Aus der Wörtersammlung: verrückt

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silence

silence

bamako : 10.22 UTC — Mut­ter sag­te im Novem­ber des Jah­res 2016, nach­dem Donald J. T. zum Prä­si­dent der Ver­ei­nig­ten Staa­ten gewählt wor­den war: Das ist doch ver­rückt! Ich hör­te heut Nach­mit­tag ihre Stim­me. Mei­ne Gedan­ken­stim­me ant­wor­te­te: ja Mut­ter, voll­kom­men ver­rückt und gefähr­lich. Es ist selt­sam, ich kann mich auch an die Stim­me mei­nes Vaters wie­der erin­nern. Er ist noch vor Novem­ber 2016 gestor­ben. Ver­mut­lich wür­de er prä­zi­se wie­der­holt haben, was Mut­ter sag­te am Tele­fon an einem frü­hen Mor­gen. John Cage notier­te in sei­nem wun­der­ba­ren Buch Silence: Gib einem Gedan­ken einen Stoß, er fällt leicht um. — stop

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vor dem bildschirm

bildschirm

romeo : 10.22 UTC — Eine lie­bens­wer­te Erfin­dung scheint mir fol­gen­de in Kurz­form dar­ge­stell­te Tau­cher­platt­form für Hams­ter zu sein: Gewicht: Ver­mut­lich 30 Gramm. Mate­ri­al: Kunst­stoff. Far­be: tür­kis, ober zitro­nen­gelb. Befes­ti­gung: Gum­mi­napf­hal­te­rung. Sitz­flä­che: Luft gefe­dert. Wie­der­auf­stieg über Lei­ter: Zwölf Spros­sen. Anwen­dung am inne­ren Ran­de jed­we­des Aqua­ri­ums. Zur ers­ten Übung mit Hams­ter ist zu tun. Ers­tens: Man tem­pe­rie­re das Bade­was­ser auf min­des­tens 28 °Cel­si­us. Zwei­tens: Man set­ze das Hams­ter­tier auf vor­ge­se­he­ne Sitz­flä­che. Drit­tens: Man beob­ach­te, wie das Tier lang­sam in den Flu­ten des Aqua­ri­ums ver­sinkt. Bald, nach zwei oder drei Sekun­de, wird man sehen, dass Hams­ter­tie­re begeis­tert sind. Kaum noch wol­len sie das Aqua­ri­um ver­las­sen. — Heu­te wie­der mei­nen Fern­seh­ap­pa­rat betrach­tet. Es war Nacht, der Bild­schirm dun­kel. Ich dach­te noch, was in die­ser Dun­kel­heit, Kanal 128 Über­see, wie­der Ver­rück­tes im Augen­blick der Betrach­tung der Dun­kel­heit gespielt wer­den wird. All die­ses War­ten, dass man kaum noch zu den­ken wünscht. — stop

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Mein Vater versuchte
bereits im Jahr 1971
Ame­ri­ka und sei­ne Menschen
zu ver­ste­hen. Er näher­te sich
zunächst mit einem
Fotoapperat.
New York
Soho

 

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hidup — am Leben

9

nord­pol : 2.15 UTC — Die ukrai­ni­sche Schrift­stel­le­rin Nadi­ya Suk­horu­ko­va, die aus der bom­bar­dier­ten Stadt Mariu­pol im März des Jah­res 2022 flüch­ten konn­te, erzählt von einer berüh­ren­den Situa­ti­on: Wie Men­schen ihr Leben ris­kier­ten, um ein Lebens­zei­chen an die Welt und ihre Ange­hö­ri­gen und Freun­de außer­halb der Stadt in der Ukrai­ne zu sen­den. Sie schreibt auf der digi­ta­len Posi­ti­on „Mono­logs of War“ Fol­gen­des: Ein klei­nes Wun­der geschah. Es gab eine Ver­bin­dung direkt am Ein­gang. Mei­ne Kel­ler­nach­barn erzähl­ten ein­an­der, dass Kyiv­star bom­bar­diert wor­den war, aber einer der Ange­stell­ten schal­te­te regel­mä­ßig den Gene­ra­tor ein und ver­sorg­te ihn mit Strom, sodass man sich kurz unter­hal­ten und die Nach­rich­ten erfah­ren konn­te. Auch wenn es unmög­lich war, in Mariu­pol anzu­ru­fen, konn­ten wir doch Ver­wand­te in ande­ren Städ­ten infor­mie­ren. Dank eines Frem­den, der es Mariu­pol ermög­lich­te, den vom Unbe­kann­ten ver­rückt gewor­de­nen Men­schen jeden Tag ein Wort zu sagen: „am Leben“. Und ihre Schat­ten: A live. живим . i leven­de live . gyvas . en vie . vivo — 活著 . على قيد الحياة . elus . ζωντανός . hidup. War Mono­logs sind lei­der zur­zeit oder für immer nicht erreich­bar. Spu­ren sind in den Inter­net­ar­chi­ven zu fin­den. — stop

