marimba : 8.56 UTC — Einmal, Jahre sind vergangen, hatte ich mir vorgenommen, eine Notiz über eine Ameise zu schreiben, die ich an einem Nachmittag in einem U‑Bahnwaggon angetroffen hatte. Aber dann beobachtete ich meine Hände, Hände, wie sie dicht über der Tastatur der Schreibmaschine schwebend auf Anweisung warteten. Ich bemerkte damals, dass meine Hände jene anatomischen Strukturen meines Körpers sind, die ich am besten kenne, weil ich sie oft betrachtet habe. Alle meine Hände, die ich erinnern kann, sind die Hände eines Menschen, der nicht mehr Kind ist. Aber ich erinnere mich an Bewegungen, die Kissen in einem Kinderwagen sortieren. Ich erinnere mich an meinen Wunsch, in meinem Kinderwagen Ordnung zu halten. An hölzernes Spielzeug erinnere ich mich, das vor meiner Nase baumelte. Da sind jetzt winzige, blaue Schuhe in meinem Kopf. Sie bewegen sich, wenn ich wünsche, dass sie sich bewegen. — Heute am frühen Morgen wartete ich vor einem Laden auf Einlass. Ich trug eine Mundbedeckung, noch immer versuche ich mich an Stoffstreifen vor meinem Gesicht zu gewöhnen. In meiner nächsten Nähe ging eine uralte Frau auf ihren Stock gestützt auf und ab. Ich glaube, sie wollte trainieren. Sie war klein, zierlich, zerbrechlich. Auch sie trug einen Mundschutz vor dem Gesicht, der zerknittert war, als würde sie ihn bereits seit Jahren tragen. Ich wollte sie auf den Arm nehmen, um sie zu beschützen. Ich glaube, sie fürchtete meinen Blick. — stop
Aus der Wörtersammlung: bahnwaggon
noise
ginkgo : 21.38 — Als ich unlängst die wunderbare Filmkomödie Noise von Henry Bean entdeckte, erinnerte ich mich an eine Geschichte, die ich vor einigen Jahren in New York skizzierte. Sie geht so: Seit einigen Tagen spaziert ein drahtiger Herr von kleiner Gestalt in meinem Kopf herum. Er ist so deutlich zu sehen, dass ich meinen möchte, ich würde ihn einmal persönlich gesehen haben, eine Figur, die durch die Stadt New York irrt auf der Suche nach Lärmquellen, die so beschaffen sind, dass man ihnen mit professionellen Mitteln zu Leibe rücken könnte, Hupen, zum Beispiel, oder Pfeifgeräusche jeder Art, Klappern, Kreischen, verzerrte Radiostimmen, Sirenen, alle diese verrückten Töne, die nicht eigentlich begründet sind, weil sie ihre Ursprünge, ihre Notwendigkeit vielleicht längst verloren haben im Laufe der Zeit, der Jahre, der Jahrzehnte. Ich erinnere mich in diesem Moment, da ich von meiner Vorstellung erzähle, an einen schrillen Ton in der Subway Station Lexington Avenue / 63. Straße nahe der Zugangsschleusen. Dieser Ton war ein irritierendes Ereignis der Luft. Ich hatte bald herausgefunden, woher das Geräusch genau kam, nämlich von einer Klingel mechanischer Art, die über dem Häuschen der Stationsvorsteherin befestigt war. Diese Klingel schien dort schon lange Zeit installiert zu sein, Kabel, von grünem Stoff ummantelt, die zu ihr führten, waren von einer Schicht öligen Staubes bedeckt. Äußerst seltsam an jenem Morgen war gewesen, dass ich der einzige Mensch zu sein schien, der sich für das Geräusch interessierte, weder die Zugreisenden noch die Tauben, die auf dem Bahnsteig lungerten, wurden von dem Geräusch der Klingel berührt. Auch die Stationsvorsteherin war nicht im mindesten an dem schrillenden Geräusch interessiert, das in unregelmäßigen Abständen ertönte. Ich konnte keinen Grund, auch keinen Code in ihm erkennen, das Geräusch war