tango : 15.28 — Im Central Park für Stunden. Einmal lege ich mich ins Gras und notiere was ich sehe: Hunde, zum Beispiel, Riesenpudel im weißen Pelz, rosafarben die Haut ihrer Gesichter, Kreaturen, Menschenhunde, die uralte Bäume markieren. Das feine, helle Grün der Kronen, wisperndes Licht, als wär noch Frühling, solche Bäume, die geduldig flanierende Personen beschirmen. Und Läufer, männliche und weibliche Läufer, leicht bekleidet, entspanntes Lächeln, wie von unsichtbaren Fußsänften getragen. Vier Polizisten, je mit Mütze, schweres Gerät klimpert in der Mitte ihrer runden, festen Körper. Eisverkäufer streiten am Ufer eines Sees, auf dem Funksteuerboote segeln. Ein verliebtes Paar ist da noch, sie liegen, und ein weiteres, ein gleichgültiges Paar lungert auf einer Bank, die Frau einerseits türmt mit zartesten Bewegungen ihrer rot bemalten Zehen Baumsamenspreu zu Gebirgen, der Mann andererseits beobachtet ein filigranes Wesen, das von Leibwächtern umringt über eine Wiese nordwärts schreitet. Ich schlafe bald ein. Eine nordamerikanische Biene, brummend. Das Blau des Himmels. Zwei Luftballons wippen vorüber, als würden sie auf eigenen Beinen gehen. — stop
luftfäden
himalaya : 12.56 — Subwayzüge um fünf, in magischer Zeit, wenn einschlafende Nachtaugen wachwerdenden Morgenaugen begegnen. — stop
groundzerosekundenzeit
charlie : 22.18 — Kurz nach sechs Uhr abends. Church Street. Auf einer Treppe sitzt ein Mann in einem dunklen Anzug, weißem Hemd, blauer Krawatte. Seit bald einer Viertelstunde, Aktenkoffer zwischen den Beinen, Hände gefaltet, verharrt er in dieser Weise bewegungslos, schaut in den Luftraum über Ground Zero. Presslufthämmer sind zu hören, Tauben picken über den Boden. Eine Armlänge entfernt von dem Mann, der zu beten scheint, balanciert ein sehr viel jüngerer Mann auf den Schultern eines weiteren jungen Mannes. Er hält mit einer Hand einen Fotoapparat so weit wie möglich in die Höhe, um eine Fotografie jenes Ortes aufnehmen zu können, der hinter einem Bauzaun verborgen liegt. Das sieht so aus, als versuche er rückwärts in die Zeit vorzudringen, als wolle er noch etwas vom Verschwundenen, vom Schrecken dokumentieren, all das finden vielleicht, was dort nicht mehr ist, so gründlich wurde aufgeräumt. Wie er jetzt von den Schultern des Freundes springt, fällt ihm der Fotoapparat aus der Hand. Der kleine Blechkasten scheppert über den Gehsteig, Tauben fliegen auf. Auch der Blick des betenden Mannes bewegt sich, flackert für einen Moment in den Räumen der Zeit. — stop
raymond carver goes to hasbrouck heights
echo : 22.12 — Es ist die Welt des Raymond Carver, die ich betrete, als ich mit dem Bus die Stadt verlasse, westwärts, durch den Lincoln Tunnel nach New Jersey. Der Blick auf den von Steinen bewachsenen Muskel Manhattans, zum Greifen nah an diesem Morgen kühler Luft. Dunst flimmert in den Straßen, deren Fluchten sich für Sekundenbruchteile öffnen, bald sind wir ins Gebiet niedriger Häuser vorgedrungen, Eiszapfen von Plastik funkeln im Licht der Sonne unter Regenrinnen. Der Busfahrer, ein älterer Herr, begrüßt jeden zusteigenden Gast persönlich, man kennt sich hier, man ist schwarz oder weiß oder gelb oder braun, man ist auf dem Weg nach Hasbrouck Heights, eine halbe Stunde Zeit, deshalb liest man in der Zeitung, schläft oder schaut auf die Landschaft, auf rostige Brückenriesen, die flach über die sumpfige Gegend führen. Und schon sind wir angekommen, ein liebevoll gepflegter Ort, der sich an eine steile Höhe lehnt, einstöckige Häuser in allen möglichen Farben, großzügige Gärten, Hecken, Büsche, Bäume sind auf den Zentimeter genau nach Wünschen ihrer Besitzer zugeschnitten. Nur selten ist ein Mensch zu sehen, in dem ich hier schlendere von Straße zu Straße, werde dann freundlichst gegrüßt, how are you doing, ich spüre die Blicke, die mir folgen, Bäume, Blumen, Gräser schauen mich an, das Feuer der Azaleen, Eichhörnchen stürmen über sanft geneigte Dächer: Habt ihr ihn schon gesehen, diesen fremden Mann mit seiner Polaroidkamera, diesen Mann ohne Arme! Gleich wird er ein Bild von uns nehmen, wird klingeln, wird sagen: Guten Tag! Ich habe Sie gerade fotografiert. Wollen Sie sich betrachten? — stop
louiloui
olimambo : 12.01 — Das Vermögen schimmernder Feuerlöschzüge, zärtlich zu Passanten zu sprechen. — stop
george ferry terminals tiefseeelefanten
