india : 0.02 — Begeistert, nachdem ich in einem Wörterbuch der englischen Sprache zur Übersetzung der Zitronenfalter Variationen gesammelt habe. Brimstone butterfly, herrlicher Klang! Ich erinnerte mich, dass mir das Wort brimstone schon einmal begegnete, ich meine das Wort vor langer Zeit in Jan Gabrials Buch My Life with Malcolm Lowry entdeckt zu haben, ein vulkanisches Wort, und weil ich mir nicht ganz sicher gewesen war, noch einmal der Blick ins Kompendium. Eine Meeresgeschichte der Schwefelfalter wird nun denkbar, wie sie von salzigen Winden über Zinnobersand gewirbelt werden. Und da ist noch eine weitere, eine vielleicht seltsame Beobachtung an diesem Abend. Das ist nämlich so, ich kann nichts sagen über den eigentlichen Duft der Schmetterlingswesen. — stop
Aus der Wörtersammlung: zinn
im albtraum
tango : 0.05 — Ich hatte ein Museum geträumt, ein Albtraum, ein Museum, dessen Säle für Besucher zur Nachtzeit nur geöffnet waren. Folgendes: Eine Spielzeugmaschine erhebt sich dort, Saal 107, von einem Tisch, eine Stadt ohne Staub. Da sind Häuser, Baracken, geschotterte Wege, Mauern, ein Platz. Und Bäume sind da noch. Und Schienen. Und Türme. Hölzerne Türme. Gusseiserne Lampen. Scharfes Licht, weißes Licht, Gewitterlicht. Kein Laut, kein Schatten, keine Bewegung. Aber in den Kronen der Bäume, Unruhe, bebendes Warten. Es ist wieder die sechste Sekunde, dann die siebte, dann die achte. Jetzt geht alles sehr schnell vonstatten. Ein heller Ton, ein Pfiff, kaum hörbar. Eine Lokomotive, weißer Dampf, rast auf Schienen aus dem Halbdunkel jenseits der Umzäunung heran, ein Zug, ein langer Zug. Auch in die Stadt ist nun Bewegung gekommen. Personen. Vögel. Hunde. All das so voran, als wäre es aufgezogen, würde sich entladen, ruckartig, als habe man einem Film Sekunde für Sekunde Bilder entnommen. Der Zug stoppt. Figuren, Menschenfiguren, Hunderte, auch Kinderfiguren, fließen aus Waggons, formieren sich zu einer Linie, die sich bald teilt. Wispern und Zwitschern. Dann Rauch. Nadeln von schwarzem Rauch. Rauch bis zur Himmelsdecke. Und Geruch. Ein seltsamer Geruch, sehr senkrecht, seltsam, Geruch von geschmolzenem Metall, von Zinn, süß, von Gebäck. Alles ist wie von Sand beworfen, so eingefärbt, auch jene Menschen, die klein sind und schnell und bald schon verschwunden, waren von der Farbe hellen Sandes. Dann wieder Stille. Keine Bewegung. Nur die Bäume, das Blattwerk, unruhig. — stop
schreibtischkäfer
echo : 1.52 — Seit einer Stunde genau wohnt ein Käfer auf meinem Schreibtisch. Der Käfer ist so klein, dass ich ihn zunächst nicht sehen konnte, aber ich konnte ihn riechen, er roch nach heißem Zinn, was doch sehr seltsam war, weil der Käfer, als ich ihn nach längerer Suche endlich gefunden hatte, kühl, wenn nicht kalt in meiner Hand auf dem Rücken lag. Ich war zunächst in die Küche gewandert, um nach meinem Bügeleisen zu sehen, dann öffnete ich die Wohnungstür, inspizierte meinen Kühlschrank, prüfte den Zustand meiner Nase, und kehrte an den Schreibtisch zurück. Jetzt hatte sich der Käfer durch Bewegung verdächtig gemacht. Da war nun also ein Käfer sichtbar geworden unter einer Lupe, und dieser Käfer, der nach heißem Zinn roch, bitter, und süß nach Maschinenöl, trug anstatt eines Panzers Menschenhaut. Als ich ihn mit einem Finger vom Tisch in meine Handfläche schob, öffnete er seine Flügel und kämpfte, um Luft unter seine Tragflächen zu bekommen. Alle Mühe war vergeblich, der Käfer war zu schwer oder doch zu müde, von einer längeren Reise, weiß Gott woher. — Weit nach Mitternacht, schwüle Luft, sitze vor dem Schreibtisch, betrachte den Käfer und der Käfer betrachtet mich. Der Eindruck, wir beide sind nicht sicher, ob wir nicht vielleicht, der eine dem anderen, je ein Albtraum sind. — stop