charlie : 20.01 — Die wundervolle Widersprüchlichkeit menschlicher Wesen. Wahrnehmen. Denken. Lernen. Leben. Jenseits der Schall-platten-sprech-automaten bewegt sich das Meer.
zahlenflüstern
sierra : 5.05 — Unterm Schirm im Palmengarten einem Gewitter zugehört. Nichts getan, als zu lauschen und zu beobachten, dass mein Gehirn nicht schnell genug ist, um die Tropfen eines kräftigen Regens, ihr Geräusch, nachzuzählen. Wie ich so ergeben vor Schildkröten und Karpfen auf einer Bank lungerte, ist mir aufgefallen, dass ich nicht ganz sicher sagen kann, ob es nicht vielleicht doch die Wörter sind, die mich zur Zählschnecke machen, jene Zahlen nämlich, die ich insgeheim verwende, um in der Summe voran zu kommen. Ich bin dann, während ich das Flammen meiner Zahlwörter beobachtete, eingeschlafen. Ein weiterer Regen weckte mich bald auf und wieder versuchte ich zu zählen. Dieses Mal zählte ich flüsternd und ich zählte lange. Jetzt weiß ich, dass ich flüsternd schneller zählen kann, als schweigend nur in Gedanken Zahlen notierend. Was ist das überhaupt für eine Stimme in meinem Kopf? Fangen wir noch einmal von vorne: Auch am vergangenen Abend, wie man mir erzählte, wurde kurz nach zehn Uhr in Teheran unter glanzvollen Sternen von den Dächern nach Freiheit gesungen.
tiefseeelefanten
~ : louis
to : Mr. jonathan noe kekkola
subject : MONTAUK
Lieber Mr. Kekkola, haben Sie vielen Dank für die feine Fotografie, die Sie mir gestern Abend übermittelten. Wie ich mich herzlich freue, dass Sie sich an mich erinnerten, an die Geschichte uralter Elefantenwanderwege, die den Grund des Karibasees durchkreuzen. Und doch glaube ich, ist der See, an den ich vor langer Zeit einmal dachte, viel zu tief und viel zu breit, als dass Elefanten ihn passieren könnten, ohne Schaden zu nehmen. Nun, wir werden sehen. Ich bin beruhigt, weil Sie mir schreiben, dass ich Ihren Namen als Pseudonym weiterhin verwenden darf, auch für unheimliche Geschichten, wie die Geschichte meiner speziellen Käferwesen von Menschenhaut. Schön muss es bei ihnen sein in Montauk. Ich besuchte Ihre Gegend mit der Google — Earthmaschine, habe ihr Haus beobachtet und am Strand den Schatten einer menschlichen Gestalt. Denkbar, dass Sie das gewesen sind, so klein, so winzig. Habe ich Ihnen berichtet, dass ich ein Wunschbuch für Träume führe seit einigen Tagen? Ich könnte, nein, ich sollte für die kommende Nacht notieren: Schlafen gegen zwei! Erzähl dir Elefantenherden, die den Atlantik durchqueren. Schwebend unter Rüsseln von phantastischer Länge, leicht, wie Menschen auf dem Mond, spazieren sie schnorchelnd über schneeweißen Tiefseesand. Herzlich grüßt Sie Ihr Louis. Ahoi!
gesendet am
12.07.2009
22.58 MEZ
1425 zeichen
=
alpha : 0.02 — k i n n h a a r
begegnung
echo : 6.10 — Entzückend unlängst, Menschen, Chinesen, wie sie sich im Münchener Botanischen Garten um eine Bambusstaude gruppierten, wie sie die Pflanze wiedererkannten, wie sie sich freuten, helle Geräusche machten, wie sie die Blätter betasteten, wie sie sich verbeugten, wie sie eine alte, weitgereiste Bekannte begrüßten. Für einen Augenblick der Eindruck, auch die Pflanze habe sich verneigt.
echo
ginkgo : 0.02 — Im Halbschlaf, immer im Halbschlaf, in der Vortraumzeit, das Geräusch einer Spieldose. Blechern singendes Haar.
sleeping
sierra : 0.02 — Kurz nach Mitternacht, das Ende eines federleichten Tages, an dem ich, gegen den Morgen zu, eine feine Geschichte erlebte. Das war nämlich so gewesen, dass meine Hand, meine rechte Hand, während ich schlief, das Bett verlassen hatte. Sie schwebte, indem ich träumte, von einem Gewitter angerufen worden zu sein, fast bewegungslos über dem Boden und wurde in dieser Haltung nach einer Erinnerung zärtlich fotografiert, weil ich vor einigen Monaten notiert hatte, dass ich, wenn ich sage: meine schlafenden Hände, von Händen spreche, die ich nie gesehen habe. Dieser Satz ist nun natürlich nicht ganz unwahr geworden, weil ich immerhin noch keine Ahnung habe, wie meine linke Hand aussehen könnte, während sie schläft. Außerdem habe ich meine schlummernde Hand nicht selbst gesehen, mit eigenen Augen, wahrhaftig, in echter Zeit, sondern zeitverzögert und durch das Auge einer Kamera gebändigt. — stop
kopfgeräusch
delta : 0.02 — Meine denkende, eine flüsternde Stimme.
im albtraum
tango : 0.05 — Ich hatte ein Museum geträumt, ein Albtraum, ein Museum, dessen Säle für Besucher zur Nachtzeit nur geöffnet waren. Folgendes: Eine Spielzeugmaschine erhebt sich dort, Saal 107, von einem Tisch, eine Stadt ohne Staub. Da sind Häuser, Baracken, geschotterte Wege, Mauern, ein Platz. Und Bäume sind da noch. Und Schienen. Und Türme. Hölzerne Türme. Gusseiserne Lampen. Scharfes Licht, weißes Licht, Gewitterlicht. Kein Laut, kein Schatten, keine Bewegung. Aber in den Kronen der Bäume, Unruhe, bebendes Warten. Es ist wieder die sechste Sekunde, dann die siebte, dann die achte. Jetzt geht alles sehr schnell vonstatten. Ein heller Ton, ein Pfiff, kaum hörbar. Eine Lokomotive, weißer Dampf, rast auf Schienen aus dem Halbdunkel jenseits der Umzäunung heran, ein Zug, ein langer Zug. Auch in die Stadt ist nun Bewegung gekommen. Personen. Vögel. Hunde. All das so voran, als wäre es aufgezogen, würde sich entladen, ruckartig, als habe man einem Film Sekunde für Sekunde Bilder entnommen. Der Zug stoppt. Figuren, Menschenfiguren, Hunderte, auch Kinderfiguren, fließen aus Waggons, formieren sich zu einer Linie, die sich bald teilt. Wispern und Zwitschern. Dann Rauch. Nadeln von schwarzem Rauch. Rauch bis zur Himmelsdecke. Und Geruch. Ein seltsamer Geruch, sehr senkrecht seltsam, Geruch von geschmolzenem Metall, von Zinn, süß, von Gebäck. Alles ist wie von Sand beworfen, so eingefärbt, auch jene Menschen, die klein sind und schnell und bald schon verschwunden, waren von der Farbe hellen Sandes. Dann wieder Stille. Keine Bewegung. Nur die Bäume, das Blattwerk, unruhig. — stop
nachtzeit spuren
romeo : 18.15 — Notieren : Wunschbuch für Träume!