Aus der Wörtersammlung: sterne

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vor neufundland 2.12.16 uhr : die sterne sind rund

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tan­go : 0.02 — Neh­men wir ein­mal an, man wür­de einen Vogel von der Grö­ße eines Zei­sigs kon­stru­ie­ren, ein Wesen, wel­ches aus 1500 Ein­zel­tei­len bestehen wird, sagen wir aus Stre­ben von sehr leich­tem Metall, einem höl­ze­ren Rumpf, Flü­gel von kost­ba­rem Tuch, Schrau­ben, Farb­schich­ten, Dioden, feins­ten Sei­len, das wäre eine sehr fei­ne Geschich­te, einen Bau­kas­ten­vo­gel ent­de­cken für Mäd­chen und Jun­gen, die nun in ihren Zim­mern sit­zen, um den Vogel­kör­per zu mon­tie­ren. Sie wer­den viel­leicht zwei oder drei Mona­te Zeit in ihren Zim­mern ver­brin­gen, kaum etwas wird noch von ihnen zu sehen sein, als das Licht das bis spät in die Nacht ver­bo­te­ner­wei­se aus ihren Zim­mern dringt. Wie sie zuletzt ins Zen­trum ihrer Vögel, dort wo sie den Herz­ort ihrer Vögel ver­mu­ten, mit einer Pin­zet­te und zit­tern­den Hän­den eine Atom­bat­te­rie ver­pflan­zen, nicht grö­ßer als ein Reis­korn, und wie sich nun ihre Vögel mit sur­ren­den Flü­geln erhe­ben und aus den Fens­tern segeln und flat­tern zur gro­ßen Rei­se ein­mal um die Erd­ku­gel her­um. — Kurz nach Mit­ter­nacht. ich habe einen Funk­spruch mei­nes Freun­des Noe emp­fan­gen. Tie­fe 828 Fuß. Posi­ti­on 81 See­mei­len süd­öst­lich der Küs­te Neu­fund­lands. Fröh­li­che Stim­me, fol­gen­de Nach­richt: ANFANG 2.12.16 | | | Habe lan­ge zei­ten kei­ne ster­ne gese­hen. s t o p die ster­ne sind rund. s t o p zar­te fin­ger von licht. s t o p füh­ler. s t o p als ob der welt­raum das meer durch­such­te. y e l l o w t u m b l i n g f i s h f r o m a b o v e. träum­te yoko. s t o p ihre schul­tern. s t o p ihren mund. s t o p ihre stim­me. s t o p spü­re ihren atem an mei­nem hals. s t o p ihre lip­pen auf mei­ner brust. s t o p coney island. s t o p wird man viel­leicht selt­sam in der stil­le? s t o p in der mee­res­stil­le. s t o p schluss jetzt. s t o p fan­gen wir noch ein­mal von vor­ne an. s t o p. t w o b l u e f i s h e s i n l o v e s t r a i g h t a h e a d. s t o p wer­de ich je wie­der land betre­ten? s t o p | | | ENDE 2.14.02 — stop

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vor neufundland 06.06.02 uhr : benny goodman

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tan­go : 6.28 — Noe mel­det sich am frü­hen Mor­gen. Ver­mut­li­che Tie­fe: 822 Fuß. Posi­ti­on: 77 See­mei­len süd­öst­lich der Küs­te Neu­fund­lands seit nun­mehr 1440 Tagen im Tief­see­tauch­an­zug unter Was­ser. ANFANG 06.05.02 | | | > s t o p nicht auf­ge­ben. s t o p den kopf nicht ver­lie­ren. s t o p pfei­fen. s t o p duke elling­ton. s t o p ben­ny good­man. s t o p ver­dammt. s t o p t h r e e y e l l o w f i s h e s i n l o v e t o p l e f t . s t o p von zeit zu zeit schrei­be ich rück­wärts. s t o p wer­de ich je wie­der land sehen? s t o p habe lan­ge zei­ten kei­ne ster­ne gese­hen. s t o p die ster­ne sind rund. s t o p zar­te fin­ger von licht. s t o p ich höre Vögel. | | | ENDE 06.06.10

