bamako : 6.32 UTC — Einmal, das war vor zehn Jahren gewesen, stürzte eine Fliege aus großer Höhe vor mir auf den Tisch. Die Vorstellung zunächst, das Tier könnte, noch im Flug befindlich, aus dem Leben geschieden sein, dann aber war Bewegung im liegenden Körper zu erkennen, zwei der vorderen Fliegenbeinchen bewegten sich bebend, bald zuckten zwei Flügel. Die Fliege schien benommen, jedoch nicht tot gewesen zu sein, weswegen sie bald darauf erwachte, eine äußerst schnelle Bewegung und schon hatte die Fliege auf ihren Beinen Platz genommen, das heißt genauer, auf fünf ihrer sechs Beine Platz genommen, das linke hintere Bein streckte die Fliege steif von sich. Keine Bewegung der Flucht in diesem Zeitraum meiner Beobachtung. Auch dann, als ich mich mit dem Kopf näherte, keine Anzeichen von Beunruhigung. Die Fliege schien mit sich selbst beschäftigt zu sein, tastete mit einem ihrer Hinterbeinchen nach der gestreckten Extremität, die verletzt zu sein schien, gebrochen, vielleicht oder gestaucht. Natürlich stellte sich sofort die Frage, ob es möglich ist, das Bein einer Fliege medizinisch erfolgreich zu versorgen, Bewegungsstillstand zu erreichen, sagen wir, um eine Operation zum Beispiel, die dringend geboten sein könnte, vorzubereiten. Ich machte ein paar Notizen von eigener Hand, ich notierte in etwa so: Forschen nach Mikroskop, Pinzetten, Skalpellen, anatomischen Aufzeichnungen, Schrauben, Narkotika und Verbandsmaterialien für Operation an geöffneter Calliphora vicina. — stop
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von fliegentieren
india : 20.02 UTC — Fliegen existieren, die sich im Moment der Dunkelheit an eine Wand setzen, auf ein Buch, auf den Boden, auf das vom Taglicht erwärmte Holz meines Schreibtisches. Dort verweilen sie still, bis es wieder hell wird, sie sind die Schläfer unter den Fliegen, Nachtschläfer. Indessen sind weitere Fliegen zu beobachten, die kaum sichtbar sind, solange Licht ist in meinen Zimmern, sie scheinen sich mittels Bewegungslosigkeit zu verstecken. Ich höre sie nicht, ich sehe sie nicht, ich vergesse, dass sie anwesend sind oder ihre Anwesenheit möglich sein könnte. Und dann ist also Dunkel. Unverzüglich fliegen sie los, Spuren der Duftmoleküle folgend landen sie auf Wangen, Stirn oder einer Schulter, die freilegt, die schläft, die in diesem Augenblick der Landung erwacht. Man könnte sagen, die Nachtflieger unter den Fliegen, bewirken Licht. Kaum stehe ich schlaftrunken neben dem Bett, haben sie sich bereits wieder versteckt. Sie wissen um den Zorn. Und sie wissen, dass bald wieder Dunkel werden wird. — stop
vögel
india : 18.55 UTC — Im Traum stehe ich im Park vor einer Voliere, die an einem Bindfaden hängt. Dieser Bindfaden muss irgendwo in großer Höhe am Himmel befestigt sein. In der Voliere schweben Vögel. Sie sind nicht sehr viel größer als ein Daumen, ihr Gefieder von prächtigen Farben, die sich langsam fließend verändern. Ich sitze auf einem Stuhl, habe Brotzeit mitgebracht, Kürbiskernbrötchen, Schinken, 1 Schnittlauchsträußchen, Champignonpastete, Himbeerbrause, eine Kanne Kaffee. Ich beobachte das Vogelhaus, das über keinerlei Tür verfügt. Tagelang, es wurde immer wieder dunkel, saß ich auf meinem Stuhl. Wenn es dunkel geworden war, leuchtete ich mit einer Taschenlampe zu den Vögeln hin. Sie mochten das Licht, ihre Augen glühten wie Dioden in blau, orange, grün und rot. Auch waren sie stumm. Sie schienen aufmerksam zu sein. Vielleicht wunderten sie sich über diesen Mann, der geduldig wartete, ob sie bald einmal landen würden. — stop
