sierra : 0.02 — Den halben Abend mit der Überlegung zugebracht, was ein moderner Kentaur, ein Kentaur unserer Tage, der in der Gegend um das Müllnerhorn in einem Laubwald unter Buchen, Eichen und Lindenbäumen leben könnte, zum Frühstück gerne zu sich nehmen würde. Wie im Flug ist die Zeit vergangen, ein Zustand leichter Selbstvergessenheit. Ich habe mir zunächst Dunkelheit vorgestellt, Dämmerung, dann, in diesem glimmenden Licht des nahenden Tages, die Umrisse eines Kentaur von zierlicher Gestalt, wie er noch schlafend seitlich auf etwas Moos gebettet liegt und träumt. Kaum sichtbare Atmung, die Hände, lose gefaltet, ruhen auf der Brust, ein Auge leicht geöffnet, peitschende Bewegung der weißhaarigen Spitze seines Schwanzes. Von einem ersten Sonnenstrahl berührt, setzt er sich auf, reibt sich das Fell, kurz darauf eine schwungvolle Bewegung und schon steht der Kentaur auf seinen vier Beinen. Ein wunderbar blauer Himmel über ihm, ein Himmel, den man sofort für ein gestürztes Meer halten könnte, ein Meer ohne Wind, ruhig, da und dort eine Wolke von Fisch. Jetzt liegt der Kentaur wieder seitlich auf dem Boden, seinen schönen Kopf auf eine Hand gestützt, nascht er von einem Häufchen Beeren, blättert in einem ramponierten Telefonbuch der Stadt Chicago, liest den ein oder anderen Namen laut vor sich hin, einmal eine Himbeere, dann wieder einen Namen. Ja, ich ahnte, Kentauren bevorzugen vielleicht wilde Waldhimbeeren zum Frühstück. Und nun, es ist kurz nach Mitternacht, stellt sich die Frage, ob es Kentauren möglich ist, Bäume zu besteigen? — stop
für h.d.