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stimmen

pic

india : 20.12 UTC — Ges­tern hat­te ich mich plötz­lich an Vaters Stim­me erin­nert. Die Stim­me sag­te: Aber das ist doch Koko­lo­res. Dann lach­te die Stim­me. Und ich dach­te noch dar­an, wie ich vor Jah­ren ein­mal bemerk­te, dass ich mich für einen Moment nicht mehr an die Stim­me mei­nes Vaters erin­nern konn­te. Wie ich auch such­te, ich fand sie nicht. Ich war natür­lich sehr erschro­cken gewe­sen. Anstatt der Stim­me mei­nes Vaters, hör­te ich die Stim­me des gro­ßen Erzäh­lers Isaak B. Sin­ger, eine hel­le und zugleich raue Stim­me, die der Stim­me mei­nes Vaters sicher ähnel­te. Ich hat­te vor ein oder zwei Jah­ren Sin­gers Stim­me in einem Film­in­ter­view gehört. Foto­gra­fien zei­gen den alten Mann spa­zie­rend am Atlan­tik. Auch mein Vater war mehr­fach in Brigh­ton Beach gewe­sen, wenn ich nicht irre. Plötz­lich kehr­te die Erin­ne­rung an die Stim­me mei­nes Vaters zurück. Isaac B. Sin­gers Geschich­te im Übri­gen geht so: Kurz nach mei­ner Ankunft (in Ame­ri­ka) betrat ich zum ers­ten Mal eine Cafe­te­ria, ohne zu wis­sen, was das ist. Ich hielt es für ein Restau­rant. Ich sah lau­ter Leu­te mit Tabletts und frag­te mich, war­um man in so einem klei­nen Restau­rant so vie­le Kell­ner brauch­te. Ich gab jedem, der mit einem Tablett vor­bei­kam, ein Zei­chen. Ich hielt sie alle für Kell­ner und woll­te etwas bestel­len. Aber sie igno­rier­ten mich, man­che lächel­ten auch. Und ich dach­te, was für ein unwirk­li­cher Ort! Es war wie in einem Traum. Ein klei­nes Café mit so vie­len Kell­nern, und nie­mand beach­tet mich! Irgend­wann begriff ich dann, was eine Cafe­te­ria ist. Sie wur­de mein zwei­tes Zuhau­se. Die Cafe­te­ri­en wur­den eine Art Zuhau­se für Flücht­lin­ge aus Polen, Russ­land und ande­ren Län­dern. Vie­le mei­ner Geschich­ten spie­len in Cafe­te­ri­en, wo all die­se Men­schen auf­ein­an­der­tra­fen: die Nor­ma­len, die weni­ger Nor­ma­len und die Ver­rück­ten. Das ist also der Hin­ter­grund mei­ner Geschich­ten, die in Cafe­te­ri­en spie­len. – stop

 

 

 

 

 

 

 

 