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vor neufundland 18.02.12 uhr : sterne

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zou­lou : 3.58 — Leich­ter Regen, kaum Wind. In der Ukrai­ne wei­te­re Gefech­te. Es wird berich­tet, dass zivi­le Men­schen ster­ben, doch nie­mand kön­ne mit Sicher­heit sagen, vom wem sie getö­tet wur­den, aber sie sind tot. — Funk­spruch Noes kurz vor Mit­ter­nacht. Ver­mut­li­che Tie­fe: 858 Fuß. Posi­ti­on: 78 See­mei­len süd­öst­lich der Küs­te Neu­fund­lands seit nun­mehr 1417 Tagen im Tief­see­tauch­an­zug unter Was­ser. Ich hör­te sei­ne schep­pern­de Stim­me. Fol­gen­de Bot­schaft: ANFANG 18.02.12 | | | > leich­te bewe­gung. s t o p schwin­gen. s t o p auf und ab und seit­wärts. s t o p schlin­gern. s t o p ein hur­ri­ca­ne viel­leicht. s t o p hur­ri­ca­ne char­lie. s t o p oder fred. s t o p oder hil­la­ry. s t o p ist es mög­lich dass ich bald eine nach­richt erhal­te wer­de? s t o p ob mir jemand zuhört? e n o r m o u s g r e y f i s h s t r a i g h t a h e a d . s t o p habe lan­ge zei­ten kei­ne ster­ne gese­hen. s t o p die ster­ne sind rund. s t o p zar­te fin­ger von licht. s t o p füh­ler. s to p ob yoko noch lebt? — s t o p | | | ENDE 18.04.01

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krim : lichtbild No 2

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ulys­ses : 6.55 — Asso­cia­ted Press ver­öf­fent­lichte vor eini­gen Mona­ten eine bemer­kens­wer­te Foto­gra­fie. Men­schen sind zu sehen, die an der Kas­se eines Ladens dar­auf war­ten, bedient zu wer­den, oder Waren, die sie in Plas­tik­beu­teln mit sich füh­ren, bezah­len zu dür­fen. Es han­delt sich bei die­sem Laden offen­sicht­lich um ein Lebens­mit­tel­ge­schäft, das von künst­li­chem Licht hell aus­ge­leuch­tet wird. Im Hin­ter­grund, rech­ter Hand, sind Rega­le zu erken­nen, in wel­chen sich Sekt– und Wein­fla­schen anein­an­der­rei­hen, gleich dar­un­ter eine Tief­kühl­truhe in der sich Spei­se­eis befin­den könn­te, und lin­ker Hand, an der Wand hin­ter der Kas­se, wei­tere Rega­le, Zeit­schrif­ten, Spi­ri­tuo­sen, Scho­ko­lade, Bon­bon­tü­ten. Es ist alles sehr schön bunt, der Laden könn­te sich, wenn man bereit ist, das ein oder ande­re erkenn­bare kyril­li­sche Schrift­zei­chen zu über­se­hen, in einem Vor­ort der Stadt Paris befin­den oder irgend­wo in einem klei­nen Städt­chen im Nor­den Schwe­dens, nahe der Stadt Rom oder im Zen­trum Lis­sa­bons. Es ist Abend ver­mut­lich oder Nacht, eine küh­le Nacht, weil die Frau, die vor der Kas­se war­tet, einen Ano­rak trägt von hell­blauer Far­be und fei­ne dunk­le Hosen, ihre Schu­he sind nicht zu erken­nen, aber die Schu­he der Män­ner, es sind vier Per­so­nen ver­mut­lich mitt­le­ren Alters. Sie tra­gen schwar­ze, geschmei­dig wir­kende Mili­tär­stie­fel, aus­ser­dem Uni­for­men von dun­kel­grü­ner Far­be, run­de Schutz­helme, über wel­chen sich eben­so dun­kel­grüne Tarn­stoffe span­nen, wei­ter­hin Wes­ten mit aller­lei Kampf­werk­zeu­gen, der ein oder ande­re der Män­ner je eine Sturm­wind­brille, Knie­schüt­zer, Hand­schuhe. Die Gesich­ter der Män­ner sind der­art ver­mummt, dass nur ihre Augen wahr­zu­neh­men sind, nicht ihre Nasen, nicht ihre Wan­gen, nicht ihre Mün­der. Sie tra­gen kei­ne Hoheits­zei­chen, aber sie wir­ken kampf­be­reit. Einer der Män­ner schaut miss­trau­isch zur Kame­ra hin, die ihn ins Visier genom­men hat, ein Blick kurz vor Gewalt­tä­tig­keit. Jeder Blick hin­ter eine Mas­ke her­vor ist ein selt­sa­mer Blick. Einer ande­rer der Män­ner hält sei­nen Geld­beu­tel geöff­net. Die Män­ner wir­ken alle so, als hät­ten sie sich gera­de von einem Kriegs­ge­sche­hen ent­fernt oder nur eine Pau­se ein­ge­legt, ehe es wei­ter gehen kann jen­seits die­ses Bil­des, das Erstau­nen oder küh­le Furcht aus­zu­lö­sen ver­mag. Ich stel­le mir vor, ihre Sturm­ge­wehre lehn­ten vor dem Laden an einer Wand. Und wenn wir gleich her­aus­tre­ten an die fri­sche Luft, wenn wir den Blick zum Him­mel heben, wür­den wir die Ster­ne über Sim­fe­ro­pol erken­nen, oder über Yal­ta, Luhansk, Mariu­pol. — stop / kof­fer­test : updated — ich habe die­se auf­nah­me mit eige­nen augen gesehen.
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im garten

