen und ande­rer­seits von Ohren. Ein­mal wan­der­te ich sehr lang­sam von einem Zim­mer in ein ande­res. Ich beob­ach­tete mit gro­ßer Freu­de, dass ich in mei­ner Haut alles das, was not­wen­dig für das Leben sein wür­de, von dem einen Zim­mer, in dem ich aus dem Fens­ter geschaut hat­te, in das ande­re Zim­mer, in dem ich ein wei­te­res Buch lesen woll­te, mit mir genom­men hat­te, nichts blieb zurück. – stop

///

dreiundzwanzigste etage winter

pic

gink­go : 8.28 — Ich träum­te, nachts auf dem Bal­kon eines Hotels über der Eighth Ave­nue zu spa­zie­ren. Es war Win­ter, weit unter 0°C in New York. Hef­ti­ger Wind weh­te har­te Schnee­kris­tal­le über den Boden des Bal­kons. Ich war leicht beklei­det, war ohne Schu­he, war aus einem Fens­ter gestie­gen, woll­te kurz Aus­sicht neh­men auf den Hud­son River. Da fiel das Fens­ter hin­ter mir geräusch­voll ins Schloß. Ich gab kei­nen Laut von mir, wuss­te, dass mich nie­mand hören wür­de, ich befand mich auf dem 23. Stock­werk, die Zim­mer neben mei­nem Zim­mer stan­den leer. Aber da war noch ein Stuhl aus Plas­tik. Ich dach­te, dass ich 1 Ver­such haben wür­de, oder mit etwas Glück 2 Ver­su­che, das Fens­ter zum gewärm­ten Zim­mer mit­tels die­ses leich­ten Stuhl­werks ein­zu­schla­gen. Gera­de als ich den Stuhl anhob, um ihn gegen das Fens­ter zu schleu­dern, bemerk­te ich eine Droh­ne, die sich lang­sam näher­te. Sie blink­te. So dicht kam sie her­an, dass ich mein­te, sie mit mei­nen Hän­den berüh­ren zu kön­nen. Ich erin­ne­re mich, dass ich mehr­fach das Wort H E L P mit Lip­pen und Augen for­mu­lier­te, aus­ser­dem fal­te­te ich mei­ne Hän­de. — stop
ping

///

von hinten oder von der seite her

9

echo : 2.12 — Ich dach­te ges­tern noch, dass ich den Faden einer Geschich­te mit Möwe, die mich kürz­lich auf einem Fähr­schiff besuch­te, ver­mut­lich so nie wie­der erle­ben wer­de. Trotz­dem beach­te­te ich in den dar­auf fol­gen­den Tagen die Erschei­nun­gen der Möwen, wel­che auf dem Dach des alten Hau­ses saßen. Etwas war anders gewor­den. Ich hat­te bemerkt, dass es sich bei dem alten Haus um ein Hotel han­del­te. Ich kann­te nun den Namen des Hotels, obwohl ich nie dort gewe­sen war, ich hat­te das Gebäu­de in der digi­ta­len Sphä­re iden­ti­fi­ziert. Tage ver­ge­hen. Plötz­lich sit­ze ich in einem Zug. Es ist spät, dun­kel drau­ßen, Men­schen in mei­ner Nähe schla­fen, von Zeit zu Zeit tau­chen Lich­ter einer Stadt oder eines Dor­fes aus der Licht­lo­sig­keit. Ich beob­ach­te einen Film auf dem Bild­schirm mei­ner Schreib­ma­schi­ne. Es geht schön laut zu in dem Film, ich tra­ge Kopf­hö­rer, und ich den­ke, wenn ich nun in ein Atten­tat gera­ten wür­de, ich wür­de mög­li­cher­wei­se das Atten­tat nicht bemer­ken, solan­ge nicht bemer­ken, bis mir jemand von hin­ten oder von der Sei­te her in den Kopf schießt, auch das wür­de ich even­tu­ell nicht bemer­ken. — stop

