Aus der Wörtersammlung: entfaltung

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lund

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MELDUNG. Sören K., 68 Jah­re, der für eine Win­ter­nacht lang das Schließ­fach 88 Söder [ H:615 T:930 B:472 ] des Stock­hol­mer Haupt­bahn­ho­fes bewohn­te, wur­de um Zehnzwölf Uhr zur Ent­fal­tung in eine Poly­kli­nik ver­bracht. Anga­be in Mil­li­me­ter. Gebo­ren in Lund. — stop

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im nachtexpress

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MELDUNG. In einem Groß­raum­wa­gon des Nacht­ex­pres­ses Mozart von Mün­chen ( Flug­ha­fen ) nach Wien ( Haupt­bahn­hof ) sind gegen Mit­ter­nacht auf­grund ver­se­hent­li­cher Ent­fal­tung eines 2‑Sekundenzeltes drei tas­ma­ni­sche Sing­zi­ka­den ( Cica­di­dae ), 22 aus­tra­li­sche Kno­ten­amei­sen ( rot / Myr­micinae ) sowie ein Dorn­teu­fel­chen ( 25 Gramm ) in die Frei­heit ent­wi­chen. Noch etwas wei­te­res war flüch­tig, das knurr­te ehe es ver­stumm­te. — stop

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von nelken

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echo : 6.10 — Ich beob­ach­te­te eine alte Frau, wie sie unter einem Regen­schirm im Gar­ten kniend Nackt­schne­cken von Nel­ken­blu­men pflück­te. Neben sich hat­te die alte Frau einen klei­nen Eimer abge­stellt, der sich nach und nach mit Schne­cken­kör­pern füll­te. Hef­ti­ger Regen. Ich konn­te den Regen hören, wie er auf den Schirm der alten Frau trom­mel­te. Und ich hör­te eine hel­le Stim­me, die mit sich selbst oder zu den Schne­cken sprach. Immer wie­der ein­mal stand die alte Frau vor­sich­tig auf, um in ihr Haus zurück­zu­keh­ren. Sie klopf­te dann ihre Schu­he ab, stand hin­ter dem Fens­ter, schau­te in den Gar­ten und war­te­te bis wei­te­re Schne­cken ohne Häu­ser in die Nähe ihrer Nel­ken gekom­men waren. Die­se Schne­cken reis­ten nicht von der Sei­te her an, son­dern kamen tat­säch­lich von unten aus dem erdi­gen Boden her­auf. Waren es wie­der vie­le Schne­cken gewor­den, kehr­te die alte Frau zurück in ihren Gar­ten und erneut hör­te ich den Regen und eine hel­le Stim­me. Ich hat­te bald den Ein­druck, die­se Schne­cken, die unab­läs­sig aus dem Boden stie­gen, könn­ten rein aus etwas Haut und kla­rem Was­ser bestehen, es waren der­art vie­le, dass sie ganz ein­fach zunächst sehr klei­ne Wesen sein muss­ten, die sich zu ihrer vol­len Ent­fal­tung mit Was­ser füll­ten sobald es reg­ne­te. Nach drei Stun­den war der Eimer gefüllt und die alte Frau deck­te ihn mit einem Koch­topf­de­ckel zu, hol­te aus dem Haus einen wei­te­ren Eimer, der etwas grö­ßer gewe­sen war, als der ers­te Eimer. Es däm­mer­te, dann war es dun­kel, und als es rich­tig dun­kel gewor­den war, fins­ter, kehr­te die alte Frau mit einer Taschen­lam­pe in den Gar­ten zurück. Sie trug jetzt Gum­mi­stie­fel an den Füßen und ein Nacht­hemd und es reg­ne­te noch immer. — stop

