MENSCH IN GEFAHR : “Der Aktivist Ali Mahmoud Othman wurde im März 2012 in der Provinz Aleppo festgenommen und befindet sich seitdem an einem unbekannten Ort in Haft. Er gehörte einem Netzwerk von Aktivisten an, das in der Stadt Homs ein provisorisches Medienzentrum unterhielt. Es gab Filmmaterial an Nachrichtenagenturen weiter und half ausländischen Journalisten, während des militärischen Angriffs auf das Viertel Baba Amr im Februar 2012 nach Homs hineinzukommen beziehungsweise die Stadt zu verlassen. / Von einem anderen syrischen Aktivisten hat Amnesty International erfahren, dass Regierungskräfte Ali Mahmoud Othman eine Kurzmitteilung geschickt hatten, um ihn an einen bestimmten Ort zu locken, wo er dann festgenommen wurde. Im April 2012 strahlte das syrische Staatsfernsehen ein Interview mit Ali Mahmoud Othman aus, in dem man ihm Fragen zu seiner Beteiligung an der Protestbewegung in Homs und zu seinen Medienaktivitäten stellte. Er wurde zudem gefragt, weshalb die Proteste seiner Ansicht nach trotz der von Präsident Bashar al-Assad eingeleiteten Reformen unvermindert weitergingen. Aktivisten in Syrien sind der Ansicht, dass das Interview nicht glaubhaft ist und Ali Mahmoud Othman dazu gezwungen wurde. / Seit diesem Fernsehinterview fehlt von Ali Mahmoud Othman jede Spur. Im November 2012 sagte ein außerhalb Syriens lebender Familienangehöriger Amnesty International, die Familie habe aus inoffizieller Quelle erfahren, dass Ali Mahmoud Othman in das berüchtigte Militärgefängnis Saydnaya nahe Damaskus gebracht worden sei.” — Hintergrundinformationen sowie empfohlene schriftliche Aktionen, möglichst unverzüglich und nicht über den 25. Juni 2013 hinaus, unter »> ai : urgent action
Aus der Wörtersammlung: fernsehinterview
mr. blankfeins schweigen
bamako : 6.45 — In der 37. Minute einer Filmdokumentation, die von den Strukturen der Goldman Sachs Bank erzählt, ereignete sich etwas sehr Merkwürdiges. Lloyd Blankfine, Vorstandsvorsitzender genau dieser Bank, wurde in einem Fernsehinterview befragt. Ein äußerst scharfzüngiger Redner von heller Stimme, erkundigte sich Mr. Blankfine zunächst bei dem Moderator der Sendung, wie oft er ihn, Blankfine, im Fernsehen gesehen habe? Nie! Wissen Sie was. Das war vermutlich ein Fehler. Wir müssen uns jetzt bemühen, den Leuten zu erklären, was wir tun. Sofort spitzte sich die Lage zu. Der Moderator der Sendung, der Mr. Blankfine unmittelbar gegenübersaß, parierte mittels einer weiteren Frage, die der Banker so nicht erwartet haben mag. Er formulierte präzise: Ist es vorgekommen, dass ihre Investment-Berater einem Kunden Anlagen verkauft haben, gegen die Goldman zur selben Zeit spekulierte? Nun geschah Folgendes: Mr. Blankfine’s Augen weiteten sich, er senkte seinen Blick, setzte zu einer Antwort an, ein Geräusch war zu hören, der Teil eines nicht erkennbaren Wortes, sein Mund stand leicht offen, er schwieg, er schwieg sehr gründlich, sieben Sekunden lang, für eine üblicherweise äußerst schnell sprechende und denkende Person, die sich unter öffentlicher Beobachtung weiß, ein bedeutender Zeitraum. Ich habe diese Sentenz des Gespräches mehrfach vor und zurückgespielt, da mir Lloyd Blankfine in jenem Moment eine außerordentlich authentische Persönlichkeit gewesen zu sein schien. Ein Mensch, der nach einzelnen Wörtern suchte, nach einem angemessenen Gedanken in seinem Kopf, weil sich bislang dort Sätze formulierten, die so aufrichtig waren, dass Mr. Blankfine sie nicht aussprechen durfte, um nicht für immer Schaden zu nehmen, er selbst nicht und seine Bank nicht. Ich beobachtete sein Gesicht. Dreifach war Lidschlag zu erkennen, seine Augäpfel erweckten den Eindruck, als würden sie wachsen unter dem Druck eines Blickes, der nicht entscheiden konnte, ob er sich nach innen oder nach außen richten sollte, während ungeheure, vorbewusste Rechenleistung entfesselt war, um vielleicht doch einen Ausweg zu finden. — stop