echo : 0.08 UTC — Eine Schreibmaschine, die jedes Zeichen, das ich notiere, im Moment der Speicherung in eine Hieroglyphe verwandelt, so dass ich schreibe einerseits, also einen Text speichere, anderseits nicht sofort wiederholend lesen kann, was ich für mich oder andere aufgehoben habe. Schreiben. Denken. Auf dem Wasser laufen. Nicht immer oder nicht länger scheint folgender Satz gültig zu sein: Eine vernünftige, das heißt, eine gute Schreibmaschine, ist mit dem Internet niemals verbunden. 2 Schreibmaschinen sind denkbar. Eine der Schreibmaschinen sollte mit der digitalen Sphäre verbunden sein. Die Zweite der Schreibmaschinen ist von der digitalen Sphäre vollständig zu trennen. Auch sind zwei Zimmer denkbar, das eine Zimmer ist ein Zimmer von blauem Licht. In dem Zimmer nebenan lagern in Regalen Papiere, die nicht nur von Hand zu beschreiben sind. — Das Fernsehen zeigte heute einen Sternenhimmel, hunderttausende leuchtende Perforationen des Daches einer Flugzeugwartungshalle, verursacht durch Splitter einer Bombe. In der Halle lagen Körper von Menschen herum, die sich nicht bewegten. — stop
Schlagwort: sterne
krim : lichtbild no 3
romeo : 8.52 UTC — Associated Press veröffentlichte vor wenigen Jahren eine bemerkenswerte Fotografie. Menschen sind zu sehen, die an der Kasse eines Ladens darauf warten, bedient zu werden, oder Waren, die sie in Plastikbeuteln mit sich führen, bezahlen zu dürfen. Es handelt sich bei diesem Laden offensichtlich um ein Lebensmittelgeschäft, das von künstlichem Licht hell ausgeleuchtet wird. Im Hintergrund, rechter Hand, sind Regale zu erkennen, in welchen sich Sekt– und Weinflaschen aneinanderreihen, gleich darunter eine Tiefkühltruhe in der sich Speiseeis befinden könnte, und linker Hand, an der Wand hinter der Kasse, weitere Regale, Zeitschriften, Spirituosen, Schokolade, Bonbontüten. Es ist alles sehr schön bunt, der Laden könnte sich, wenn man bereit ist, das ein oder andere erkennbare kyrillische Schriftzeichen zu übersehen, in einem Vorort der Stadt Paris befinden oder irgendwo in einem kleinen Städtchen im Norden Schwedens, nahe der Stadt Rom oder im Zentrum Lissabons. Es ist Abend vermutlich oder Nacht, eine kühle Nacht, weil die Frau, die vor der Kasse wartet, einen Anorak trägt von hellblauer Farbe und feine dunkle Hosen, ihre Schuhe sind nicht zu erkennen, aber die Schuhe der Männer, es sind vier Personen vermutlich mittleren Alters. Sie tragen schwarze, geschmeidig wirkende Militärstiefel, ausserdem Uniformen von dunkelgrüner Farbe, runde Schutzhelme, über welchen sich ebenso dunkelgrüne Tarnstoffe spannen, weiterhin Westen mit allerlei Kampfwerkzeugen, der ein oder andere der Männer je eine Sturmwindbrille, Knieschützer, Handschuhe. Die Gesichter der Männer sind derart vermummt, dass nur ihre Augen wahrzunehmen sind, nicht ihre Nasen, nicht ihre Wangen, nicht ihre Münder. Sie tragen keine Hoheitszeichen, aber sie wirken kampfbereit. Einer der Männer schaut misstrauisch zur Kamera hin, die ihn ins Visier genommen hat, ein Blick kurz vor Gewalttätigkeit. Jeder Blick hinter eine Maske hervor ist ein seltsamer Blick. Einer anderer der Männer hält seinen Geldbeutel geöffnet. Die Männer wirken alle so, als hätten sie sich gerade von einem Kriegsgeschehen entfernt oder nur eine Pause eingelegt, ehe es weiter gehen kann jenseits dieses Bildes, das Erstaunen oder kühle Furcht auszulösen vermag. Ich stelle mir vor, ihre Sturmgewehre lehnten vor dem Laden an einer Wand. Und wenn wir gleich heraustreten an die frische Luft, wenn wir den Blick zum Himmel heben, würden wir die Sterne über Simferopol erkennen, oder über Yalta, Luhansk, Mariupol. — stop / koffertest : updated — ich habe diese aufnahme mit eigenen augen gesehen.