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ulys­ses : 2.28 — Um mir eine Freu­de zu machen, gehe ich nachts noch in den Gar­ten. Grü­ne Fal­ter mit hauch­dün­nen Flü­geln sind unter­wegs im Dun­keln. Eigent­lich kön­nen sie über­haupt nicht flie­gen wie sie wol­len, son­dern wer­den von feins­ten Strö­mun­gen der Luft diri­giert. Kaum habe ich mei­nen Mund geöff­net, liegt ein flat­tern­der Kör­per auf der Zun­ge. Sie schme­cken bit­ter und sie weh­ren sich tap­fer. Die­se Flie­gen also, und die­se Nacht, ster­nen­klar. Ich steh ganz still, höre einem Flug­zeug zu, das süd­wärts fliegt. Ich war­te. Plötz­lich ist im Gar­ten jen­seits des Zau­nes ein Geräusch zu hören. Ein Mann geht gebückt unter Bäu­men. Es raschelt. Ich ken­ne die­sen Mann, ich ken­ne ihn nicht gut, aber ich weiß, dass er bald eine Taschen­lam­pe zücken und in die Knie gehen wird. Er spricht dann, aber so lei­se, dass ich nichts von den Wör­tern hören kann, nicht ein­mal kann ich sicher sein, dass er Wör­ter spricht, viel­leicht singt er nur vor sich hin, singt wäh­rend er mit einer Taschen­lam­pe Grä­ser beleuch­tet. Noch vor weni­gen Tagen habe ich mich über den Mann gewun­dert. In die­ser Nacht wun­de­re ich mich nicht. Ich habe erfah­ren, dass der Mann sich bückt mit sei­nem Licht, um nach Schne­cken zu suchen. Ich stell­te mir vor, der Mann wür­de sei­ne Beu­te in eine sei­ner Hosen­ta­sche ste­cken. Aber so ist das ganz und gar nicht. Sobald der Mann eine Schne­cke fin­det, zückt er im Licht der Taschen­lam­pe eine Sche­re und schnei­det die Schne­cke in zwei Tei­le, so dass sie sich nicht mehr bewe­gen kann, weil sie tot ist. Ein laut­lo­ser Vor­gang, so laut­los, dass ich ihn lan­ge Zeit nicht bemerk­te, ja, viel­leicht nie­mals bemerkt haben wür­de, hät­te ich nicht von dem selt­sa­men Ver­hal­ten des Man­nes erzählt. Nun weiß ich, war­um er sich bückt. Noch zehn Minu­ten, dann geht er wie­der ins Haus zurück und auch ich wer­de nicht mehr da sein. — stop

