echo : 0.50 — Kurz nach Mitternacht. Gerade eben entert meine Zebraspringspinne den Tisch. Eigentlich wollte ich rasch eine kleine Geschichte erzählen, von einem afrikanischen Mann, dem ich sehr häufig begegne morgens vor der Zentralstation, einem Mann, der immer wieder betrunken ist und immer wieder nur einen Schuh trägt und eine seltsame Sprache spricht, eine Mixtur aus französischen, englischen, deutschen und afrikanischen Wörtern. Aber jetzt sitzt die Spinne auf dem Tisch und der afrikanische Mann muss warten. Ich ahne bereits wo meine Spinne wohnt. Wieder die Frage, ob diese Spinne, dieselbe Spinne ist, mit der ich den vergangenen Sommer verbrachte? Wie groß wird die Spinne auf meinem Schreibtisch einmal werden, wie lange kann ich mit ihr noch befreundet sein? Ob sie sich der Gefahr bewusst ist, in der sie sich befindet? Was eigentlich frisst diese Spinne, die meine Spinne ist, solange sie nicht flieht? — Neun Uhr zwölf in Rangen, Burma. — stop
Aus der Wörtersammlung: springspinne
johnny got his gun
echo : 2.55 — Ich will heute nichts tun, als mich von dem Film Johnny got his gun erholen. Sitze im Licht der Computermaschine und verzeichne mit einem Bleistift Wege, die meine Springspinne über den Schreibtisch spaziert, auf ein Blatt Papier. stop. Seltsame Figuren. stop. stop. Anatomisch betrachtet, zeigt sich die Wegstrecke des olympischen Feuers als offen liegende Nervenbahn einer Diktatur. — Zwei Uhr eins. Nacht in Rangen, Burma. — stop
mandelbrot
3.38 — Seit einigen Tagen bereits werde ich nachts gegen 1 Uhr müde. Nicht einfach müde in einer Weise, dass ich noch sagen könnte – Jetzt bist Du also müde, solltest einen schönen starken Kaffee trinken oder etwas schwarzen Tee mit Honig. Nein, das ist eine Müdigkeit, die aus dem Hinterhalt kommt, als Überfall oder so etwas. Vorhin erst habe ich meinen Kopf auf die Schreibtischplatte gelegt, um meine Springspinne, die gerade aus ihrer Höhle gekommen war, aus der Perspektive einer weiteren Spinne betrachten zu können. Das war ein Fehler gewesen. Es ist jetzt bereits 3 Uhr 30 und ich habe noch nicht eine der drei sehr kurzen Kurzgeschichten gelesen, die ich mir zur Übung Nacht für Nacht verordnet habe. Werde nun vorsichtig in die Küche gehen. Dann etwas Carver lesen und vielleicht, wenn ich nicht wieder eingeschlafen sein werde, über das schöne Wort Mandelbrotmenge nachdenken, über die Temperaturen des atlantischen Ozeans vor Neufundland, über schneeweisse Wale und andere wunderbare Dinge. — stop
segelspinne
3.08 — Eine Stunde genau ist vergangen, seit ein sehr kleiner Gegenstand den Luftraum über der Tastatur meiner Schreibmaschine durchquerte. Er kam von links, also von Westen, und flog nach rechts, also gegen Osten, und weil nicht das geringste Geräusch zu hören war, das Geräusch eines Aufpralls in etwa, war ich zunächst überzeugt, mich geirrt zu haben. Aber dann konnte ich im Licht der Tischlampe einen sehr feinen Faden erkennen, der sich über die Tasten gelegt hatte. Ich erinnerte mich sofort an eine Spinne, die ich im Frühjahr zuletzt auf meinem Schreibtisch gesehen habe, ein hübsches, geräuschloses Wesen. — Es ist jetzt kurz nach halb fünf Uhr und ich bin zufrieden. Ich habe eine Stunde lang nichts getan, als mit einem feinen Pinsel bewaffnet auf der Schreibtischplatte unter dem Licht des Elektromondes einen Kampf gegen eine Springspinne zu fechten, die kaum größer ist als ein Stecknadelkopf, schwarz und weiß getigert, und so verspielt wie eine junge Katze. — Habe ich diesem Text nicht bereits vor langer Zeit einmal nachgedacht? — stop