lampen
delta : 22.16 UTC — Im Spazieren den Blick gegen den Boden richten, suchende Lampe. Kinderzeichnungen von Kreide, Sonnensterne, Flugdrachen, Bäume, Linien mit freier Hand da und dorthin gezogen, über Linien vorangegangener Tage geschichtet, Kreideschatten nach Regen, Kreideflüsse. Vor den Läden Punkte und Streifen, dort sollte man stehen, wenn man ein Mensch ist. Aber doch ist es so geworden, dass Personenabstände im Gehen geringer werden, man muss, wenn man geht, auf die Straße treten, ausweichen, sobald sich Sorglose nähern, muss man Räume berechnen, das Gehen gedankenlos nur am Abend durch den Park, oder Nachts in den Stunden, da man Igeln begegnet und Mäusen mit rot glühenden Augen im Licht einer Taschenlampe. Einmal träumte ich von Virentieren, die leuchten. Wie es mir in diesem Traum selbst goldfarben von den Lippen staubte, wachte ich auf. — stop
von sammlern
echo : 22.01 UTC — Weil ich mich nun für 12 Monate (oder längere Zeit) mit der Beobachtung von berühmten Käfersammlern beschäftigen werde, mit Ernst Jünger, zum Beispiel, oder Carl von Linné, nach ihrem Wesen, ihren Sammlermotiven, ihrer Leidenschaft fragen, erinnerte ich mich an einen Brief, den ich vor langer Zeit einmal an Jean-Henri Fabre in der Hoffnung sendete, er würde doch irgendwie in der Lage sein, ihn wahrzunehmen. Ich notierte: Mein lieber Monsieur Fabre, an diesem wunderschönen, eiskalten Dezembertag gegen Zehn, habe ich entlang Ihrer feinen Zeichenkette die Besteigung des Mont Ventoux in Angriff genommen. Nun bin ich wieder einmal begeistert von hinreißender Landschaft, von der dünner werdenden Luft, von Ihren geliebten Wespen, die ich noch nie in meinem Leben mit eigenen Augen wahrgenommen habe. Heute Morgen sehr früh, als ich vor dem Fenster saß und meine Polarspinne beobachtete, wie sie sich freute, nach einer sehr langen Zeit im Eisfach endlich unter der freien, kalten Luft die Sterne betrachten zu können, hatte ich die Genauigkeit Ihres Sehens erinnert, die Geduld Ihrer Augen, und sofort in Ihr kleines, bedeutendes Buch von der Poesie der Insekten geschaut. Man kann das Atmen vergessen. Wie lange Zeit werden Sie wohl eine grabende Sandwespe betrachtet haben, ehe Sie einen ersten Satz formulierten? Und was, zum Teufel, hatten Sie unter der Lupe, als Nadar Sie fotografierte? — Ihr Louis, mit besten Grüßen. — stop
im aquarium
india : 20.01 UTC — Einmal beobachtete ich in der Unterwasserabteilung eines zoologischen Gartens Medusen und Haifische, auch Buntbarsche und Seesterne. Es war dort beinahe dunkel gewesen, Besucher flüsterten, wohl weil man im Schattenlicht leise spricht. Als ich mich gerade umdrehen wollte, um nach einem Ausgang zu suchen, entdeckte ich einen kleineren Behälter, der auf einem Sockel inmitten des Saales ruhte. Da schwebte ein Wesen in dem Behälter, das ich noch nie zuvor gesehen hatte. Ich dachte, tatsächlich existieren Unterwasserengel, Persönlichkeiten, die sich ein Maler ausgedacht haben könnte. Einige Minuten lang wartete ich darauf, doch endlich wach zu werden, indessen der Unterwasserengel mich seinerseits zu beobachten schien. Kurz darauf näherte sich ein Mitarbeiter des Aquariums, er strich mit einem Finger über die Scheibe hin, der Fisch folgte dem Finger, als ob er mit ihm befreundet