Aus der Wörtersammlung: geräusche

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nicolas bouvier

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tan­go : 0.01 — War über einem Buch des Schwei­zer Schrift­stel­lers Nico­las Bou­vier ein­ge­schla­fen, hat­te in letz­ter Sekun­de noch einen Gedan­ken wahr­ge­nom­men. Ich sag­te zu mir mit lei­ser wer­den­der Stim­me im Kopf: Du musst ein­mal über­le­gen, ob es sinn­voll ist, nach einer Metho­de zu suchen, im Schlaf ein Buch lesen zu kön­nen. Ja, das wär eine inter­es­san­te Geschich­te. Man wür­de sich natür­lich an die erzäh­len­de Wirk­lich­keit des Buches selbst nicht erin­nern, das man gera­de noch las oder hör­te wäh­rend man schlief, weil man das Buch nicht bewusst wahr­neh­men konn­te, und doch wäre man mit Herrn Bou­vier nach Gal­way geflo­gen wegen eines Lochs im Sturm. Man wäre in einer Art und Wei­se nach Gal­way geflo­gen, dass man sich ein­mal spä­ter so gut an die­sen Flug erin­nern könn­te, als wäre man selbst dort in Kil­ro­nan gewe­sen, eine Ahnung, Geräu­sche, Luft und Leu­te. — stop

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in der paukenhöhle

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echo : 16.02 — Ich habe mir eine Maschi­ne vor­ge­stellt, der­art fili­gran kon­stru­iert, dass ich sie mei­nen inne­ren Ohren zufü­gen könn­te, und zwar in nächs­ter Nähe der Gehör­knö­chel­chen, eine Tra­fo­ma­schi­ne, 50 mg von Gewicht und mit blo­ßem Auge kaum noch zu erken­nen. Dort in den Pau­ken­höh­len befind­lich, wür­de das Maschi­nen­we­sen in phy­si­ka­li­scher Wei­se Strom erzeu­gen, wür­de durch die Bewe­gung eines Gedan­kens gesteu­ert, Geräu­sche der Welt dämp­fen, das heißt brem­sen, aber nie­mals ver­stär­ken. Je lau­ter die Welt, in der ich mich befin­de, je lei­ser ich sie höre, des­to hel­ler das Glüh­bir­nen­licht, das von gesam­mel­ten Strö­men zuneh­men­der Stil­le ent­zün­det sein wird. — stop

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penn station

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marim­ba : 23.
12 — Penn­sta­ti­on am spä­ten Abend. Namen, Leucht­stof­fe, Ziel­or­te, die auf Tafeln klap­pernd von Zei­le zu Zei­le fal­len. Montauk. stop. Baby­lon. stop. Syra­kus. stop. Keroo­kee. stop. Muscheln­de Geräu­sche, Wör­ter, Sät­ze fort­be­we­gend, Dos Pas­sos, sagen wir, Man­hat­tan Trans­fer, Edi­ti­on für Tief­see­tau­cher. stop. 700 selbst­leuch­ten­de Sei­ten a 1200 Gramm. stop. Funk­blät­te­rung. stop. 1 x 0.5 Meter Kan­ten­län­ge. stop. Him­mel, was für ein gro­ßes, schwe­res Buch. stop. Schwe­bend. stop. 550 Fuß Tie­fe. — stop
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andrea faciu — touching the city

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hibis­kus : 18.02 — Fan­gen wir noch ein­mal von vorn an. Wie das ist, eine Stadt zu berüh­ren, tou­ch­ing the city. Die Hand einer Frau, gefilmt von einer Kame­ra, die sich in einer wei­te­ren Hand, der zwei­ten Hand der­sel­ben Frau befin­det, streicht über Häu­ser­wän­de, Klin­gel­knöp­fe, Brief­käs­ten, Namens­schil­der. Film­par­ti­kel, in einen ver­dun­kel­ten Raum getra­gen, wo sie sich wie­der­ho­len, ver­win­kelt zu zar­ten, beben­den Geräu­schen des Lichts. — In Flo­renz, an einem herbst­li­chen Abend, erzählt die Künst­le­rin Andrea Faciu der­art span­nend von ihrer Arbeit, dass ich einen Tag spä­ter mei­ne eige­nen Hän­de beob­ach­te, indem sie die Stadt Flo­renz berüh­ren. Die­se Hän­de nun tas­te­ten in New York nach der sil­ber­nen Haut eines Sub­way-Wag­gons, Ges­ten der Begrü­ßung viel­leicht. Da war eine mühe­voll gehen­de Frau gewe­sen, ich erin­ne­re mich, eine India­ne­rin unter einem Pon­cho, gebeugt von der Last einer Chris­tus­fi­gur, die sie durch einen Tun­nel nahe dem Times Squa­re schlepp­te. Ihre mur­melnd beten­de Stim­me. Chris­tus blink­te. — stop
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trommeln

