Aus der Wörtersammlung: figuren

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krieg von oben

von drohnen

marim­ba : 22.28 UTC – Es war ein­mal an einem frü­hen Abend. Land­krieg von oben aus gro­ßer Höhe. Noch war­mes, mil­des Licht der tief über dem Hori­zont ste­hen­den Son­ne. In die­sem Licht segeln Dro­hen weit unter uns laut­los der Erde nah, wei­ße Rotor­we­sen vor und zurück, tas­ten sich her­an, wie Luft­kat­zen an qual­men­de, gepan­zer­te Fahr­zeu­ge. Der Rauch bren­nen­der Öle, bren­nen­der Kör­per, weit­hin sicht­bar. Flach über den Step­pen­bo­den flie­gen Geschos­se von irgend­wo­her, zeich­nen Spu­ren in der damp­fen­den Luft. Men­schen­fi­gu­ren eilen aus ver­seng­ten Fahr­zeu­gen, suchen Zuflucht im Unter­holz der schma­len Baum­strei­fen, die die ukrai­ni­sche Step­pe durch­zie­hen. Zu schwar­zen Gestal­ten nun in der Schnee­land­schaft der Wär­me­bild­ka­me­ra gewor­den, Gestal­ten, die nicht unsicht­bar wer­den, sosehr sie auch wün­schen, nie wie­der sicht­bar zu sein. Droh­nen, wei­te­re Vögel, nähern sich. Wei­ße flie­gen­de Spin­nen erkun­den, ob noch Leben im bren­nen­den Pan­zer zu fin­den ist, luren in die Schat­ten der metal­le­nen Höh­len. Das sind tat­säch­lich Bewe­gun­gen jagen­der Kat­zen. Aus der Hel­lig­keit glei­ßen­den Feu­ers bewegt sich die Gestalt eines flüch­ten­den Men­schen her­vor. Der flüch­ten­de Mensch zieht ein Bein hin­ter sich her, das Bein scheint ver­lo­ren. Der Mensch fällt, als er auch das zwei­te Bein für immer ver­liert. Liegt ganz still im Gras. Ein Droh­nen­vo­gel schwebt über ihm. Der Vogel war­tet. — stop

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zwei schreckliche figuren

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gink­go : 7.03 UTC — Der Mann ver­steht nicht, war­um ich ihm einen ängst­li­chen Blick schen­ke. Er steht am Ran­de der Leip­zi­ger­stra­ße und ruft: Him­bee­ren 1 Euro, Him­bee­ren 1 Euro. Er brüllt die­se For­mel Stun­de um Stun­de mit sei­nem Atem­wind unter die pas­sie­ren­de Leu­te, Pas­san­ten, und wenn man nun denkt, er könn­te ein infi­zier­ter Sän­ger sein, dann wird man bemer­ken, dass es gefähr­lich sein könn­te, hier ohne Mas­ke, ohne Bril­le über die Stra­ßen zu spa­zie­ren. Und im Café die­se net­te laut­hals tele­fo­nie­ren­de Per­son: Mein Gott, sagt sie zur Lie­sel, wenn das nur ein Weih­nach­ten nicht wird, mit einem Lock­down schon wie­der! Wenn sie ein­mal still ist, dann fächert sie sich Luft zu, macht Win­de, die alles das Unsicht­ba­re schön durch die Räu­me tra­gen, Luft­bus­se fah­ren her­um, Zep­pe­lin­wol­ken. Es ist schon selt­sam was man alles so sieht und hört neu­er­dings. — stop

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vom gehen

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lima : 15.08 UTC — Träum­te Schau­fens­ter­pup­pen, die sich durch ein Waren­haus beweg­ten. Man­che gin­gen unbe­hol­fen rück­wärts, kein Wun­der, hat­ten sie doch in der Fort­be­we­gung kei­ne Erfah­rung, stan­den Jahr um Jahr an ein und dem­sel­ben Ort, als wären sie ver­wur­zelt, ver­neig­ten sich, zeich­ne­ten unsicht­ba­re Figu­ren in die Luft, wink­ten Pas­san­ten zu oder Pas­san­ten her­an, lächel­ten oder zwin­ker­ten. Irgend­ein Zei­chen, viel­leicht von einem Men­schen von der Stra­ße her gesen­det, muss sie in Bewe­gung gesetzt haben. Im Übri­gen waren sie stumm, nichts war zu hören als ein lei­ses Sur­ren, etwas quietsch­te. — stop
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vierzehn schwalben

