papa : 5.44 — Vom Regenwasser, das ich hörte, schläfrig geworden, kürzlich vom Stuhl gefallen. Ich hatte, als ich fiel, bereits in der dritten Stunde versucht, eine Telefonnummer zu erfinden, die einer wirklichen New Yorker Telefonnummer täuschend ähnlich sein würde, das heißt, eine Nummer, die nicht existiert, aber existieren könnte. Eine schwierige Geschichte! Kaum hatte ich eine Nummer entworfen, eine Zahlenreihe, die in keinem digitalen Verzeichnis aufzufinden gewesen war, entdeckte ich, dass eine Stunde nach der Erfindung alle Mühe schon vergeblich geworden sein könnte. Ich müsste demzufolge eine Nummer, die Erfindung bleiben muss, reservieren, also melden, eine Nummer ohne Telefon an ihrem Ende, die virtuelle Besetzung eines numerischen Ortes. Viele Fragen sind offen am Ende dieser Nacht. Auch diese folgende Frage, ob es ehrenvoll ist, schlafende Menschen zu fotografieren? — stop
Aus der Wörtersammlung: verzeichnis
karusellfahrt
zoulou : 6.12 — Seit Jahren bereits wünsch ich mir ein besonderes Buch, eines, das meine Gedanken verzeichnen würde, sobald ich spazieren gehe. Handlich müsst es sein und leicht und geräuschlos schreiben. Vielleicht wäre es möglich, diese kleine Gedankenschreibmaschine so zu programmieren, dass sie jene Gedanken, die neue Gedanken sind, zu unterscheiden vermag von allen weiteren Gedanken, von Gedanken, die sich wieder und wieder denken wollen, von kreisenden Gedanken, von Karussellfahrtgedanken. Derart ausgestattet, würde die Notizmaschine ein Verzeichnis anlegen einerseits für die Versammlung neuester, sagen wir, ursprünglicher Gedanken, und bald ein zweites Verzeichnis, in dem Gedanken und ihre Wiederholung archiviert sein würden. Eine höchst interessante Affäre, zu beobachten, wie sich das Wachstum, das Größenverhältnis der Verzeichnisse zu einander benehmen würde in der vergehenden Zeit. — stop
verschwinden
tango : 18.57 — Was hätte ich zu unternehmen, wenn ich wüsste, dass ein Mensch oder eine Gruppe von Menschen mit dem Gedanken spielte, mich so rasch wie möglich ums Leben zu bringen. Wie viele Spuren meines Aufenthaltsortes sind in dieser Textlinie zu finden, so dass man die Positionen, die ich bewohne, identifizieren könnte. Weiß man von meinen Freunden? Welche Verzeichnisse im Internet müsste ich von Hinweisen befreien, wen inständig bitten, kein Wort über mich zu verlieren? Wie also unsichtbar werden, nach und nach einer sein, der nie existierte? Ich könnte mich bewegen, reisen bis ich ein armer Hund geworden bin. Könnte dann innehalten, könnte so tun, als habe ich geträumt, meine perforierte Seele, oder selbst noch zum Jäger werden.
von den verkäufern der nachtbücher
ulysses : 17.25 — Heute Nachmittag wollte ich ein Nachtbuch kaufen. Ich spazierte deshalb über die Centralstation gegen 16 Uhr im Zitronenlicht mit meiner Filmkamera. Ich ging sehr langsam, schaute über schattige Bahnsteige, schaute genau dorthin, wo die Verkäufer der Nachtbücher manchmal sichtbar werden. Man kann die Verkäufer der Nachtbücher immer nur dann erkennen, wenn man an eine eigene Geschichte denkt, an eine Geschichte, die man einem anderen Menschen erzählen könnte, zum Beispiel, um diesen Menschen glücklich zu machen oder um ihm die Zeitnot zu vertreiben, wenn er nicht sofort glücklich werden kann. Also dachte ich an Billy, den Kentaur, wie er sich freute, weil er auf einem Raubzug im Gebirge ein Telefonverzeichnis der Stadt Chicago fand nahe eines rauchenden Jagdfischerlagers. Ich musste dann nicht lange weiter gehen. Auf Bahnsteig 15 war gerade ein Zug aus Amsterdam eingetroffen, dort saß auf einer Bank ein Nachtbuchhändler und lachte, als ich mich neben ihn setzte. Billy, sagte er, Du denkst wieder an Billy. Das ist gut, mein Lieber, das wird eine feine Geschichte werden. Haben wir einen Wunsch? Und schon war er wieder verschwunden und ich spazierte weiter und jetzt ist früher Abend und ich sitze auf meinem Sofa, ein Buch für die Nacht liegt neben mir, und warte, dass es dunkel wird, um die Geschichte eines fernen Menschen zu lesen, die mir die Zeitnot vertreiben wird. Ich weiß jetzt, dass die Händler der Nachtbücher weder für eine Fotografie noch für einen Film zur Aufzeichnung geeignet sind. Sie haben ihr ganz besonderes Licht.
mimikri
tango : 5.58 — Wieder Pseudonyme gesucht, gefunden, gesammelt. Feine Namen, Namen, die in keinem Verzeichnis der Suchmaschinenwelt enthalten sind. Es ist so, als würden Menschen, die einen dieser Namen tragen, nicht existieren, weswegen ich die Namen jener nicht existierenden Menschen auf einen Zettel notierte. Dann ging ich spazieren. Ich spazierte am See um die Ecke unter Kastanienbäumen und las die Namen laut vor mich hin, und als ich nach wenigen Minuten das Geräusch der ersten fallenden Kastanie dieses Herbstes hörte, wusste ich, wie ich fortan heißen werde. Also ging ich wieder nach Hause und legte den Namen vor mich auf den Schreibtisch. Ein guter Name, dachte ich, ein hervorragend guter Name für eine ernste Geschichte, aber auch für heitere Dinge. — stop. -
lebenszeichen
alpha : 5.56 – Ich habe heute Nacht eine Tonbandmaschine, einen Notizblock, Bleistifte, einen Radiergummi und einen gezeichneten Grundriss jenes Ortes, von dem ich erzähle, auf den Tisch vor mir abgelegt, auch einen hölzernen Kasten, in dem ich Karteikarten verwahre, die ich im Präpariersaal rasch beschrieben habe, Sekundenware, ein Verzeichnis der Geräusche, der Bewegungen, der Fragen, Atmosphären, Gedanken, die ich mit unruhigen Händen in meine geöffnete Handfläche notierte. Ich meine, einen feinen Geruch von Formalin zu vernehmen, der noch immer von den Kärtchen aufzusteigen scheint. Jetzt schreibe ich das Wort Meer und sofort danach das Wort Atlantik. Eine junge Frau sitzt vor diesem atlantischen Meer an Deck eines sehr großen Schiffes. Sie unterhält sich mit einem Matrosen, der ihr eine Zeitung brachte. Wenn ich sie so heimlich beobachte, meine ich zu erkennen, dass sie verliebt ist. Sie errötet, wenn der junge Mann zu ihr spricht, schlägt die Augen nieder, dann wirft sie Brot in die Luft zu den Möwen hin. — 5 Uhr 18. Seit Montag 25.8. wieder Funkzeichen aus Peking > Zeng Jinyan ( chinese : english by babelfish )