da, es war ein Geräusch für sich, ein Geräusch wie ein Lebewesen, dessen Existenz nicht angetastet werden sollte. Wenn da nun nicht jener Herr gewesen wäre, der sich der Klingel näherte. Er stand ganz still, notierte in sein Notizheft, telefonierte, dann wartete er. Kaum eine Viertelstunde verging, als einem U‑Bahnwaggon der Linie 5 zwei junge Männer entstiegen. Sie waren in Overalls von gelber Farbe gehüllt. Unverzüglich näherten sie sich der Klingel. Der eine Mann faltete seine Hände im Schoss, der andere stieg auf zur Klingel und durchtrennte mit einem mutigen Schnitt die Leitung, etwas Ölstaub rieselte zu Boden, und diese Stille, ein Faden von Stille. — stop
leuchtfeuer
echo : 8.01 — Die Wiederholung einer Nachtzeit vor wenigen Stunden noch. Regen. Das Geräusch des Wassers, ein Geräusch des Bodens, der Stämme, der Dächer, der Regenrinnen. Vielleicht, weil in ihm Zeit enthalten ist, Tropfen für Tropfen zu einer regelmäßigen Bewegung, höre ich dieses Geräusch als ein beruhigendes Geräusch. Oder auch deshalb, weil ich das Wesen der Kiemenmenschen in mir trage, weil ich von Menschenwohnungen erzähle, die unter Wasser stehen. An diesem kühlen Morgen ist etwas Wesentliches festzuhalten, ein angenehmes Wort, das Wort Leuchtfeuer. Und dass ich von Kranichen träumte, ja träumte, selbst ein Kranich unter Kranichen zu sein. Wir flogen eine Küste entlang. Ich erinnere mich, dass ich durstig gewesen war, weil viel Sonne vom Himmel brannte. Die Kraniche bemerkten bald, dass mich die Hitze quälte. Sie suchten nach meinem Schnabel, um mich mit Wasser zu füttern. Aber ich hatte keinen Schnabel, sondern einen menschlichen Mund, weshalb sie bald aufgaben, mich füttern zu wollen. Stattdessen näherte sich einer nach dem anderen, um nachzusehen, welch seltsamer Vogel mit ihnen nach Norden flog. — stop
ein inspektor der stille
sierra : 16.05 — Seit einigen Tagen spaziert ein drahtiger Herr von kleiner Gestalt in meinem Kopf herum. Er ist so deutlich zu sehen, dass ich meinen könnte, ich würde ihn einmal persönlich gesehen haben, eine Figur, die durch die Stadt New York irrt auf der Suche nach Lärmquellen, die so beschaffen sind, dass man ihnen mit professionellen Mitteln zu Leibe rücken könnte, Hupen, zum Beispiel, oder Pfeifgeräusche jeder Art, Klappern, Kreischen, verzerrte Radiostimmen, Sirenen, alle diese verrückten Töne, die nicht eigentlich begründet sind, weil sie ihre Ursprünge, ihre Notwendigkeit vielleicht längst verloren haben im Laufe der Zeit, der Jahre, der Jahrzehnte. Ich erinnere mich in diesem Moment, da ich von meiner Vorstellung erzähle, an einen schrillen Ton in der Subway Station Lexington Avenue / 63. Straße nahe der Zugangsschleusen. Dieser Ton war ein irritierendes Ereignis der Luft. Ich hatte bald herausgefunden, woher das Geräusch genau kam, nämlich von einer Klingel mechanischer Art, die über dem Häuschen der Stationsvorsteherin befestigt war. Diese Klingel schien dort schon lange Zeit installiert zu sein, Kabel, von grünem Stoff ummantelt, die zu ihr führten, waren von einer Schicht öligen Staubes bedeckt. Äußerst seltsam an jenem Morgen war gewesen, dass ich der einzige Mensch zu sein schien, der sich für das Geräusch interessierte, weder die Zugreisenden, noch die Tauben, die auf dem Bahnsteig lungerten, wurden von dem Geräusch der Klingel berührt. Auch die Stationsvorsteherin war nicht im mindesten