inari
lärm
zoulou : 18.55 UTC — Im Park haben, von Bambuswäldern aus, Bienenschwärme Angriffe auf Parkbesucher geflogen. Die Bienen sind unsichtbar, aber ihr helles dröhnendes Tausendfach gesetztes Summen, lässt Besucher zurückweichen, sie müssen sich nicht einmal zeigen, das geht sofort unter die Haut, läutet ein urtümliches Gedächtnisgeräusch Gefahr, das den spazierenden Menschen als Art vertraut zu sein schneit. Auch die Vögel, die den Park bewohnen sind dort stumm. Wale, die den nahenden Teich bewohnen, singen pünktlich einmal zum Ende der Stunden aus Lautsprecherboxen, die unsichtbar sind wie die Bienen. — stop
brieftaubenwörter
ginkgo : 18.08 UTC — In den Monaten Februar und März lernte meine Schreibmaschine folgende Wörter, die in ihren Prüfverzeichnissen bislang nicht zu finden gewesen waren: Bangsein . Apfelbananenmus . Brieftaubenwörter . Druckluftbauch . Filmbetrachtungsgesicht . Fangschreckenkrebs . Flugfilmzeit . Gefiederkarte . Krokodilmodell . Libellengespräch . Looter . Lötlampeneffekt . Miniaturensand . Nachtschiffgedanken . Mundschutzalgorithmus . Niddapark . Pfuhlschnepfe . Rebusprizip . Spurwerk . Stehschirmchen . Sonderquerdruck . Tangfahne . Summlaut . Twittertourette . Ungeimpft . Vortraumzeit . Watermen . Wortkernbilder . Zeppelinallee . Tastmaschine . Arktiswind . Zeigerblüte . Makimensch . Miniaturensand . — stop
bolano
lima : 17.12 UTC — Nur für Bücher, erzählt sie, die zu schwer sind für ihre alten Hände, diese leichte, handliche Lesemaschine sei nur für schwere Bücher gedacht, für einen Bolano, sagen wir, dessen Buchstaben im Papierbuch so klein geraten seien, dass nicht einmal eine Lesebrille noch helfen würde, dass sie das alles nur dann sehen würde, das Erzählwerk, wenn sie vor Kopfschmerzen sterben würde oder sofort blind werden. Dieser Bolano nun in einem flachen Gerät mit Bildschirm in ihren Händen, das kaum 100 Gramm schwer ist. Und die Buchstaben so groß, dass sie nicht einmal eine Brille braucht, um alles sehen zu können. So sitzt sie jetzt vor dem Fenster, eine schneeweiße Rose. Es ist später Nachmittag. Sie legt das Gerät nicht auf den Tisch, sie hält es wie ein Buch mit beiden Händen fest. Die wilden Detektive. Bald Frühling. — stop
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lesezeit
india : 15.01 UTC — Ein Programmabteil meiner Schreibmaschine zählt Wörter, Zeichen, Absätze eines Textes, welchen ich notierte. Das ist eine feine Sache. Nun erzählt sie außerdem, dass ich, wenn ich diesen notierten Text nachlesen würde, 1 Stunde und 22 Minuten Zeit vergehen wird, ehe ich sein Ende erreicht haben werde. Das ist eine seltsam optimistische Darstellung der Lage. Ich vermag nicht zu lesen, ohne zu ändern, zu ergänzen, zu streichen. Weitere Texte, die unbeweglich sind, weil sie von Menschen publiziert wurden, die ich nicht persönlich kenne, sind Texte, die ich hinnehmen muss, oder hinnehmen will, wer würde wagen, an einen Uwe Johnson Hand anzulegen? — stop