Aus der Wörtersammlung: theodor

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ramin

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char­lie : 7.55 UTC — Theo­dor erzähl­te, er sei mit einem jun­gen Mann befreun­det, der in Isfa­han im Iran gebo­ren wur­de. Er heis­se Ramin und lebe seit zehn Jah­ren in Euro­pa, ein­mal für vier Jah­re in Rom, dann zwei Jah­re lang in Genf, immer an der Sei­te sei­ner Eltern, Mut­ter wie Vater Sprach­wis­sen­schaft­ler. Zur Zeit nun lebt Ramin in Ham­burg. Voll­jäh­rig gewor­den woll­te er im ver­gan­ge­nen Jahr, im Win­ter prä­zi­se, nach New York rei­sen, ein gro­ßer Traum, ein­mal über die Brook­lyn — Bridge spa­zie­ren hin und zurück, lei­der habe er kei­ne Ein­rei­se­er­laub­nis erhal­ten. Das kön­ne län­ger dau­ern, habe man ihm gesagt, dass er nicht ein­rei­sen kön­ne, er sol­le sich kei­ne Hoff­nun­gen machen, es han­de­le sich um eine poli­ti­sche Ent­schei­dung, er sei gefähr­lich gewor­den von einem Jahr zum ande­ren Jahr. Seit­her erfin­det Ramin die Stadt New York, indem er klei­ne Geschich­ten über sie notiert. Er hat­te bemerkt, dass ihm Freu­de mache, Fil­me, die in New York auf­ge­nom­men wor­den sei­en, zu inspi­zie­ren. In Chi­na Town nahe dem Coll­ect Pond Park habe er ange­fan­gen, von dort aus arbei­te er sich wei­ter nord­wärts vor­an von Stra­ße zu Stra­ße, samm­le Foto­gra­fien, Ansich­ten der Goog­le Earth Anwen­dung, so ent­stün­de eine Art Spa­zier­gang, hoch­auf­lö­send, nord­wärts in Rich­tung Cen­tral Park. Er mache sich qua­si ein Bild aus Bil­dern oder sehr kur­zen Fil­men, und irgend­wann wer­de er die­ses Bild über­prü­fen, wie es riecht, sobald er per­sön­lich nicht mehr gefähr­lich sein wird. — stop

ping

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von den eisbriefen

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kili­man­dscha­ro : 6.28 — Für ein oder zwei Minu­ten war ich wild ent­schlos­sen gewe­sen, ein Grün­der zu wer­den, und zwar ges­tern Abend um kurz nach 22 Uhr. Ich war zum Brief­kas­ten gelau­fen, der nicht weit ent­fernt vom Haus, in dem ich lebe, an einer Wand befes­tigt ist. Ein Eich­hörn­chen, natür­lich, beglei­te­te mich. Es war sehr kalt, und plötz­lich habe ich wahr­ge­nom­men, dass ich, wenn es mir mög­lich wäre, gern Brie­fe von Eis ver­schi­cken wür­de, hauch­dün­ne Blät­ter gefro­re­nen Was­sers, die man in küh­len­de Kuverts ste­cken und in alle Welt ver­schi­cken könn­te. Eine wun­der­ba­re Vor­stel­lung nach­ge­ra­de, wie ein Mensch, dem ich einen Eis­brief gesen­det habe, in der Küche vor sei­nem Eis­schrank sitzt und mei­nen Brief für Sekun­den stu­diert, um ihn dann rasch wie­der in die Käl­te zurück­zu­le­gen, damit er nicht ver­schwin­det in der war­men Luft. Ich soll­te also bald ein­mal jene beson­de­ren Eis­pa­pie­re, ihre Fabri­ken und Läden erfin­den, und Kuverts, und Brief­käs­ten, die wie Kühl­schrän­ke funk­tio­nie­ren. Wo man die Brie­fe sor­tiert, in einem Post­amt, wür­de man in tief­ge­kühl­ten Räu­men arbei­ten, und alle die­se Auto­mo­bi­le, nicht wahr, die ver­eis­te Brief­wa­re über das Land beför­dern. Ein Unter­neh­men die­ser Art, wäre eine wirk­li­che Her­aus­for­de­rung, eine gute und sehr ver­rück­te Sache, so dach­te ich am gest­ri­gen Abend. Kaum war ich wie­der in mei­ne Woh­nung zurück­ge­kehrt, war aus der Grün­der­zeit bereits eine Erfin­der­zeit gewor­den. Und wie ich in die­sem Augen­blick vol­ler Freu­de im pola­ren Zim­mer vor mei­nem Schreib­tisch sit­ze, damp­fen­der Atem, Stift in der Hand, Stift, der mit kaum noch hör­ba­ren Pfei­fen Zei­chen in schim­mern­de Eis­pa­pier­bö­gen fräst. Ich schrei­be: Mein Lie­ber Theo­dor, ich woll­te Dir schon lan­ge ein­mal einen Eis­brief notie­ren. Hier nun, wie ver­spro­chen, ist er end­lich bei Dir ange­kom­men. Ich hof­fe, Du hast es schön kühl bei Dir. Wenn nicht, dann ist es sicher schon zu spät und Du kannst nicht lesen, was ich Dir auf­ge­schrie­ben habe, dass ich näm­lich den Wunsch habe, bald ein­mal zwei oder drei Tage zu schwei­gen, um den Kopf­stim­men stum­mer Men­schen nach­zu­spü­ren. Ich könn­te mich kurz vor Beginn mei­ner Stil­le ver­ab­schie­den von Freun­den: Bin tele­fo­nisch nicht erreich­bar! Oder einen Notiz­block besor­gen, um Fra­gen für den All­tag zu ver­zeich­nen, sagen wir so: Füh­ren sie in ihrem Sor­ti­ment Hör­ge­rä­te für Engel­we­sen fin­ger­groß? Eine Kärt­chen­samm­lung zu erwar­ten­der Wie­der­ho­lungs­sät­ze wei­ter­hin: Habe vor­über­ge­hend mein Ton­ver­mö­gen ver­lo­ren! – Es ist eine ange­neh­me Nacht, lie­ber Theo­dor. Ich erin­ner­te einen Satz René Chars, den er in sei­ner Gedicht­samm­lung “Lob einer Ver­däch­ti­gen” notier­te. Er schreibt, es gebe nur zwei Umgangs­ar­ten mit dem Leben: ent­we­der man träu­me es oder man erfül­le es. In bei­den Fäl­len sei man rich­tungs­los unter dem Sturz des Tages, und grob behan­delt, Sei­den­herz mit Herz ohne Sturm­glo­cke. Dein Lou­is, ganz herz­lich! — stop

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