Aus der Wörtersammlung: papier

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helene hanff

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6.07 — Leich­ter Schnee­fall. Papier­licht. Las in Hele­ne Hanffs wun­der­vol­ler Brief­samm­lung 84, cha­ring cross road. Wie­der der 25. März 1950. New York. 14 East 95th St. — Frank Doel, was TUN Sie eigent­lich da drü­ben?? Sie tun gar NICHTS, Sie sit­zen nur HERUM! Wo bleibt Leigh Hunt? Und wo die Oxford Gedicht­an­tho­lo­gie? Wo bleibt die Vul­ga­ta und wo der lie­be ver­trot­tel­te John Hen­ry? All das wäre eine so net­te auf­bau­en­de Lek­tü­re für die Fas­ten­zeit gewe­sen … und Sie schi­cken mir abso­lut nichts! Sie las­sen mich hier sit­zen und lan­ge Rand­be­mer­kun­gen in Biblio­theks­bü­cher schrei­ben, die mir nicht gehö­ren. Eines Tages wird das her­aus­kom­men, und sie wer­den mir mei­nen Biblio­theks­aus­weis weg­neh­men. Ich habe mit dem Oster­ha­sen eine Abma­chung getrof­fen, Ihnen ein Ei zu brin­gen. Er wird her­über­kom­men und fest­stel­len, dass Sie in Untä­tig­keit ver­stor­ben sind. Für den nahen­den Früh­ling brau­che ich unbe­dingt einen Band mit Lie­bes­ge­dich­ten. Kei­nen Keats oder Shel­ley! Schi­cken Sie mir Dich­ter, die Lie­be machen kön­nen, ohne zu sab­bern – Wyatt oder Jon­son oder irgend­ei­nen ande­ren … den­ken Sie sich selbst etwas aus. Ein­fach ein schö­nes Buch, schmal genug, um in eine Anzug­ta­sche gesteckt und in den Cen­tral Park mit­ge­nom­men zu wer­den. Also, sit­zen Sie nicht her­um! Spü­ren Sie es auf! Es ist mir wirk­lich ein Rät­sel, wie die­ser Laden exis­tie­ren kann. — stop

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kinderwelten

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9.55 — Ich hat­te ein Kin­der­buch, das ich zufäl­lig in einer Kis­te ent­deck­te, vor mir auf den Schreib­tisch gelegt, illus­trier­te Erzäh­lun­gen aus Tau­send und einer Nacht. Ich konn­te mich an bei­na­he jedes Detail der Zeich­nun­gen, die sich in dem Buch befan­den, erin­nern, das heißt, ich erkann­te die Zeich­nun­gen wie­der, auch den Geruch des Papiers, einen Tin­ten­fleck, mei­ne kind­li­che Schrift, die eine der Erzäh­lun­gen kom­men­tier­te. Heu­te, ange­sichts zwei­er Buben, — sie kämpf­ten in einer U‑Bahn mit­tels hand­li­cher Kon­so­len ver­bis­sen gegen­ein­an­der -, die Vor­stel­lung, wie in Zukunft uralte Men­schen nicht Büchern, son­dern ihren Spiel­zeug­ma­schi­nen aus Kin­der­ta­gen begeg­nen, vir­tu­el­len Wel­ten von unge­heu­rer Rechen­leis­tung. — stop