josephine

///

ein zeitraum wird sichtbar

2

echo : 0.28 — Wann war es das ers­te Mal gewe­sen, dass ich von der Fil­me­ma­che­rin Lau­ra Poi­t­ras hör­te. Viel­leicht im Som­mer des Jah­res 2013. Ich erin­ne­re mich, jemand erzähl­te, sie sei eine in sich ruhen­de, sehr star­ke Frau, die nie­mals, auch in gefähr­li­chen Situa­tio­nen nicht, ihre Fähig­keit der Kon­zen­tra­ti­on ver­lie­ren wür­de. In ihrem Doku­men­tar­film Citi­zen­four, der vor­nehm­lich in einem Hotel der Stadt Hong Kong gedreht wur­de, ist sie selbst kaum zu sehen. Ich mei­ne ihre Gestalt sowie ihre Kame­ra in einem Spie­gel für eini­ge Sekun­den wahr­ge­nom­men zu haben. Ein merk­wür­di­ger, inten­siv wir­ken­der Film, des­sen Bil­der vage Vor­stel­lun­gen der Ereig­nis­se jenes Som­mers mit wirk­li­chen Bil­dern füll­te. Edward Snow­den sitzt bar­fuss auf einem Bett, mei­ne Augen beob­ach­te­ten ihn im Licht der vor­ge­stell­ten, ver­mut­lich sehr rea­len Gefahr, in der sich der jun­ge muti­ge und über­aus klar spre­chen­de Mann befand. Immer wie­der hielt ich den Film an, um nach­zu­den­ken oder zu ler­nen. Ein­mal beob­ach­te­te ich indes­sen wie sich Schne­cke Esme­ral­da über den Boden mei­nes Arbeits­zim­mers in Rich­tung eines geöff­ne­ten Fens­ters fort­be­weg­te. Sie wan­der­te gemäch­lich die Wand hin­auf zum Fens­ter­brett, war­te­te dort eini­ge Minu­ten, wäh­rend sie den Nacht­him­mel mit ihren Augen betas­te­te, um sich schließ­lich hin­aus an die raue Haus­wand zu wagen. Eini­ge Stun­den spä­ter, in der Däm­me­rung des Mor­gens, kehr­te sie zurück. Ihre Kriech­spur schim­mer­te im ers­ten Licht des Tages an der Wand des Hau­ses, sie war, aus der Per­spek­ti­ve einer Schne­cke betrach­tet, weit her­um gekom­men. Den fol­gen­den Tag über schlief Esme­ral­da tief und fest, wie mir schien, in der Küche auf dem Tisch. Ihr schwe­res Gehäu­se lehn­te an einer Apri­ko­se. — stop

nach­rich­ten von esmeralda »


ping

///

galina

2

sier­ra : 16.28 — Ges­tern Abend, im Flug­ha­fen­zug, erzähl­te Gali­na, die seit zehn Jah­ren in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land lebt, sie sei vor weni­gen Wochen mit ihrer 85 jäh­ri­gen Groß­mutter nach Ägyp­ten ans Meer geflo­gen, ein Wag­nis, ein Aben­teu­er, weil ihre Groß­mutter, eine feder­leich­te Per­son, kaum noch auf ihren eige­nen Füßen gehen kön­ne. Man habe sie in einem klei­nen, off­nen Elek­tro­au­to­mo­bil vor das Flug­zeug gefah­ren und das „uralte Mäd­chen“ mit­tels einer spe­zi­el­len Hebe­büh­ne zu einer beson­de­ren Tür am Heck des Flug­zeu­ges trans­por­tiert. Dort sei sie win­kend ver­schwun­den, um ihrer Enke­lin kurz dar­auf freu­de­strah­lend mit­tels eines Rol­la­tors im Gang des Flug­zeu­ges ent­ge­gen­zu­kom­men, als hät­ten sie sich Jah­re nicht gese­hen. Die alte Frau, deren Name Gali­na nicht erwähn­te, soll in ihrem Leben weit her­um gekom­men sein. Sie leb­te in der Ukrai­ne nahe Donezk, eini­ge Jah­re spä­ter zog sie nach Kir­gi­si­en wei­ter, auch dort, nahe der chi­ne­si­schen Gren­ze, wur­de die deut­sche Spra­che in einer Wei­se gespro­chen, dass ich sie nur mit Mühe ver­ste­hen wür­de, bemerk­te Gali­na. In Ägyp­ten habe ihre Groß­mutter stun­den­lang bis zu den Schul­tern mit Was­ser bedeckt im Meer gestan­den, sie habe sich an einem Schwimm­brett fest­ge­hal­ten und gesummt und gewar­tet, dass die Fische zu ihr kom­men. Ihr drei­ecki­ges Kopf­tuch, das sie immer­zu tra­ge, habe sie indes­sen so gebun­den, wie sie es von Grace Kel­ly lern­te. Abends saßen die jun­ge und die alte Frau in lind­grü­ne Bade­män­tel gehüllt im Hotel­zim­mer vor dem Bild­schirm eines Note­books. Sie waren via Sky­pe mit Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen in Donezk ver­bun­den, immer wie­der sei die Ver­bin­dung unter­bro­chen wor­den, ein­mal sei­en Deto­na­tio­nen zu hören gewe­sen, da habe sich ihre Groß­mutter ins Bett gelegt. Am nächs­ten Mor­gen schweb­te die alte Frau wie­der lan­ge Zeit im Meer dahin. — stop
ping