sei. Ich sagte, das ist ein seltsamer Fisch, eine Art Unterwasserengel. Nein, antwortete der Mitarbeiter, das ist ein Fetzenfisch. Das kann nicht sein, erwiderte ich, eine seltsame Bezeichnung für ein so wundervolles Wesen. Eine Weile diskutierten wir über das Recht oder Unrecht, Namen an Tiere oder Pflanzen zu vergeben. In dieser Zeit beobachtete uns der Fisch aufmerksam. Plötzlich drehte er sich um und verschwand in einer Höhle, so als habe er die Entscheidung getroffen, genau in diesem Moment seinen Arbeitstag als Fetzenfisch zu beenden. — stop
im central park
nordpol : 20.05 UTC — Ich war spazieren an einem windigen Tag. Wie ich unterm Regenschirm westwärts ging, beobachtete ich meine Schuhe, die sich vorwärts bewegten als gehörten sie nicht zu mir. In diesem Moment hatte ich den Eindruck, durch den Central Park zu gehen. Das war nämlich so, dass ich an dem ersten Tag, den ich in der Stadt New York verbrachte, unter einem Regenschirm durch den Central Park wanderte und meine Schuhe beobachtete. Es war damals Mai und recht kalt gewesen. Von Zeit zu Zeit war ich stehen geblieben, um eines der Eichhörnchen zu betrachten, die sehr groß sind in Nordamerika und ungestüm. Ich erinnerte mich noch gut an diesen Augenblick, da ich im Central Park spazierend wiederum eine Panthergeschichte erinnerte, die ich einmal notiert hatte über einen weiteren Park, in dessen Nachbarschaft ich lebe. In der Erinnerung an meinen Spaziergang in New York kehrte die Panthergeschichte zurück, ich drehte um und ging nach Hause, um nach der Geschichte zu suchen. Ich habe sie sofort gefunden. Panthergeschichte: Da ist mir doch tatsächlich ein junger Panther zugelaufen, ein zierliches Wesen, das mühelos vom Boden her auf meine Schulter springen kann, ohne dabei auch nur den geringsten Anlauf nehmen zu müssen. Seine Zunge ist rau, seine Zähne kühl, ich bin stark, auch im Gesicht, gezeichnet von seinen wilden Gefühlen. Der Panther schläft, unterdessen ich arbeite. So glücklich sieht er dort aus auf der Decke unter der Lampe liegend, dass ich selbst ein wenig schläfrig werde, auch wenn ich nur an ihn denke, an das Licht seiner Augen, das gelb ist, wie er zu mir herüber schaut bis in den Kopf. Spätabends, wenn es lange schon dunkel geworden ist, gehn wir spazieren. Ich lege mein Ohr an die Tür und lausche, das ist das Zeichen. Gleich neben mir hat er sich aufgerichtet, schärft an der Wand seine Krallen, dann fegt er hinaus über die Straße, um einen vom Nachtlicht schon müden Vögel zu verspeisen. Daran sind wir gewöhnt, an das leise Krachen der Gebeine, an schaukelnde Federn in der Luft. Dann weiter die heimliche Route unter der Sternwarte hindurch in den Palmengarten. Es ist ein großes Glück, ihm beim Jagen zuhören zu dürfen. Ich sitze, die Beine übereinander geschlagen, auf einer Bank am See, schaue gegen die Sterne, und vernehme Geräusche der Wanderung des kleinen Jägers entlang der Uferstrecke. Ein Rascheln. Ein Krächzen. Ein Schlag ins Wasser. Wenn der Panther genug hat, gehn wir nach Hause. — stop
stäbchen
echo : 3.15 — Sonnenschirme, Muschelsammeln, Strandkörbe, Schnorcheltauchen, Krabben, Seesterne, Scherbengrün, Holzstäbchen im Sand. Dieses Holz so hell dieses Holz. Wie viele Menschen sind spurlos verschwunden in einem Meer, das wir als das Mittelmeer bezeichnen? Menschen, die nicht einmal Zahl sind, kein Brief südwärts, kein Telefon, das je vom Ende einer Reise erzählen würde. Stumm. — stop