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MELDUNG. Bei bes­tem Büch­sen­licht von 8 bis 10, wur­den bereits am Sams­tag, ges­tern, 301 Tau­ben, 14 Schwal­ben, sowie 5 hei­li­ge Figu­ren vom Dach der Jesui­ten­kir­che zu Aschaf­fen­burg geschos­sen. Der Schüt­ze : Staats­förs­ter Leu­en­ber­ger Juni­or, 42, aus Lin­den­berg [ Oden­wald ] — stop

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bombay

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bamako : 2.12 — Auf mei­nem Schreib­tisch bemer­ke ich eine Post­kar­te, die dort eigent­lich nicht exis­tie­ren soll­te. Tau­sen­de Figu­ren bede­cken das Schrift­stück, For­men, die ich einer­seits als Zei­chen iden­ti­fi­zie­ren, ande­rer­seits ihrer Bedeu­tung nach nicht ent­zif­fern kann, auch die Brief­mar­ke der Post­kar­te wur­de mit Zei­chen ver­se­hen. Irgend­je­mand muss, mit­hil­fe einer Lupe, so vie­le Schrift­zei­chen wie mög­lich auf der Post­kar­te unter­ge­bracht haben. Es han­delt sich ver­mut­lich um einen Text in sin­gha­le­si­scher Spra­che. Weder sind Absät­ze zu erken­nen, noch Wör­ter, kein Raum für Lee­re. Die Brief­mar­ke ist unter den Zei­chen nur noch sche­men­haft zu erken­nen, 25 Rupi­en, Ele­fan­ten durch­schrei­ten einen Fluss. Auf die Bild­sei­te der Post­kar­te wur­de kein Schrift­zei­chen gesetzt. Sie trägt eine berühm­te Foto­gra­fie Sebas­tião Sal­ga­dos: Church­ga­te Train Sta­ti­on / Bom­bay. Men­schen strö­men über Bahn­stei­ge. Sie bewe­gen sich so schnell, dass sie unscharf erschei­nen wie eine Flüs­sig­keit. Im lin­ken unte­ren Bereich der Foto­gra­fie eine Frau, die sich ver­mut­lich im Moment der Auf­nah­me kaum oder nur sehr lang­sam beweg­te. Sie hält eine Tasche in der rech­ten Hand, sie scheint die ein­zi­ge nicht flüs­si­ge Per­son zu sein, die auf der Foto­gra­fie wahr­zu­neh­men ist. — stop – Diens­tag. — stop – Sturm von Nord­west. — stop
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stift

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echo : 5.01 — Ich hat­te vor weni­gen Tagen einen ange­neh­men Traum. Wenn ich könn­te, wür­de ich die­sen Traum gern wie­der­ho­len. Des­halb habe ich den Traum in ein Notiz­buch notiert, und zwar mit der Hand, damit ich das Schrei­ben mit einem wirk­li­chen Blei­stift nicht ver­ler­ne. Es exis­tie­ren näm­lich Blei­stif­te in mei­ner Arbeits­at­mo­sphä­re, die sich auf Bild­schir­men befin­den, die nicht wirk­li­che Blei­stif­te sind, son­dern digi­ta­le Figu­ren, die man nie­mals spit­zen muss. Mit die­sen digi­ta­len Wesen kann in Notiz­bü­cher geschrie­ben wer­den, die gleich­wohl nicht wirk­lich sind. Auch die Schrift, die man erzeugt, ist nicht wirk­lich Schrift, son­dern Male­rei, ein gemal­tes e, ein gemal­tes m, ein gemal­tes z. Ich hat­te also einen Traum, der mir gefiel. Der Traum befin­det sich hand­schrift­lich nie­der­ge­legt in einem Notiz­buch, das unter mei­nem Kopf­kis­sen liegt. Mehr kann ich im Moment nicht tun, als vor dem Schlaf im Notiz­buch zu lesen und zu hof­fen, dass der Traum wie­der zu Besuch kom­men wird. — stop
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fünfzehn schwalben

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MELDUNG. Bei bes­tem Büch­sen­licht von 10 bis 12, wur­den bereits am Frei­tag, dem Drei­und­zwan­zigs­ten, 276 Tau­ben, fünf­zehn Schwal­ben, sowie acht hei­li­ge Figu­ren vom Dach der Jesui­ten­kir­che zu Aschaf­fen­burg geschos­sen. Der Schüt­ze : Staats­förs­ter Leu­en­ber­ger, 67, aus Lin­den­berg [ Oden­wald ] — stop
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lufträume

