sierra : 6.28 — Regen, erste Milde des Jahres. Ein Freund, arabischer Jazzmusiker und stark wie ein Bär, erzählte vor wenigen Stunden, er sei versucht gewesen, während der Rede Husni Mubaraks am Donnerstagabend, sein Fernsehgerät zu zertrümmern. Kann ich nun von einem Wunder sprechen, dass in der zurückliegenden Nacht in den Straßen Kairos nicht rasende Gewalt ausgebrochen ist? Merkwürdig der Augenblick, als sich nachmittags über den hellblauen Himmel der riesigen Stadt ein Hubschrauber fortbewegte, sandfarben und so klein, dass er kaum noch sichtbar gewesen war, ein Luftfahrzeug, in dem sich vielleicht ein Menschendespot befand, von dem ich nicht sagen kann, ob er je verstehen wird, was geschehen ist. Kurz darauf das Beben des Bodens, seismografisch messbar unter Tausenden tanzender Füße, die ihre Schuhe wieder tragen. Auf meinem Fernsehbildschirm erweist ein General mit einer irritierenden militärischen Geste den Opfern des Aufstandes seine Ehre. — stop
Aus der Wörtersammlung: kairobildschirm
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sierra : 0.05 — Wie sich eine Welle vom Strand zurückzieht, entziehen sich die Geräusche des Tages nachtwärts den Straßen. Vielleicht ist die Stunde von 2 bis 3 Uhr die Stunde der leisesten Geräusche, oder aber jene Stunde von 3 bis 4 Uhr, da die Herzen der Schlafenden so vorsichtig schlagen, dass man sie zur Sicherheit wecken möchte. — stop. — Nachmitternachtstunden in Kairo, Ägypten. monasosh via twitter for blackberry : > 2 mins away from the square. U? — Common ppl, be nice, atleast give us a chance to feel happy abt the possibility of him stepping down even if the battle isn’t over yet. — BREAKING: New Facebook upgrade option is called Mubarak. You click on quit and nothing happens. — enta fi heliopolis? How many r u? — chants, everything is peaceful. — A group of protesters marched to the presedential palace in Heliopolis. All is peaceful & they r spending the night there. — I am hereinfront of TV building, a lot of ppl r still in Tahrir, maybe no one tweeting :) — Ppl are chanting “here are the liars” while pointing at ppl looking at us from the TV building. — Amazing energy, ppl just seem to recycle their anger into positive blasts of energy. Chants and drums & whistles all over.
interview tahrir square februar 2011 kurz vor ausbruch staatlicher gewalt gegen aktivisten/innen auf dem platz source : zero silence project
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nordpol : 16.15 — Die Welt der großen Koffer, die Welt der grundsätzlichen Diskurse kommt in Bewegung. Das Vermögen, lesen und schreiben zu können, die Freiheit des Denkens, Sprechens, Glaubens, Brot und Zuckerpreise, Korruption, Selbstbestimmung, die Glaubwürdigkeit westlicher Politik, westlicher Kultur. Auf dem Tahrir-Platz wird getanzt, man betet, man feiert Hochzeit, man reicht Wasser, versorgt Wunden, bewacht den Schlaf der Schlafenden. Bedeutendes geschieht. stop. Eine Welle. stop. Zuhören. stop. Lernen. — stop
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echo : 5.38 — Ich erinnere mich, dass ich im Schlaf zu mir sagte: Das will ich nicht weiter träumen. Unverzüglich wurde ich wach. – Schnee ist gefallen, ein weißes Tuch liegt auf den Bürgersteigen. Das Kairofenster flimmert seit bald vierzehn Stunden auf dem Bildschirm meiner Schreibmaschine. Kamelreiter prügeln auf Demonstrierende ein, Steine fliegen durch die Luft, Kühlschränke von Hausdächern, um Menschen zu töten. Mit der Dämmerung kommen Barrikaden, Ölfeuerflaschen, taumeln hin und her, brennende Autos, der hellgraue Rauch der Panzermotoren, die Stimmen der Kommentatoren, die Zahlen verletzter und getöteter Menschen melden. Auf dem Platz der Befreiung wird nach Steinen gegraben. Millimeter hohe Menschenfiguren schleifen liegende Millimeter hohe Menschenfiguren über den Boden. Reine Mordlust scheint ausgebrochen zu sein. – Es ist jetzt 5 Uhr und 30 Minuten. Seit drei Stunden wird scharf geschossen. Niemand weiß, woher die Schüsse kommen. Eine junge Frau, 24, die sich auf dem Platz befindet, erzählt weinend von Menschen, die soeben getötet wurden. Wie das möglich sein könne, dass die Welt nicht eingreife, dass keine Hilfe komme. We will not leaving this place. Sie nennt ihren Namen. — stop
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sierra : 7.12 — Acht Uhr, Freitagabend. stop. Am Schreibtisch. stop. Von Livebildern des Nachrichtensenders Al Jazeera her sind Gewehrschüsse zu hören. Seit Stunden bereits bewegen sich diese Bilder von der Größe einer Postkarte auf dem Schirm meiner Computermaschine. Jugendliche Menschen flüchten vor Wolken von Pfeffergas. Betende Männer knien vor einer Polizeikette, schwarze Stiefel, schwarze Hosen, schwarze Hemden, schwarze Helme. Gebäude glühen in der aufkommenden Dunkelheit. Ein Mannschaftswagen der Polizei schlingert brennend durch eine Menschenmenge, überrollt Personen, die sich in den Weg stellen. Schlägertrupps in ziviler Kleidung verprügeln Frauen, verprügeln Männer. Kolonnen gepanzerter Militärfahrzeuge rücken in das Zentrum Kairos vor, sie werden von jubelnden Bürgern der Stadt begrüßt. Man spricht davon, das National Museum werde von einem Schild menschlicher Körper geschützt. Gasgranaten segeln über einen Platz, schreiben Spuren hellgrauen Rauchs in die Luft. Auf den Straßen der Stadt Suez sollen fünf Menschen ihr Leben verloren haben. In Washington erklärt ein Sprecher der US-Regierung, die Situation sei fluid. In Kairo überreichen junge Menschen einer Reporterin den Körper einer Polizeitränengasgranate, auf dem sie den Schriftzug Made in USA entdeckten. stop. stop. Was ist das für eine Wirklichkeit, die mich in Bildern von Postkartengröße erreicht? Wie wirklich ist diese Wirklichkeit? Was geschieht mit mir, was mit der Wirklichkeit der Bilder, sobald ich meinen Computerbildschirm ausschalte? — stop