Aus der Wörtersammlung: nachts

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winterkäfer

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14.10 — Habe über einen Win­ter­kä­fer nach­ge­dacht. Aber dann ist mir ein ganz ande­rer Käfer ein­ge­fal­len, ein Wesen, für das ich noch kei­nen Namen habe. Die­ser namen­lo­se Käfer soll­te ohne Aus­nah­me paar­wei­se erschei­nen, weich sein wie eine Schne­cke und von der Kör­per­tem­pe­ra­tur der Men­schen und genau­so groß, dass er sich in die Augen­höh­le eines Schla­fen­den ein­zu­schmie­gen ver­mag. Man möch­te nun mei­nen, der Käfer wür­de sich mit sei­ner Wir­kung als Nacht­schirm begnü­gen, statt­des­sen wird er ein wenig flie­ßen und da er in die­ser Wei­se in Bewe­gung ist, sehr ent­span­nen­de Polar­licht­spie­le von mil­der, beru­hi­gen­der Lumi­nes­zenz erzeu­gen. — Wäh­rend ich die­se Zei­len über­tra­ge, die Nach­richt, dass Bena­zir Bhut­to von einem Selbst­mord­at­ten­tä­ter getö­tet wor­den sein soll. — stop

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mandelbrot

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3.38 — Seit eini­gen Tagen bereits wer­de ich nachts gegen 1 Uhr müde. Nicht ein­fach müde in einer Wei­se, dass ich noch sagen könn­te – Jetzt bist Du also müde, soll­test einen schö­nen star­ken Kaf­fee trin­ken oder etwas schwar­zen Tee mit Honig. Nein, das ist eine Müdig­keit, die aus dem Hin­ter­halt kommt, als Über­fall oder so etwas. Vor­hin erst habe ich mei­nen Kopf auf die Schreib­tisch­plat­te gelegt, um mei­ne Spring­spin­ne, die gera­de aus ihrer Höh­le gekom­men war, aus der Per­spek­ti­ve einer wei­te­ren Spin­ne betrach­ten zu kön­nen. Das war ein Feh­ler gewe­sen. Es ist jetzt bereits 3 Uhr 30 und ich habe noch nicht eine der drei sehr kur­zen Kurz­ge­schich­ten gele­sen, die ich mir zur Übung Nacht für Nacht ver­ord­net habe. Wer­de nun vor­sich­tig in die Küche gehen. Dann etwas Car­ver lesen und viel­leicht, wenn ich nicht wie­der ein­ge­schla­fen sein wer­de, über das schö­ne Wort Man­del­brot­men­ge nach­den­ken, über die Tem­pe­ra­tu­ren des Atlan­ti­schen Oze­ans vor Neu­fund­land, über schnee­wei­ße Wale und ande­re wun­der­ba­re Din­ge. — stop

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nachtsammlung

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2.24 — Habe 628 Optio­nen gezählt, das Wort Nacht fort­zu­set­zen. Zum Bei­spiel: Nach­ti­gal­len­af­fe Nacht­ge­wöl­be Nacht­duft Nacht­durch­schwär­mer Nacht­eu­len­ton Nacht­ge­fie­der Nacht­wolf. Oder aber Nacht­pa­pa­gei : das ist der merk­wür­digs­te aller papa­gei­en, der kaka­po von neu­see­land [ stri­go­ps habrop­ti­lus ], den man mit dem­sel­ben rech­te, mit wel­chen man die eulen im gegen­satz mit den fal­ken einer beson­de­ren fami­lie unter­bringt, als einen ver­tre­ter einer eige­nen fami­lie betrach­ten muss. [ nach Grimm­sches Wör­ter­buch N – Q ] — Drei Uhr zwölf. In mei­nen Zim­mern ame­ri­ka­ni­sche Stim­men. Funk­ge­räu­sche. Geräu­sche mei­ner Kind­heit. Welt­raum­ge­räu­sche. Geräu­sche, wie sie auch in Guan­ta­na­mo zu hören sind. Den Schlaf rau­ben­de Geräu­sche. — stop

