pupille : 23.56 — Die Sonne ist rund.
napapiin
india : 6.22 — Schaute gegen den Himmel. Bemerkte, dass sich die Dunkelheit wie eine Flüssigkeit verhielt. Vögel hüpften in dieser feuchten Lichtlosigkeit in Kastanienbäumen von Ast zu Ast, ein traumartiges Bild. Vielleicht habe ich etwas gesehen, das ich nur deshalb beobachten konnte, weil ich ohne jeden Grund auf der Straße stand, wie aus einem Versehen heraus, ein Mann, der die falsche Tür genommen hatte. Jetzt, etwas später, ahne ich, dass ich dort vor dem Haus gelandet war, weil ich insgeheim wünschte, mit meinen Gedanken an den gewaltsamen Tod eines Torhüters, unter freiem Himmel zu stehen. Und wie ich so wartete, hörte ich die Stimme seiner mutigen, jungen Frau in meinem Kopf, eine Stimme, die versuchte, von all dem Wahnsinn, dem Wahnsinn des Verheimlichens zu sprechen. Da war einmal ein Mensch gewesen, der nicht weiterleben konnte, der sterben musste, weil er seine Verletzlichkeit, seine Schwäche, seine Menschlichkeit nicht zeigen durfte oder glaubte, sie nicht zeigen zu dürfen. So könnte das gewesen sein. Ein Mensch, der lange Zeit über Wasser hastete. So weit ist er gelaufen, dass kein Land mehr zu sehen, kein Laut mehr zu hören gewesen war. — 2 Uhr und fünfzehn Minuten. Die Welt dreht sich, um einen Atemzug langsamer geworden, weiter, immer weiter. Soeben wurde amtlicherseits die Öffnung folgender Weihnachtspostämter, nördliche Hemisphäre, bekannt gegeben: Nordpol-Grönland Santa Claus Nordpolen, Julemandens Postkontor DK-3900 Nuuk / Finnland Santa’s Main Post Office FIN-96930 Napapiin / USA Santa Claus Indiana 47579.
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lima : 18.15 — s c h l ä f e n b e i n
dorothy parker
india : 23.12 — Ein seltsamer Traum. Als ich erwachte, stolperte ich unverzüglich zum Schreibtisch und notierte: Mit Dorothy Parker spaziert. Manchmal frage ich mich, wie meine Träume entstehen, wie ich dazu komme, mir Geschichten zu erzählen, die von kosmischer Ferne sind, obwohl ich doch selbst in ihnen enthalten bin. Vor dem Hotel im Traum, 37. Straße West, wartete eine uralte, strahlend schöne Frau, die nach meinem rechten Arm verlangte, ohne ein Wort zu sprechen, eine geschmeidige, eine unwiderstehlich reizende Geste, und schon waren wir auf dem Weg dem Süden zu. Winterzeit, die Straßen dampften. Schweigend gingen wir nebeneinander her. Die alte Frau trug einen schweren, dunklen Pelzmantel, feine Lederhandschuhe von weißer Farbe und einen roten Hut, auf den ich herabsehen konnte, weil die Gestalt an meiner Seite sehr zierlich gewesen war. Ich kann mich nicht erinnern, wer nun wen durch Manhattan führte, jedenfalls passierten wir den Broadway, die Bowery, die Brooklyn Bridge. Wir mussten lange Zeit unterwegs gewesen sein, weil Mrs. Dorothy Parker, die sich selbst im Traum nicht zu erkennen gab, sehr, sehr langsam ging. Einmal hob ich sie hoch und trug sie eine Weile und sie schlief in meinen Armen ein. Dann erreichten wir den Prospect Park, eine Gegend, die mir bekannt zu sein schien. Da war eine Kreuzung. Und da war Harvey Keitel, der fotografierte. Er kam auf mich zu und betrachtete das Gesicht der alten Frau und lächelte und erkundigte sich, ob ich denn wüsste, wen ich da in den Armen halten würde. — Und jetzt ist wieder Nacht geworden und ich habe gute, sehr gute Laune und funkende Lust traumwärts weiterzuerzählen. Wie nur komme ich über den Atlantik hinweg genau an den Ort meiner kleinen Schlafgeschichte zurück?
manhatten / hippodrom
~ : louis
to : daisy und violet hilton
subject : HIPPODROM
Liebe Violet! Liebe Daisy! Ich grüße Euch ganz herzlich. Ich hoffe, Ihr seid fröhlich! War gestern lange spazieren, folgte dem Duftfaden der Kohleöfen durch die Stadt. Und wie ich so ging, dachte ich an Euch, weil ich wieder einmal Fotografien betrachtet hatte, die Euer Lachen zeigen, eine Freude, die mir so wirklich zu sein scheint, obwohl ich manchmal denke, dass ihr doch unglücklich gewesen sein könntet, genau in dem Moment unglücklich, als Euer gesammeltes Licht von einem Fotoapparat eingefangen wurde. Vor wenigen Tagen, das will ich Euch rasch erzählen, ehe ich wieder an meine nächtliche Arbeit gehen werde, habe ich gelesen von Euerem Engagement 1924 in New York. Wie nur konnte man Euch das antun! Eine Arena, groß wie ein Baseballstadion, das Hippodrom, und dort ihr zwei kleinen Wunderwesen im blendenden Licht der Scheinwerfer. Euer Zittern, Euer Beben. Bald einmal werde ich Manhattan besuchen. Ich habe den Ort des Vergehens an Euch in meinem Spazierplan vermerkt. Ich werde, versprochen, die Gegend für Euch fotografieren. Eine aufregende Geschichte, ich bin mir sicher, vom Verschwinden, wird sich wie von selbst notieren. — Euer Louis.