Spu­ren einer Zeit
da mein Vater
das Wort
Kokolores
sagte 

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einmal an einem mittwoch

9

india : 22.58 UTC — Es war Mitt­woch gewe­sen. Abend. Es reg­ne­te, Regen auch wäh­rend ich schlief. Ich konn­te ihn hören von Zeit zu Zeit, wenn ich auf­tauch­te, ohne ganz wach zu wer­den. Von irgend­wo­her ein Geräusch, pling, pling, und Isaac B. Sin­gers hel­le und zugleich raue Stim­me, indem sie eine Geschich­te erzählt, die ich in den ver­gan­ge­nen Tagen wie­der und wie­der hör­te. Die Geschich­te geht so: „Kurz nach mei­ner Ankunft (in Ame­ri­ka) betrat ich zum ers­ten Mal eine Cafe­te­ria, ohne zu wis­sen, was das ist. Ich hielt es für ein Restau­rant. Ich sah lau­ter Leu­te mit Tabletts und frag­te mich, war­um man in so einem klei­nen Restau­rant so vie­le Kell­ner brauch­te. Ich gab jedem, der mit einem Tablett vor­bei­kam, ein Zei­chen. Ich hielt sie alle für Kell­ner und woll­te etwas bestel­len. Aber sie igno­rier­ten mich, man­che lächel­ten auch. Und ich dach­te, was für ein unwirk­li­cher Ort! Es war wie in einem Traum. Ein klei­nes Café mit so vie­len Kell­nern, und nie­mand beach­tet mich! Irgend­wann begriff ich dann, was eine Cafe­te­ria ist. Sie wur­de mein zwei­tes Zuhau­se. Die Cafe­te­ri­en wur­den eine Art Zuhau­se für Flücht­lin­ge aus Polen, Russ­land und ande­ren Län­dern. Vie­le mei­ner Geschich­ten spie­len in Cafe­te­ri­en, wo all die­se Men­schen auf­ein­an­der­tra­fen: die Nor­ma­len, die weni­ger Nor­ma­len und die Ver­rück­ten. Das ist also der Hin­ter­grund mei­ner Geschich­ten, die in Cafe­te­ri­en spie­len.“ — Das Radio erzählt, Män­ner, die stun­den­lang mit­tels zwei­er Pan­zer­ma­schi­nen sowie fünf schul­ter-gestütz­ter Fern­waf­fen ein acht­stö­cki­ges Wohn­haus der Stadt Mariu­pol beschos­sen haben sol­len, wür­den in der Stil­le nach dem mör­de­ri­schen Angriff geru­fen haben: Alla­hu Akbar. Und noch ein­mal: Alla­hu Akbar. Gott ist groß. — stop

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im schachtelzimmer

9

echo : 0.02 UTC — Julio Cor­tá­zar erzählt in sei­nem Kalei­do­skop Rei­se um den Tag in 80 Wel­ten eine Geschich­te, in wel­cher eine Flie­ge von zen­tra­ler Bedeu­tung ist. Die­se Flie­ge soll auf dem Rücken geflo­gen sein, als der Autor sie ent­deck­te, Augen nach unten dem­zu­fol­ge, Bein­chen nach oben, ein für Flie­gen­tie­re nicht übli­ches Ver­hal­ten. Natür­lich muss­te die­se selt­sa­me Flie­ge unver­züg­lich näher betrach­tet wer­den. Julio Cor­tá­zar erfand des­halb ein Zim­mer, in wel­chem die Flie­ge fort­an exis­tier­te, und einen Mann, der die Flie­ge zu fan­gen such­te. Wie zu erwar­ten gewe­sen, war der Mann in sei­ner Beweg­lich­keit viel zu lang­sam, um die Flie­ge behut­sam, das heißt, ohne Beschä­di­gung, erha­schen zu kön­nen. Er bemüh­te sich red­lich, aber die Flie­ge schien jede sei­ner Bewe­gun­gen vor­her­zu­se­hen. Nach einer Wei­le mach­te sich der Mann dar­an, das Zim­mer, in dem er sich mit der Flie­ge auf­hielt, zu ver­klei­nern. Er fal­te­te Papie­re zu Schach­teln, die den Flug­raum der beson­de­ren Flie­ge nach und nach der­art begrenz­ten, dass sie sich zuletzt kaum noch bewe­gen konn­te. Flie­ge und Fän­ger waren in einem licht­lo­sen Raum inner­halb eines Schach­tel­zim­mers gefan­gen, dar­an erin­ne­re ich mich noch gut, oder auch nicht, weil ich die­se Geschich­te bereits vor lan­ger Zeit gele­sen habe, immer wie­der von ihr erzähl­te, wes­halb sich die Geschich­te ver­än­dert, von der ursprüng­li­chen Geschich­te ent­fernt haben könn­te. Das Buch, in dem sie sich auf­hält, befin­det sich zur­zeit außer Reich­wei­te, aber ich wer­de die Geschich­te so bald wie mög­lich über­prü­fen. Es ist eine Geschich­te, die behilf­lich sein könn­te, schnel­le Droh­nen­vö­gel ein­zu­fan­gen, wenn man ihrer Gat­tung ein­mal zufäl­lig begeg­nen soll­te oder von einer Mikro­droh­ne ver­folgt sein wür­de. — Selt­sa­me Wör­ter keh­ren zurück: Waf­fen­still­stand . Bun­ker . Flug­ver­bots­zo­ne . huma­ni­tä­rer Flucht­kor­ri­dor. Auch wird laut und deut­lich über Machia­vel­li nach­ge­dacht, über den Vor­teil, in Kriegs- oder ande­ren Zei­ten als ver­rückt zu gel­ten. — stop

