Aus der Wörtersammlung: akkurat

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die schrift meines vaters

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nord­pol : 7.05 — Dass mein Vater älter wur­de und müde, war sei­ner Schrift deut­lich anzu­se­hen. Die Buch­sta­ben wur­den klei­ner, man­che stan­den senk­recht, ande­re neig­ten sich einer unsicht­ba­ren Linie zu, auf der sie sich wort­wei­se vor­wärts beweg­ten. Ich könn­te sagen, die Schrift mei­nes Vaters wirk­te so, als wäre ein Sturm seit­wärts über sie hin­weg­ge­fah­ren, zer­zaust, und doch waren alle not­wen­di­gen Buch­sta­ben für jedes der Wör­ter, die mein Vater geschrie­ben hat­te, gesetzt. Er notier­te zuletzt ger­ne mit Hil­fe der Tas­ta­tur sei­ner Com­pu­ter­ma­schi­ne, das war nicht so anstren­gend, er ver­moch­te die Grö­ße der Zei­chen zu vari­ie­ren, so dass er sehen konn­te, was er gera­de auf den Bild­schirm brach­te. Ein­mal muss­te mein Vater einen Brief unter­zeich­nen, es war ein Okto­ber­tag, mein Vater war­te­te lan­ge Zeit vor dem Papier, das auf dem Tisch vor ihm ruh­te, hielt den Stift, den man ihm gereicht hat­te, in der Hand, betrach­te­te die­sen Stift, dreh­te ihn zwi­schen den Fin­gern, er zöger­te den Moment hin­aus, da er mit der Auf­zeich­nung sei­nes Namens begin­nen wür­de. In die­sem Moment ahn­te ich, dass mein Vater sei­nen Namen malen wür­de, dass sei­ne nicht­be­wuss­te Signa­tur, die ein Leben lang gül­tig gewe­sen war, nicht län­ger zu exis­tie­ren schien, oder dass er unter den Augen eines Beob­ach­ters sich nicht län­ger trau­te, sei­ne urei­ge­ne Signa­tur aus­zu­füh­ren. Ja, mein Vater fürch­te­te sich, weil der Wind der ver­ge­hen­den Zeit sei­ne Schrift erfass­te. Sie war ein­mal eine akku­ra­te Schrift gewe­sen, eine Schrift wie gedruckt, sie notier­te kom­pli­zier­te mathe­ma­ti­sche For­meln, ohne je ihre Fas­sung auf den Papie­ren zu ver­lie­ren. Als Jun­ge beschloss ich, die­se Geheim­schrift der Zah­len und Wör­ter zu ent­schlüs­seln, bis sie noch vor mei­nem Vater selbst zu ver­schwin­den begann. Zurück­ge­blie­ben sind nun sei­ne Stif­te in einer Schub­la­de: Kugel­schrei­ber, Füll­fe­der­hal­ter, Blei­stif­te, Bunt­stif­te, auch ein Werk­zeug, mit dem man in weis­ser Far­be notie­ren kann, viel­leicht um zu kor­ri­gie­ren, viel­leicht um Nicht­sicht­ba­res auf das Papier zu set­zen. — stop

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rom : umberto ecco

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alpha : 22.57 — Der Mann hin­ter dem Tre­sen ist ein freund­li­cher Mann, unra­siert, akku­rat gebü­gel­tes wei­ßes Hemd, ein hüb­sches, jun­ges Gesicht, das an den Wän­den auf zahl­rei­chen Foto­gra­fien wie­der­zu­fin­den ist, ver­mut­lich des­halb, weil man sich mit ihm zei­gen woll­te, abge­lich­tet sein, sagen wir, berühm­te Men­schen und ein­fa­che Men­schen, die ich nicht aus­ein­an­der­hal­ten kann, weil ich die berühm­ten Men­schen der Stadt Rom nicht ken­ne. Sie lächeln an der Sei­te des jun­gen Man­nes ste­hend, man­che schei­nen viel­leicht betrun­ken zu sein. Aber einen der foto­gra­fier­ten Män­ner habe ich schon ein­mal gese­hen, es han­delt sich bei die­sem Herrn um Umber­to Ecco. Der Schrift­stel­ler zeigt sei­ne Zäh­ne, er lacht in die Kame­ra. Umber­to Ecco scheint an die­sem Abend, der einem Stem­pel­auf­druck zufol­ge drei Jah­re zurück­liegt, äußerst gut gelaunt gewe­sen zu sein. Viel­leicht hat­te er gera­de einen die­ser herr­li­chen Espres­sos getrun­ken, wie ich an die­sem Mor­gen. Es war ver­mut­lich Win­ter gewe­sen, Umber­to Ecco trägt einen Hut und einen Man­tel mit einem Pelz­kra­gen. Oder es war Som­mer und Umber­to Ecco hat­te sich in der Jah­res­zeit ver­tan. Wie­der ist es sehr warm heu­te. Eine Ambu­lanz rast an der weit­ge­öff­ne­ten Tür des Cafes vor­bei, man kann das Geräusch der Sire­nen der Not den gan­zen Tag über ver­neh­men. Aber nachts ist es still in die­ser Stadt, Rom ist eine Stadt, die schläft wie die Men­schen, die sie bewoh­nen. Es riecht nach war­mem Schin­ken in die­sem Moment. Auf dem Dis­play mei­nes Foto­ap­pa­ra­tes sind Säu­len zu sehen und Durch­leuch­tungs­ma­schi­nen und hun­der­te lee­re Plas­tik­fla­schen, Sub­stan­zen, die man nicht mit in die gro­ße, kal­te Kir­che am Peters­platz neh­men darf, sie könn­ten explo­die­ren. Ich hebe den Foto­ap­pa­rat leicht an und foto­gra­fie­re Umber­to Ecco, sodass er jetzt zwei­fach im Pelz­kra­gen exis­tiert. Wenn ich mir nicht vor­ge­nom­men hät­te, das Pan­the­on zu besu­chen, ich wür­de gern war­ten, Tage, Wochen, um nach­zu­se­hen, ob Umber­to Ecco zurück kom­men wird. Ich habe bemerkt, dass mei­ne Ohren knis­tern wenn ich Kaf­fee trin­ke in Rom. — stop
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rom : ein flugzeug