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münchen — mariupol

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echo : 22.01 — Einen Gegen­stand mit Gedan­ken durch­drin­gen. Halt­bar machen. Eine Geschich­te, eine schwie­ri­ge Geschich­te, zur Erfah­rung notie­ren. Nicht im Schrei­ben liegt die Schwie­rig­keit, son­dern dar­in, so zu leben, daß das zu Schrei­ben­de ganz natür­lich ent­steht. Etwas heu­te bei­na­he Unmög­li­ches; aber ich kann mir kei­nen ande­ren Weg vor­stel­len. Dich­tung als Ent­fal­tung, Blü­te, oder nichts. Alle Kunst der Welt könn­te die­ses Nichts nicht ver­ber­gen. Phil­ip­pe Jac­cot­tet. stop — Eine Rei­se von Mün­chen nach Mariu­pol in Wor­ten > Haupt­bahn­hof : Rich­tung Wes­ten 300 m Links Rich­tung Bay­er­stra­ße abbie­gen 53 m Rechts abbie­gen auf Bay­er­stra­ße 500 m Wei­ter auf Lands­ber­ger Str. 900 m Rechts auf die Auf­fahrt nach A9/ Nürnberg/ Flug­ha­fen Mün­chen abbie­gen 250 m Auf Donnersbergerbrücke/ B2R fah­ren Wei­ter auf B2R 3,4 km Die Auf­fahrt Rich­tung Salzburg/ Passau/ Nürnberg/ Flug­ha­fen München/ A94/ bald in Tsche­chi­en. A9 neh­men 550 m Wei­ter auf Georg-Brauch­le-Rin­g/­B2R 46,9 km Am Auto­bahn­kreuz 65-Drei­eck Hol­le­dau rechts hal­ten und den Schil­dern A93 in Rich­tung Hof/ Regensburg/ Wolnz­ach fol­gen 750 m Wei­ter auf A93 128 km Am Auto­bahn­kreuz 28-Kreuz Ober­pfäl­zer Wald rechts hal­ten und den Schil­dern A6 in Rich­tung Prag/ Praha/ Waidhaus/ Vohenstrauß/ Tsche­chi­en fol­gen 33,7 km Sie sind Wei­ter auf D5/ E50 151 km Bei Aus­fahrt 1 in Pražs­ký okruh/ E50/ R1 Rich­tung Brno ein­fä­deln 29,2 km Die Aus­fahrt D1/ E65/ E55 nehmen1,0 km Auf D1/ E50/ E65 fah­ren 193 km Wei­ter auf Rou­te 50/ D1/ E50 6,4 km Wei­ter auf D1/E462 19,1 km Bei Aus­fahrt 230 auf R46/ E462 in Rich­tung Olomouc/ Ostrava/ Vyš­kov fah­ren 900 m Wei­ter auf E462/R46 36,4 km Bei Aus­fahrt links in E442/ E462/ R35 Rich­tung Hranice/ Opava/ Ostrava/ Olo­mouc-Holi­ce/ Rou­te 35/ R46 abbie­gen­Wei­ter auf E462 45,7 km Wei­ter auf D Sie sind bald in Polen. 65,3 km  >

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quallenhautkoffer

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ulys­ses : 3.25 — Ein blau­er ita­lie­ni­scher Him­mel und Wär­me, Hit­ze. Mit­te Mai. Über den Sand­bo­den schau­keln müde Eidech­sen, zwei Enten sit­zen auf einer Park­bank in unse­rer Nähe im Park. Als wir tele­fo­nier­ten, erin­nert sie mich dar­an, dass sie in einer Grenz­si­tua­ti­on lebe. Ich ver­ges­se immer wie­der ihr Alter. Sie sei bald voll­stän­dig belich­tet, rei­se aber noch viel her­um, Kof­fer wer­den ihr getra­gen, mit einem klei­nen Ruck­sack auf dem Rücken, Notiz­bü­chern, einem Note­book. Das Note­book ruht in die­sem Moment auf ihren Knien. Sie sucht in der digi­ta­len Sphä­re einen Text, an den ich mich erin­nern kann. Sie liest mir vor, und ich notie­re vom Qual­len­zim­mer. Sie will das Zim­mer von mei­ner Hand in ihrem Notiz­buch haben. Ich schrei­be lang­sam. Im Notiz­buch fin­den sich zahl­rei­che wei­te­re Hand­schrif­ten, die nicht ihre Hand­schrif­ten sind. Sie scheint Geschich­ten zu sam­meln, oder Augen­bli­cke des Schrei­bens. Ich höre mei­ne eige­ne Geschich­te, eine Ent­de­ckung mei­ner Hän­de, die von einem freund­li­chen, hel­len Raum erzäh­len, einem Zim­mer von feins­ter Qual­len­haut, einem Zim­mer von Was­ser, einem Zim­mer von Salz, einem Zim­mer von Licht. Man könn­te die­ses Zim­mer, und alles was sich im Zim­mer befin­det, das Qual­len­bett, die Qual­len­uhr, und all die Qual­len­bü­cher und auch die Schreib­ma­schi­nen von Qual­len­haut, trock­nen und fal­ten und sich 10 Gramm schwer in die Hosen­ta­sche ste­cken. Und dann geht man mit dem Zim­mer durch die Stadt spa­zie­ren. Oder man geht kurz mal um die Ecke und setzt sich in ein Kaf­fee­haus und war­tet. Man sitzt also ganz still und zufrie­den unter einer Ven­ti­la­tor­ma­schi­ne an einem Tisch, trinkt eine Tas­se Kakao und lächelt und ist gedul­dig und sehr zufrie­den, weil nie­mand weiß, dass man ein Zim­mer in der Hosen­ta­sche mit sich führt, ein Zim­mer, das man jeder­zeit aus­pa­cken und mit etwas Was­ser, Salz und Licht, zur schöns­ten Ent­fal­tung brin­gen könn­te. — stop

polaroidparents

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quallenuhr

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ulys­ses

~ : oe som
to : louis
sub­ject : QUALLENUHR
date : sept 12 12 10.22 a.m.

