Aus der Wörtersammlung: schlaf

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papiere

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22.02 – Ich habe Papie­re, auf die ich ges­tern Abend noch einen klei­nen Text notier­te, im Selbst­ge­spräch umkreist, ohne mich zu nähern, weil ich fürch­te­te, mei­ne Notiz könn­te mir nach fünf Stun­den Schlaf miss­fal­len. Zehn Stun­den Zeit sind seit­her ver­gan­gen und ich habe die Furcht vor den Papie­ren, die ich den gan­zen Tag über mit mir her­um­ge­tra­gen habe, ohne sie noch ein­mal zu lesen, ver­lo­ren. Ich kann nicht sagen, war­um das so ist. — stop

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winterkäfer

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14.10 — Habe über einen Win­ter­kä­fer nach­ge­dacht. Aber dann ist mir ein ganz ande­rer Käfer ein­ge­fal­len, ein Wesen, für das ich noch kei­nen Namen habe. Die­ser namen­lo­se Käfer soll­te ohne Aus­nah­me paar­wei­se erschei­nen, weich sein wie eine Schne­cke und von der Kör­per­tem­pe­ra­tur der Men­schen und genau­so groß, dass er sich in die Augen­höh­le eines Schla­fen­den ein­zu­schmie­gen ver­mag. Man möch­te nun mei­nen, der Käfer wür­de sich mit sei­ner Wir­kung als Nacht­schirm begnü­gen, statt­des­sen wird er ein wenig flie­ßen und da er in die­ser Wei­se in Bewe­gung ist, sehr ent­span­nen­de Polar­licht­spie­le von mil­der, beru­hi­gen­der Lumi­nes­zenz erzeu­gen. — Wäh­rend ich die­se Zei­len über­tra­ge, die Nach­richt, dass Bena­zir Bhut­to von einem Selbst­mord­at­ten­tä­ter getö­tet wor­den sein soll. — stop

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nebelhorn

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1.28 — Ges­tern Abend in der Däm­me­rung bin ich durch den Regen gestapft, weil ich gele­sen hat­te, auf dem Post­amt wür­de ein Paket auf mich war­ten. Ich ging also los mit mei­nem Regen­schirm, der sehr schö­ne Geräu­sche macht, wenn Was­ser aus gro­ßer Höhe auf ihn her­ab­fällt. Und weil es sehr win­dig war, muss­te ich den Schirm etwas schräg vor mich stel­len, wie einen Schild viel­leicht, des­halb habe ich von den Men­schen, die mir begeg­ne­ten, nur Schu­he gese­hen oder Bei­ne in Strümp­fen oder Hosen oder flat­tern­de Män­tel. Sehr selt­sam, die­ser exqui­si­te Blick auf die Werk­zeu­ge des Gehens, sehr selt­sam, wie schnell mensch­li­che Wesen sich doch bewe­gen. Bald war ich wie­der auf dem Weg zurück, ein Paket unter dem Arm, den Schirm nun, ein Segel, im Nacken, Blick auf feuch­te Schil­de, die sich mir ent­ge­gen­stemm­ten, dar­un­ter Art­ge­nos­sen, geräusch­los. — Aber jetzt zu dem, was ich eigent­lich erzäh­len will. Auf mei­nem Schreib­tisch ruht seit sechs Stun­den ein fein gestal­te­tes Buch von rau­em, kräf­ti­gem Papier, ein Buch, das mit dem Schiff zu mir über den Atlan­tik reis­te, wes­we­gen es fünf Wochen unter­wegs gewe­sen war, in einem Con­tai­ner ver­mut­lich bei Wind und Wet­ter, also roll­te und übers Was­ser schlin­ger­te, auf und ab getra­gen von sehr hohen und klei­ne­ren Wel­len. Ich habe lan­ge Zeit auf die­ses Buch gewar­tet, eine sehr lan­ge Zeit. Als ich zu war­ten begann, war noch Som­mer gewe­sen und jetzt ist schon Win­ter gewor­den. Nun end­lich liegt das klei­ne Buch, das von den Zwil­lin­gen Dai­sy und Vio­let Hil­ton erzählt, auf mei­nem Schreib­tisch oder in mei­ner Küche oder auf mei­nem Sofa oder auf mei­ner Brust, wenn ich trotz der Begeis­te­rung kurz ein­mal ein­ge­nickt sein soll­te. Da ist eine Bewe­gung im Halb­schlaf, ein kaum wahr­nehm­ba­res Schau­keln. Und da sind zwit­schern­de Mäd­chen­stim­men, und das Nebel­horn eines Damp­fers vor Brigh­ton. — stop

