alpha : 8.06 — Seit Tagen denke ich darüber nach, weshalb mich die Ansicht japanischer Fesselbombenballone irritiert. Ich komm nicht dahinter. Vielleicht einmal eine Geschichte erzählen, die von oder mit Bombenballonen handelt, eine Art fabulierende Denkbewegung, die die Substanz dieser seltsamen Idee in meinem Leben wirklicher, greifbarer werden lässt. Nicht also erfinden, sondern etwas Gefundenes buchstabieren, um es genauer denken oder überhaupt als etwas Eigenes spüren zu können. Gestern Abend noch erzählte ich in einem Gespräch von Zeppelinkäfern, wie sie durch meine Wohnung schweben. Ich erzählte in einer Weise, dass ich eher sagen müsste, dass ich von der Erscheinung der Zeppelinkäfer in meinem Zimmer berichtete, weil sie, im Februar zunächst wortweise auf Notizpapier gesetzt, für mein Gehirn zur einer wirklichen Erscheinung geworden sind. — Eine beruhigende Beobachtung. — stop
Aus der Wörtersammlung: alpha
tageszeit
alpha : 0.01 — Mit/in dieser Minute beginnt der 17451. Tag meines Lebens. — stop
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alpha : 0.02 — k i n n h a a r
iriden
sierra : 22.00 — Eine Frau betrat an der Station Charles Michels den Metrowagon, setzte sich und begann in einem Buch japanischer Zeichen zu lesen. Ich beobachtete ihre Augen, wie sie von der oberen Kante des Buches senkrecht nach unten wanderten, wie sie sofort wieder nach oben hüpften und ein wenig zur Seite, um dann erneut nach unten zu gleiten. — Eine vertikale Welt. — Als sie mich aber musterte, mich oder meinen Blick, eine horizontale Bewegung: Auge um Auge, von dem einen zum anderen und wieder zurück. — Ein seltsamer Moment. — Der Eindruck, dass die Frau meine Augen betrachtete, als wären sie Schriftzeichen, dass sie sich zunächst für die eine, dann für die andere Iris interessierte. Daraufhin die Einsicht, dass ich, wenn ich ein Auge, sagen wir, das linke Auge eines Menschen für sich betrachte, den Menschen hinter dem Auge weder sehen noch erkennen kann. — stop
papierhaut
alpha : 18.07 — Blätterte in Janet Frames autobiografischer Erzählung Ein Engel an meiner Tafel. Blitzartig, nach Jahrzehnten des Lesens, von einer Sekunde zur anderen Sekunde bemerkt, dass Texte über sichtbare Strukturen, dass sie über Unterbrechungen ihrer Zeichenketten verfügen, dass Kapitel oder Absätze sie zerlegen, dass sie also portioniert sind, dass sie inselweise auf einer Papierhaut von Stille schwimmen. — stop
lichtenberg
alpha : 18.22 — Ob ein Mann, der schreibt, gut oder schlecht schreibt, ist gleich ausgemacht, ob aber einer, der nichts schreibt und stille sitzt, aus Vernunft oder aus Unwissenheit stille sitzt, kann kein Sterblicher ausmachen. G.C.Lichtenberg
luftpost
alpha : 23.52 – Einmal lag ein buntes Stück Papier auf meinem Schreibtisch, ein Luftpostbrief. Als ich das Couvert des Briefes genauer betrachtete, das heißt, als ich den Brief so nahe an meine Augen heranführte, dass ich die Stempeleinträge seiner Anschriftenseite entziffern konnte, bemerkte ich, dass der Luftpostbrief bereits vor langer Zeit in Europa aufgegeben und über den Atlantik geflogen worden war. In Santiago de Chile dann angekommen, konnte der Brief nicht zugestellt werden, vermutlich weil die Zeichen, die den Brief beschrifteten, kaum zu entziffern gewesen waren. Nach einigen Wochen Wartezeit, reiste der Brief, nun markiert mit einem Schildchen in blauer, spanischer Farbe: Imposible de entregar! *, über den Atlantik zurück, um sich nur wenige Tage später erneut auf den Weg über das Meer nach Chile zu begeben. Ein weiterer Schriftzug war hinzugekommen, ein feiner, aber großzügiger Stempelaufdruck: -Diese Sendung wurde von einem Blinden geschrieben!- Zwei frische Wertmarken, nichts sonst verändert. Und so machte sich der Brief bald darauf ein viertes Mal auf den Weg über das Meer wieder nach Europa zurück und landete, weiß der Himmel, warum, in meiner Nähe, in der Nähe meiner Schreibmaschine. — stop
* Nicht zustellbar
gecko
alpha : 0.05 — Seit Jahren, mit Vergnügen, beobachte ich einen Gedanken in meinem Kopf, der sich nicht bewegt, kein Zeichen der Buchstabenversammlung des Gedankens rührt sich von der Stelle. Manchmal denke ich, der Gedanke bewegt sich, ein Gecko, so langsam wie heimlich, während ich andere Gedanken denke. — stop
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alpha : 2.58 – k o p f g e l e n k
ein bauch voll licht
alpha : 0.01 — Kurz nach Mitternacht, also Nachmittag. Ich habe gerade eine Tasse heißer Schokolade getrunken, und wie immer, wenn ich Schokolade getrunken habe, meine ich, vom Licht uralter Glühbirnen genascht zu haben. Jetzt stehe ich mit einem warmen Bauch voll Licht vor einem Fenster, hinter dem polare Kälte knistert. Ja, eine angenehme Nacht ist angebrochen. Ich könnte gleich eine Reise beginnen. Ich stelle mir eine Lesezeit wie eine Reisezeit vor? Ich setze mich auf mein Sofa, öffne ein Buch gesammelter Geschichten, sagen wir, gesammelter Geschichten aus aller Welt, und lese. Ich lese fünf Stunden, ohne einzuschlafen, weil die Geschichten, die ich lese, gute Geschichten sind. Dann trinke ich Kaffee und laufe ein wenig in der Wohnung herum. Dann schlafe ich. Dann lese ich weiter. Dann schlafe ich wieder. Habe ich ausreichend Wasser, Enten, Brot für eine Woche? — stop