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nord­pol : 15.52 — Authen­tisch schei­nen Men­schen­fi­gu­ren auf Papie­ren dann gewor­den zu sein, wenn sie in ihren Luft­räu­men han­deln, wie Men­schen des wirk­li­chen Lebens, wenn sie also jen­seits der Wör­ter den­ken, was sie wol­len. — stop
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malta : schnüre von luft

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sier­ra : 15.08 – Heu­te Mor­gen, der Kof­fer lag bereits geöff­net auf dem Bett, konn­te ich wie­der das Was­ser hören, wies sich in nächs­ter Nähe beweg­te. Hat­te ein Ohr an eine Zim­mer­wand gelegt, da waren Stim­men, die sich mit dem Was­ser unter­hiel­ten, gedämpf­te Geräu­sche, Wör­ter, die ich noch nie zuvor ver­nom­men hat­te. War dann spa­zie­ren in den Schat­ten, habe Namen gesam­melt, Türen und ihre Far­ben, die Gestalt der Trep­pen, der Brief­käs­ten, der Fens­ter­räu­me, Men­schen­spu­ren, durch all­täg­li­che Bewe­gung der Jahr­hun­der­te in die Stein­haut der Stra­ßen ein­ge­tra­gen. Wil­de Lei­tun­gen kreuz­ten von Haus zu Haus. Ich stell­te mir vor, Schnü­re umman­tel­ter Luft, jedes Tele­fon sei mit wei­te­ren Tele­fo­nen durch je eine eige­ne Lei­tung ver­bun­den. Und da waren beleuch­te­te Chris­tus­fi­gu­ren an Häu­ser­ecken. Ein paar Jungs spiel­ten Fuß­ball gegen stärks­te Nei­gung des Bodens, mit einem Ball, der ost­wärts flüch­ten woll­te. Am Hafen hock­ten Män­ner auf leich­ten Stüh­len von Holz. Sie schau­kel­ten Ruten über kla­rem Was­ser, in dem kein Fisch zu sehen war. Lan­ge Zeit der Beob­ach­tung. Die Män­ner plau­der­ten in ihrer wei­chen mal­te­si­schen Spra­che, für einen Moment war mir gewe­sen, als ob sie durch Beschwö­rung, durch ihr Lachen, Fische erzeug­ten, die genau in dem Moment ihrer Ent­ste­hung sich in die war­ten­den Haken der Jäger ver­bis­sen, um auf der Stel­le in die Luft gezo­gen zu wer­den, Fische mit sil­ber­nen Bäu­chen, blau­en Rücken, gel­ben Augen, Erfin­dun­gen, wie Wör­ter aus dem Nichts, die sich zu Lini­en for­mie­ren und blei­ben. Dann wei­ter. — stop

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kairobildschirm

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echo : 5.38 — Ich erin­ne­re mich, dass ich im Schlaf zu mir sag­te: Das will ich nicht wei­ter träu­men. Unver­züg­lich wur­de ich wach. – Schnee ist gefal­len, ein wei­ßes Tuch liegt auf den Bür­ger­stei­gen. Das Kai­ro­fens­ter flim­mert seit bald vier­zehn Stun­den auf dem Bild­schirm mei­ner Schreib­ma­schi­ne. Kamel­rei­ter prü­geln auf Demons­trie­ren­de ein, Stei­ne flie­gen durch die Luft, Kühl­schrän­ke von Haus­dä­chern, um Men­schen zu töten. Mit der Däm­me­rung kom­men Bar­ri­ka­den, Ölfeu­er­fla­schen, tau­meln hin und her, bren­nen­de Autos, der hell­graue Rauch der Pan­zer­mo­to­ren, die Stim­men der Kom­men­ta­to­ren, die Zah­len ver­letz­ter und getö­te­ter Men­schen mel­den. Auf dem Platz der Befrei­ung wird nach Stei­nen gegra­ben. Mil­li­me­ter hohe Men­schen­fi­gu­ren schlei­fen lie­gen­de Mil­li­me­ter hohe Men­schen­fi­gu­ren über den Boden. Rei­ne Mord­lust scheint aus­ge­bro­chen zu sein. – Es ist jetzt 5 Uhr und 30 Minu­ten. Seit drei Stun­den wird scharf geschos­sen. Nie­mand weiß, woher die Schüs­se kom­men. Eine jun­ge Frau, 24, die sich auf dem Platz befin­det, erzählt wei­nend von Men­schen, die soeben getö­tet wur­den. Wie das mög­lich sein kön­ne, dass die Welt nicht ein­grei­fe, dass kei­ne Hil­fe kom­me. We will not lea­ving this place. Sie nennt ihren Namen. — stop

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