3.08 — Eine Stunde genau ist vergangen, seit ein sehr kleiner Gegenstand den Luftraum über der Tastatur meiner Schreibmaschine durchquerte. Er kam von links, also von Westen, und flog nach rechts, also gegen Osten, und weil nicht das geringste Geräusch zu hören war, das Geräusch eines Aufpralls in etwa, war ich zunächst überzeugt, mich geirrt zu haben. Aber dann konnte ich im Licht der Tischlampe einen sehr feinen Faden erkennen, der sich über die Tasten gelegt hatte. Ich erinnerte mich sofort an eine Spinne, die ich im Frühjahr zuletzt auf meinem Schreibtisch gesehen habe, ein hübsches, geräuschloses Wesen. — Es ist jetzt kurz nach halb fünf Uhr und ich bin zufrieden. Ich habe eine Stunde lang nichts getan, als mit einem feinen Pinsel bewaffnet auf der Schreibtischplatte unter dem Licht des Elektromondes einen Kampf gegen eine Springspinne zu fechten, die kaum größer ist als ein Stecknadelkopf, schwarz und weiß getigert, und so verspielt wie eine junge Katze. — Habe ich diesem Text nicht bereits vor langer Zeit einmal nachgedacht? — stop
Aus der Wörtersammlung: zeit
wartezeit
0.15 — Ich schreibe diesen Text heut Nacht nur aus einem Grund: Ich wünsche, wach zu bleiben. Vor den Fenstern: Dunkel. Das Licht einer Straßenlaterne ist ausgefallen und der Himmel bedeckt. Jetzt stehe ich auf. Laufe hin und her und pfeife. Sobald ich am Schreibtisch vorüberkomme, setzte ich mich und schreibe ein paar Wörter und dann stehe ich wieder auf und gehe pfeifend weiter. Nichts weist darauf hin, dass dieser Text tatsächlich von einem laufenden Menschen gedacht und geschrieben wurde, von einer Person, die je nur ein oder zwei Worte notierte, um sogleich weiterzugehen. Alles könnte nur behauptet sein. — Weshalb höre ich auf zu pfeifen, sobald ich schreibe? Ist die Zeit, die ich damit verbringe, auf ein Wort zu warten, als Arbeitszeit anzusehen? Ist der Zustand konzentrierter Aufmerksamkeit für sich schon eine Leistung? — stop
ein kaiser und sein ohr
8.15 — Ich hörte, vor sehr langer Zeit habe der Kaiser von China in der verbotenen Stadt ein Ohr auf den Boden gelegt, um herauszufinden, was in der Welt vor den verschlossenen Toren geschieht. Was wird er vernommen haben? — stop
ham
2.02 — Seit Tagen sitze ich immer wieder einmal vor einer Fotografie, die den Schimpansen Ham zeigt. Zu einer Zeit, als ich noch nicht geboren war, wurde dieser berühmte, nordamerikanische Affe durch den Weltraum geschossen. Sein merkwürdiger Ausdruck kurz nach der Landung, ein Blick nach innen, vielleicht der nachträumende Blick aller Raumfahrer dieser Welt. — stop
medusenzimmer
4.37 — Man stelle sich einmal ein Zimmer vor, ein freundliches, helles Zimmer von allerfeinster Quallenhaut, ein Zimmer von Wasser, ein Zimmer von Salz, ein Zimmer von Licht. Man könnte dieses Zimmer und alles, was sich im Zimmer befindet, das Quallenbett, die Quallenuhr, und all die Quallenbücher und auch die Schreibmaschinen von Quallenhaut, trocknen und falten und sich 10 Gramm schwer in die Hosentasche stecken. Und dann geht man mit dem Zimmer durch die Stadt spazieren. Oder man geht kurz mal um die Ecke und setzt sich in ein Kaffeehaus und wartet. Man sitzt also ganz still und zufrieden unter einer Ventilatormaschine an einem Tisch, trinkt eine Tasse Kakao und lächelt und ist geduldig und sehr zufrieden, weil niemand weiß, dass man ein Zimmer in der Hosentasche mit sich führt, ein Zimmer, das man jederzeit auspacken und mit etwas Wasser, Salz und Licht, zur schönsten Entfaltung bringen könnte. – Null Uhr acht : Haben wir noch alle Tassen im Schrank? — stop
das jahr 2102
20.01 — Nehmen wir einmal an, ich würde in dieser Sekunde die Lesung meines ureigenen Textes beginnen, würde nicht schlafen ehe ich zu einem letzten A, C, G oder T gekommen bin, würde Tag und Nacht, Zeichen um Zeichen, Sekunde um Sekunde, meinen Text zur Sprache bringen, dann buchstabierte ich 833.333 Stunden durch die Zeit. Das sind 34.722 Tage oder 95 Jahre. Im Jahr 2102, an einem Sonntag im September, würde ich vielleicht von vorn beginnen. — stop
No signal. Going to sleep
18.15 — Blick auf James Watsons Fotografie, nachdem ich versuchte, in seine Zeichenkette vorzudringen. Ein stillstehender Mensch mit Pipette. Lange andauernde Belichtung, bis die Computermaschine meldet : No signal. Going to sleep. Sind wir seltsam geworden? — stop
luftbeben
2.15 — Heute Nacht, weiß der Himmel warum, knistern die Wände meiner hölzernen Zimmer. Vielleicht ist der Boden unter der Stadt nach Norden vorgerückt, und ich höre in diesen Stunden das Nachfedern des Hauses. Oder aber feinste Substanzen der Luft sind in elektrischer Bewegung, weil hinter den wandernden Erdmagneten bereits Winter wird. Um eins gehe ich aus dem Haus. Um zwei bin ich zurück. Jetzt ist es fünfzehn Minuten später und in New York gerade kurz nach sieben Uhr Abend, beste Zeit einen kleinen Imbiss zu mir zu nehmen. Dann wieder an die Arbeit. Habe noch ein paar Namen zu erfinden. Geräusche, sagen wir: — Burma 8. Mandrill. Subseven. Milanomaki. — Gern würd ich die kommenden 500 Jahre überleben. — stop
sammler
pingpong
20.12 — Früher Abend. Sehr heiße Luft. Ich frage mich, sind Geschöpfe, die über 5 Beinpaare verfügen, noch als Käfer anzusehen? Ich schreibe einem Freund eine E‑Mail. Kaum habe ich meine Frage notiert, abgeschickt und mich erhoben, um etwas die Beine zu vertreten, kommt ( Ping ) seine Antwort: Bin zurück > Sonntag, 26. August 2012. Haben Sie eine gute Zeit. Truman. Es ist jetzt 10 Minuten später. Eine gute Geschichte. Habe ich diese Geschichte erfunden? — stop