Aus der Wörtersammlung: wunder

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julio cortazar

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20.15 — Kur­ze Anlei­tung zum Glück­lich­sein, sagen wir so: Man ver­las­se das Haus. Auf­merk­sam jede Bewe­gung des Ver­kehrs beach­tend, gehe man so lan­ge durch die Stadt, bis man auf eine Buch­hand­lung trifft. Dort kau­fe man: Cor­ta­zar, Julio — Geschich­ten der Cro­nopi­en und Famen. Dann gehe man wei­ter spa­zie­ren, tra­ge den schma­len Band durch die Stra­ßen, bis man einen Park erreicht, wenn Som­mer, oder ein Café, wenn Win­ter ist. Dort neh­me man Platz und lese. Über den Umgang mit Amei­sen bei­spiels­wei­se, oder wie wun­der­bar ange­nehm es ist, ein Spin­nen­bein pos­ta­lisch an einen Außen­mi­nis­ter auf­zu­ge­ben. Oder man las­se sich im Uhren­auf­zie­hen oder im Trep­pen­stei­gen unter­wei­sen. Jetzt bereits wird man eine leich­te Wär­me spü­ren, die aus der Gegend des Bau­ches nach oben und unten in Arme und Bei­ne aus­wan­dert. Also lese man wei­ter, lau­sche jenen ange­neh­men Geräu­schen im Kopf, die­sem sagen wir: Jeder­mann wird schon ein­mal beob­ach­tet haben, dass sich der Boden häu­fig fal­tet, der­ge­stalt, dass ein Teil im rech­ten Win­kel zur Boden­ebe­ne ansteigt und der dar­auf­fol­gen­de Teil sich par­al­lel zu die­ser Ebe­ne befin­det, um einer neu­en Senk­rech­te Platz zu machen. Oder jenem: Trep­pen steigt man von vorn, da sie sich von hin­ten oder von der Sei­te her als außer­or­dent­lich unbe­quem erwei­sen. It works! — stop
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mandelbrot

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3.38 — Seit eini­gen Tagen bereits wer­de ich nachts gegen 1 Uhr müde. Nicht ein­fach müde in einer Wei­se, dass ich noch sagen könn­te – Jetzt bist Du also müde, soll­test einen schö­nen star­ken Kaf­fee trin­ken oder etwas schwar­zen Tee mit Honig. Nein, das ist eine Müdig­keit, die aus dem Hin­ter­halt kommt, als Über­fall oder so etwas. Vor­hin erst habe ich mei­nen Kopf auf die Schreib­tisch­plat­te gelegt, um mei­ne Spring­spin­ne, die gera­de aus ihrer Höh­le gekom­men war, aus der Per­spek­ti­ve einer wei­te­ren Spin­ne betrach­ten zu kön­nen. Das war ein Feh­ler gewe­sen. Es ist jetzt bereits 3 Uhr 30 und ich habe noch nicht eine der drei sehr kur­zen Kurz­ge­schich­ten gele­sen, die ich mir zur Übung Nacht für Nacht ver­ord­net habe. Wer­de nun vor­sich­tig in die Küche gehen. Dann etwas Car­ver lesen und viel­leicht, wenn ich nicht wie­der ein­ge­schla­fen sein wer­de, über das schö­ne Wort Man­del­brot­men­ge nach­den­ken, über die Tem­pe­ra­tu­ren des Atlan­ti­schen Oze­ans vor Neu­fund­land, über schnee­wei­ße Wale und ande­re wun­der­ba­re Din­ge. — stop

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inszenierungsmaschine

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2.26 — Sobald ich im Bauch einer elek­tri­schen Insze­nie­rungs­ma­schi­ne 100 frei schwe­ben­de Text­par­tic­les von je 100 Wör­tern über einen Zufalls­ge­nera­tor mit­ein­an­der ver­bin­de, wird mit jedem wei­te­ren Auf­ruf eines Text­par­tic­les jedes ande­re der 100 Text­par­tic­les mög­lich. Ich habe also eine Text­ver­samm­lung, die sich wie eine Flüs­sig­keit ver­hält. Wie könn­te ich nun eine Ver­ei­sung die­ser Flüs­sig­keit erzeu­gen? Ich könn­te zum Bei­spiel je 10 Text­par­tic­les zu einer Grup­pe set­zen und über einen Gene­ra­tor ver­schal­ten, sodass in einem ers­ten Schritt 10 Text­par­tic­les aus 100 Text­par­tic­les mög­lich wären. Oder ich bil­de zwei Grup­pen zu je 50 Text­par­tic­les und kom­me in die­ser Wei­se auf zwei mög­li­che Text­par­tic­les einer ers­ten Wahl. Zwei Lini­en. Eine Wei­che. Oder sehr gutes Eis. — Viel­leicht soll­te ich, wenn ich vom Schrei­ben eines linea­ren Tex­tes spre­che, zunächst an das Spin­nen eines Eis­fa­dens den­ken. Das Lesen, ein Vor­gang der Ent­ei­sung. — Heu­te Nacht habe ich von 0 Uhr 12 bis 1 Uhr 52 Julio Llama­za­res wun­der­vol­le Stumm­film­sze­nen auf­ge­taut.- stop
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helene hanff