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safranmantel

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echo

~ : oe som
to : louis
sub­ject : SAFRANMANTEL
date : april 24 14 10.55 p.m.

Es war, lie­ber Lou­is, vor zwei Tagen gewe­sen, als Noe die Lek­tü­re der Meta­mor­pho­sen Ovids von einer Sekun­de zur ande­ren Sekun­de unter­brach. Er las noch fol­gen­de Sät­ze des 10. Buches: Durch die unend­li­che Luft, vom Safran­man­tel umhül­let, geht Hymenä­us ein­her, zu dem kal­ten Gebiet der Ciko­nen, wo ihn umsonst anfle­het der Ruf des melo­di­schen Orpheus. Jener erscheint ihm zwar; doch nicht heil­jauch­zen­de Wor­te bringt er, noch fröh­li­chen Blick, noch Ahnun­gen glück­li­cher Zukunft. Selbst die gehal­te­ne Fackel erzischt in beträ­nen­dem Damp­fe immer­dar und gewinnt nicht eini­ge Glut von Bewe­gung. Schreck­li­cher war der Erfolg, wie die Deu­tun­gen. Durch die Gefil­de Schweif­te die jüngst Ver­mähl­te, vom Schwarm der Naja­den beglei­tet, ach, und starb, an der Fer­se ver­letzt von dem Bis­se der Nat­ter. Als zu dem Him­mel empor der rhod­opei­sche Sän­ger lan­ge die Gat­tin beweint, jetzt auch zu ver­su­chen die Schat­ten. — Plötz­lich Stil­le, auch kei­ne Atem­ge­räu­sche, Nacht. Mar­len hat­te Dienst. Nach­dem sie, trotz mehr­fa­cher Ver­su­che, kei­nen Kon­takt zu Noe auf­neh­men konn­te, weck­te sie uns. Wir lausch­ten gemein­sam in die Tie­fe unge­fähr eine Stun­de lang. Es war nichts Unge­wöhn­li­ches um uns her zu bemer­ken, auch auf dem Radar kein Hin­weis auf Fisch­schwär­me oder Wale, die Noe nahe­ge­kom­men sein könn­ten. Am frü­hen Mor­gen, Tau­cher Noe hat­te sei­ne Lek­tü­re nicht wie­der auf­ge­nom­men, aber er atme­te gleich­mäs­sig und hat­te getrun­ken, mach­te sich Bob auf den Weg in die Tie­fe. Zwei Stun­den dau­er­te sein Abstieg, dann mel­de­te er mit flüs­tern­der Stim­me: Ein U‑Boot in unse­rer Nähe. Es scheint uns zu umkrei­sen, ein dunk­ler Schat­ten, ein beein­dru­ckend gro­ßes Schiff. Ich habe mich Noe genä­hert. Er lach­te mich an. Das U‑Boot trägt kei­ner­lei Hoheits­zei­chen. Ein fei­ner Strahl von Licht bewegt sich in unse­re Rich­tung wie ein Fin­ger, ohne uns zu berüh­ren. — stop. — Es ist Don­ners­tag gewor­den, spä­ter Abend. Bob befin­det sich noch immer in 800 Fuß Tie­fe bei Noe. Auch das U — Boot kreist wei­ter­hin unter uns. Vor einer Stun­de nahm Noe sei­ne Lek­tü­re wie­der auf, unsi­che­re Stim­me, aber immer­hin eine Stim­me, die liest. Wir sind froh dar­um. Der Him­mel über uns, ohne Wol­ken. Ster­ne. Präch­tig. — Dein OE SOM

gesen­det am
24.04.2014
2155 zeichen

oe som to louis »