unordentliches kind
india : 0.58 — Unordentliches Kind: Jeder Stein, den es findet, jede gepflückte Blume und jeder gefangene Schmetterling ist ihm von Anfang an schon Sammlung, und alles, was es überhaupt besitzt, macht ihm eine einzige Sammlung aus. An ihm zeigt diese Leidenschaft ihr wahres Gesicht, der in den Antiquaren, Forschern, Büchernarren nur noch getrübt und manisch weiterbrennt. Kaum tritt es ins Leben, so ist es Jäger. Es jagt die Geister, deren Spur es in den Dingen wittert. Seine Nomadenjahre sind Stunden im Traumwald. Dorther schleppt es die Beute heim, um sie zu reinigen, zu festigen, zu entzaubern. Seine Schubladen müssen Zeughaus und Zoo, Kriminalmuseum und Krypta werden. Aufräumen hieße einen Bau vernichten voll stacheliger Kastanien, die Morgensterne, Staniolpapiere, die ein Silberhort, Bauklötze, die Särge, Kakteen, die Totembäume und Kupferpfennige, die Schilder sind. Walter Benjamin. Ein Pfiff. — stop
nachts gegen drei
sierra : 3.01 — Um kurz vor drei Uhr nachts stand ich vor dem geöffneten Fenster und schaute zu den Sternen. Ich hatte die Nachricht erhalten, am Himmel über mir werde die Internationale Raumstation ISS sichtbar werden ( Time: Thu May 26 3:01 AM, Visible: 6 min, Max Height: 69°, Appears: 10° above WNW, Disappears: 11° above E ) ein Pünktchen, das sich, von der bald aufgehenden Sonne beleuchtet, rasend schnell über das Firmament bewegen würde, genau so war es berichtet worden von einem Beobachter, der mehrfach Augenzeuge gewesen sein will. Aber der Himmel war bedeckt, es regnete leicht. Wie ich mich gerade abwenden wollte, entdeckte ich eine Fliege, die auf schnurgerader Bahn mein Fenster passierte. Sie kam von rechts, also von Norden her, und ich fragte mich, wie das möglich sei, weil es doch regnete, schwere Tropfen. Kaum hatte ich meine Frage im Kopf so formuliert, dass ich sie wahrnehmen konnte, war die Fliege, ohne eine Spur zu hinterlassen, ohne einen Beweis ihrer Existenz, in der Dunkelheit verschwunden gewesen. — stop
louis im gebirge
nordpol : 0.02 — Wieder während der Nacht lange sitzen. Nichts tun. Nur atmen. Gegen zwei Uhr Abstieg über eine steile Treppe aus der Kammer unter dem Dach, wo im Winter Tauben wohnen. Die Stufen der Treppe knarren bei jedem Schritt, seufzen, sprechen. Auf dem steilen, gefährlichen Pfad in der Nähe des Abgrunds vor der Hütte leichter, kühler Höhenwind. In den Bäumen Geräusche, als würden die Vögel murmeln im Schlaf. Es ist aber deshalb, weil es nie wirklich dunkel wird unterm Himmel voller Sterne. Stundenlang kann man sich von hier aus über das Nahen des Morgens streiten. Wie ich zurückkomme, Licht weit oben, ein kleines Fenster, alle weiteren Fenster sind ohne Licht. Plötzlich bin ich wieder bei mir, trete in die Kammer, die vor Kurzem noch ohne mich gewesen ist. Mein Heft auf dem Tisch. Draußen, von den Wiesen her die Nachtglocken der Kühe, leise, leise. Ich notiere: Beobachtete unlängst eine japanische Reisende, die im Flughafensupermarkt mit ihrem Mobiltelefon 1 halbe Stunde lang Schokoladenengel filmte. — stop
louis im
gebirge
22. mai
2016