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6.07 — Leich­ter Schnee­fall. Papier­licht. Las in Hele­ne Hanffs wun­der­vol­ler Brief­samm­lung 84, cha­ring cross road. Wie­der der 25. März 1950. New York. 14 East 95th St. — Frank Doel, was TUN Sie eigent­lich da drü­ben?? Sie tun gar NICHTS, Sie sit­zen nur HERUM! Wo bleibt Leigh Hunt? Und wo die Oxford Gedicht­an­tho­lo­gie? Wo bleibt die Vul­ga­ta und wo der lie­be ver­trot­tel­te John Hen­ry? All das wäre eine so net­te auf­bau­en­de Lek­tü­re für die Fas­ten­zeit gewe­sen … und Sie schi­cken mir abso­lut nichts! Sie las­sen mich hier sit­zen und lan­ge Rand­be­mer­kun­gen in Biblio­theks­bü­cher schrei­ben, die mir nicht gehö­ren. Eines Tages wird das her­aus­kom­men, und sie wer­den mir mei­nen Biblio­theks­aus­weis weg­neh­men. Ich habe mit dem Oster­ha­sen eine Abma­chung getrof­fen, Ihnen ein Ei zu brin­gen. Er wird her­über­kom­men und fest­stel­len, dass Sie in Untä­tig­keit ver­stor­ben sind. Für den nahen­den Früh­ling brau­che ich unbe­dingt einen Band mit Lie­bes­ge­dich­ten. Kei­nen Keats oder Shel­ley! Schi­cken Sie mir Dich­ter, die Lie­be machen kön­nen, ohne zu sab­bern – Wyatt oder Jon­son oder irgend­ei­nen ande­ren … den­ken Sie sich selbst etwas aus. Ein­fach ein schö­nes Buch, schmal genug, um in eine Anzug­ta­sche gesteckt und in den Cen­tral Park mit­ge­nom­men zu wer­den. Also, sit­zen Sie nicht her­um! Spü­ren Sie es auf! Es ist mir wirk­lich ein Rät­sel, wie die­ser Laden exis­tie­ren kann. — stop

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popcorn

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22.38 — Die Vor­stel­lung, man könn­te ein­mal Käfer in Tüten kau­fen, so wie man Pop­corn in Tüten kau­fen kann. Käfer in grü­nen Pan­zern, die nach Pis­ta­zi­en schme­cken, und Käfer in roten Pan­zern, sie schme­cken nach Johan­nis­bee­ren, und Käfer in gel­ben Pan­zern, sie schme­cken nach Melis­se. Sobald man eine Tüte öff­net, flie­gen sie los. Sie sau­sen ein paar Run­den durch die Luft, ver­dre­hen einem den Kopf, um sich unver­züg­lich in jeden Mund zu stür­zen, der sich vor ihnen öff­net. Dort dann zer­plat­zen sie mit einem zar­ten Geräusch in einem voll­ende­ten Aro­mas­tern. — Wong Kar-Wai’s wun­der­ba­rer Nacht­vo­gel ohne Füße, der nie­mals lan­det. — stop

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pergament

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17.32 — Saß traum­wärts in einem Café nahe eines Mee­res unter Män­nern, die Go oder etwas ande­res spiel­ten mit klei­nen, run­den, bern­stein­far­be­nen Stei­nen. Die Luft an die­sem Ort war heiß und tro­cken. Ich wun­der­te mich nicht, dass die Män­ner, die von hohem Alter gewe­sen waren, sich mit gewal­ti­gen Ohren Luft zufä­chel­ten in der Art und Wei­se der Ele­fan­ten. Selt­sa­me Geräu­sche waren zu hören, schwe­re, knar­zen­de Töne, als wür­de an höl­zer­nen Schrau­ben gedreht. Und doch war die Haut der Ohren so fein, dass man durch sie hin­durch sehen konn­te. Sobald sie hin­ter den ver­wit­ter­ten Köp­fen zusam­men­schlu­gen, wur­den die Augen des Herrn zu Schlit­zen, beweg­ten sich die luf­ti­gen Häu­te zurück, öff­ne­ten sie sich. Hin­ter dem Tre­sen däm­mer­te ein wei­te­rer Mann, der hat­te sich mit sei­nem Per­ga­ment das Gesicht zuge­deckt. Ich betrach­te­te ihn eine Wei­le, und schon war ich, noch im Ste­hen, dem heu­ti­gen Tage zu, ein­ge­schla­fen. — stop

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