Aus der Wörtersammlung: max-weber-platz

///

linie 8

pic

echo : 10.06 UTC – Nächs­te Hal­te­stel­le Max-Weber-Platz. Ich hab Weiß Ferdls Gesang noch im Ohr, wie er die Geschich­te erzählt von der Linie 8, die durch Mün­chen fährt zu einer Zeit, da ich noch nicht gebo­ren wor­den war. Wie oft habe ich die­se Auf­nah­me als Kind viel­leicht gehört? Die Stim­me des alten Münch­ner Kaba­ret­tis­ten ist mir heut Mor­gen ver­mut­lich des­halb ins Gehör gera­ten, weil ich Infor­ma­tio­nen einer moder­nen Stra­ßen­bahn zuhör­te, einer Stim­me prä­zi­se, die von einem Com­pu­ter erzeugt wird: Bit­te in Fahrt­rich­tung rechts aus­stei­gen. Die­se Stim­me, wie sie mir bewusst wur­de, scheint sich bereits in vie­le wei­te­re Städ­te fort­ge­setzt zu haben, es ist eine weib­li­che Stim­me, die auch kom­pli­zier­te Stra­ßen­nah­men zu for­mu­lie­ren ver­mag. Manch­mal dehnt sie Wör­ter in einer selt­sam unbe­hol­fe­nen Art. Das hört sich an, als wür­de eine Schall­plat­te für einen Moment beschleu­nigt, dann wie­der abge­bremst. Auch Kin­der hören zu, oder Men­schen, die gera­de eben die deut­sche Spra­che ler­nen. Viel­leicht, stel­le ich mir vor, wer­den sich in die­ser Wei­se bestän­di­ger Wie­der­ho­lung nach und nach jene unbe­hol­fen klin­gen­den Sen­ten­zen der Stra­ßen­bahn­an­sa­gen in unse­re all­täg­li­che Spra­che schlei­chen. Das ist denk­bar. Ich muss das beob­ach­ten. — stop

///

afrikatram

9

india : 5.05 — Eine Stra­ßen­bahn, tat­säch­lich, am frü­hen Mor­gen. Stau­bi­ge jun­ge Män­ner, Maler­ar­bei­ter, sie leh­nen anein­an­der und schla­fen wie­der oder erzäh­len sich irgend­wel­che wil­den Geschich­ten in pol­ni­scher Spra­che, wie an jedem Tag zu die­ser Zeit, auch wenn Sonn­tag ist oder Sams­tag. Am Max-Weber-Platz, fünf Uhr und acht Minu­ten, stei­gen uralte, afri­ka­ni­sche Frau­en zu, sind in wei­ße, gold­be­stick­te Tücher gehüllt, auf dem Weg zur Mor­gen­an­dacht viel­leicht. Auch sie erzäh­len sich irgend­wel­che wil­den Geschich­ten, sehr hel­le Stim­men, so hell oder schnell, dass sie kaum noch hör­bar sind. Es ist jetzt eine Stun­de, die nicht län­ger zur Nacht, aber auch noch nicht in den Tag gehört. Nur in die­ser 1 Stun­de Zeit fah­ren Stra­ßen­bah­nen her­um, die voll stau­bi­ger, müder Män­ner und hei­te­rer, uralter Frau­en sind, die sich Geschich­ten erzäh­len, viel­leicht von der Furcht, die sicht­bar wird in Ges­ten, scheu­en Bli­cken, Lamel­le­ni­ris, nur nicht spre­chen, tat­säch­lich, von der Furcht, von der ich weiß, Nes­rin hat mir erzählt, von heim­li­cher Furcht, an die man am bes­ten nicht denkt. — stop

ping

///

lichtpelz

9

lima : 0.02 – In einer früh­zei­ti­gen Erin­ne­rung, die ich ges­tern, wäh­rend ich eine fil­mi­sche Erzäh­lung der Stadt Istan­bul beob­ach­te­te, errei­chen konn­te, sind kei­ne mensch­li­chen Wesen zu ent­de­cken, doch Kör­per von Licht. Ich lie­ge in einem schwan­ken­den Schiff, das durch eine Stra­ßen­bahn fährt. Über mir die Wär­me der Glüh­bir­nen, Glas­kol­ben, in wel­chen wirk­li­ches Feu­er ent­hal­ten ist. Drau­ßen, im Dun­keln, Schnee­flo­cken, die aus sich selbst her­aus zu leuch­ten schei­nen, Licht­pelz­fet­zen. — Ich fra­ge mich gera­de, ob die­se Erin­ne­rung nicht eine aus­ge­mal­te Erin­ne­rung sein könn­te, Film­bil­dern nach­ge­zeich­net. Aber da sind der Duft von gebrann­ten Man­deln und das Schril­len einer Klin­gel und das Geräusch einer Stim­me, die spä­ter ein­mal sagen wird: Max-Weber-Platz.
pamuk