Aus der Wörtersammlung: hosentasche

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bellevue

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ulys­ses : 6.08 — Vor Jah­ren ein­mal ent­deck­te ich nach stun­den­lan­ger Suche in den Archi­ven der Baye­ri­schen Staats­bi­blio­thek eine Foto­gra­fie auf einem Mikro­film­strei­fen und ich wuss­te sofort, dass ich die­ses Licht­bild besit­zen muss­te. Ich bat eine Biblio­the­ka­rin, aus dem Mate­ri­al das Bes­te her­aus­zu­ho­len, höchs­te Auf­lö­sung, wes­we­gen ich bald einen klei­nen Sta­pel Papiers ent­ge­gen­neh­men konn­te, den ich im Arbeits­zim­mer an einer Wand zum Bild zurück­sor­tier­te, zur Ansicht einer Stra­ße des Jah­res 1934 prä­zi­se, einer Stra­ße nahe des Bel­le­vue Hos­pi­tals zu New York. Stau­bi­ge Bäu­me, eilen­de Men­schen­schat­ten, die Sil­hou­et­te einer alten, in den Kno­chen gebeug­ten Frau, der Wagen eines Eis­ver­käu­fers, ros­ti­ge Hydran­ten, die sprö­de Stein­haut der Stra­ße, zwei Vögel unbe­kann­ter Gat­tung, Spu­ren von Hit­ze, und ich erin­ne­re mich noch gut, dass ich eine Zei­le von links nach rechts auf das Papier notier­te: Die­se Stra­ße könn­te Mal­colm Lowry über­quert haben, an einem Tag viel­leicht, als er sich auf den Weg mach­te, sei­nem Kör­per den Alko­hol zu ent­zie­hen. Und weil ich schon ein­mal damit begon­nen hat­te, das Bild zu ver­fei­nern, zeich­ne­te ich in Wor­ten wei­te­re Sub­stan­zen auf das Papier, Unsicht­ba­res oder Mög­li­ches. Einen Schuh notier­te ich west­wärts: Hier flüch­tet Jan Gabri­el, weil sie Mr. Lowrys Lie­be nicht län­ger glau­ben konn­te. Da lag ein Notiz­buch im Schat­ten eines Bau­mes und ich sag­te: Die­ses Notiz­buch wird Mal­colm Lowry fin­den von Zeit zu Zeit, er wird es auf­he­ben und mit zit­tern­den Hän­den in sei­ne Hosen­ta­sche ste­cken. Schon segel­ten fie­bern­de Wale über den East River, der zwi­schen zwei Häu­sern schim­mer­te, ein Schwarm irrer Bie­nen tropf­te von einer Fens­ter­bank, und da waren noch zwei Mäd­chen, bar­fuss, — oder tru­gen sie doch Strümp­fe, doch Schu­he? — sie spiel­ten Him­mel und Höl­le, ihre fröh­li­chen Stim­men. Ich geste­he, dass Dai­sy und Vio­let nicht damals, son­dern in die­ser letz­ten Stun­de einer hei­te­ren Arbeits­nacht ins Bild gekom­men sind.

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lichtwellensegel

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romeo : In der ver­gan­ge­nen Nacht war ich begeis­tert in Chi­ca­go auf dem Bild­schirm. Ich hat­te des­halb kei­ne Zeit, einen Text zu schrei­ben oder über einen Text nach­zu­den­ken. Will nun statt­des­sen ein klei­nes Stück zitie­ren, das ich im Okto­ber des ver­gan­ge­nen Jah­res bereits notier­te, als ich sehr glück­lich gewe­sen war. Fol­gen­des: Man stel­le sich ein­mal ein Zim­mer vor, ein freund­li­ches, hel­les Zim­mer von aller­feins­ter Qual­len­haut, von Was­ser, von Salz, von Licht. Man könn­te die­ses Zim­mer, und alles was sich im Zim­mer befin­det, das Qual­len­bett, die Qual­len­uhr, und all die Qual­len­bü­cher und auch die Schreib­ma­schi­nen von Qual­len­haut, trock­nen und fal­ten und sich 10 Gramm schwer in die Hosen­ta­sche ste­cken. Und dann geht man mit dem Zim­mer durch die Stadt spa­zie­ren. Oder man geht kurz mal um die Ecke und setzt sich in ein Kaf­fee­haus und war­tet. Man sitzt also ganz still und zufrie­den unter einer Ven­ti­la­tor­ma­schi­ne an einem Tisch, trinkt einen Becher Kakao und lächelt und ist gedul­dig und sehr zufrie­den, weil nie­mand weiß, dass man ein Zim­mer in der Hosen­ta­sche mit sich führt, ein Zim­mer, das man jeder­zeit aus­pa­cken und mit etwas Was­ser, Salz und Licht, zur schöns­ten Ent­fal­tung brin­gen könn­te. – Null Uhr acht : Haben wir noch alle Tas­sen im Schrank?

