Aus der Wörtersammlung: ziellos

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über postkarten

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romeo : 15.10 — Post­kar­ten exis­tie­ren, die einer­seits über eine Adres­se ver­fü­gen, an wel­che sie gesen­det wer­den könn­ten, aber über kein wei­te­res Zei­chen, kei­ne Nach­richt, kei­nen Gruß, kei­ne Geschich­te. Ande­re Post­kar­ten, auch sie exis­tie­ren, erzäh­len in kleins­ten Zei­chen von einer Rei­se, bei­spiels­wei­se, oder einer beson­de­ren Lie­be, mit feins­ten Werk­zeu­gen auf­ge­tra­ge­ne Schrift, doch eine Zustel­lung kann nicht gelin­gen, da eine Adres­se fehlt, nicht ein­mal ein Absen­der ist vor­han­den. Es kommt mir vor, als wür­de die­se Gat­tung ziel­lo­ser Post­kar­ten Selbst­ge­sprä­che füh­ren. – stop

ping

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funkstille

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marim­ba

~ : malcolm
to : louis
sub­ject : FUNKSTILLE
date : oct 17 12 8.15 p.m.

Ja, war­um ant­wor­ten Sie denn nicht, ver­dammt, wenn wir ihnen schrei­ben? Rom. Das ist doch kein Grund, sich nicht zu mel­den. Kaum aus­zu­den­ken, wenn wir das so machen wür­den wie Sie. Fran­kie haben wir jeden­falls wie­der­ge­fun­den. Fünf Tage war er nicht zu fin­den gewe­sen, kein Signal, kein Fran­kie im Cen­tral Park, wie vom Erd­bo­den ver­schluckt. Man stel­le sich das ein­mal vor, wir wür­den Frankie’s Spur ver­lo­ren haben, wenn es ein­mal wirk­lich ernst gewor­den ist. Wir dach­ten, die Brenn­stoff­zel­len sei­nes Sen­ders könn­ten aus­ge­fal­len sein. Es war an einem Sams­tag, da war Fran­kie plötz­lich fort, Höhe 76. Stra­ße. Gera­de noch kau­er­te er neben einer Eiche. Wir waren müde, glau­be ich, es war Abend, wir saßen in Sicht­wei­te auf einer Bank, viel­leicht sind wir kurz ein­ge­schla­fen. Natür­lich haben wir sofort die Suche nach Fran­kie auf­ge­nom­men. Haben jede Unter­füh­rung geprüft und jedes der Abfluss­roh­re, die Fran­kie zum Ver­häng­nis gewor­den sein könn­ten. Grau­en­vol­le Tage, wir irr­ten ziel­los her­um. Jedes Eich­hörn­chen, dem wir uns näher­ten, konn­te Fran­kie gewe­sen sein. Das war ein Alb­traum, ein ganz unge­heue­re Sache, wie ähn­lich sie sich doch sind. Matt wur­de mehr­fach in die Hand gebis­sen, wir tra­gen jetzt Leder­hand­schu­he. Und dann kam Fran­kie zurück. Es war wie­der Abend gewor­den und Fran­kie tauch­te genau dort, wo wir ihn ver­lo­ren hat­ten, wie­der auf. Lang­sam kam er auf uns zu, sein Schwanz zit­ter­te, sein fes­ter Kör­per beb­te, er mach­te den Ein­druck, als woll­te er uns begrü­ßen. So nah kam er her­an, dass wir ihn berüh­ren konn­ten. Ich habe mir gedacht, dass Fran­kie ver­dammt genau den Ein­druck mach­te, als hät­te er nach uns gesucht wie wir nach ihm, und dass er froh gewe­sen war, uns end­lich gefun­den zu haben. Das ist schon eine selt­sa­me Geschich­te. Gera­de sitzt Fran­kie auf einer Bank neben uns. Er knackt Erd­nüs­se, die wir im schenk­ten. Eine Art Bestechung viel­leicht. Der Sen­der piepst. Alles scheint wie­der in Ord­nung zu sein. Ihr Mal­colm – stop / code­wort : lilienthal

emp­fan­gen am
18.10.2012
1512 zeichen

mal­colm to louis »

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peter bichsel : lesen macht arbeitsunfähig

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marim­ba : 3.28 – Ich habe der Film­stim­me eines Schwei­zer Schrift­stel­lers zuge­hört, den ich seit vie­len Jah­ren sehr ger­ne lese, weil sei­ne Sät­ze in mei­nem Kopf ein Gefühl von Klar­heit, Frei­heit und ange­neh­mer Küh­le bewir­ken. Ich weiß, dass das natür­lich Unsinn ist, weil ich mit mei­nem Gehirn unmit­tel­bar kei­ne Tem­pe­ra­tu­ren wahr­zu­neh­men ver­mag, und doch immer wie­der der Ein­druck pola­rer Luft, ein Knis­tern. Der Mann, von dem ich spre­che heißt Peter Bich­sel. Er fährt gern ziel­los in Zügen her­um, weil er in Zügen sehr gut notie­ren kann. Ich stel­le mir vor, wie die Men­schen des Zuges, Land­schaf­ten, Schie­nen, Schwel­len, Abtei­le, unmerk­lich zu Tei­len einer beson­de­ren Schreib­ma­schi­ne wer­den. Als Kind, erzählt Peter Bich­sel, habe er sich dar­auf gefreut, ein alter Mann zu sein. Er habe damals nicht gewusst, dass ein Groß­va­ter nicht ewig ein Groß­va­ter blei­be, son­dern das Leben noch älter wird, und dass der Groß­va­ter dann stirbt.
ping