Aus der Wörtersammlung: sand

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rote handtasche tot

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20.50 — Die alte Frau mit der roten Hand­ta­sche ist tot. Wäh­rend des Tages irgend­wann muss sie im Hos­pi­tal gestor­ben sein. Jetzt, es ist ohne sie wie­der Abend gewor­den, ver­lässt ihr Fern­seh­ge­rät das Haus. Ein Hin und Her auf der Stra­ße, noch nie gese­he­ne, tief­flie­gen­de Vögel. Im Haus, vom Flur her, Kampf­ge­räu­sche, Geze­ter, Ver­wün­schun­gen, Emp­feh­lun­gen, hei­se­re Stim­men. Der Sohn ist da und der Sohn des Soh­nes, betrun­ken steht der blut­jun­ge Gei­er auf der Stra­ße her­um und regelt den Ver­kehr. Woh­nungs­auf­lö­sung. Nun, zu vor­ge­rück­ter Stun­de, hat sich mir das Wort erschlos­sen. Ein Pro­zess der Entro­pie, der Ver­wer­tung, des Ver­schwin­dens. Ich sehe die Ver­schwun­de­ne wie im Traum, eine 89-jäh­ri­ge Frau in bun­ter Klei­dung, Steh­lam­pe in der Hand, das Haus ver­las­sen. Unlängst noch war sie unter­wegs gewe­sen. Sie hat­te bereits den Gang der Hoch­see­ma­tro­sen. Manch­mal ras­te­te sie im Schat­ten der Bäu­me. Sie ging spa­zie­ren, als mel­de sie sich, Tag für Tag, bin noch am Leben. Nie­mand weiß genau, wie lan­ge sie in der Gegend, die­sem Haus, die­ser Woh­nung leb­te, sie war schon hier, als Bom­ben fie­len, und noch immer, bis ges­tern, stolz und ein­sam und zu lang­sam für die rasen­de Stadt. Jawohl, sie war stolz gewe­sen, ließ sich nicht hel­fen, nie­mand durf­te ihr Milch oder den Sand für ihre Tie­re durch das Trep­pen­haus in die Woh­nung tra­gen. Manch­mal heul­te das Fern­seh­ge­rät durch die Wand. Jetzt ist es vor­bei, jetzt wer­den Mon­teu­re und Maler kom­men. Es ist vor­bei, auch für die Kat­zen. — stop

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salznamen

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2.01 — Dass die Fische eines Schwarms kei­ne Namen tra­gen. Auch die Som­mer­fä­den eines August­him­mels oder die Mole­kü­le eines Was­ser­trop­fens sind kaum je beschrif­tet, wie der Sand einer Wüs­te ohne jede Bezeich­nung ist, sodass man eine Hand­voll Sand nicht auf einen Tisch wer­fen könn­te und sagen, die­ser klei­ne Stein hier, das ist S‑sa­ha­ra-No 537675258386. Ich sehe Dich, aber ich gebe Dir kei­nen Namen. Statt­des­sen ver­su­chen wir den Him­mel. Wir sagen: Das ist Gala­xie M‑23. Und die­ser blaue Nebel hier ver­dun­kelt die Gala­xie M‑C58. Unse­re elek­tro­ni­schen Augen sind emp­find­lich. Wir könn­ten mit die­sen Augen viel­leicht einen Golf­ball auf dem Mond erken­nen oder eine Tele­fon­zel­le auf dem Mars, nicht aber einen Stern hin­ter einem Stern in einer 7 Mil­lio­nen Licht­jah­re ent­fern­ten Spi­ral­ga­la­xie. Viel­leicht soll­te ich, wenn ich wie­der ein­mal auf­ge­regt sein wer­de, weil mir der Him­mel auf den Kopf zu fal­len droht, einen Tee­löf­fel Salz auf mei­nen Schreib­tisch schüt­ten und eine Zäh­lung und Bezeich­nung der Kris­tal­le vor­neh­men. Wie lan­ge Zeit wür­de ich zäh­len? Könn­te ich je wie­der auf­hö­ren? — stop

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im wald

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14.12 — Träum­te einen Wald. Küh­le Luft dort, stei­ner­ne Hal­me bis unter den Him­mel, uraltes Zeug. Auch Affen, sie waren durch­blu­tet, mäch­ti­ge Tie­re, von Kopf bis Fuß schwarz-weiß in Strei­fen. Auch die Ohren, schwarz und weiß. Sehr klei­ne Ohren, Ohren aus Mensch. Auf einer Lich­tung dreh­te sich eine Kugel dicht über dem Boden, rasend schnell, elek­trisch beleuch­tet, war­mes, ange­neh­mes Licht. Sand flog auf an Ort und Stel­le, und Laub. Da war noch Musik, eine Orgel, direkt aus dem Boden, Wal­zer­mu­sik. Auch Stim­men von dort, gedämpf­te Stim­men. Nicht weit, etwas loses Papier im Gras. Und lee­re Fla­schen. Die Luft stank nach Schnaps, nach Urin und die­sen Din­gen. Im Schat­ten einer kräf­ti­gen Buche lagen ein paar Bücher her­um, ein Lowry, etwas Duras, etwas Fitz­ge­rald, auch von Joy­ce ein paar Sei­ten, von O’Neill. Plötz­lich Däm­me­rung, Zwie­licht. Ich erin­ne­re mich an das Haupt von Patri­cia High­s­mith, das aus dem Boden rag­te. Das war ein sehr schmut­zi­ger Kopf, ein Kopf, der lach­te. Der Kopf sah mich an und sag­te, hei­se­re Stim­me: Mal­colm hat wie­der ein Manu­skript ver­lo­ren. Dann schwieg er. Dann aber kühl: Ich wün­sche eine Bestel­lung auf­zu­ge­ben. — stop

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