gesendet am
7.11.2009
0.05 MEZ
1228 zeichen
seelenvögel
tango : 0.01 — > s e e l e n v ö g e l
kakaduzwerge
ginkgo : 6.55 – Ein schläfriger Mann sitzt in diesen Minuten mit einer Schreibmaschine auf dem hölzernen Boden seines Arbeitszimmers. Habe zuletzt zwei Stunden in Christoph Ransmayrs letzter Welt gelesen, in einem Buch, das ich immer dann zur Hand nehme, wenn mir die Sprache müde zu werden scheint. Der Mai kam blau und stürmisch. Ein warmer, nach Essig und Schneerosen duftender Wind fraß die letzten Eisrinden von den Tümpeln, fegte die Rauchschwaden aus den Gassen und trieb zerrissene Girlanden, Papierblumen und die öligen Fetzen von Lampions über den Strand. (Christoph Ransmayr). Kaum hatte ich das Wort Schneerose zu Ende gelesen, stand ich auf und wartete erhitzt zwei oder drei Minuten vor meinem Aquarium. Dort wohnen seit einigen Monaten Wälder und Fische, die mich im Zwielicht schwebend, Stunde um Stunde beobachten. Einmal, gegen Zwei, entfaltete ich einen Stadtplan New Yorks. Das machte sie wild. Dann wieder Ruhe. Flossenfäden. Flugdrachenschwänze. Und dieser Mann, dieser schläfrige Mann, der sich wieder und wieder nähert. Seine Freude, dass ihn das Wort Schneerose, indem es dem Wort Essig folgte, derart begeisterte, dass ihm warm wurde, feurig und alle diese Dinge. Aber natürlich, aber natürlich erneut die Frage, ob meine Kakaduzwerge mich als einen der ihren, als einen Fisch betrachten. — Guten Morgen!
ohrensegel
whiskey : 0.01 – Gespräch mit einer kleinen Philosophin am frühen Abend in einer Straßenbahn, weswegen ich nun für den Rest meines Lebens gerührt sein werde von einem ihrer Gedanken, der mir zu erklären versuchte, weswegen ihre Ohren etwas größer seien als die Ohren ihrer besten Freundin. Das wäre nämlich so, dass ihre Ohren deshalb größer seien, weil sie viel weniger sprechen würde als ihre Freundin üblicherweise. Ich kann, fuhr sie fort, mit meinen Ohren sogar meine eigene Stimme hören, obwohl ich gar nichts sage. Blinde segelten durch die Luft. — stop
die privatheit der engel
echo : 0.28 – Wovon ich nicht berichtet habe, am Mittwoch bereits ist mir ein Fieberengel zugeflogen. Jetzt kommen sie schon im Oktober angereist, wollen getröstet, wollen unterhalten werden. Der Engel, von dem ich gerade spreche, lungert seit zwei Tagen in meiner nächsten Nähe auf Kissen herum. Ein Anblick, der mich nicht einschlafen lässt, das Beben seines Gefieders, Herbstlaubfarben, die über einen blassen Körper stürmen. Durch hohe Temperaturen, die in seinem Inneren brennen, ist der kleine Engel so matt geworden, dass ich ihn in eine Hand legen, dass ich ihn wiegen konnte. Eine leichte Person, 80 g, sitzt in diesen Minuten, da ich meinen Text notiere auf meiner Schulter links nicht ohne Grund. Ich hatte meine Particlesarbeit betont und dass ich dort von seiner Gegenwart erzählen würde. Man ahnt nichts von der Wildheit ihres Wesens. Meinen Namen solltest Du nicht erwähnen! Ich warne Dich, flüsterte der Engel. Er saß im Moment seiner Drohung auf dem Stiel eines Löffels in meiner Küche, steckte die Spitze einer Feder in warmen Honig und dozierte von Geheimnissen, die Engel und Menschen umgeben. Du und ich! So sitzt er also und beobachtet, was ich gerade notiere. Ich weiß, ich könnte, ein Wort zu viel, sofort in Flammen aufgehen, also hör ich besser auf. — Eine halbe Stunde nach Mitternacht, der letzte Tag des Oktobers ist angebrochen. – Gute Nacht!
wüstenwanderung
india : 1.15 – In Indien, der Regen, der nicht fallen will, nehme sich jede 8. Sekunde ein Baumwollbauer das Leben. – Ist das eine Nachricht? — stop