Aus der Wörtersammlung: im körper

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dos passos’ lesebrille

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del­ta : 22.01 — In dem Moment, da ich beim Augen­op­ti­ker mei­nen Wunsch nach einer Lese­bril­le vor­ge­tra­gen hat­te, war ich etwas ver­le­gen gewe­sen, als ob ich plötz­lich uralt gewor­den sei und etwas an Bedeu­tung ver­lo­ren hät­te. Ich sag­te nun zu dem Mann, der hin­ter dem Tre­sen stand: Hören Sie, ich brau­che eigent­lich noch kei­ne Bril­le. Ich sehe, glau­be ich, noch sehr gut nah und fern. Aber ich möch­te ger­ne die­ses Buch hier lesen. Ich leg­te John Dos Pas­sos’ Roman Man­hat­tan Trans­fer auf den Tre­sen ab, genau­er gesagt, Dos Pas­sos’ Roman in der deut­schen Taschen­buch­aus­ga­be des Rowohlt­ver­la­ges, ein Buch, dem sofort anzu­se­hen ist, dass man Papier spa­ren woll­te, eine ehren­wer­te Hand­lung, um Urwäl­der vor der Ver­nich­tung zu bewah­ren, das ist denk­bar. Man kann sich das so vor­stel­len: Die Zei­chen, die im Kör­per des Buches zu fin­den sind, sind äußerst klein gera­ten, alle Zei­len lie­gen dicht zuein­an­der und span­nen sich tat­säch­lich fast voll­stän­dig vom lin­ken bis zum rech­ten Rand der Sei­te. Es ist ein dicht bedruck­tes Buch, eine bei­na­he dunk­le Erschei­nung. Kön­nen Sie mir even­tu­ell mit einer pas­sen­den Bril­le wei­ter­hel­fen, frag­te ich den Opti­ker vor­sich­tig. Wis­sen Sie, wie ich bereits erwähn­te, ich brau­che eigent­lich noch kei­ne Bril­le! Der Opti­ker nahm also das Buch in die Hand, wog es hin und her, öff­ne­te es, warf einen kur­zen Blick auf die ers­te Sei­te des Romans und lächel­te, ich soll­te ihm fol­gen. Im Maga­zin, — es war ein sehr gro­ßes, erheb­li­ches, ja ein bedeu­ten­des Waren­la­ger -, führ­te er mich Schub­la­den­wän­de ent­lang, die bis unter die Decke reich­ten, es roch sehr gut, etwas nach Alko­hol und etwas nach fei­nen Motor­ölen. Nach einer Wei­le blieb er ste­hen und deu­te­te auf eine der Schub­la­den. Dort stand, gleich­wohl in sehr klei­ner Schrift geschrie­ben: Dos Pas­sos / Man­hat­tan Trans­fer. Wie er nun die Schub­la­de öff­ne­te, lagen dicht an dicht eini­ge sehr schö­ne Lese­bril­len in ver­schie­de­nen Far­ben und Grö­ßen und For­men. Über Dos Pas­sos’ Bril­len­schub­la­de war ein Fach mit der Beschrif­tung: Samu­el Beckett / Gesam­mel­te Roma­ne zu erken­nen. Gleich rechts davon lager­ten Ulys­ses’ Bril­len. – stop

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kaukasus : unsichtbare fotografie

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sier­ra : 2.08 – Okto­ber­licht, das auf eine Stra­ße fällt. In der Mit­te die­ser Stra­ße liegt eine jun­ge Frau auf dem Rücken. Sie liegt, als wür­de sie bald schla­fen, die Bei­ne von sich gestreckt. Eine blaue Blu­se. Gel­be Turn­schu­he. Jeans. Da und dort segelt ein Schat­ten unter der Haut ihrer Wan­gen, und doch ist das Gesicht ein schnee­wei­ßes Gesicht mit einem roten, blü­hen­den Mund. Augen, die halb geschlos­sen sind. Unend­lich müde blaue Augen oder doch eher unend­lich müde dunk­le Augen, ja, doch eher dunk­le Augen, das Blau der Blu­se irrt auf ihrem Gesicht her­um. Auch ihre Hän­de sind weiß und etwas blau. Eine Hand liegt auf der Stra­ße, die ande­re Hand auf dem Bauch der jun­gen Frau. Hän­de, die etwas plan­ten viel­leicht, Hän­de, die ange­hal­ten wur­den oder auf­ge­hal­ten, in dem man die Zeit im Kör­per der jun­gen Frau stopp­te oder lösch­te. Ja, kühl muss sie sein, kühl gewor­den, ohne jedes Lebens­feu­er, wie sie so auf der Stra­ße liegt. Kein Blut weit und breit. Nur ihr Mund, der blüht, weil die Far­be nicht ihre Far­be ist im Stern­licht auf einem Gesicht ohne Namen. Man darf das Gesicht jetzt foto­gra­fie­ren von allen Sei­ten. Also foto­gra­fiert man das Gesicht von allen Sei­ten. Man darf jetzt schrei­ben, die jun­ge Frau sei aus dem Süden gekom­men, vom Kau­ka­sus her. Also schreibt man, die jun­ge Frau sei aus dem Süden gekom­men, vom Kau­ka­sus her. Eine wei­te Rei­se, ihre Rei­se nach Mos­kau. Dort liegt sie jetzt. Eine Bom­be. Sie soll eine leben­de Bom­be gewe­sen sein. Wel­che Schu­le besuch­te sie? Was hat­te sie erlebt? Schwar­zes Haar.
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yanuk : fröhliche weihnachten

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del­ta

~ : yanuk le to : louis
sub­ject : FRÖHLICHE WEIHNACHTEN
date : dez 23 08 6.55 a.m.