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marim­ba : 22.58 — Man müss­te ein­mal ein Flug­zeug erfin­den, das nicht sicht­bar und doch wir­kungs­voll anwe­send ist. Unsicht­ba­re Sit­ze, auf wel­chen sicht­ba­re Pas­sa­gie­re Platz genom­men haben, durch­sich­ti­ge Steu­er­knüp­pel, durch­sich­ti­ge Flü­gel, ein durch­sich­ti­ges Leit­werk. Man sieht nun Men­schen, wie sie über Taxi­way­bah­nen eines Flug­ha­fens schwe­ben, gut sor­tiert, acht Per­so­nen zu einer Rei­he neben­ein­an­der, so sitzt man. Da und dort lie­gen schlam­pi­ger­wei­se Taschen her­um, Ruck­sä­cke, Zei­tun­gen, auch sie sind sicht­bar wie ihre Besit­zer und die Ben­zi­ne in den Flü­geln der Maschi­nen, das Nest der Kof­fer am Flug­zeug­heck, jene zwei Her­ren mit ihren akku­rat gefal­te­ten Flie­ger­hau­ben an der Spit­ze der Pro­zes­si­on, bald wird man sehen wie das alles fliegt sehr steil gegen den Him­mel zu. Und die­ser Blick nun nach unten, Seen, Stra­ßen, Wäl­der, Schnee auf den Ber­gen, das Meer, die gro­ße Stadt im Anflug, ein röt­lich brau­ner Fleck in einer Land­schaft, die hell ist. Es war viel Wind unter­wegs und bestän­dig das Gefühl in die Tie­fe zu fal­len, weil die Sub­stan­zen des Flug­zeu­ges nicht zu sehen gewe­sen waren. Nun aber Rom. Da ste­he ich mit bei­den Bei­nen fest auf einem Boden, unter dem viel Zeit­spur im Ver­bor­ge­nen liegt. Das Taxi, das durch das groß­zü­gi­ge Spa­lier der Zedern­bäu­me glei­tet, Schirm­pi­ni­en da und dort in Step­pen­land­schaft jen­seits der Stra­ße. Plötz­lich dich­tes Häu­ser­ge­fü­ge in war­mer­di­gen Far­ben, braun, ocker, gelb, rot, oran­ge, an den Ampeln hel­le Wölk­chen von Blei­luft, die aus knat­tern­den Rol­ler­mo­to­ren paf­fen. Via del­la Maglia­na, Via Por­tu­en­se, Via Qui­ri­no Majo­ra­na, Via del­le For­naci, Via del­le Mura Aure­lie. Vor dem Haus lie­gen drei scheue, schlan­ke Kat­zen. Das Gespräch der Möwen auf ihrem Flug gegen Tras­te­ve­re. – stop
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bal­da­chin : 5.18 — Man soll­te Visi­ten­kar­ten für Träu­mer dru­cken, fei­ne Papie­re, die akku­rat senk­recht in Cafes an ein­sa­men Scho­ko­la­den­tas­sen leh­nen. Zu lesen sind je die­se Sät­ze: War in Pata­go­ni­en heut Mor­gen, Porte­mon­naie und Was­ser­hahn ver­ges­sen. Bin gleich wie­der da. Louis

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