Ganz plötz­lich, lie­ber Lou­is, habe ich Lust bekom­men, Dir zu schrei­ben. Eigent­lich woll­te ich mich erst am kom­men­den Sams­tag mel­den, aber ein Sturm bewegt sich auf uns zu und es ist nichts zu tun, als zu war­ten, ob er uns mit vol­ler Wucht tref­fen wird. Ver­mut­lich ist es die­se War­te­rei, die an unse­ren Ner­ven zerrt. Auch, dass die Tage wie­der kür­zer wer­den. Ges­tern haben wir einen Schwarm Tin­ten­fi­sche beob­ach­tet, der unser Schiff umkreis­te. Eine unge­wöhn­li­cher Anblick, die Tie­re waren schnee­weiß. Wir haben eini­ge gefan­gen, sie schme­cken süß, wenn man sie brät, nach Brot, nach Gebäck, nach Man­deln. Beun­ru­hi­gend ist, dass sie weder über Her­zen noch Augen ver­fü­gen. Eine hal­be Nacht haben wir einen Fisch nach dem andern durch­sucht. Als wir kein Exem­plar mehr hat­ten, um unse­re Suche fort­set­zen zu kön­nen, ist Mil­ler mit dem Bei­boot los­ge­fah­ren. Fast wind­still ist es hier unten auf Höhe des Mee­res, weit oben jedoch rasen­de Wol­ken von West nach Ost. Ja, lie­ber Lou­is, wir durch­le­ben schwie­ri­ge Tage. Und Noe, unser Noe in der Tie­fe, ist von Fie­ber befal­len. Wir haben ihn gut 150 Fuß ange­ho­ben, damit er Licht sehen kann. Seit meh­re­ren Stun­den wie­der­holt er eine klei­ne Geschich­te, von der wir nicht wis­sen, woher sie kommt. Noe sagt, Noe stel­le sich ein Zim­mer vor, ein freund­li­ches, hel­les Zim­mer von aller­feins­ter Qual­len­haut, ein Zim­mer von Was­ser, ein Zim­mer von Salz, ein Zim­mer von Licht. Man könn­te die­ses Zim­mer, und alles was sich im Zim­mer befin­det, das Qual­len­bett, die Qual­len­uhr, und all die Qual­len­bü­cher und auch die Schreib­ma­schi­nen von Qual­len­haut, trock­nen und fal­ten und sich 10 Gramm schwer in die Hosen­ta­sche ste­cken. Und dann geht man mit dem Zim­mer durch die Stadt spa­zie­ren. Oder man geht kurz mal um die Ecke und setzt sich in ein Kaf­fee­haus und war­tet. Noe sitzt also ganz still und zufrie­den unter einer Ven­ti­la­tor­ma­schi­ne an einem Tisch, trinkt eine Tas­se Kakao und lächelt und ist gedul­dig und sehr zufrie­den, weil nie­mand weiß, dass er ein Zim­mer in der Hosen­ta­sche mit sich führt, ein Zim­mer, das er jeder­zeit aus­pa­cken und mit etwas Was­ser, Salz und Licht, zur schöns­ten Ent­fal­tung brin­gen könn­te. Hier spricht Noe. Noe stellt sich ein Zim­mer vor, ein freund­li­ches, hel­les Zim­mer von feins­ter Qual­len­haut. — Bes­te Grü­ße. Ahoi. Dein OE SOM

gesen­det am
12.09.2012
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oe som to louis »

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tripolis : rixos

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echo : 22.28 — Beob­ach­te­te die Ent­fal­tung eines Twit­ter-Text­tur­mes, auf den ich gesto­ßen war, weil ich Mel­dun­gen des CNN — Repor­ters Matthew Chan­ce folg­te, der aus einem zen­tral gele­ge­nen Hotel zu Tri­po­lis berich­te­te: On bright side, am with excel­lent group of jour­na­lists at #Rix­os. We are fee­ling our way around cor­ri­dors with cand­les. No power. — Eine merk­wür­di­ge Ver­samm­lung. Augen­zeu­gen­be­richt, Spe­ku­la­ti­on, Des­in­for­ma­ti­on, Furcht, Erfin­dung, Appell flie­ßen inein­an­der. Ich hat­te den Wunsch, die­se eigen­ar­ti­ge Linie fest­zu­hal­ten, um sie in eini­gen Tagen noch ein­mal unver­än­dert besich­ti­gen zu kön­nen: > twit­ter tag : rix­os 22.08.11 pdf
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kilimandscharo

