~ : louis
to : daisy und violet hilton
subject : AVENUE OF THE AMERICAS
Ich muss Euch nicht erzählen, wo ich mich gerade befinde, liebe Violet, liebe Daisy, ich höre Euere Stimmen, hör, wie Ihr scherzt, was macht er nun schon wieder, warum ist er eingeschlafen, das muss ein betäubendes Buch gewesen sein. Jetzt also bin ich wach geworden. Ich notiere diese Sätze in dem Wissen, dass Ihr lesen werdet, Zeichen für Zeichen, wie in diesem Augenblick erscheint, was ich schreibe. Das Notieren ist so etwas wie das Sichtbarmachen des Denkens, nicht wahr, so könnten wir das vielleicht sagen. > …
… > Spazierte in Euerer Angelegenheit, wie versprochen, durch Manhattan. Ich hatte meinen kleinen Fotoapparat in der Hand, stand mitten auf der Avenue of the Americas, um das neue Hippodrom-Gebäude abzulichten. Auch das wisst Ihr natürlich, wie wir dann Richtung Bryant Park spazierten, unser Gespräch über geheime Tentakeln der Bäume, die den Lärm der Stadt aus der Luft zu fangen scheinen. Und mein Begehren, gewiss, ein Eichhörnchen zu fangen, das warme Licht des hupenden Abends, meine Überlegung, wie ich Euch eines Tages einmal persönlich begegnen könnte, und mein Versprechen, ein weiteres Euerer Jugendbilder zu senden. Was Euch nicht bekannt sein wird, weil ich’s nur dachte, ich hatte in all den gemeinsamen Stunden eine verwegene Frage in meinem neugierigen Kopf. Nun, es ist kurz nach Mitternacht, werde ich diese Frage für Euch buchstabieren, unsicher ein wenig, was geschehen wird, ob ich Euch nicht zu Nahe komme, sodass Ihr aus meinen Augen verschwinden werdet. Gebt gut acht! Es ist nämlich so, dass ich mich frage, wie auch immer die Räume beschaffen sind, die für Euch ausgedacht, ob Ihr dort Oben für die Ewigkeit noch immer leiblich miteinander verwachsen seid? – Euer Louis, sehr herzlich, wünscht eine gute Nacht!
gesendet am
18.05.2010
0.05 MESZ
1775 zeichen