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china

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0.20 — Im Win­ter nach Ber­lin, immer im Win­ter, immer nachts, im Wes­ten ein lang­sam fah­ren­der Zug hin­ter Bebra. Dann Gren­ze. Ein Pos­ten. Tür­me. Metall. Und Licht. Gel­bes Licht, demo­lier­tes Licht. Und Hun­de, jawohl, Hun­de. Dann Osten. Von Stadt zu Stadt durchs unbe­kann­te Land. Auf Bahn­stei­gen : Volks­po­li­zei, Rücken zum Zug, Wachen oder so etwas, in den Abtei­len mit Stem­pel, mal freund­lich, mal fins­ter, mal kühl. Dann wie­der Gren­ze. War­ten. Ran­gie­ren. Demo­lier­tes Licht. Irgend­je­mand schlägt von unten her mit Metall gegen den Boden des Zuges. Hun­de. Dann Wes­ten. Herrn in Zivil, Staats­schutz, von Abteil zu Abteil. Dann Zoo. Wenn man so, immer nachts, reist, kaum Kennt­nis vom Land, durch das man kommt, sagt man, das riecht hier anders, das riecht hier nach Koh­le. Man steht an einem Fens­ter in die­sem Zug, der war­tet in Hal­le. Es ist gegen fünf in der Früh und man weiß, man darf nicht aus­stei­gen, man weiß, die Ande­ren auf den Bahn­stei­gen jen­seits der Pos­ten, jen­seits der Gelei­se, dür­fen nicht ein­stei­gen, man weiß, Schüs­se könn­ten fal­len. Die da drau­ßen her­um­ste­hen, die aus dem Mund damp­fen, die von der Mor­gen­schicht in Hal­le, wis­sen das bes­ser als die, die im Zug ste­hen und mit West­au­gen einen Kon­takt suchen für Sekun­den. Schüs­se könn­ten fal­len, jawohl, Schüs­se. Und deut­sche Spra­che, — Halt! Ste­hen bleiben!

Ich erin­ne­re mich an eine Text­pas­sa­ge. Mal­colm Lowry an Bord des Schlacht­kreu­zers, H.M.S.Proteus. Man liegt vor chi­ne­si­scher Küs­te, man spielt Cri­cket an Deck. Nicht weit, jen­seits des Was­sers an Land, war ein schreck­li­cher Krieg im Gan­ge. „Dum! Dum! Dum!, aber die gan­ze Sache feg­te über unse­re Köp­fe hin­weg, ohne uns zu berüh­ren.“ — „Sie kön­nen sagen, dass ich dem Mann glei­che, von dem sie viel­leicht gele­sen haben, der sein Leben auf einem Schiff ver­brach­te, das regel­mä­ßig zwi­schen Liver­pool und Lis­sa­bon hin — und her­fuhr, und bei sei­ner Ent­las­sung über Lis­sa­bon nur sagen konn­te : die Stra­ßen­bah­nen fah­ren dort schnel­ler als in Liver­pool.“ Ich erin­ne­re mich an eine Notiz des rus­si­schen Dich­ters Wene­dikt Jero­fe­jew : „Alle sagen, — der Kreml, der Kreml. Alle haben mir von ihm erzählt, aber selbst habe ich ihn kein ein­zi­ges Mal gese­hen. Wie vie­le Male schon habe ich im Rausch oder danach mit brum­men­dem Schä­del Mos­kau durch­quert, von Nor­den nach Süden, von Wes­ten nach Osten, aufs Gera­te­wohl, von einem Ende zum ande­ren, aber den Kreml habe ich kein ein­zi­ges Mal gesehen.“

Ein­mal, wie­der Win­ter in Ber­lin, Ber­­lin-West, 1987, ein Fest. Geräu­mi­ge Woh­nung. Auf den Tischen Schnaps­fla­schen und Erd­beer­glä­ser. Man sagt, das sei so üblich, — Gäs­te aus dem Osten, Schnaps auf dem Tisch. Da ist ein klei­ner Mann, schüt­te­res Haar. Sitzt die Nacht über an einem der Tische, trinkt und schlägt irre Rhyth­men mit­tels Mes­sern und Gabeln auf Tel­ler, an Glä­ser. Man sagt, der Mann sei gera­de rüber gekauft, man sagt, er habe in Baut­zen II geses­sen, man sagt, ein­mal, fros­ti­ge Luft, habe man den Mann aus­ge­zo­gen, man habe ihn aus­ge­zo­gen und in eine Schleu­se gestellt, man habe ihn dort ver­ges­sen unter frei­em Him­mel, dann habe man sich sei­ner erin­nert, dann habe man ihn warm geprü­gelt. — Irre Rhyth­men. — Hab ich also Land betre­ten. — stop

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