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MELDUNGEN : OE SOM TO LOUIS / FIN

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sahara

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sier­ra : 3.28 — Jane Goo­dall erzählt eine fas­zi­nie­ren­de Geschich­te von Wahr­neh­mung und Wirk­lich­keit in den ers­ten Minu­ten eines Doku­men­tar­films, der ihr Leben schil­dert. Sie sagt fol­gen­des: Ich hat­te es ziem­lich satt, dass mich die Leu­te für Dia­ne Fos­sey hiel­ten und sag­ten: Ihr Film Goril­las im Nebel war wun­der­voll. Ich sag­te dann immer: Sie haben den Film gese­hen? — Ja! — Dann wis­sen die doch, dass die Dame getö­tet wur­de, oder? — Ja!  ‑Aber ich bin doch da! — stop. Frü­he Nacht. In die­sem Jahr zum ers­ten Mal die Fens­ter nach Mit­ter­nacht geöff­net. Esme­ral­da sitzt auf dem Brett neben Kak­teen, sie scheint Ster­ne zu betrach­ten. Gedämpf­tes Licht vom nord­ost­wärts rei­sen­den Staub der Saha­ra. Ges­tern noch träum­te ich von einem Tele­fon­ge­spräch mit Jules Ver­ne, der mit sehr hel­ler Stim­me Züge eines Schach­spiels mel­de­te. Merk­wür­dig ins­be­son­de­re das Vor­kom­men einer Ken­tau­ren­fi­gur im Spiel, wel­che sich durch Bewe­gung auf unsicht­ba­re Spiel­fel­der in der Luft vor jedem Zugriff in Sicher­heit brin­gen konn­te. — stop