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ulys­ses : 5.05 – Fol­gen­des: Ein Buch für Berg­stei­ger soll­te von leich­tem Wesen sein, sagen wir, leicht wie eine Hand voll Federn müss­te es sein, damit man das leich­te Buch im Gepäck nicht bemerkt, wenn man auf­wärts oder abwärts schrei­tet. Janet Frames Roman An Angel at My Table in der Aus­ga­be für Him­mels­stür­mer, wöge gera­de noch 12 oder 15 Gramm und wür­de im Fal­le höchs­ter Not gleich­wohl zur Nah­rung die­nen, jeder Bis­sen so wir­kungs­voll im hung­ri­gen Bauch wie ein gebra­te­ner Enten­vo­gel oder eine Stau­de feins­ter Bana­nen. Auch ist wün­schens­wert zu die­ser spä­ten Stun­de der Nacht, dass das Buch, zur Ent­fal­tung gebracht, sich als wind­dich­tes Zelt erwei­sen könn­te, oder als Fall­schirm zur rech­ten Zeit. In einer Schnee­höh­le gebor­gen, wenn Eis­stür­me näher­kom­men, wür­de man lesen im Buch, auch das ist denk­bar, lesen zum Bei­spiel, um Ruhe zu bewah­ren, Sei­te um Sei­te könn­te man vor­wärts oder rück­wärts fabu­lie­ren und alles nach und nach ver­spei­sen, bis man geret­tet oder das Wet­ter ange­neh­mer gewor­den sein wird. — stop / für h.d.

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entfaltung

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sier­ra : 22.15 — Sobald ich notie­re, das ist merk­wür­dig, wild vor mich hin notie­re, ver­mag ich zugleich über etwas nach­zu­den­ken, das mit dem, was ich notie­re, schein­bar nicht in Ver­bin­dung steht. Es ist so, als wür­den die gedach­ten und sofort geschrie­be­nen Wör­ter oder die Bewe­gun­gen mei­ner Hän­de, abseits gefal­te­te Gedan­ken öff­nen, die nur in die­ser Wei­se erreich­bar sind, warum?

interview
tahrir square
februar 2011
kurz vor ausbruch
staatlicher der gewalt gegen
aktivisten/innen auf dem platz
source : zero silence project
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lichtwellensegel

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romeo : In der ver­gan­ge­nen Nacht war ich begeis­tert in Chi­ca­go auf dem Bild­schirm. Ich hat­te des­halb kei­ne Zeit, einen Text zu schrei­ben oder über einen Text nach­zu­den­ken. Will nun statt­des­sen ein klei­nes Stück zitie­ren, das ich im Okto­ber des ver­gan­ge­nen Jah­res bereits notier­te, als ich sehr glück­lich gewe­sen war. Fol­gen­des: Man stel­le sich ein­mal ein Zim­mer vor, ein freund­li­ches, hel­les Zim­mer von aller­feins­ter Qual­len­haut, von Was­ser, von Salz, von Licht. Man könn­te die­ses Zim­mer, und alles was sich im Zim­mer befin­det, das Qual­len­bett, die Qual­len­uhr, und all die Qual­len­bü­cher und auch die Schreib­ma­schi­nen von Qual­len­haut, trock­nen und fal­ten und sich 10 Gramm schwer in die Hosen­ta­sche ste­cken. Und dann geht man mit dem Zim­mer durch die Stadt spa­zie­ren. Oder man geht kurz mal um die Ecke und setzt sich in ein Kaf­fee­haus und war­tet. Man sitzt also ganz still und zufrie­den unter einer Ven­ti­la­tor­ma­schi­ne an einem Tisch, trinkt einen Becher Kakao und lächelt und ist gedul­dig und sehr zufrie­den, weil nie­mand weiß, dass man ein Zim­mer in der Hosen­ta­sche mit sich führt, ein Zim­mer, das man jeder­zeit aus­pa­cken und mit etwas Was­ser, Salz und Licht, zur schöns­ten Ent­fal­tung brin­gen könn­te. – Null Uhr acht : Haben wir noch alle Tas­sen im Schrank?

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