Aus der Wörtersammlung: marienkäfer

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murphy

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india : 5.01 — Um 2 Uhr nachts sit­zen plötz­lich hun­der­te Flie­gen an den Fens­tern. Beben­de Flü­gel, hel­le, fast wei­ße Kör­per. Unter ihren Füßen das Licht eines künst­li­chen Tages, hin­ter ihren Rücken Gewit­ter­blit­ze. Indes­sen brum­men drei Mari­en­kä­fer durchs Zim­mer. Beob­ach­te­te Becketts absur­de Schach­par­tie, die in sei­nem Roman Mur­phy zu fin­den ist. Unge­üb­te Augen könn­ten irren: e4 Ng8h6 2. Ng1h3 Rh8g8 3. Rh1g1 Nb8c6 4. Nb1c3 Nc6e5 5. Nc3d5 Rg8h8 6. Rg1h1 Ne5c6 7. Nd5c3 Nh6g8 8. Nc3b1 Nc6b8 9. Nh3g1 e6 10. g3 Ng8e7 11. Ng1e2 Ne7g6 12. g4 Bf8e7 13. Ne2g3 d6 14. Bf1e2 Qd8d7 15. d3 Ke8d8 16. Qd1d2 Qd7e8 17. Ke1d1 Nb8d7 18. Nb1c3 Ra8b8 19. Ra1b1 Nd7b6 20. Nc3a4 Bc8d7 21. b3 Rh8g8 22. Rh1g1 Kd8c8 23. Bc1b2 Qe8f8 24. Kd1c1 Bd7e8 25. Bb2c Ng6h8 26. b4 Be7d8 27. Qd2h6 Nb6a8 28. Qh6f6 Nh8g6 29. Bc3e5 Bd8e7 30. Na4c5 Kc8d8 31. Ng3h1 Be8d7 32. Kc1b2 Rg8h8 33. Kb2b3 Bd7c8 34. Kb3a4 Qf8e8 35. Ka4a5 Na8b6 36. Be5f4 Nb6d7 37. Qf6c3 Rb8a8 38. Nc5a6 Be7f8 39. Ka5b5 Ng6e7 40. Kb5a5 Nd7b8 41. Qc3cNe7g8 42. Ka5b5 Kd8e7 43. Kb5a5 Qe8d8 — stop

polaroidcentral

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sieben punkte

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hima­la­ya : 5.06 — Drau­ßen, vor weni­gen Stun­den noch, rausch­te Was­ser vom Him­mel. Aber jetzt ist es still. Es ist eine tat­säch­lich nahe­zu geräusch­lo­se Nacht. Die letz­te Stra­ßen­bahn ist längst abge­fah­ren, kein Wind, des­halb auch die Bäu­me still und die Vögel, alle Men­schen im Haus unter mir schei­nen zu schla­fen. Für einen Moment dach­te ich, dass ich viel­leicht wie­der ein­mal mein Gehör ver­lo­ren haben könn­te, ich sag­te zur Sicher­heit ein Wort, das ich ges­tern ent­deck­te: Kapr­un­bi­ber. Das Wort war gut zu hören gewe­sen, mei­ne Stim­me klang wie immer. Aber auf dem Fens­ter­brett hockt jetzt ein Mari­en­kä­fer, einer mit gel­bem Pan­zer, sie­ben Punk­te, ich habe nicht bemerkt, wie er ins Zim­mer geflo­gen war. Es ist nicht der ers­te Käfer die­ses Jah­res, aber einer, den ich mit ganz ande­ren Augen betrach­te. Ich hat­te für eine Sekun­de die Idee, die­ser Käfer könn­te viel­leicht ein künst­li­cher Käfer sein, einer, der mich mit dem Vor­satz besuch­te, Foto­gra­fien mei­ner Woh­nung auf­zu­neh­men, oder Gesprä­che, die ich mit mir selbst füh­re, wäh­rend ich arbei­te. War­um nicht auch ich, dach­te ich, ein Ziel. Ich nahm den Käfer, der sei­ne Geh­werk­zeu­ge unver­züg­lich eng an sei­nen Kör­per leg­te, in mei­ne Hän­de und trans­por­tier­te ihn in die Küche, wo ich ihn in das grel­le Licht einer Tisch­lam­pe leg­te. Wie ich ihn betrach­te­te, bemerk­te ich zunächst, dass ich nicht erken­nen konn­te, ob der Käfer in der künst­li­chen Hel­lig­keit sei­ne Augen geschlos­sen hat­te. Weder Herz­schlag noch Atmung war zu erken­nen, auch nicht unter einer Lupe, nicht die gerings­te Bewe­gung, aber ich fühl­te mich von dem Käfer selbst beob­ach­tet. Also dreh­te ich den Käfer auf den Rücken und such­te nach einem Zugang, nach einem Schräub­chen da oder dort, einer Ker­be, in wel­che ich ein Mes­ser­werk­zeug ein­füh­ren könn­te, um den Pan­zer vom Käfer zu heben. Man stel­le sich ein­mal vor, ein sehr klei­ner Motor wäre dort zu fin­den, Mikro­pho­ne, Sen­der, Lin­sen, es wäre eine unge­heu­re Ent­de­ckung. Im Moment zöge­re ich noch, den ers­ten Schnitt zu setz­ten, es reg­net wie­der, jawohl, ich wer­de am Bes­ten zunächst noch ein wenig den Regen beob­ach­ten, es ist kurz nach drei. – stop

