ulysses : 18.05 UTC — L. berichtet, er habe mit seiner Mutter telefoniert, die in Russland lebe nahe der Stadt Irkutsk. Das war an einem Sonntagnachmittag sibirischer Ortszeit. Die Stimme seiner Mutter sei gut zu vernehmen gewesen. Er habe zunächst drei Telefonnummern gewählt, eine Nummer nach der anderen Nummer, dann auf die Stimme seiner Mutter gewartet. Seine Mutter habe ihn gefragt, wie es ihm gehe. Dann habe sie ihm erzählt, dass es schon geschneit habe, und dass sein Päckchen angekommen sei, alles sei drin gewesen im Päckchen, genauso wie er es beschrieben hatte, Schuhe und Schokolade aus Belgien und Hartkäse aus Luxemburg. L. freute sich und lauschte der Stimme seiner Mutter, die vertraut war, weil er regelmäßig mit ihr sprechen kann, dann meinte er ein knisterndes Geräusch am Telefon vernommen zu haben, da erzählte ihm seine Mutter, dass es schon geschneit habe, und dass sein Päckchen angekommen sei, alles sei drin gewesen im Päckchen wie er es beschrieben hatte, Schuhe und Schokolade aus Belgien und Hartkäse aus Luxemburg. Und wieder knisterte es im Telefonhörer, und seine Mutter erzählte, dass es schon geschneit habe, und dass sein Päckchen angekommen sei, alles sei drin gewesen im Päckchen, wie er es beschrieben hatte, Schuhe und Schokolade aus Belgien und Hartkäse aus Luxemburg. Das war schon sehr merkwürdig gewesen und Sonntag. — stop
Aus der Wörtersammlung: utc
löffel
echo : 22.38 UTC — Etwas merkwürdiges ist geschehen. Ich beobachtete, wie sich eine künstliche Intelligenz (sie wird soeben in diesen Monaten entwickelt, in dem man über sie forscht, als existierte sie in Gedanken schon lange Zeit) mit Wörterbüchern der digitalen Welt in Verbindung setzte. Im Arbeitsspeicher des Zeichenwesens waren plötzlich unter anatomischen Bezeichnungen wissenschaftlicher Art, Begriffe unserer menschlichen Umgangssprache zu bemerken, Körperwörter, beispielsweise, sind nun für das Atoll der Ohren folgende verzeichnet: Trommelfell Ohr Lauschlappen Hörorgan Ohrwaschl Gehör Lauscher Löffel. Für das Atoll der Augen: Pupille Sehloch Glubscher Oculus Auge Sehorgan Sehwerkzeug Gucker. Großartige Sache. — stop
vorletztes telefon
viktory : 15.02 UTC — D. rief an. Sie habe, sagte sie, eben noch einmal unsere gemeinsame Freundin B. besucht, die im Sterben liege. Es war spät am Abend und ich dachte, ich könne nicht anrufen am Bett einer Sterbenden um diese Uhrzeit. Ich wartete also und schlief, dann war die Nacht vorüber. B. meldete sich mit kaum noch hörbarer Stimme. Ihre Tochter sitze neben ihr und würde das Telefon halten, ja, es wird langsam Zeit, sagte sie, 94 Jahre, nein, ins Krankenhaus mag sie nicht mehr gehen, sie möchte jetzt aufhören, sie sei dankbar, es gehe ihr gut, ich solle an sie denken und wünschen, dass es nicht lang dauern möge, ja, sie könne schlafen. Schöne Gespräche, sagte sie, haben wir geführt in diesem Sommer, Walter Kempowski, ja, den kenne ich persönlich. Ich antwortete, dass ich ihr dankbar sei für ihre Geschichten von der Geschichte, von Rostock, und diesen Dingen, wie sie den Krieg gerade so überlebte. Und ich hörte, dass sie immer müder wurde, und ich frage noch, ob ich sie vielleicht morgen noch einmal anrufen dürfe. Du kannst es versuchen, sagte sie. — stop
vom radieren
romeo : 22.41 UTC — Zur Gattung der Radierkäfer ist Folgendes zu sagen: Sie wurde unlängst an einem Sonntag auf Position 50°06’54.7“N 8°38’47.5“E in 160 Meter Höhe gegen 20 Uhr und 12 Minuten entdeckt. Es handelt sich um Lebewesen, die ihrer Erscheinung nach Klopf- oder Nagekäfern ( Ptinidae) ähnlich sind, von dunkelroter Körperfarbe und blauem Augenlicht. Radierkäfer tragen ihre Namen deshalb, weil sie sehr gerne radieren. Sobald man nämlich ein Blatt Papier vor einen Radierkäfer hin oder in seiner Nähe ablegt, wird sich der Käfer darauf zubewegen, um sofort damit zu beginnen, Schrift oder andere Zeichen, gleich ob sie nun mit Bleistift oder Tinte aufgetragen wurden, zu vertilgen, indem das Material raspelnd von der Oberfläche der Papiere abgetragen wird. Indessen scheinen sich Käferwesen jener Gattung tatsächlich ausschließlich an Zeichenmaterialien zu orientieren, an Auftrag oder Eintrag, unbeschriftete Papiere werden zwar untersucht, aber nicht weiter in die Tiefe gehend behandelt. Ein oder zweimal täglich hinterlässt der Käfer kleine, zylinderförmige Körper, die von hoher Dichte zu sein scheinen. Weitere Beobachtungszeit wurde avisiert. — stop