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tokio

2

marim­ba : 22.28 UTC — Es ist spät gewor­den, bei­na­he Nacht. Auf einem Bahn­steig unter dem Flug­ha­fen war­ten Rei­sen­de, sit­zen auf dem Boden, auf Kof­fern, auf Bän­ken, ste­hen, leh­nen anein­an­der oder dre­hen sich auf engem Raum um die eige­ne Ach­se, schlaf­wan­deln­de Tän­zer, die gera­de noch in Madrid oder Tokio gewe­sen sind. Sie alle tra­gen ein Papier­se­gel vor dem Mund, man­che von hell­blau­er Far­be, man­che Weiß, ande­re in Tönun­gen, die für Mund­se­gel­far­be neu erfun­den sind, grün, gelb, rot. Ein Mann spa­ziert dort auf und ab. Er nimmt den Weg ent­lang der Bahn­steig­kan­te, balan­ciert vor dem Abgrund, als wür­de er ris­kan­tes Gehen lan­ge Zeit geübt haben. Und wie er an mir vor­bei­kommt, höre ich ihn spre­chen: Die­ses Coro­na – Virus! Rei­ne Erfin­dung, das ist ver­rückt, das Virus müss­te man doch sehen! Ihr seid alle nicht bei Trost! — So for­mu­lie­rend spa­ziert er den lan­gen Bahn­steig auf und ab. Sei­ne Stim­me spricht sanft, viel­leicht ein wenig zor­nig, weil er bemerkt, dass man ihm nicht zuhört, dass ihm nie­mand ant­wor­ten möch­te, viel­leicht sagen: Ja, mein Herr, das Coro­na — Virus ist tat­säch­lich eine rei­ne Erfin­dung. Wir hören jetzt auf mit der Erfin­dung. Alles wird gut! — Und dann kommt der Zug. Auch der Mann steigt in den Zug. Ich sit­ze, ich war­te, ich wür­de ihn gern foto­gra­fie­ren, eine Per­sön­lich­keit der Zeit­ge­schich­te, einen Herrn, der flüch­tet und doch bleibt. Ein­mal, kurz, mein­te ich sei­ne Stim­me zu hören. — stop

 