ping

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stimmen zu st. georg

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echo : 0.28 — Ein Spa­zier­gang über den alten Münch­ner Fried­hof St. Georg. Ich stand vor Liesl Karl­stadts Grab, plötz­lich hör­te ich ihre Stim­me, die von irgend­wo her aus den Kas­ta­ni­en­bäu­men in nächs­ter Nähe zu kom­men schien. Oran­gen­far­be­ne Blü­ten, Fuchs­köp­fen ähn­lich, lun­ger­ten auf dem klei­nen Karl­stadt­hü­gel. Blaue Füh­ler­kä­fer hetz­ten über san­di­gen Boden. Wald­bie­nen, Moo­shum­meln, Rau­pen­flie­gen, es sirr­te und brumm­te in allen mög­li­chen Tönen. Auf dem Gedenk­stein für Rai­ner Wer­ner Fass­bin­der hock­te ein Mari­en­kä­fer von Holz, der Schirm eines Fächer­ahorns spen­de­te Schat­ten. Auch an Fass­bin­ders Stim­me konn­te ich mich sofort erin­nern, ohne einen kon­kre­ten Satz aus sei­nem Mun­de zu ver­neh­men. Es war ganz so, als wür­den die Stim­me in mei­nem Kopf eine Stim­me simu­lie­ren. Erich Käst­ner aller­dings war mir ent­we­der abhan­den gekom­men oder ich habe sei­ne Stim­me tat­säch­lich noch nie in mei­nem Leben gehört. Aber den Sedl­mayr, Wal­ter, erin­ner­te ich unver­züg­lich und auch die ange­nehm war­me Stim­me Bernd Eichin­gers, der so plötz­lich gestor­ben war. Som­mer­fä­den schweb­ten durch die Luft. Das Rascheln der Eich­hörn­chen unterm Efeu. Über mir ein blau­grau­er, blit­zen­der Him­mel. Es duf­te­te nach Zimt, war­um? Irgend­wo in mei­nem Kopf, ich spür­te das genau, muss eine Erin­ne­rung an die Stim­me Oskar Maria Grafs zu fin­den sein. Und wenn ich nun noch zwei oder drei Stun­den auf mei­nem Sofa sit­ze und lau­sche in die­ser stil­len Nacht, wird sie viel­leicht hör­bar wer­den. — stop

ping

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käferwerfen

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sier­ra : 22.31 — Regeln für das Wer­fen von Käfern an Som­mer­aben­den. Ein tür­kis­far­be­ner Rüs­sel­kä­fer, zum Bei­spiel, soll­te mög­lichst nach acht Uhr nicht mehr gewor­fen wer­den. Er schläft dann schon und ist mit der Ent­fal­tung der Flü­gel im Halb­schlaf zu lang­sam. Dage­gen sind schlan­ke Lauf­kä­fer auch nach zehn Uhr abends, selbst im Dun­keln noch, pro­blem­los durch die Luft zu schleu­dern. Pil­len­dre­her, gut gepan­zert, stür­zen so wie so, dem­zu­fol­ge jeder­zeit, vom Him­mel. Mari­en­kä­fer ken­nen kei­ne Regel, mal fällt einer, dann wie­der nicht. — stop

ping