add on
echo : 20.18 UTC — Immer wieder die Vorstellung eines menschlichen Lebewesens, das Jahre in seinem persönlichen Code nach Informationen sucht, die nicht zu ihm selbst gehören, Add-ons, die Literatur sind. Sagen wir: „Je seltener ich spreche, desto genauer denke, höre, sehe ich.“ — stop
=
sierra : 0.05 UTC — s c h l a f b a c k e n n e r v
von zeichenfühlern
delta : 7.16 UTC — Ich träumte einen Mann, der in einer staubigen Stadt auf einem Schemel vor einer Schreibmaschine hockte. Der Mann schien zu warten, mit geschlossenen Augen oder schlief. Sobald sich jemand näherte und sich vor den Mann hin auf einen weiteren Schemel setzte, hob der Mann die Schreibmaschine vom Boden auf und setze sie auf seinen Oberschenkel ab, dann lauschte er. Nach wenigen Sekunden hob er eine Hand, um eine Sprechpause zu bewirken. Es war eine mächtige Geste, die Vögel hörten auf zu singen, und der Wind und die Automobile schwiegen. In dieser Stille, die ihm persönlich zu gehören schien, begann er unverzüglich die Tasten seiner Schreibmaschine mit winzigen, runden Papieren zu bekleben, zeichnete sodann mit roter Farbe Zeichen auf die Papiere, um kurz darauf mit einer zarten Handbewegung, den vor ihm Wartenden zu ermuntern, weiterzusprechen. Vorsichtig tippte er nun Zeichen um Zeichen in die Tasten, sie waren von zahllosen Papieren derart erhöht, dass sie wie Fühler eines Schreibmaschinentieres wirkten, die mit jeder Berührung einer der Tasten federnd sich hin und her und auf und ab bewegten. — stop
ki
romeo : 15.05 UTC — Vor einigen Wochen habe ich ein Buch, sagen wir genauer, ich habe einen Text mit dem Titel CIMBEL 8 auf meinem Paperwhite-Lesergerät entdeckt. Es ist merkwürdig, ich kann mich zu diesem Zeitpunkt nicht erinnern, wie und wann und woher dieser Text auf mein Lesegerät gereist sein könnte. Er scheint vom Vergessen und von Wörtern zu erzählen, von Entdeckungen und auch vom Erinnern. Der Text wurde von Helen KI. Liebermann notiert, die mir vollkommen unbekannt. Auch will der Text nicht enden, er setzt sich immer weiter fort, obgleich mir die Fortschrittsanzeige den Eindruck vermittelt, ich würde bereits 98 Prozent des Textes studiert haben. Ich lese nun bereits seit zwei Wochen täglich mehrere Stunden. Manchmal habe ich den Eindruck, mich in einem mir bekannten Garten von Wörtern aufzuhalten. Heute las ich Folgendes: Überlegte, was wäre, wenn ich einmal meine Sprache verloren haben würde, wenn eine Ameise vor einer nunmehr sprachlosen Person über einen Tisch spazierte? Was würde ich noch denken, wenn ich dieses Tier sehen, aber kein Wort für seine Erscheinung in meinem Kopf entdecken könnte? Ich müsste vielleicht ein Wort erfinden in diesem Moment, um das Ameisentier wahrnehmen, das heißt, über das Tier nachdenken zu können. Vielleicht würde ich mich an das Wort Eisenbahn erinnern. Vielleicht würde ich sagen, das ist eine winzige Eisenbahn, die über den Himmel laufen kann. — stop
lumen
echo : 20.02 UTC — Ob es wohl möglich sein wird, eine gläserne Struktur von 180 Metern Länge mit dem Lumen einer menschlichen Halsarterie zu fertigen? Ist denkbar, ein Halmwesen dieser Art weithin zu transportieren, ohne es zu zerbrechen? — stop
osramlanguste
echo : 20.58 UTC — Unter Schwerhörigen wird es immer lauter. Eine Beschleunigung vermutlich und ein Gefühl, indessen, das ich begründen kann, eine Begründung jedoch, die ich nicht fühlen kann. 12 Jahre sind seit der Entdeckung der Osramlangusten vergangen. Das Wort Osramlanguste ist in den Räumen der Suchmaschinen nach wie vor ausschließlich mit meiner Particlessphäre verbunden. — stop