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felix fénéon

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2.15 — Immer wie­der fällt etwas zu mir her­ein und ich kann nicht sagen, war­um gera­de die­ses und war­um gera­de jetzt. Vor­hin habe ich an Felix Féné­on gedacht. Ich geh zum Regal und suche in sei­nem Buch der 1001 wah­ren Geschich­ten. Da ist eine Geschich­te, die Geschich­te No 81 aus dem Jahr 1906 zum Bei­spiel: Mit einem Rat­ten­schwanz ver­se­hen und zur Täu­schung mit fei­nem Grus gefüllt, wur­de ein Zylin­der aus Weiß­blech in der Rue de l’Quest gefun­den. Ein­hun­dert Jah­re spä­ter, eine fried­li­che Nacht ange­nehm küh­ler Luft. Ich stel­le mir Hun­der­te schla­fen­der Köp­fe vor, die in mei­ner Nähe in ihren stei­ner­nen Waben lie­gen. Wie still sie sind in die­ser Lage. — stop

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mandelbrot

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3.38 — Seit eini­gen Tagen bereits wer­de ich nachts gegen 1 Uhr müde. Nicht ein­fach müde in einer Wei­se, dass ich noch sagen könn­te – Jetzt bist Du also müde, soll­test einen schö­nen star­ken Kaf­fee trin­ken oder etwas schwar­zen Tee mit Honig. Nein, das ist eine Müdig­keit, die aus dem Hin­ter­halt kommt, als Über­fall oder so etwas. Vor­hin erst habe ich mei­nen Kopf auf die Schreib­tisch­plat­te gelegt, um mei­ne Spring­spin­ne, die gera­de aus ihrer Höh­le gekom­men war, aus der Per­spek­ti­ve einer wei­te­ren Spin­ne betrach­ten zu kön­nen. Das war ein Feh­ler gewe­sen. Es ist jetzt bereits 3 Uhr 30 und ich habe noch nicht eine der drei sehr kur­zen Kurz­ge­schich­ten gele­sen, die ich mir zur Übung Nacht für Nacht ver­ord­net habe. Wer­de nun vor­sich­tig in die Küche gehen. Dann etwas Car­ver lesen und viel­leicht, wenn ich nicht wie­der ein­ge­schla­fen sein wer­de, über das schö­ne Wort Man­del­brot­men­ge nach­den­ken, über die Tem­pe­ra­tu­ren des Atlan­ti­schen Oze­ans vor Neu­fund­land, über schnee­wei­ße Wale und ande­re wun­der­ba­re Din­ge. — stop

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nachtsammlung

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2.24 — Habe 628 Optio­nen gezählt, das Wort Nacht fort­zu­set­zen. Zum Bei­spiel: Nach­ti­gal­len­af­fe Nacht­ge­wöl­be Nacht­duft Nacht­durch­schwär­mer Nacht­eu­len­ton Nacht­ge­fie­der Nacht­wolf. Oder aber Nacht­pa­pa­gei : das ist der merk­wür­digs­te aller papa­gei­en, der kaka­po von neu­see­land [ stri­go­ps habrop­ti­lus ], den man mit dem­sel­ben rech­te, mit wel­chen man die eulen im gegen­satz mit den fal­ken einer beson­de­ren fami­lie unter­bringt, als einen ver­tre­ter einer eige­nen fami­lie betrach­ten muss. [ nach Grimm­sches Wör­ter­buch N – Q ] — Drei Uhr zwölf. In mei­nen Zim­mern ame­ri­ka­ni­sche Stim­men. Funk­ge­räu­sche. Geräu­sche mei­ner Kind­heit. Welt­raum­ge­räu­sche. Geräu­sche, wie sie auch in Guan­ta­na­mo zu hören sind. Den Schlaf rau­ben­de Geräu­sche. — stop