sierra : 17.10 — Hatte einen Traum, eine Wahrnehmung, die mir lange Zeit, ich war längst erwacht, ein sehr wirklicher Raum gewesen zu sein schien. Dort, im Nachtzimmer, wartete ich an einem späten Abend in der zentralen Halle des Saint George Ferry Terminals auf das nächste Schiff nach Manhattan zurück. Ich wartete lange, ich wartete den halben Tag und eine halbe Nacht, begeistert vom Anblick einer Herde filigraner Tiefseeelefanten, die über den hellen, sandigen Boden eines Schauaquariums wanderten. Sie hatten ihre meterlangen Rüssel zur Wasseroberfläche hin ausgestreckt, suchten in der Seeluft herum und berührten einander in einer äußerst zärtlichen Art und Weise. Ein faszinierendes Geräusch war zu hören, sobald ich eines meiner Ohren an das warme Glas des Geheges legte. Dieses Geräusch nun sucht seit Stunden nach einem Wort für sich selbst, nach einem Zeichensatz, der vermutlich niemals existieren wird. — stop
mrs. wilkerson
whiskey : 22.28 — Mrs. Wilkerson ist eine außerordentlich stattliche Erscheinung. Sie trägt ihr schwarzes Haar zu einer Kugel geformt streng hinter den schmalen Kopf zurückgezogen, Mund und Augenlider sind von einem Schimmer erhellt, der so dezent aufgetragen ist, dass er auf der Haut einer weißhäutigen Frau nicht sichtbar werden würde. Wenn man abends nach zehn Uhr das Haus in der 38th Straße betritt, wartet sie bereits, meistens stehend und freundlich lächelnd hinter ihrem Tisch in einer fliederfarbenen Bluse unter einem dunkelblauen Jackett so adrett gekleidet, so sauber, so leuchtend, dass ich mir immer ein wenig schmutzig vorkomme, staubig, sagen wir, klebrig, erhitzt von der Erregung der Stadt, die ich während des Tages aufgenommen habe. Mrs. Wilkerson kennt mich bei meinem Namen. Sir, sagt sie, ein seltsam klingendes Wort in meinen Ohren, dann wieder Honey, was ich als Auszeichnung empfinde. Sie arbeitet nachts, öffnet die Tür, sobald ein Bewohner oder Besucher des Hauses die kleine Halle vor den Aufzügen zu betreten wünscht, grüßt, vermittelt Postsendungen, Nachrichten, Zeitungen, aber eigentlich bewacht sie das Gebäude und die Menschen, die in ihm wohnen. Eine vollendet höfliche Person, etwas größer als ich und so geschmeidig und locker in ihrer Art, dass ich sie zum Vorbild genommen habe. Ob die Aufzüge des Hauses schon einmal ausgefallen seien, verlangte ich unlängst zu wissen. Nicht, wenn sie selbst im Dienst gewesen sei, antwortete Mrs. Wilkerson. Ich fragte weiter fort, ob es denn gestattet sei, durch das Treppenhaus aufwärts zusteigen, um die Zeit eines Fußweges himmelwärts zu messen. Und als ich mich umdrehte, als ich in Richtung der Tür spazierte, auf die sie gedeutet hatte, wieder diese lachende, fürsorgliche Stimme: Honey, your bag is open! — stop
ventilatorpocken
nordpol : 9.16 — Dämmerung des Morgens. In den blaugrauen Schatten der Häuserspitzen, die sich über Kreuzungen bewegen, scheint die Zeit schneller zu werden. Ein Waschbär hastet Richtung Central Park geduckt der Bordsteinkante entlang. Am siamesischen Hydranten hält er kurz an, trinkt, dreht sich immer wieder nach mir um, unsicher vielleicht, weil er bemerkte, dass ich ihm folge durch die Seewindluft, die noch kühl ist von der Nacht. Das Rauschen der Ventilatorpocken an den Häuserwänden, sanft. Vereinzeltes Hupen. Eine Minutengeschichte im Warten auf Uwe Johnsons Wörterlicht, die Sohle der Lexington Avenue noch verschattet. — stop
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echo : 8.58 — d e l i l l o f e d e r
manhattan transfer
ginkgo : 17.58 — Im Moment der Vergegenwärtigung, eine Minute stillzustehen und zu denken: Meine Schuhe berühren amerikanischen Boden. Könnt von hier aus nach Patagonien laufen, nach Feuerland, ohne je einen Schwimmzug zu unternehmen, südwärts, südwärts zur 42th Straße hin, den Lincoln Tunnel unter dem Hudson durch nach New Jersey, immer der Küste entlang, langsam, Schritt für Schritt. Aber dann nehmen mich meine Beine doch nordwärts mit sich fort, spazieren den Zoo der Bronx bis wir abends müde geworden das Fährpendelschiff Downtown erreichen. Schaun nach Holly, heut könnt sie kommen wie aus dem Nichts aus dem Strom der Menschen, Marsec Security Level 1, fröhlich grüßt sie die Matrosen, fliegt über die Gangway aufs untere Deck hin zum vertrauten Platz am Fenster ins Licht der flaschengrünen See. Hier nimmt sie unverzüglich ihre Arbeit auf, beginnt Zeichen von einem Buch auf regenfestes Papier zu übertragen: Mittagsstunde am Union Square. Ausverkauf. Müssen räumen. WIR HABEN EINEN SCHRECKLICHEN IRRTUM BEGANGEN. Auf dem staubigen Asphalt kniend, putzen kleine Jungen Schuhe, Halbschuhe, Sandalen, Knöpfelschuhe, Stiefeletten. Wie ein Löwenzahn glänzt die Sonne auf der Spitze jedes frisch geputzten Schuhs. — stop