Aus der Wörtersammlung: handy

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lichtprobe

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hima­la­ya : 3.10 — Ein Minu­ten­aus­schnitt aus der fürch­ter­li­chen Wirk­lich­keit eines Bür­ger­krie­ges. Im Film­do­ku­ment, das ich vor zwei Tagen beob­ach­tet habe, sind in der syri­schen Stadt Alep­po Män­ner zu sehen, sehr jun­ge, bei­na­he kind­lich wir­ken­de und etwas älte­re Män­ner, sie erschie­ßen wei­te­re Män­ner, die teil­wei­se kaum noch beklei­det waren und offen­sicht­lich von Schlä­gen ver­letzt. In einer Art Rausch, so neh­me ich das aus gro­ßer Ent­fer­nung wahr, wur­de getö­tet, auf­ge­nom­men von Han­dy­ka­me­ras. Kurz dar­auf waren die­se Hand­lun­gen auf Ser­ver­ma­schi­nen gela­den und sind seit­her von jedem Ort die­ser Welt, der über einen Inter­net­zu­gang ver­fügt, für unbe­stimm­te Zeit abruf­bar. Man kann den einen oder ande­ren der schie­ßen­den Män­ner für Sekun­den eben­so gut erken­nen wie jene Män­ner, die durch Schüs­se getö­tet wur­den. Hun­der­te, wenn nicht tau­sen­de die­ser Doku­men­te lie­gen vor. Was wird mit die­sen Doku­men­ten gesche­hen? Wer­den Sie bereits gesi­chert? In die­ser Minu­te viel­leicht? Und vom wem und in wel­cher Absicht? – stop

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misrata

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nord­pol : 6.38 — Ein fas­zi­nie­ren­des Wort geis­tert seit Mona­ten in mei­nem Kopf. Ich ken­ne das Wort schon lan­ge Zeit, hat­te ihm aber zunächst kei­ne beson­de­re Auf­merk­sam­keit geschenkt, bis ich das Wort in dem Zusam­men­hang einer unheim­li­chen Sze­ne hör­te aus dem Mund eines Repor­ters, der von der liby­schen Stadt Mis­ra­ta berich­te­te. Das war im Okto­ber des ver­gan­ge­nen Jah­res gewe­sen. Im Kühl­raum eines Super­mark­tes lager­te der Leich­nam Mua­mar Gad­da­fis auf einer Matrat­ze, das Haar des Dik­ta­tors war zer­zaust, sei­ne Augen geschlos­sen, der Mund leicht geöff­net, dün­ne Fäden von Blut sicker­ten aus zwei Wun­den. Men­schen stan­den in nächs­ter Nähe, ihre Fuß­spit­zen berühr­ten das Lager des Toten. Sie stan­den dort auf neu­gie­ri­gen Füßen, um den Leich­nam zu betrach­ten, man­che pho­to­gra­phier­ten mit Han­dy­ap­pa­ra­ten, ande­re, auch Kin­der waren unter ihnen, war­te­ten in einer Schlan­ge vor dem Gebäu­de dar­auf, ein­tre­ten zu dür­fen. Ich dach­te noch an den schar­fen Geruch des Todes, der dort unsicht­bar auf die war­ten­den Men­schen ein­wir­ken muss­te, als der kom­men­tie­ren­de Repor­ter bemerk­te, die Bevöl­ke­rung der geschun­de­nen Stadt wür­den sich aus allen Him­mels­rich­tun­gen nähern, um den Leich­nam Gad­da­fis und den sei­nes Soh­nes zu b e ä u g e n. In die­sem Augen­blick war das Wort, von dem ich hier berich­te­te, ein­ge­trof­fen, ein zar­tes Wort wan­dern­der Augen. Wie sich unver­züg­lich in der Gegen­wart die­ses Wor­tes der Schre­cken der Situa­ti­on, in etwas Mensch­li­ches, bei­na­he Kind­li­ches ver­wan­del­te, in ein Ver­hal­ten, das ich ver­ste­hen konn­te, eine Berüh­rung, eine Ver­ge­wis­se­rung, dass wahr ist, wovon man hör­te. Ein sanf­tes Wort in der Umge­bung eines Krie­ges, ein neu­ro­na­ler Hebel. — stop

ping

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istanbul

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nord­pol : 2.55 — Beob­ach­te­te nach­mit­tags auf mei­nem Fern­seh­bild­schirm einen Blitz, der einen Abend zuvor von einer Han­dy­ka­me­ra auf­ge­nom­men wor­den war. Die­ser Blitz ereig­ne­te sich in Istan­bul zu einem Zeit­punkt, als ich gera­de über­leg­te, ob ich in einem Buch lesen soll­te oder bes­ser noch etwas notie­ren über die Kirsch­holzwan­gen einer japa­ni­schen Frau, die ich gera­de erfin­de. Aber mein Kopf war in der feucht­war­men Luft doch sehr lang­sam gewor­den, also stell­te ich mich für zwei Minu­ten unter kal­tes Was­ser und als ich zurück­kam und mein Fern­seh­ge­rät ein­schal­te­te, konn­te ich sehen, was der Blitz, den ich erst einen Tag spä­ter mit eige­nen Augen sehen wür­de, ange­rich­tet hat­te. Men­schen lagen bewe­gungs­los auf einer Stra­ße her­um und ande­re Men­schen, die sich beweg­ten, ver­such­ten jene Men­schen, die lagen und sich nicht mehr beweg­ten, zu über­re­den, es ihnen gleich zu tun, also zu atmen und wei­ter­zu­le­ben, als sei der Blitz nie gesche­hen. Da war das Geräusch von Ambu­lan­zen, ein jau­len­der Ton, von dem ich häu­fig träu­me, und da war die Stim­me einer ame­ri­ka­ni­schen Frau, die die Explo­si­on zwei­er Bom­ben mel­de­te, einer klei­ne­ren, locken­den Bom­be und einer grö­ße­ren, mor­den­den Bom­be. Als ich ges­tern Nach­mit­tag dann auf mei­nem Fern­seh­bild­schirm jenen Blitz beob­ach­te­te, der so vie­le Men­schen töte­te, dass zwei Hän­de nicht aus­rei­chen, sie mit den Fin­gern zu zäh­len, habe ich über­legt, ob ich nicht bald ein­mal wagen soll­te, einen Atten­tä­ter zu erfin­den, also mich in einen Atten­tä­ter zu ver­wan­deln auf dem Papier, mich hin­ein­zu­ver­set­zen in eine Figur, die Bom­ben legt, um Men­schen zu töten. Ist es mög­lich, fra­ge ich, mich in einen Atten­tä­ter solan­ge hin­ein­zu­den­ken, wie ich mich in eine japa­ni­sche Frau hin­ein­den­ke, eine japa­ni­sche Frau mit einem kirsch­höl­zer­nen Gesicht, ohne Scha­den zu nehmen?

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