In die­sen Minu­ten, Mr. Lou­is, will ich sehr lei­se und behut­sam von einer auf­re­gen­den Beob­ach­tung berich­ten. Du musst wis­sen, heu­te Mor­gen, als ich auf Höhe 385 schlaf­trun­ken mein Zelt ver­ließ, hat­te ich sofort bemerkt, dass wäh­rend der Nacht irgend­et­was gesche­hen sein muss­te, etwas Selt­sa­mes, etwas, das mei­ne klei­nen Affen­freun­de beun­ru­hig­te. Sie lagen nicht, wie üblich, vor sich hin däm­mernd lose auf dem höl­zer­nen Boden her­um, son­dern dicht anein­an­der gedrängt und beb­ten, als wür­den sie frie­ren. Alle sahen sie mit ihren zitro­nen­gel­ben Augen in ein und die­sel­be Rich­tung, starr­ten zum Stamm eines benach­bar­ten Bau­mes hin, ein Bün­del furcht­sa­mer oder viel­leicht stau­nen­der Bli­cke, das den schma­len, völ­lig unbe­klei­de­ten Kör­per eines Mäd­chens betas­te­te, der nur weni­ge Meter von uns ent­fernt über der Tie­fe hing. Ich hat­te natür­lich zunächst den Gedan­ken, dass das vor mir bau­meln­de Mäd­chen nur eine Erschei­nung gewe­sen war, viel­leicht ein Traum oder die Spur eines Trau­mes, die in einen wirk­li­chen Tag hin­über­reich­te. Beun­ru­higt wie mei­ne Freun­de, begann ich des­halb zunächst mit einer Kur­bel Strom für mei­ne Schreib­ma­schi­ne zu erzeu­gen. Eine kon­tem­pla­ti­ve Bewe­gung, eine, die ich auch im Schlaf ver­rich­ten könn­te. Wäh­rend ich so arbei­te­te, hör­te ich bald ein mensch­li­ches Lachen. Ja, Sie lesen ganz rich­tig, Mr. Lou­is, das Mäd­chen lach­te, ein fei­nes, hel­les Lachen war zu hören, und die Affen fauch­ten und wur­den so flach, als woll­ten sie spur­los ver­schwin­den im war­men Holz oder sonst wohin ganz unsicht­bar wer­den. Wie sich doch alle ver­trau­ten Geräu­sche ver­än­dern, sobald uner­war­te­te Din­ge gesche­hen. Ich hör­te mei­ne eige­ne Stim­me, wie sie sag­te, das ist unglaub­lich, das ist ganz unglaub­lich, und ich hör­te auf zu kur­beln und sah dem Mäd­chen in die Augen, und sofort klapp­te sie ihre Augen zu. Ich glau­be, sie schläft jetzt wäh­rend ich die­se Sät­ze so behut­sam schrei­be wie ich nur kann, um das Mäd­chen nicht zu wecken. Ja, stel­len Sie sich vor, Mr. Lou­is, sie scheint tat­säch­lich tief und fest zu schla­fen, wäh­rend sie den Ast, der sie trägt, mit ihrer lin­ken Hand umfasst. Die rech­te Hand liegt flach auf ihrem Bauch, einem mus­ku­lö­sen Bauch von hel­lem Schein, opak, als wür­de ein Teil des Son­nen­lichts sich im Kör­per des Mäd­chen ver­fan­gen und wei­ter­leuch­ten, von Innen her­aus wei­ter­leuch­ten. Wenn sie nur nicht los­las­sen wird in die­ser Höhe! Kein Haar auf dem Kör­per des Mäd­chens zu sehen. Das ist natür­lich selt­sam und ich weiß noch nicht genau, war­um das so ist. Ich will Dir, Mr. Lou­is, an die­ser Stel­le mei­ne herz­li­chen Weih­nachts­grü­ße über­mit­teln aus mei­nen tro­pi­schen Räu­men. Und so mache ich das jetzt, ehe ich einen ers­ten Ver­such unter­neh­men wer­de, mit dem Mäd­chen ein Gespräch zu füh­ren. Viel­leicht wer­de ich ihr mei­ne Blü­ten­zeich­nun­gen zei­gen, die ich wäh­rend der ver­gan­ge­nen Tage sam­mel­te. Fröh­li­che Weih­nach­ten! Cucur­ru­cu — Yanuk

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