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tram

2

echo : 8.16 UTC — Seit einem Jahr nun sehe ich Stra­ßen­bah­nen zu, wie sie mich pas­sie­ren in der einen oder ande­ren Rich­tung, ohne sie je betre­ten zu haben. Stra­ßen­bah­nen sind anwe­send, aber nicht ver­füg­bar, weil ich das so ent­schie­den habe. Das hat es in mei­nem städ­ti­schen Leben noch nie zuvor gege­ben. Ein­mal war­te­te ich vor einer Ampel, als ein Wag­gon der Linie 16 neben mir hielt. Ich dach­te, sie war­tet wie ich. Im Wag­gon saß eine jun­ge Frau. Sie schau­te mich an und lächel­te. Die jun­ge Frau trug kei­ne Mas­ke, ihr Mund war knall­rot geschminkt. Sie schien begeis­tert zu sein. Ihre Augen strahl­ten. Sie hat­te etwas Ver­rück­tes an sich, etwas Tri­um­phie­ren­des. — stop
ping

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spurwerk

pic

char­lie : 19.29 UTC — Drei Wochen her, da habe ich eine Dru­cker­ma­schi­ne gekauft. Ich dach­te, ich kau­fe mir eine Dru­cker­ma­schi­ne, um Arbeit auf Papie­re zu set­zen. Aber die Arbeit scheint sich in der digi­ta­len Sphä­re Tag für Tag neu aus­zu­drü­cken, ein Wort wech­selt von einer Zei­le zur nächs­ten, ein ande­res Wort ver­schwin­det, am nächs­ten Tag ist es wie­der anwe­send, dann wie­der ver­reist oder nach Nir­wa­na. Auch haben sich Text­pas­sa­gen wie Inseln fort­be­wegt, segeln her­um von der fünf­ten Sei­te zur ach­ten Sei­te, um sich dann doch auf der vier­zehn­ten Sei­te nie­der­zu­las­sen. Alles ist im digi­ta­len spur­los in Bewe­gung, rei­sen­de Wör­ter wer­den bald schö­nes Spur­werk auf Papie­re zeich­nen. Viel­leicht wer­de ich Zeich­ner, viel­leicht wer­de ich ver­rückt. — stop
ping

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eine taube

9

lima : 22.12 UTC — Die Bil­der des letz­ten Films, den mein Vater mit sei­nem Foto­ap­pa­rat auf­ge­nom­men hat­te, zei­gen sei­ne Hose, sei­ne Schu­he, Trep­pen­stu­fen, eine Tau­be. Als ich die digi­ta­len Foto­gra­fien für mei­nen Vater auf sei­nem Com­pu­ter öff­ne­te, hock­te der alte Mann in der Betrach­tung sei­nes letz­ten Films vor dem Bild­schirm und klick­te immer schnel­ler wer­dend von Bild zu Bild. Er sag­te, dass er sich an das, was er foto­gra­fiert hat­te, genau erin­ne­re. Da war eine Land­schaft nahe Prag durch das Zug­fens­ter auf­ge­nom­men, da war eine wei­te­re Land­schaft, kurz nach­dem der Zug den Pra­ger Bahn­hof ver­las­sen hat­te, da war ein tan­zen­des Paar auf einem Donau­rei­se­schiff nahe Buda­pest. Und da war Mut­ter, die neben einem Ret­tungs­boot des­sel­ben Schif­fes stand und lächel­te. Vater hat­te unge­fähr 50 Auf­nah­men gefer­tigt, jede der Auf­nah­men zeig­te nun sei­ne Schu­he, sei­ne Hose oder eben eine Tau­be, die zu sei­nen Füßen Brot­kru­men pick­te. Er war ver­zwei­felt. Da stand ich lei­se auf und such­te nach sei­ner Kame­ra. Ich bin doch nicht ver­rückt gewor­den, sag­te Vater. Nein, ant­wor­te­te ich, schau her, Du bist nicht ver­rückt gewor­den! Vater nahm sei­ne Kame­ra in die Hand. Er schüt­tel­te den klei­nen, fla­chen Appa­rat und sag­te: Na, das ist mein viel­leicht selt­sams­ter Film gewor­den. Die­se Tau­be hier, da waren wir schon auf dem Schiff gewe­sen. Es war Nach­mit­tag. Ich muss etwas an der Kame­ra ver­stellt haben. Die­ses Räd­chen hier könn­te es gewe­sen sein. Immer Sekun­den zu spät. Na, so was, sag­te Vater. — stop



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