~ : oe som
to : louis
subject : JAMES BALDWIN
date : mar 22 12 11.15 p.m.
Absolute Stille. Kein Wind, keine Bewegung auf dem Wasser, der Himmel leer. Seit 382 Tagen schwebt Taucher Noe unter uns in der Tiefe. Er scheint glücklich zu sein, die Tage seines Aufbegehrens sind vorüber. Noch vor wenigen Wochen wünschte Noe, zurückkehren zu dürfen, sofort! Wir haben ihm vom Regen erzählt, von Stürmen, von seiner Mutter, von seinem Vater, wie stolz sie auf ihn sind. Nach 5 Tagen war Noe ruhiger geworden, mürbe von der langen Zeit tobenden Zweifels, vielleicht auch deshalb, weil wir ihn aus 850 Fuß Tiefe der Dunkelheit auf Höhe der Dämmerung hoben, eine Ahnung von Licht, Hoffnung, das Gefühl, noch nicht verloren zu sein. Ein tapferer Mann. Er habe das Wort Schnee in seinem Kopf hin und her bewegt, aber er könne nicht sagen, was es bedeute. Sorge bereite ihm außerdem, dass er sein Gesicht nicht erinnere. Seither diskutieren wir, ob wir ihm nicht doch ein heiteres Bild seiner Person übermitteln könnten, Noe drohte das Rückwärtssprechen zu üben. All das scheint nicht ungewöhnlich zu sein für seine schwebende Lage, ein lange Zeit andauernder Moment von Einsamkeit, Fische, die ihn beobachten, Wörter gehen verloren. In dieser Sekunde, lieber Louis, da ich Dir schreibe, beginnt Noe wieder zu lesen mit heller Stimme, James Baldwin / Unterwasserbuch No 285, nachts träumte ich, und morgens wachte ich zitternd auf, konnte mich aber nie an den Traum erinnern, nur daran, dass ich gerannt war. Ich wusste nicht mehr, wann es mit diesen Träumen angefangen hatte; es war lange her. Zwischendurch gab es Zeiten, in denen ich überhaupt nicht träumte. Und dann ging es wieder los, jede Nacht. – Ahoi! Dein OE SOM
gesendet am
23.03.2012
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