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papiere

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23.30 — Ob es viel­leicht mög­lich ist, Papie­re zu erfin­den, die ess­bar sind, nahr­haft und gut ver­dau­lich? Man könn­te sich in einen Park set­zen, bei­spiels­wei­se und etwas Chat­win beob­ach­ten oder Lowry oder Cal­vi­no, Bücher, die Sei­te für Sei­te nach bel­gi­schen Waf­feln schmeck­ten, nach Bir­nen, Gin, Petro­le­um oder sehr fei­nen Höl­zern. Einen spe­zi­el­len Duft schon in der Nase, wird die ers­te Sei­te eines Buches gele­sen, und dann blät­tert man die Sei­te um und liest wei­ter bis zur letz­ten Zei­le, und dann isst man die Sei­te auf, ohne zu zögern. Oder man könn­te zunächst das ers­te Kapi­tel eines Buches durch­kreu­zen, und wäh­rend man kurz noch die Geschich­te die­ser Abtei­lung reka­pi­tu­liert, wür­de man Stür­me, Per­so­nen, Orte und alle Anzei­chen eines Ver­bre­chens ver­spei­sen, dann bereits das nächs­te Kapi­tel eröff­nen, wäh­rend man noch auf dem Ers­ten kaut. Man könn­te also, eine Biblio­thek auf dem Rücken, für ein paar Wochen eisi­ge Wüs­ten durch­strei­fen oder ein paar sehr hohe Ber­ge bestei­gen und abends unter dem Gas­licht in den Zel­ten lie­gen und lesen und kau­en und wür­de von Nacht zu Nacht leich­ter und leich­ter wer­den. – Sechs Uhr drei­ßig in Nay­py­idaw, Bur­ma. Mor­gen­däm­me­rung. — stop

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eugene ionesco

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3.45 — Neh­men wir ein­mal an, alles Papier die­ser Welt wür­de in eben­die­ser Minu­te zu Staub zer­fal­len. Wäre es denk­bar, Eugè­ne Ionescos Kos­mos in der Elek­tro­sphä­re zu rekon­stru­ie­ren? Wie vie­le Vari­an­ten Ionescos könn­ten wir dort fin­den? Wür­den wir Ionesco wie­der­erken­nen? — stop

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steinzeichenmaschine

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0.55 — Eine merk­wür­di­ge Per­son könn­te ein­mal erfun­den wor­den sein, ein Mann, der vor einer schwe­ren, mecha­ni­schen Schreib­ma­schi­ne sitzt. Er notiert, ohne ein Farb­band ein­ge­legt zu haben. Dann nimmt er das Papier aus der Maschi­ne und macht den Ein­druck der Zei­chen­sät­ze sicht­bar, indem er mit einem Blei­stift das Papier ver­dun­kelt. — stop

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im wald

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14.12 — Träum­te einen Wald. Küh­le Luft dort, stei­ner­ne Hal­me bis unter den Him­mel, uraltes Zeug. Auch Affen, sie waren durch­blu­tet, mäch­ti­ge Tie­re, von Kopf bis Fuß schwarz-weiß in Strei­fen. Auch die Ohren, schwarz und weiß. Sehr klei­ne Ohren, Ohren aus Mensch. Auf einer Lich­tung dreh­te sich eine Kugel dicht über dem Boden, rasend schnell, elek­trisch beleuch­tet, war­mes, ange­neh­mes Licht. Sand flog auf an Ort und Stel­le, und Laub. Da war noch Musik, eine Orgel, direkt aus dem Boden, Wal­zer­mu­sik. Auch Stim­men von dort, gedämpf­te Stim­men. Nicht weit, etwas loses Papier im Gras. Und lee­re Fla­schen. Die Luft stank nach Schnaps, nach Urin und die­sen Din­gen. Im Schat­ten einer kräf­ti­gen Buche lagen ein paar Bücher her­um, ein Lowry, etwas Duras, etwas Fitz­ge­rald, auch von Joy­ce ein paar Sei­ten, von O’Neill. Plötz­lich Däm­me­rung, Zwie­licht. Ich erin­ne­re mich an das Haupt von Patri­cia High­s­mith, das aus dem Boden rag­te. Das war ein sehr schmut­zi­ger Kopf, ein Kopf, der lach­te. Der Kopf sah mich an und sag­te, hei­se­re Stim­me: Mal­colm hat wie­der ein Manu­skript ver­lo­ren. Dann schwieg er. Dann aber kühl: Ich wün­sche eine Bestel­lung auf­zu­ge­ben. — stop

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