polaroidgondeln

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lichtbild : krim

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kili­man­dscha­ro : 1.55 — Die Nach­rich­ten­agen­tur Asso­cia­ted Press ver­öf­fent­lichte ges­tern eine bemer­kens­werte Foto­gra­fie. Men­schen sind zu sehen, die an der Kas­se eines Ladens dar­auf war­ten, bedient zu wer­den, oder Waren, die sie in Plas­tik­beu­teln mit sich füh­ren, bezah­len zu dür­fen. Es han­delt sich bei die­sem Laden offen­sicht­lich um ein Lebens­mit­tel­ge­schäft, das von künst­li­chem Licht hell aus­ge­leuch­tet wird. Im Hin­ter­grund, rech­ter Hand, sind Rega­le zu erken­nen, in wel­chen sich Sekt– und Wein­fla­schen anein­an­der­rei­hen, gleich dar­un­ter eine Tief­kühl­truhe, in der sich Spei­se­eis befin­den könn­te, und lin­ker Hand, an der Wand hin­ter der Kas­se, wei­tere Rega­le, Zeit­schrif­ten, Spi­ri­tuo­sen, Scho­ko­lade, Bon­bon­tü­ten. Es ist alles sehr schön bunt, der Laden könn­te sich, wenn man bereit ist, das ein oder ande­re erkenn­bare kyril­li­sche Schrift­zei­chen zu über­se­hen, in einem Vor­ort der Stadt Paris befin­den oder irgend­wo in einem klei­nen Städt­chen im Nor­den Schwe­dens, nahe der Stadt Rom oder im Zen­trum Lis­sa­bons. Es ist Abend ver­mut­lich oder Nacht, eine küh­le Nacht, weil die Frau, die vor der Kas­se war­tet, einen Ano­rak trägt von hell­blauer Far­be und fei­ne dunk­le Hosen. Ihre Schu­he sind nicht zu erken­nen, aber die Schu­he der Män­ner, die gleich hin­ter ihr in der Rei­he der War­ten­den vor der Kas­se ste­hen, es sind vier Per­so­nen ver­mut­lich mitt­le­ren Alters. Sie tra­gen schwar­ze, geschmei­dig wir­kende Mili­tär­stie­fel, aus­ser­dem Uni­for­men von dun­kel­grü­ner Far­be, run­de Schutz­helme, über wel­chen sich eben­so dun­kel­grüne Tarn­stoffe span­nen, wei­ter­hin Wes­ten mit aller­lei Kampf­werk­zeu­gen, der ein oder ande­re der Män­ner je eine Sturm­wind­brille, Knie­schüt­zer, Hand­schuhe. Die Gesich­ter der Män­ner sind der­art ver­mummt, dass nur ihre Augen wahr­zu­neh­men sind, nicht ihre Nasen, nicht ihre Wan­gen, nicht ihre Mün­der, sie wir­ken kampf­be­reit. Einer der Män­ner schaut miss­trau­isch zur Kame­ra hin, die ihn ins Visier genom­men hat, ein Blick kurz vor Gewalt­tä­tig­keit. — Jeder Blick hin­ter einer Mas­ke her­vor ist ein selt­sa­mer Blick. — Ein ande­rer der Män­ner hält sei­nen geöff­ne­ten Geld­beu­tel in der Hand. Die Män­ner wir­ken alle so, als hät­ten sie sich gera­de von einem Kriegs­ge­sche­hen ent­fernt oder nur eine Pau­se ein­ge­legt, ehe es wei­ter gehen kann jen­seits die­ses Bil­des, wel­ches Erstau­nen oder küh­le Furcht aus­zu­lö­sen ver­mag. Ich stel­le mir vor, ihre Sturm­ge­wehre lehn­ten vor dem Laden an einer Wand. Und wenn wir gleich her­aus­tre­ten an die fri­sche Luft, wenn wir den Blick zum Him­mel heben, wür­den wir die Ster­ne über Sim­fe­ro­pol erken­nen, oder über Jal­ta, über Sudak, über einer Land­stra­ße, die im April 1986 gut infor­mier­te Men­schen der sowje­ti­schen Nomen­kla­tu­ra in Bus­sen aus dem Nor­den süd­wärts führ­te, wäh­rend zur glei­chen Zeit Fahr­zeu­ge der Land­streit­kräf­te Tau­sen­de Ahnungs­lo­ser nord­wärts in die ent­setz­li­chen Strah­lungs­fel­der Tscher­no­byls trans­por­tier­ten. – stop