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papa : 22.58 — In dem Moment, da Sie die­se Zei­len lesen, sehen Sie mich ver­wun­dert, stau­nend, ja, sagen wir’s ruhig, glück­lich. Das ist so dar­um, ich habe gera­de bemerkt, wie kleins­te Din­ge, Lebe­we­sen, die eigent­lich nicht sicht­bar sind, sicht­bar wer­den, sobald ich sie mit Gedan­ken berüh­re. Auch Geräu­sche, die so lei­se und zart, dem­zu­fol­ge klein sind, dass ein mensch­li­ches Ohr sie nie­mals ver­neh­men könn­te, wer­den hör­bar durch ein ein­zel­nes Wort, das sie behaup­tet. Systo­li­sche Fre­quen­zen, hel­les Trom­meln, 250 Pul­se, kein Wort exis­tiert für jene Musik heim­li­cher Her­zen, als die Sum­me der Pfa­de, die sich um Annä­he­rung bemü­hen. Und ihre Augen, ihre Augen, jawohl, sie haben Augen, wo wer­den ihre Augen sein? — stop
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nachtlaufen

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romeo : 0.52 — Nachts, im Lau­fen am See, Geräu­sche des Bodens, die durch den Kör­per drin­gen. Bald das Herz am Hals. Schla­fen­de Schwä­ne, schla­fen­de Enten. Der Flug eines träu­men­den Karp­fens. Und ein Gedan­ke. Und noch ein Gedan­ke. Atem, der zum Wort wird von Run­de zu Run­de. Das Glück der Schrit­te. — stop

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luftlaufen

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pupil­le : 0.02 — Ges­tern Nach­mit­tag im Regen durch den Pal­men­gar­ten spa­ziert. Saß bald unter dem Schirm gut ver­packt auf einer Bank am See und las in einer Samm­lung fei­ner Tex­te, die Anton Tschechow in sei­ner per­sön­li­chen Aus­ga­be der Selbst­be­trach­tun­gen Marc Aurels vor lan­ger Zeit ein­mal mar­kiert hat­te. Dort fol­gen­de Bemer­kung: Du musst Dich dar­an gewöh­nen zu den­ken und zu han­deln, als sei das Ende Dei­nes Lebens schon da. Und ich dach­te, es ist genau so, dass zwi­schen dem vor­ge­stell­ten Ende des eige­nen Lebens und dem tat­säch­li­chen Ende, des­sen Zeit­ort unbe­kannt, des­sen Nahen von Tag zu Tag wahr­schein­li­cher wird, schma­le oder noch brei­te Ste­ge von Hoff­nung, von Unkennt­nis sich befin­den, auf wel­chen ich mich bewe­gen kann, lang­sam, nach­denk­lich, oder in Tanz­schrit­ten, glück­lich, über­mü­tig und ver­we­gen. – Wie­der der Ver­such, die Tropf­ge­räu­sche des Regens zu zäh­len. Nichts könn­te beru­hi­gen­der sein. — stop
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bermuda

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alpha : 0.03 — Ob es wohl mög­lich ist, ein Blatt Papier, das aus Mil­lio­nen sehr klei­ner Lebe­we­sen bestehen wird, mit einer Sche­re, sagen wir, in zwei Tei­le zu zer­le­gen? Was soll­te gesche­hen? Wür­den mei­ne papie­re­nen Tie­re Geräu­sche erzeu­gen, die Wider­spruch signa­li­sie­ren, Empö­rung, Furcht? Oder wür­den sie wei­chen, sich in alle Him­mels­rich­tun­gen zer­streu­en, eine blitz­schnell sich voll­zie­hen­de Bewe­gung der Entro­pie? – Sonn­tag. stop. War­me, geschmei­di­ge Stun­den. stop. Hell vom Schnee, die Luft.

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brooklynites

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tan­go : 6.03 – Das lang­sa­me Durch­que­ren einer nächt­li­chen Land­schaft frem­der Stim­men: Ten-four. David-David. Woman, black, in con­fu­si­on. 75, Varick­street. 12th flo­or. Ten-four. Ten-four. Ser­geant? — Ich hat­te, mei­ner neu­en Lei­den­schaft fol­gend, den Klän­gen des New Yor­ker Poli­zei­funks zuzu­hö­ren, gegen Mit­ter­nacht eine Ver­bin­dung über den Atlan­tik her­ge­stellt. Wie das dann genau gekom­men sein mag, all das Flüs­tern in der Dun­kel­heit, kann ich nicht sagen, viel­leicht war zu einer Zeit, da ich noch wach gewe­sen war, mei­ne trans­at­lan­ti­sche Über­tra­gung für zwei oder drei Stun­den unter­bro­chen gewe­sen, oder man schwieg in New York, wes­halb ich die geöff­ne­te Ver­bin­dung ver­ges­sen haben könn­te. Ich schlief jeden­falls ein gegen zwei Uhr, müde gewor­den vom Den­ken, und wie ich so schlief, kehr­ten die Stim­men zurück, ich träum­te Geräu­sche, die in der ame­ri­ka­ni­schen Spra­che plau­der­ten. Ten-Four. Ten-four. Auch mei­ne eige­ne Stim­me, sie berich­te­te von einer Wan­de­rung durch Brook­lyn, war in der Däm­me­rung deut­lich zu hören gewe­sen. Ein schnel­les, ein rasen­des Spre­chen, Lou­is, als hin­ge sein Leben davon ab. Dann fehl­te ihm ein Wort, ein ent­schei­den­des Wort. Von suchen­der Stil­le erwacht. — stop
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