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wim wenders

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15.32 — Viel, wie­der nachts, spa­ziert. Tra­ge einen Sta­pel klei­ner Kar­ten in der Hosen­ta­sche und einen Blei­stift. Sobald mir etwas ein­fällt im Gehen, notie­re ich. Ein­mal, im Som­mer, sehe ich einen Mann, der in einem Bahn­hof neben einem Zug auf dem Boden liegt. Der Zug war soeben via Mai­land aus Rom gekom­men, und als ich den Mann fra­ge, ob er Hil­fe benö­ti­ge, ant­wor­tet er, dass er sie hören, nicht aber sehen kön­ne. — Wim Wen­ders, stel­le ich mir vor, wür­de die­sen lie­gen­den Herrn sofort foto­gra­fiert haben und sei­ne Geschich­te zur Foto­gra­fie wür­de mit dem ange­neh­men Wort — E i n ­m a l — begin­nen. Ein­mal, an einem spä­ten Abend, lag ein Mann auf einem Bahn­steig neben einem Zug und lausch­te ita­lie­ni­schen Zika­den. — stop

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déjà-vu

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15.08 — In der schwan­ken­den Stra­ßen­bahn höre ich, wie sie mit bren­nen­den Augen nach Wor­ten suchen für das schep­pern­de Licht des Magne­si­ums, für das Fau­chen der ben­ga­li­schen Feu­er, die sie in Hän­den gehal­ten haben. Da ist eine Nacht­se­kun­de, die Sekun­de, in der sie das rote, das ver­bo­te­ne Stäb­chen ent­zün­det und gera­de noch eben recht­zei­tig von sich gewor­fen haben, da ist das Heu­len der chi­ne­si­schen Pul­ver­pfei­fen, da sind Fun­ken­re­gen, da sind blau­graue Wölk­chen, die sich auf klei­ne Zun­gen nie­der­le­gen. Nicht die Feu­er­blu­men des Him­mels, das Spek­ta­kel der nächs­ten Nähe ent­fes­selt die Erin­ne­rung von Stun­de zu Stun­de. Zünd­höl­zer, ver­bor­gen in Hosen­ta­schen, sind zurück­ge­blie­ben, auch die­ses Schwe­fel­holz, eine heim­li­che Geschich­te. — stop

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medusenzimmer

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4.37 — Man stel­le sich ein­mal ein Zim­mer vor, ein freund­li­ches, hel­les Zim­mer von aller­feins­ter Qual­len­haut, ein Zim­mer von Was­ser, ein Zim­mer von Salz, ein Zim­mer von Licht. Man könn­te die­ses Zim­mer und alles, was sich im Zim­mer befin­det, das Qual­len­bett, die Qual­len­uhr, und all die Qual­len­bü­cher und auch die Schreib­ma­schi­nen von Qual­len­haut, trock­nen und fal­ten und sich 10 Gramm schwer in die Hosen­ta­sche ste­cken. Und dann geht man mit dem Zim­mer durch die Stadt spa­zie­ren. Oder man geht kurz mal um die Ecke und setzt sich in ein Kaf­fee­haus und war­tet. Man sitzt also ganz still und zufrie­den unter einer Ven­ti­la­tor­ma­schi­ne an einem Tisch, trinkt eine Tas­se Kakao und lächelt und ist gedul­dig und sehr zufrie­den, weil nie­mand weiß, dass man ein Zim­mer in der Hosen­ta­sche mit sich führt, ein Zim­mer, das man jeder­zeit aus­pa­cken und mit etwas Was­ser, Salz und Licht, zur schöns­ten Ent­fal­tung brin­gen könn­te. – Null Uhr acht : Haben wir noch alle Tas­sen im Schrank? — stop

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