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fjorde

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3.15 — Höl­zer­ne Schritt­ge­räu­sche, als wür­de ich über eine Marim­ba gehen. Hoch über Wol­ken­fjor­den, eine Ebe­ne. Kräf­ti­ge, von der Arbeit ste­ti­ger Win­de gegen den Boden gezwun­ge­ne, feu­er­ro­te Ahorn­bäu­me. Eine uralte stei­ner­ne Stra­ßen­bahn, die stei­ner­nen Rauch aus­stößt, fährt auf stei­ner­nen Schie­nen unter stei­ner­nen Bäu­men hin und her. Leucht­bir­nen von glü­hen­der Lava. — Bin vor dem Schreib­tisch ein­ge­schla­fen. Kurz nach 3 Uhr von Regen­ge­räu­schen geweckt. Ste­he auf. Lau­fe ein wenig von Zim­mer zu Zim­mer. Höre etwas Monk. Schnei­de Ing­wer für den Tee. Sor­tie­re Ton­bän­der. Notie­re Wort­bo­jen. — Sinus­kno­ten. — Venen­stern. — Pyra­mi­den­bahn. — Wie ver­dammt gut die Luft heut riecht. – Zehn Uhr fünf­zehn in Nay­py­idaw, Bur­ma. — stop

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pergament

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17.32 — Saß traum­wärts in einem Café nahe eines Mee­res unter Män­nern, die Go oder etwas ande­res spiel­ten mit klei­nen, run­den, bern­stein­far­be­nen Stei­nen. Die Luft an die­sem Ort war heiß und tro­cken. Ich wun­der­te mich nicht, dass die Män­ner, die von hohem Alter gewe­sen waren, sich mit gewal­ti­gen Ohren Luft zufä­chel­ten in der Art und Wei­se der Ele­fan­ten. Selt­sa­me Geräu­sche waren zu hören, schwe­re, knar­zen­de Töne, als wür­de an höl­zer­nen Schrau­ben gedreht. Und doch war die Haut der Ohren so fein, dass man durch sie hin­durch sehen konn­te. Sobald sie hin­ter den ver­wit­ter­ten Köp­fen zusam­men­schlu­gen, wur­den die Augen des Herrn zu Schlit­zen, beweg­ten sich die luf­ti­gen Häu­te zurück, öff­ne­ten sie sich. Hin­ter dem Tre­sen däm­mer­te ein wei­te­rer Mann, der hat­te sich mit sei­nem Per­ga­ment das Gesicht zuge­deckt. Ich betrach­te­te ihn eine Wei­le, und schon war ich, noch im Ste­hen, dem heu­ti­gen Tage zu, ein­ge­schla­fen. — stop

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das jahr 2102

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20.01 — Neh­men wir ein­mal an, ich wür­de in die­ser Sekun­de die Lesung mei­nes urei­ge­nen Tex­tes begin­nen, wür­de nicht schla­fen ehe ich zu einem letz­ten A, C, G oder T gekom­men bin, wür­de Tag und Nacht, Zei­chen um Zei­chen, Sekun­de um Sekun­de, mei­nen Text zur Spra­che brin­gen, dann buch­sta­bier­te ich 833.333 Stun­den durch die Zeit. Das sind 34.722 Tage oder 95 Jah­re. Im Jahr 2102, an einem Sonn­tag im Sep­tem­ber, wür­de ich viel­leicht von vorn begin­nen. — stop

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