an dem schrillenden Geräusch interessiert, das in unregelmäßigen Abständen ertönte. Ich konnte keinen Grund, auch keinen Code in ihm erkennen, das Geräusch war da, es war ein Geräusch für sich, ein Geräusch wie ein Lebewesen, dessen Existenz nicht angetastet werden sollte. Wenn da nun nicht jener Herr gewesen wäre, der sich der Klingel näherte. Er stand ganz still, notierte in sein Notizheft, telefonierte, dann wartete er. Kaum eine Viertelstunde verging, als einem U‑Bahnwaggon der Linie 5 zwei junge Männer entstiegen. Sie waren in Overalls von gelber Farbe gehüllt. Unverzüglich näherten sie sich der Klingel. Der eine Mann faltete seine Hände im Schoss, der andere stieg auf zur Klingel und durchtrennte mit einem mutigen Schnitt die Leitung, etwas Ölstaub rieselte zu Boden, und diese Stille, ein Faden von Stille. — stop
gebäck
ginkgo : 6.05 — War bei Harrods gewesen, ein hell ausgeleuchteter Saal. Verkäuferinnen in grünen Overalls stapelten kunstvoll menschliche Arme und Beine und Köpfe auf Tische. Klare, in den Augen schmerzende Substanz fiel von der Decke. Bald darauf Kurzstreckenfahrt im U‑Bahnwaggon. Ein feuchter menschlicher Arm ruhte auf meinen Oberschenkeln. Dieser Arm nun war in Zeitungspapier gewickelt, seiden weiße Substanz tropfte auf den Boden. Gleich gegenüber ein Mann und eine Frau. Das Gesicht des Mannes dampfte. Die Frau, die eine Melodie vor sich hinsummte, schälte mit einem Teelöffelchen grammschwere Fleischproben aus den Wangen des Mannes, um sie entweder sofort zu verzehren oder weiteren Fahrgästen darzubieten. — stop. — Montag. stop. Duke Ellington : Take the “A” Train. stop. Es ist denkbar, dass ich über das Gedächtnis eines Elefanten verfüge. — stop
animals : eine luftgeschichte
delta : 7.45 — Im Wesentlichen existieren drei Arten von Geschichten. Fertig anwesende, erlebte Geschichten. Rein aus der Luft gefangene, das heißt, erfundene Geschichten. Recherchierte Geschichten. stop. Animals, zum Beispiel, die Geschichte der Entdeckung lebender Papiere. stop. Eine Luftgeschichte. stop. Es ist jetzt zwei Uhr nachts. stop. Was brauche ich? stop. Zwei Kühlschränke, fünf U‑Bahnwaggons, drei Kaffeehäuser, eine Handvoll Abendsegler, Stadtmenschen, ein Radiogerät. stop. Und Papiertiere stop. Sehr kleine Herzen, ebenso kleine Gehirne, Münder und Verdauungstrakte. stop. Auch Propellerflügel. stop. Feinste Ware. stop. Was brauche ich noch? stop. Räume der Zeit und einen ersten Satz. stop. Geduld. stop. Das Geräusch meines Bleistifts auf grobem Papier.
blaue schuhe
0.56 — Ich hatte mir vorgenommen, eine kleine Notiz über eine Ameise zu schreiben, die ich gestern Nachmittag in einem U‑Bahn-Waggon angetroffen hatte. Aber dann habe ich meine Hände gesehen, wie sie dicht über der Tastatur der Schreibmaschine auf Anweisung warteten. Ich dachte, dass meine Hände jene anatomischen Strukturen meines Körpers sind, die ich am besten kenne, weil ich sie vielfach betrachtet habe. — Alle Hände, die ich erinnern kann, sind die Hände eines Menschen, der nicht mehr Kind ist. Aber ich erinnere mich an Bewegungen, die Kissen in einem Kinderwagen sortieren. Ich erinnere mich an meinen Wunsch, in meinem Kinderwagen Ordnung zu halten. An hölzernes Spielzeug erinnere ich mich, das vor meiner Nase baumelte. Da sind jetzt kleine, blaue Schuhe in meinem Kopf. Sie bewegen sich, wenn ich wünsche, dass sie sich bewegen. — stop