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eine postkarte

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zou­lou : 7.15 — Ges­tern ent­deck­te ich in mei­nem Brief­kas­ten eine Post­kar­te, die von irgend­je­man­dem mit äußerst klei­nen japa­ni­schen Zei­chen beschrif­tet wor­den war. Zunächst wirk­te der Text wie ein Mus­ter, das sich erst dann zu Schrift­zei­chen auf­lös­te, als ich mei­ne Bril­le aus der Schub­la­de hol­te. Ich konn­te den Text natür­lich nicht lesen. Ich neh­me an, die Post­kar­te wur­de ver­se­hent­lich in mei­nen Brief­kas­ten gewor­fen. Bei genaue­rer Unter­su­chung stell­te ich jedoch fest, dass die Post­kar­te in jedem ande­ren Brief­kas­ten ver­mut­lich gleich­wohl ein ver­se­hent­li­ches Ereig­nis gewe­sen wäre, die Post­kar­te trug näm­lich kei­ne Anschrift an der dafür vor­ge­se­he­nen Stel­le, aber eine Brief­mar­ke des japa­ni­schen Hoheits­ge­bie­tes. Auch auf ihrer Rück­sei­te war kein Adres­sat zu erken­nen. Eine Foto­gra­fie zeigt Samu­el Beckett, der unter einem blü­hen­den Kirsch­baum sitzt, oder einen Mann, der Samu­el Beckett ähn­lich sein könn­te, der Dich­ter im Alter von 160 Jah­ren, er hat sich kaum ver­än­dert. Ein sehr inter­es­san­tes Bild. Auf einem Ast des Bau­mes sind Eich­hörn­chen zu erken­nen, sie­ben oder acht Tie­re, die ihre Augen geschlos­sen hal­ten. Ich erin­ne­re mich, dass ich ein­mal davon hör­te, Men­schen wür­den immer wie­der ein­mal Post­kar­ten notie­ren, oft sehr auf­wen­dig aus­ge­ar­bei­te­te Schrift­stü­cke, um zuletzt die Adres­se des Emp­fän­gers zu ver­ges­sen. Das ist tra­gisch oder viel­leicht eine Metho­de, Infor­ma­ti­on an die Welt zu sen­den, die nie­man­den oder irgend­ei­nen belie­bi­gen Men­schen errei­chen soll. Nun liegt die­se Post­kar­te neben Zimt­ster­nen, Bana­nen und Äpfeln auf mei­nem Küchen­tisch. Zunächst hat­te ich das Wort L i e b e r in die Goog­le — Über­set­zer­ma­schi­ne ein­ge­ge­ben und in die japa­ni­sche Spra­che über­setzt. Zei­chen, die sich auf mei­nem Bild­schirm for­mier­ten, waren mit den ers­ten Zei­chen auf der Post­kar­te iden­tisch. Ich weiß sehr genau, was nun zu tun ist. In die­sem Augen­blick jedoch scheue ich noch davor zurück, mei­nen Namen in die Mas­ke der Such­ma­schi­ne ein­zu­ge­ben. Es ist jetzt bald Mor­gen­däm­me­rung, ich höre Tau­ben auf dem Dach spa­zie­ren. — stop

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flugbriefe

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del­ta : 0.01 — Nach einer har­ten Schicht im Post­amt von Bre­les, an wel­cher nicht weni­ger als zwei­hun­dert Beam­te betei­ligt gewe­sen sein sol­len, star­te­ten in den frü­hen Mor­gen­stun­den 5778 Luft­post­brie­fe von eige­ner Kraft, jeder also für sich und zur glei­chen Zeit, ihren Flug von der fran­zö­si­schen Küs­te über den Atlan­tik nach John Island, South Caro­li­na. Man fliegt im Schwarm nun schon die 16. Stun­de, eine äußerst güns­ti­ge Linie ent­lang, weil man in der Lage ist, sich an den Ster­nen zu ori­en­tie­ren. Es soll ein wun­der­ba­res Schau­spiel gewe­sen sein, wie sich die Wol­ke der Luft­post­brie­fe unter dem Bei­fall des gela­de­nen Publi­kums vom Boden erhob, um sich auf den Weg zu machen, das unend­lich wei­te West­meer zu über­que­ren. Ein Augen­zeu­ge berich­te­te von einem Geräusch, das er nie zuvor wahr­ge­nom­me­nen habe, als ob sich ihm tau­sen­de Bie­nen näher­ten. Ein wei­te­rer Beob­ach­ter schwärm­te von wun­der­bar schim­mern­der Erschei­nung genau in dem Moment, da die Brief­wol­ke den Hori­zont erreich­te. Er sag­te, dass man noch eine lan­ge Zeit ein Brum­men ver­nom­men habe. Einer der flie­gen­den Brie­fe sei vor sei­nen Füßen ins Gras gestürzt. Er habe den Brief mit sich nach Hau­se genom­men, wo er ihn unter­such­te. Ein Lie­bes­brief von Madame Juli­ett L. an sich selbst sei im Umschlag ent­hal­ten gewe­sen. An der obe­ren Brief­kan­te, je an einer Ecke links und rechts, befän­den sich Roto­ren, die im Zustand der Ruhe, in der Art geschlos­se­ner Regen­schir­me nach unten gefal­te­ten sei­en. Der Flug­brief ist sehr leicht, sag­te der Mann zum Schluss, ein klei­nes Wun­der mit einer Brief­mar­ke, die über Licht­sen­so­ren zu ver­fü­gen scheint. — stop

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