echo : 22.57 UTC — Eine Frau erzählte auf dem Bildschirm meines Fernsehgerätes, ihr Mann sei über Schottland in großer Höhe von einer Bombe getötet worden. Sie habe den Koffer ihres Mannes erhalten, in dem sich seine saubere Kleidung befand. Er sei nie mit sauberer Kleidung von einer Geschäftsreise zurückgekehrt. Seine Kleidung, erfuhr sie, wurde von Frauen der kleinen Städtchen nahe Lockerbie gewaschen und gefaltet und gebügelt. Eine dieser faltenden Frauen erzählte wiederum, ihre Arbeit sei bisweilen merkwürdig gewesen. Sie seien 20 bis 30 Leute gewesen. Das rührte ans Herz. Viele in die Tiefe gestürzte Teddybären. Da war das rote Kleid eines 2‑dreijährigen Kindes. Manchmal sei sie nach Hause gekommen und habe geweint. — stop
Aus der Wörtersammlung: teddybär
nahe aleppo
echo : 21.11 UTC — Der Wagen schaukelte vor sich hin wie ein Schiff im Sturm auf hoher See. Das war gewesen, als Mutter versuchte, im Laufschritt eine Straße zu überqueren. Auch der Himmel schaukelte und das hölzerne Spiel, das vor meinen Augen angebracht worden war, damit ich das Greifen und Fangen übte. Kaum hatten wir die Straße überquert, sortierte ich mein Bett im Wagen, meine Rassel, meinen Teddybären, meine Handschuhe und Decke. Ein Winterbild. Auch immer wieder Gesichter, die näher kamen, um in mein schaukelndes Zimmer zu spähen. Und Hände, die mich neckten, fremde Finger. Manchmal schlief ich ein, weil ich mich gut und sicher fühlte. Ich war vielleicht zwei Jahre alt. Eine Fotografie existiert vom Kinderwagen und mir, eine Hand, ich erinnere mich, ist zu sehen, die aus dem Verdeck greift, das sich über meinem Köpfchen wölbte, als wollte sie etwas fangen in der Luft oder die Luft selbst. — Vor wenigen Minuten noch habe ich bewegte Bilder von Kindern gesehen, die nahe Aleppo blutend in einem Krankenhaus auf einer Bahre ruhten. Die Kinder weinten nicht. Ihre Arme und Hände ohne Bewegung, aber ihre Augen. Sie waren nah auf dem Bildschirm meiner Fernsehmaschine. Ich hörte klagende Stimmen aus dem Off, von dort, wohin mein Bildschirm nicht reichte. – stop
kleiner mann
nordpol : 18.16 UTC — Eine Sammlung von Kerzen am Ende eines Bahnsteiges, Sammlung von Rosen, Nelken, Tulpen, hunderte Sträuße und Briefe in allen möglichen Farben und Sprachen: Mach’s gut, kleiner Mann! Immer wieder dieser Satz, es leuchtet auch am Tag, und Menschen erscheinen oder bleiben stehen. Sie sind still, weil ein Kind von einem Zug überfahren wurde, weil ein verwirrter Mann das Kind vor einen Zug gestoßen hatte, ein Mann, der in Afrika geboren wurde, weswegen auch böse Personen immer wieder einmal böse Sätze über Hautfarben und Menschen aus der Fremde sagen. Meist aber ist es still, auch deshalb, weil die Fotoapparate heutzutage Telefone sind, die sich auch wie Fotoapparate benehmen, man hört nicht, wenn sie das Licht einfangen. Es wird viel fotografiert, vielleicht weil es hier berührt, hunderte Teddybären. Eine Frau, sie trinkt aus einer kleinen Flasche Cognac, neben ihrem Rollstuhl kauert ein Hund. Die Frau sieht elend aus, weint: Das arme Kind, sagt sie, und dass die hier fotografieren, das auch noch. Furchtbar ist das. Dann fährt sie davon, sehr dicht an der Bahnsteigkante entlang, Tage später ist vor Ort nichts mehr zu sehen, aber die Bilder in digitalen Kammern, auch vom Jungen, vom kleinen Mann, ein Bild, eine Fälschung. — stop
im haus der alten menschen : ein zimmer
tango : 22.22 UTC — Da sind Bilder und Fotografien an den Wänden, eine Katze und noch eine Katze, ein Mann unter einem Schneekirschbaum, der die Arme in die Luft wirft. Hände, die sich in ihren Fingern umarmen. Und zwei Lampen. Eine Lampe zum Knipsen und eine zum Streicheln, Licht an, Licht aus. Ein Hase von Bronze mit langen Ohren von Bronze. Ein hölzernes Kreuz auf einem Tisch. Ein weiteres hölzernes Kreuz an einer Wand. Und ein gusseiserner, bemalter Baum. Zwei blühende Orchideen, weiß. Ein Christstern, rot. Und ein Strauß geschnittener Blumen, wild. Ein Stern von Papier und eine Zeichnung von Kinderhand, dies und das. Pflegeschaumdosen. Cremetuben. Tücher. Tupfer. Klingen. Ein Radio. Vinylhandschuhe. Und eine Nahrungsmittelpumpe. Ein Bett. Eine Matratze, die sich bewegt. Ein Bündel getrockneter Blumen. Kompressen. Ein Messgerät. Ein Pillenzerstäuber. Fünf Bücher. Auch Proust, Briefe zum Leben. Ein kleines Schaf und ein Teddybär. Ein Engel von Porzellan. Ein Duftwasserflacon, Ohrstäbchen, Handvollmenge. Ein Rosenkranz und ein Tannenzapfen. Holzlöffel für Zunge und Hals. Eine Schere. Eine Pinzette. Eine Spritze. Ein Mundschaumstäbchen. Eine Windel. Terminplan für Logopädie gegen verlorenes Sprechen. Lavendelduftkissen. Keine Uhr, nur die eine, die mit mir ins Zimmer gekommen ist. — stop