alpha : 6.55 — Gestern Abend um 22 Uhr und 8 Minuten folgende E‑Mail: „Und? Hat Nabokov schon geantwortet? N.“ Seither warte ich. Als ob ich in den vergangenen Wochen nicht genug gewartet hätte. Auf Schnee, zum Beispiel. Hemingway, vor zwei Jahren, antwortete gar nicht, Lowry nach drei Monaten und in einer Weise, die ich bis heute nicht enträtselt habe. Aber Djuna Barnes, um Himmels willen, Djuna Barnes, als hätte sie meine Zeilen erwartet, antwortete noch in der Stunde meines Schreibens. stop. Ich muss das suchen. stop. Geräuschwort für 750000 vorwärts schlagende Herzen bisher nicht entdeckt. stop Regen. stop. Seidig. stop. Als würde der Erdboden schwitzen. — stop
Aus der Wörtersammlung: seither
que sera, sera, whatever will be, will be …
tango : 8.52 — Immer schon hab ich geträumt. Als Junge saß ich auf Bäumen, meinte, hoch auf einem Schiff zu schaukeln, bis ich bemerkte, dass die Zeit der Physikstunde bereits hinter mir lag. Dann war ich Astronaut oder Taucher, ich träumte Glühbirnen, wie man sie macht, war ein Entdecker in luftigen Räumen. Eines Tages begann ich, meine Träume aufzuzeichnen, um sie fortsetzen zu können. Nun hatte das Träumen etwas mit Erfindung zu tun, weil die geträumte Zeit und ihre Geschichten der wirklichen Welt eingeschrieben, ja einverleibt werden konnten, einer Welt auf dem Papier, wo sie sich behaupten sollten. Von diesem Moment an sammelte ich Träume, Entdeckungen, Nachtzeppeline, konnte zeigen, was ich erfand, konnte teilen mit anderen Menschen, eine spannende Aufgabe, nie ist mir seither langweilig geworden. Oft steh’ ich morgens in meinem Zimmer und schon wird geträumt, noch während ich mich wasche beginne ich meine Arbeit, suche, bin aufmerksam, lausche. Ja, ich arbeite, wenn ich lausche, wenn ich träume, ohne zu schlafen. Manchmal träume ich auf der Straße, während ich spaziere, das ist natürlich sehr gefährlich, weil ich Ampeln vergesse, weil ich mich verlaufe oder in verkehrte Straßenbahnen steige. Gestern Nachmittag beleuchtete ich einen Frosch, der die menschliche Sprache zu imitieren vermag. Zwei Stunden lang arbeitete ich, ging Einkaufen, fortwährend träumend, erfindend, kümmerte mich in der Küche um eine Entenbrust, einmal telefonierte ich, ohne je meine Gedanken an den kleinen, sprechenden Frosch aufzugeben. Ein Geschenk dieses Erzählen, diese Art und Weise zu leben, gerade in schwierigen Zeiten. — stop
harold and maude
2.05 — Ich habe mir etwas Luxus gestattet. Ich habe mich mit einer Schachtel Pistazieneis auf mein Sofa gesetzt und einen Film betrachtet, den ich vor zwanzig Jahren zuletzt gesehen und seither nie wieder vergessen habe : Harold and Maude. Ein großes Vergnügen. Wie weit entfernt in der Zeit doch Harold erscheint. Unlängst noch, ist er vertraut und nah gewesen. Aber Maude ist in meinen Augen sehr viel jünger geworden. Für einen kurzen Moment habe ich überlegt, in welcher Art und Weise ich mein Leben gestalten sollte, um Maude einmal als junges Mädchen wahrnehmen zu können. — Zwei Stunden nach Mitternacht, also später Nachmittag. Nichts zu tun in dieser Nacht, als mit Dorothy Parkers New Yorker Geschichten durch die Zeit zu segeln. — stop
papiere
22.02 – Ich habe Papiere, auf die ich gestern Abend noch einen kleinen Text notierte, im Selbstgespräch umkreist, ohne mich zu nähern, weil ich fürchtete, meine Notiz könnte mir nach fünf Stunden Schlaf missfallen. Zehn Stunden Zeit sind seither vergangen und ich habe die Furcht vor den Papieren, die ich den ganzen Tag über mit mir herumgetragen habe, ohne sie noch einmal zu lesen, verloren. Ich kann nicht sagen, warum das so ist. — stop